„Brückenbauer“ Huber im „Spiegel“: Kein Christentum ohne Mission

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, hat sich deutlich gegen eine Vermengung des christlichen Glaubens mit fundamentalistischen Tendenzen in anderen Religionen ausgesprochen. Gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ sagte Huber, eine „Wischi-Waschi-Toleranz“ gegenüber anderen Religionen bedeute gerade keinen Respekt. Für ihn könne es ein Christentum ohne Mission nicht geben, sagte Huber in der Ausgabe 20/2008 vom 10.05.2008, Seite 46ff des Hamburger Magazins. „Ich vertrete… …keinen Relativismus, der alles gleichgültig macht und bei dem niemand für die eigenen Überzeugungen steht.“ Der christliche Glaube habe einen „unaufgebbaren Kern darin, dass Christen Gott allein die Ehre geben, deswegen nichts Weltliches vergötzen. Und weil sie nichts Weltliches vergötzen, respektieren sie die gleiche Würde eines jeden Menschen. Aus diesem Grund sind sie aller Verherrlichung von Gewalt abhold. Das ist ein klares Kriterium für die Abgrenzung von fanatischen und fanatisierenden Formen von Religion“.

Dies bedeute jedoch nicht, dass ein Christ nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden dürfe. Diese Unterscheidung sei vielmehr „elementar lebensnotwendig“. Zudem sei es wichtig, keine „Wischi-Waschi-Toleranz“ zu praktizieren: „Das Leugnen von Unterschieden (zwischen den Religionen) ist gerade kein Ausdruck von Respekt. (…) Ein muslimisches Gebet, ein jüdisches Gebet und ein christliches Gebet sind nicht ein und dasselbe.“

„Jesus von Nazareth war kein Gewalttäter oder Feldherr“

Er habe nie verstanden, „wie man einen angeblich zwangsläufigen Rückzug der Religion behaupten und gleichzeitig feststellen konnte, dass die Veränderungen von 1989 in der DDR und Polen ohne die Kirchen nicht zustande gekommen wären“, so der 65-Jährige. Huber bedauerte, dass es immer wieder die Situation gegeben habe, wo Religion zur Legitimation von Gewalt verwendet wurde. „Zugleich stellen wir fest, dass es keine andere Kraft gibt, die mehr Widerstandspotential gegen die Gewalt mobilisiert als Religion. Es trifft nicht zu, dass es ausschließlich im Wirkungsbereich von Religion zu Gewaltanwendung kommt. Die Vorstellung, wenn erst einmal überall atheistische Regime herrschten, dann hätten wir keine Gewalt mehr, ist schlicht unzutreffend. Oder wie sollte man erklären, dass die fürchterlichsten Gewalttaten auf dem europäischen Kontinent im 20. Jahrhundert im Namen von dezidiert atheistischen Regimen verübt worden sind?“

In Bezug auf den Islam sagte Huber: „Mohammed war nicht nur Prophet, er war auch Kriegsherr. Wenn man dagegen an die Geschichte des Christentums denkt, dann gibt es beklagenswerte Konstellationen, in denen Glaube und Gewalt verbunden waren. Aber das ist keineswegs die generelle Grundlinie des christlichen Glaubens. (…) Sie werden nirgendwo feststellen können, dass Jesus von Nazareth ein Gewalttäter oder ein Feldherr gewesen wäre.“ Die Kreuzzüge bezeichnete Huber als „merkwürdiges und beklagenswertes Phänomen“.

Religion könne nicht darauf reduziert werden, dass manch ein Politiker von einer „Achse des Bösen“ oder von einem „Reich des Bösen“ spreche. „Denn daneben gibt es eine neue Zuwendung zu Spiritualität. Es gibt neues Leben in Kirchengemeinden, in Kommunitäten, in Klöstern und auf Pilgerwegen.“

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„Spiegel“-Dossier in: DER SPIEGEL 20/2008 vom 10.05.2008, Seite 46ff:
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, 65, über Fundamentalismus, die dunkle Seite der Religionen und die Vorzüge der Trennung von Kirche und Staat.

