Untertitel: „Spiritualität als Quelle der Diakonie“ (aus: Deutsches Pfarrerblatt – Heft: 6 / 2008; Autor: Peter Zimmerling) — Johann Hinrich Wichern war ein »Genie der Barmherzigkeit«. Mit seiner Wittenberger Rede von 1848 gelang es ihm, Diakonie als wesentliches Merkmal kirchlicher Arbeit zu etablieren. Peter Zimmerling beleuchtet Dimensionen der Spiritualität Wicherns als Quelle seines diakonischen Engagements und deren Bedeutung für die Arbeit heute. Nicht zu Unrecht hat Bundespräsident Theodor Heuss Johann Hinrich Wichern als die größte Gestalt des deutschen Protestantismus… …im 19. Jh. bezeichnet.1 Wichern ist zwar nicht der Erfinder der Diakonie. Jedoch ist es sein Verdienst, dass Kirche und Staat ihre Verpflichtung zum diakonischen Handeln erkannt haben. Wesentlich trug dazu seine Rede auf dem ersten evangelischen Kirchentag am 22. September 1848 in Wittenberg bei. Die improvisierte Ansprache, die nur in Protokollnachschriften erhalten ist, ging in die Geschichte ein. Es gelang Wichern, bei den versammelten Vertretern der deutschen Kirchenleitungen die Gründung eines ständigen »Central-Ausschusses für die Innere Mission« durchzusetzen – ein Geniestreich, der zwar nicht die vielen Vorbehalte gegenüber der Diakonie als Aufgabe der Kirche mit einem Mal zum Verstummen brachte, aber doch die Anerkennung der Diakonie als unverzichtbaren Bestandteil kirchlichen Handelns bedeutete.
1. Johann Hinrich Wichern – Pionier der Diakonie
Es war alles andere als selbstverständlich, dass Wichern einer der bedeutendsten Protestanten des 19. Jh. werden würde. Geboren wurde er am 21.4.1808 im von Napoleon besetzten Hamburg.2 Sein Vater hatte sich vom einfachen Schreiber zum kaiserlichen Notar hochgearbeitet, der zehn Sprachen beherrschte. Eine ungeheure Arbeitskraft gepaart mit festem Willen zum sozialen Aufstieg prägten ihn – Züge, die auch für den Sohn charakteristisch werden sollten. Der Vater starb noch relativ jung an Tuberkulose. In der Folgezeit verarmte die Familie. Johann Hinrich als ältestes Kind musste ein Jahr vor dem Abitur vom Gymnasium abgehen, um als Lehrer zum Unterhalt der Mutter und der sechs Geschwister beizutragen. Seitdem wusste er aus eigener Erfahrung, was es heißt, arm zu sein.
In dieser Zeit fand Wichern durch die Begegnung mit bedeutenden Hamburger Persönlichkeiten, die von der Erweckungsbewegung geprägt waren, zu einem lebendigen christlichen Glauben. Die neue Frömmigkeitsbewegung war von der Romantik beeinflusst, was dem hochmusikalischen Wichern von seinem Charakter her entsprach. Neben seiner Berufstätigkeit holte er das Abitur nach. Es blieben pro Tag nur vier Stunden Schlaf – ein Arbeitspensum, von dem er bleibende gesundheitliche Schäden davongetragen hat. Dank der finanziellen Unterstützung väterlicher Freunde konnte er in Göttingen und Berlin Theologie studieren. Von Schleiermacher übernahm Wichern die Hochschätzung des Familiengedankens und von Neander die Betonung des allgemeinen Priestertums. Beides hat ihn seit seinem Studium bleibend bestimmt.
Da er nach seinem Ersten Theologischen Examen im April 1832 zunächst keine Pfarrstelle bekam, wurde er in der Sonntagsschule eines befreundeten Hamburger Pfarrers Oberlehrer. Sie befand sich in St. Georg, dem schlimmsten Elendsviertel, das es damals in Deutschland gab. Schnell fasste Wichern den Entschluss, eine »Rettungsanstalt für sittlich verwahrloste Kinder« zu gründen. Bereits am 31. Oktober 1933 zog er mit seiner Mutter, seiner Schwester und einem seiner jüngeren Brüder vor die Tore Hamburgs in eine alte Bauernkate, die auf dem Besitz eines Anhängers der Erweckungsbewegung lag. Von alters her »Das Rauhe Haus« genannt, wurde es zur wichtigsten Keimzelle der deutschen Diakonie. Es sollte Wicherns lebenslanges Praxisfeld bleiben. Die praktische Bewährung seiner diakonischen Ideen im Rahmen des Rauhen Hauses verschaffte ihnen die notwendige Durchschlagskraft, um zum Sieg zu gelangen.
