Nicht nur bei Stau und angespannten Nerven: Autobahnkapellen

Die Motorhaube schluckt das endlos wirkend graue Band scheinbar mühelos, links von einem durchgehend weißen Streifen begrenzt, rechts ein ähnlicher Streifen, in der Mitte unterbrochene, genauso an die Farbe weiß erinnernde Abschnitte eines Streifens. Ab und zu wechselt das Weiß in Gelb und dann stehen noch rot-weiß gestreifte Stelen am Rand, beengen das Weiterkommen – alles wird langsamer. Kilometer um Kilometer wird gemacht – Ziel: das Urlaubsquartier.

„Tööörööööö“ dröhnt es im Auto und manchmal fliegt auch imaginär eine jugendliche Hexe durch den Raum: Das alles – verbunden mit den immer gleichen Geschichten – zur besseren Unterhaltung der Jüngeren auf der Rückbank. Dabei klingt es im Kopf des Menschen am Steuer eher nach dem alten „Kraftwerk“-Song: „Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn“ – so elektronisch, mechanisch gleichmäßig wie die Klänge der Düsseldorfer Band aus den 70er Jahren auch das Vorwärtskommen, wäre es nicht immer wieder unterbrochen durch das durch Baustellen nötige Abbremsen. Wie heißt es bei Kraftwerk: „weiße Streifen, grüner Rand“? Die Begleitung auf dem Beifahrersitz denkt zwischen Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg eher an Reinhard Mey: „Die A 12 wird umgeleitet über Anschlussstelle Nord. U 4 und U 6: verbreitet Zähflüssigkeit, ab sofort staut es sich vor der B 80, denn im weiteren Verlauf der U 25 macht sich jetzt eine Kolonne auf.“

Belegte Brote für unterwegs in der Kühltasche zwischen den Beinen dessen auf dem Beifahrersitz, der Kofferraum bis zum Zerbersten gefüllt und auf dem Dach noch die Box mit all den Sachen, die auch noch mit mussten: Norddeutschland unterwegs zum Schwarzwald und ins Allgäu, in den Bayerischen Wald und die Alpen – oder auch darüber hinaus: Hauptsache Sonne. Wenige Wochen später heißt es dann in der Gegenrichtung: Süddeutschland unterwegs zur Nordsee und an den Ostseestrand – oder auch darüber hinaus: Endlich mal wieder das Meer schnuppern. Und dann gibt es auch noch die, die von Osten nach Westen oder von Westen nach Osten wollen: Urlaubszeit – Reisezeit – Stauzeit.

Und irgendwann kommt die obligatorische Frage von der Rückbank: „Wann sind wir da?“ – zuerst lachend als Ritus, der zur Urlaubsfahrt gehört, dann quengelnd, weil zwischen Vordersitz und Anschnallgut einfach kein Platz zum Spielen ist. Den beiden im Font kommt Lucy Jordans Traum in den Sinn: Sie wollte im offenen Cabrio durch Paris fahren. Das wäre doch Urlaub.

Solche Augenblicke sind Zeit für eine Unterbrechung, raus fahren aus dem Alltagstrott der immer gleichen Autobahn, für ein paar Minuten still werden, den Schatten genießen und den eigenen Träumen – es müssen nicht nur Musikalische sein – nachgehen. Kirchen am Rand der Autobahn sind Einladung zum Aussteigen aus der Urlaubskolonne und ein Taschenbuch von Günter Lehner und Marcus C. Leitschuh weist als himmlischer Routenplaner auf die Autobahnkirchen in Deutschland hin.

Bereits im Mittelalter wurden Wanderern, Pilgern und Reisenden Andachtsmöglichkeiten in Kapellen und Kreuzen am Wegrand angeboten – so sind 32 Autobahnkirchen und -kapellen Angebote für den modernen Reisenden auf seinem Weg. 50 Jahre ist die Tradition der Autobahnkirchen alt – 1958 wurde die erste an der A 8 zwischen München und Stuttgart in der Nähe von Adelsried gebaut. Und wenn das Auto ab und zu nachgetankt werden muss, so sind die Autobahnkapellen Rast- und Tankstellen für die Seelen und das knapp 100 Seiten umfassende Taschenbuch ein Reiseführer für die stillen Minuten auf der Fahrt. Es zeigt nicht nur, wo die Autobahnkapellen stehen, sondern bietet auch leichte Erzählungen, Gebete und Sinnsprüche um sich beim Zwischenstopp an einer der Autobahnkapellen nicht im Nichts der Gedanken an das graue Band zu verlieren.

Rastplätze für die Seele – Die Autobahnkirchen

Hinweis:
Günter Lehner, Marcus C. Leitschuh (Hrsg.), Autobahnkirchen in Deutschland – Ein himmlischer Routenplaner, 2008, Verlag Herder, mit ca. 70 Abbildungen, 96 Seiten, Klappenbroschur, ISBN 978-3-451-32180-1, € 7,95

Q: EKD

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