SPIEGEL: Bischof Huber, Religion schien jahrzehntelang auf dem Rückzug ins Private, im Westen infolge der Individualisierung, im Osten unter dem Druck des Kommunismus. Könnte es sein, dass wir uns irgendwann wieder danach zurücksehnen, dass Religion Privatsache ist?

Huber: Religion war niemals nur Privatsache. Ich habe nie verstanden, wie man einen angeblich zwangsläufigen Rückzug der Religion behaupten und gleichzeitig feststellen konnte, dass die Veränderungen von 1989 in der DDR und in Polen ohne die Kirchen nicht zustande gekommen wären. Seitdem hat sich allerdings viel geändert. Das hängt sowohl mit den Folgen der islamischen Revolution von 1978/79 zusammen als auch mit religiösen Bewegungen in den USA. Beide Entwicklungen haben eine neue Aufmerksamkeit für die Rolle der Religion ausgelöst.

SPIEGEL: Aber ist das nicht ein furchtbares Comeback? Es kommt einher mit Formeln vom „heiligen Krieg“ oder von der „Achse des Bösen“. Religion scheint nicht gerade friedenstiftend zu sein.

Huber: Es gab und gibt – Gott sei es geklagt – Situationen, in denen Religion zur Legitimation von Gewalt verwendet wird. Zugleich stellen wir fest, dass es keine andere Kraft gibt, die mehr Widerstandspotential gegen die Gewalt mobilisiert als die Religion. Es trifft nicht zu, dass es ausschließlich im Wirkungsbereich von Religion zu Gewaltanwendung kommt. Die Vorstellung, wenn erst einmal überall atheistische Regime herrschten, dann hätten wir keine Gewalt mehr, ist schlicht unzutreffend. Oder wie sollte man erklären, dass die fürchterlichsten Gewalttaten auf dem europäischen Kontinent im 20. Jahrhundert im Namen von dezidiert atheistischen Regimen verübt worden sind?

SPIEGEL: Das ist aber ein schrecklicher Wettbewerb, in den Sie sich da begeben.

Huber: Ich begebe mich in keinen Wettbewerb. Ich will nur die Behauptung in Frage stellen, Glaubenslosigkeit bedeute Frieden.

SPIEGEL: Sie haben selbst davon gesprochen, dass mit den Anschlägen vom 11. September das Thema Religion wieder in den Fokus der Betrachtung gekommen ist.

Huber: Sind Ihnen noch nicht andere Bezüge in der Wiederkehr der Religion aufgefallen, die es auch gibt?

SPIEGEL: Aber nicht so dominante!

Huber: Hängt die Dominanz vielleicht mit der Dominanz der Aufmerksamkeit für diese Seite zusammen?

SPIEGEL: Um Osama Bin Laden, der im Namen Allahs tötet, kommt man so schlecht herum wie um George W. Bush, der im Kriegsfall um Gottes Beistand bittet.

Huber: Wir setzen uns doch damit auseinander, wenn Leute mit den Metaphern der „Achse des Bösen“ oder des „Reichs des Bösen“ arbeiten, wenn sich Leute einbilden, sie dürften Menschen zum Märtyrertum auffordern. Aber ich bestreite, dass Religion auf diese Phänomene reduziert werden kann. Denn daneben gibt es eine neue Zuwendung zu Spiritualität. Es gibt neues Leben in Kirchengemeinden, in Kommunitäten, in Klöstern und auf Pilgerwegen.

SPIEGEL: Es gilt als Sensation, wenn sich jetzt katholische und muslimische Geistliche darauf verständigen, dass Glaube und Gewalt unvereinbar sind. Das müsste doch eine Selbstverständlichkeit sein.

Huber: Diese Gespräche zeigen, dass Christen in vorderster Front stehen, wenn es um Klarheit in dieser elementaren Frage geht. Es gibt kein notwendiges Muster, wonach Religion Gewalt antreibt. Vielmehr gibt es Gewaltneigungen gesellschaftlicher, politischer Art, und es gibt Konflikteskalationen. In solche Konflikte wird Religion leider hineingezogen. In Zeiten, in denen Religion eine stärkere Rolle spielt, wird sie auch stärker zur Rechtfertigung von Gewalt missbraucht. Dass es – Gott sei es geklagt – im Übergang zum 21. Jahrhundert angesichts der laufenden Globalisierungsentwicklung auch die Verschärfung von Konflikten gibt und kulturelle Faktoren eine stärkere Rolle spielen, das muss man allerdings feststellen. Jeder, der das feststellt, hat eine umso größere Verpflichtung, zu widersprechen, ja zu protestieren, wenn Religion funktionalisiert wird. Heute ist vor allem die Verbindung von Religion und Nationalismus die Quelle von Fanatismus; deshalb müssen Religion und politische Macht klar voneinander unterschieden werden.

SPIEGEL: Aber warum kommen Religion und Gewalt so oft gemeinsam daher? Gibt es da eine Affinität, oder gibt es sie nicht?

Huber: Es gibt auch noch Unterschiede zwischen den Religionen.

SPIEGEL: Es gibt also friedliche und weniger friedliche Religionen?

Huber: Mohammed war nicht nur Prophet, er war auch Kriegsherr. Wenn man dagegen an die Geschichte des Christentums denkt, dann gibt es beklagenswerte Konstellationen, in denen Glaube und Gewalt verbunden waren. Aber das ist keineswegs die generelle Grundlinie des christlichen Glaubens.

SPIEGEL: Wir fragen: Warum lässt sich der Glaube so missbrauchen?

Huber: Nein, Sie müssen anders fragen.

SPIEGEL: Und zwar wie?

Huber: Sie müssen so fragen: Wo gibt es die Kräfte, diese Affinitäten aufzusprengen? Ja, es gibt nicht nur die gute Religion, sondern es gibt auch dunkle Seiten der Religion. Die entscheidende Gegenkraft gegen die dunklen Seiten liegt aber in der Religion selbst und keineswegs in einem religiösen Analphabetismus.

SPIEGEL: Sie weichen aus.

Huber: Ich weiche überhaupt nicht aus. Im Blick auf den christlichen Glauben muss man ganz klar feststellen, dass dieser Glaube zunächst einmal ein Opfer von Gewalt und nicht ein Träger von Gewalt gewesen ist. Sie werden nirgendwo feststellen können, dass Jesus von Nazaret ein Gewalttäter oder ein Feldherr gewesen wäre.

SPIEGEL: Wir sind gespannt, wie Sie die Kreuzzüge interpretieren.

Huber: Erst einmal folgen Jahrhunderte, in denen Christen zwar Opfer von Christenverfolgungen waren, aber ihrerseits überhaupt nicht zur Gewalt gegriffen haben, die Jahrhunderte, in denen für Christen die Verweigerung des Kriegsdienstes unter dem römischen Kaiser ein selbstverständliches Element gewesen ist. Alle diejenigen, die eine Gewaltnähe des christlichen Glaubens beschreiben wollen, müssen 1000 Jahre Christentumsgeschichte abwarten, ehe dann das merkwürdige und beklagenswerte Phänomen der Kreuzzüge auftritt, in denen eine offensichtlich christlich nicht besonders gut sozialisierte Ritterschaft auf den Weg geschickt worden ist.

SPIEGEL: Einspruch. Als das Christentum Staatsreligion wurde, wurden die anderen Religionen in Rom verboten. Die Christen setzten ihre Gotteshäuser auf andere Tempel drauf.

Huber: Was bedeutet das für meine These?

SPIEGEL: Das bedeutet für Ihre These, dass das Christentum in Verbindung mit der staatlichen Macht schon früh andere Religionen beseitigt hat.

Huber: Ist denn jeder missionarische Erfolg verboten?

SPIEGEL: Das klingt jetzt aber nicht mehr sehr friedlich.

Huber: Ihre Vorstellung von Christentum läuft darauf hinaus, dass wir nicht mehr für unsere Überzeugungen einstehen und kein Wahrheitsbewusstsein mehr haben dürfen. Ich vertrete keinen allgemeinen Relativismus, der alles gleichgültig macht und bei dem niemand für die eigenen Überzeugungen steht. Sie wollen ein Christentum ohne Mission haben – ich nicht.

SPIEGEL: Birgt das Wort Mission nicht das Risiko der Gewalt in sich? Jesu Aufforderung, den Glauben in die Welt zu tragen, wird Missionsbefehl genannt.

Huber: Das Wort Missionsbefehl ist kein biblischer Ausdruck. Auch Taufbefehl ist kein biblischer Ausdruck. Es gibt bedrückende Szenen in der Geschichte zu beklagen, in denen die Alternative Taufe oder Tod aufgetreten ist. Zu der Behauptung, die christliche Missionsgeschichte sei generell eine Geschichte der Gewalt, gibt es jedoch keinen Grund.

SPIEGEL: Das Wort Mission wurde – als Konsequenz aus der Missionsgeschichte – in den Kirchen oft durch die Formel vom „interreligiösen Dialog“ ersetzt.

Huber: Wenn ich heute von Mission rede, dann nicht als Alternative zum Dialog. Ohne Zwang, allein durch das Wort muss der Glaube weitergegeben werden; das haben die Reformatoren bereits im Jahre 1530 vertreten. Es gibt nicht zu viele Menschen mit einem geklärten Verhältnis zu ihrer eigenen religiösen Identität. Es gibt gerade hier in Europa eher zu wenige Menschen, die in dieser Frage wirklich zu einer eigenen Klarheit gekommen sind. Deswegen haben wir als christliche Kirchen allen Grund, wieder ein genuines Verständnis unseres Missionsauftrags und unseres Taufauftrags zu entwickeln.

SPIEGEL: Wo verläuft die Grenzlinie zwischen denjenigen, die im positiven Sinne glauben, und jenen, die so fanatisch glauben, dass sie das Ansehen ihrer Religion diskreditieren?

Huber: Ich will es einmal so erklären: Der christliche Glaube hat einen unaufgebbaren Kern darin, dass Christen Gott allein die Ehre geben, deswegen nichts Weltliches vergötzen. Und weil sie nichts Weltliches vergötzen, respektieren sie die gleiche Würde eines jedes Menschen. Aus diesem Grund sind sie aller Verherrlichung von Gewalt abhold. Das ist ein klares Kriterium für die Abgrenzung von fanatischen und fanatisierenden Formen von Religion.

SPIEGEL: Besteht der Kern jeder Religion nicht darin, dass sie radikal zwischen Gut und Böse unterscheidet?

Huber: Dass die Unterscheidung zwischen Gut und Böse gelegentlich endzeitlichdualistisch verwendet wird, ist ganz unbestritten. Aber daraus können Sie weder schließen, dass es überhaupt keinen Sinn macht, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, noch ableiten, dass alle Religion dualistisch und deshalb in Ihrem Sinn fundamentalistisch ist.

SPIEGEL: Warum eigentlich nicht?

Huber: Wollen Sie auf die Unterscheidung zwischen Gut und Böse verzichten?

SPIEGEL: Aber führt die Unterscheidung, wenn sie religiös überhöht wird, nicht zwangsläufig zur Legitimation von Gewalt?

Huber: Ich wehre mich gegen den Versuch, mir immer Zerrbilder von Religion und Glauben vorzuhalten. Es gibt eine elementar lebensnotwendige Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Darüber will ich reden, nicht nur darüber, ob diese Unterscheidung missbraucht werden kann.

SPIEGEL: Sie müssen schon erklären, wie Sie die Religion, für die Sie einstehen, gegen die Verfehlungen immun machen!

Huber: Aus meiner Sicht ist völlig klar, dass im christlichen Glauben selbst der wichtigste Mechanismus dafür liegt, diesem Missbrauch entgegenzutreten. Es gibt die Pflicht des Christen zur Selbstkritik. Es gibt keinen christlichen Gottesdienst ohne das Bekenntnis der Schuld, die übrigens nicht die Schuld der anderen, sondern die eigene Schuld ist. Dieses Schuldbekenntnis bewahrt mich davor, die Welt aufzuteilen in mich und ein paar Leute meinesgleichen, die dann angeblich die Guten sind, und all die anderen, die angeblich nur die Bösen sind. Deswegen ist die christliche Unterscheidung zwischen Gut und Böse schlechterdings nicht dualistisch.

SPIEGEL: Sie ist also nicht gegen andere Menschen gerichtet?

Huber: Sie teilt die Menschheit nicht auf in „die Guten“ und „die Bösen“. Meine Lebenserfahrung ist, dass ich auf keine selbstkritische Kraft gestoßen bin, die stärker wäre als die selbstkritische Kraft, die im christlichen Glauben selbst enthalten ist. Ich muss also Ihrer These widersprechen, dass dieses gewaltsame Potential im Kern des christlichen Glaubens angelegt sei. Vielleicht markiert die Bereitschaft und Fähigkeit zur Selbstkritik genau jene Scheidelinie, nach der Sie fragten. Sie verläuft nicht zwischen den unterschiedlichen Religionen, sondern durch die Religionen selbst hindurch. Wo immer Sie es mit massiven Formen von Selbstgerechtigkeit zu tun haben, liegt es nahe, dass man es mit einer Zerrform von Religion zu tun bekommt.

SPIEGEL: Fundamentalisten fehlt genau diese Fähigkeit zur Selbstkritik. Welchen Platz hat der Zweifel in Ihrem Glauben?

Huber: Einen ziemlich großen, nämlich insbesondere auch als ein Zweifel an mir selbst und an den menschlichen Fähigkeiten, alle Probleme zu lösen und zum Guten zu wenden. Insofern sehe ich auch im Gotteszweifel ein lebendiges Element des Gottesglaubens. Ich bin davon überzeugt, dass Mission im Sinne Jesu den Respekt gegenüber den Zweiflern einschließt.

SPIEGEL: Ist es ein Akt friedlicher Mission, wenn demonstrativ Konvertiten getauft werden, so wie es der Papst getan hat?

Huber: Ob es da eine problematische Instrumentalisierung gegeben hat, kann man in der Tat fragen. Aber dass zur Religionsfreiheit auch die Freiheit von Muslimen gehört, sich zum christlichen Glauben zu bekennen, ist zugleich ganz klar festzustellen. Es gibt zwischen den Religionen unterschiedliche Vorstellungen von Religionsfreiheit. Die Freiheit, zu einer anderen Religion als dem Islam zu wechseln, ist im gegenwärtig vorherrschenden muslimischen Denken nicht allgemein anerkannt.

SPIEGEL: Der Ungläubige muss doch danebenstehen und sagen: Wenn ihr nicht einmal untereinander geregelt bekommt, was Religionsfreiheit ist, wie könnt ihr mir dann sagen, dass es ein Wert ist, einer Religion zugehörig zu sein?

Huber: Ich glaube nicht, dass es ein Wert an sich ist, zu einer Religion zu gehören. Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass es ein Wert an sich ist, Christ zu sein.

SPIEGEL: Das zeugt nicht gerade von Respekt gegenüber anderen Religionen.

Huber: Respekt ist etwas anderes als Wischiwaschi-Toleranz. Das Leugnen von Unterschieden ist gerade kein Ausdruck von Respekt. Und es bringt den Frieden kein Stück voran. Ein muslimisches Gebet, ein jüdisches Gebet und ein christliches Gebet sind nicht ein und dasselbe. Jede dieser drei Religionen hält ihre eigene Art zu beten für diejenige Form, die ihrem eigenen Glauben am nächsten ist. Jede dieser drei Religionen hat einen Anspruch darauf, dass ein Angehöriger einer anderen Religion, der, aus welchem Grund auch immer, beim Gebet dieser Religion dabei ist, mit diesem Gebet respektvoll umgeht. Aber dadurch haben wir noch nicht ein gemeinsames verschwommenes Gebet aller Weltreligionen.

SPIEGEL: Wenn die Religionen untereinander schon kaum Frieden halten können, bleibt da nicht allein die Hoffnung auf ein Fortschreiten der Säkularisierung?

Huber: Zum einen glaube ich fest daran, dass zwischen den Religionen Frieden besser gelebt werden kann, wenn die Unterschiede nicht geleugnet werden. Jede Religion muss auf ihre Weise lernen, die Grenzziehung gegenüber anderen zu überwinden. Zum anderen kann ich auch den Begriff Säkularisierung bejahen, wenn klar ist, was gemeint ist. Er meinte ursprünglich den Übergang zu einer säkularen Rechtsordnung, dies ist eine Errungenschaft der europäischen Entwicklung. Sie entspricht dem Wort Jesu: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“

SPIEGEL: Säkularisierung – ein positiver Wert?

Huber: Wenn damit nicht die Erwartung verbunden ist, dass der Glaube absterbe: ja. Die wechselseitige Unabhängigkeit von Staat und Kirche ist eine Errungenschaft, die auch der Kirche gutgetan hat, weil es auch der Kirche bessergeht, wenn sie auf Freiheit und nicht auf Zwang beruht. Und weil es dem christlichen Glauben viel mehr gemäß ist, wenn er eine Religion der Freiheit ist und die Menschen das auch spüren können.

SPIEGEL: Die Säkularisierung hilft den Christen, friedlich zu sein?

Huber: Nicht nur den Christen. Der Friedensbeitrag aller Religionen beruht auf der Unterscheidung zwischen Religion und Staat. Das muss man auch in der Richtung des Islam festhalten. Übrigens wundere ich mich, mit welcher Hartnäckigkeit Sie den Beitrag der Kirchen zum Frieden bestreiten. In diesen Tagen feiern wir, dass die Aktion Sühnezeichen 50 Jahre alt wird. Was die evangelische Kirche betrifft, ist die Ostdenkschrift von 1965 bestimmt einer der wichtigsten Friedensbeiträge gewesen. Solche Beiträge sollen die dunklen Seiten nicht verharmlosen, sie nehmen sie mit auf, indem auch die Schuld der Vergangenheit bekannt wird. Aber das kann nicht in einer Form geschehen, in der all das verdrängt wird, woran man sich doch halten muss, wenn man nach den Gründen zur Hoffnung fragt. Dass das genauso intensiv gewürdigt wird, das wäre doch einmal eine schöne Wunschvorstellung im Blick auf eine zukünftige Redaktionspolitik des SPIEGEL.

SPIEGEL: Jesus sagt: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.“ Welches Zeichen der Versöhnung wollte Jesus damit geben?

Huber: Offenbar ein Zeichen, das zunächst die Bindung an Gott für wichtiger erklärt als alle menschlichen Bindungen, allerdings um genau auf diese Weise auch neue menschliche Bindungen möglich zu machen. Dieses „Schwert“-Wort bedeutet doch nicht, dass er die Leute losgeschickt hat, um mit dem Schwert herumzufuchteln. Die friedenstiftende Botschaft Jesu können Sie nicht leugnen. Vielmehr hat er die Friedenstifter seliggepriesen.

SPIEGEL: Bischof Huber, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Redakteure: Peter Wensierski & Stefan Berg im Bischofsbüro in Berlin.