Die Arbeit begann mit drei Jungen, Ende des Jahres waren es bereits zwölf, ab 1835 kamen Mädchen hinzu und Anfang der 1870er Jahre wurde das tausendste Kind neu aufgenommen. Wichern erwies sich zum ersten Mal als Organisationsgenie. Nicht mehr als 12-14 Kinder lebten in familienähnlichen Gruppen zusammen. In eigenen Werkstätten wurden die Jungen zu Handwerkern ausgebildet. Die Mädchen lernten Handarbeit und Hauswirtschaft. Wicherns 25jährige Frau Amanda übernahm 1835 neben der Erziehung der wachsenden eigenen Kinderschar die Aufgaben einer Hausmutter. Die Leitung der Familiengruppen hatten von Wichern selbst ausgebildete Gehilfen, die später »Diakone« genannt wurden. Bald entstand ein eigenes Ausbildungszentrum, da nicht nur im Rauhen Haus, sondern für die überall in Deutschland neu entstehenden sozialen Arbeitsfelder Fachkräfte gebraucht wurden. Wichern entdeckte in der Folgezeit immer neue Bevölkerungsgruppen, um die sich weder Kirche noch Staat kümmerten. Dazu gehörten Zehntausende deutscher Handwerksgesellen, die nach Paris und London ausgewandert waren, um dort ihr Glück zu machen. Für die meisten bedeutete es den Absturz in tiefes wirtschaftliches Elend. Bereits 1837 zogen die ersten Hamburger Brüder hinaus, um unter ihnen sozial tätig zu werden.
Wichern war auch ein talentierter Öffentlichkeitsarbeiter. 1844 gründete er die bald vierzehntägig erscheinende Zeitschrift »Fliegende Blätter aus dem Rauhen Haus zu Horn bei Hamburg«, die seine Arbeit überall bekannt machte. Der endgültige Durchbruch Wicherns erfolgte durch seine Rede auf dem Wittenberger Kirchentag 1848. Mitverantwortlich für ihren Erfolg war die im gleichen Jahr überall in Europa ausgebrochene Revolution. Den Kirchenvertretern ging in Wittenberg eine Ahnung davon auf, dass sie große Bevölkerungsgruppen sträflich vernachlässigt hatten. Die Angst vor einem revolutionären Umsturz förderte die Bereitschaft zum Umdenken. Die »Fliegenden Blätter« wurden zum Organ des neu gegründeten »Central-Ausschusses für die innere Mission«. Da sie nicht bloß Tätigkeitsberichte aus diakonischen Einrichtungen brachten, sondern auch allgemeine Erörterungen über soziale Fragen enthielten, trugen sie maßgeblich zur Durchsetzung des diakonischen Anliegens in Kirche und Staat bei. Wichtig auf dem Weg dahin war auch eine Denkschrift, in der Wichern den Inhalt seiner Rede vom Wittenberger Kirchentag ausarbeitete: »Die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche. Eine Denkschrift an die deutsche Nation«, die 1849 in zwei Auflagen erschien.
In den folgenden Jahren wurde Wichern immer mehr zu einer öffentlichen Persönlichkeit. Er brachte eine Fülle von diakonischen Initiativen auf den Weg. Seiner Reisetätigkeit durch ganz Deutschland ist es zu verdanken, dass die Gegner der Diakonie nach und nach verstummten. 1857 berief ihn der preußische König Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin in das Preußische Innenministerium als Referenten für die Strafanstalten und das Armenwesen und zugleich zum Oberkonsistorialrat in den Oberkirchenrat. Fortan arbeitete er im Winter in Berlin und im Sommer in Hamburg.
Nachdem Wichern 1866 einen ersten Schlaganfall erlitten hatte, kehrte er 1871 dauerhaft ins Rauhe Haus zurück. Seine Kräfte nahmen immer mehr ab, so dass Ende 1873 sein Sohn Johannes das Vorsteheramt übernehmen musste. Es folgte eine siebenjährige schwere Krankheitszeit. Wichern starb am 7. April 1881.
2. Spiritualität als Anstoß zur Wahrnehmung der Wirklichkeit
»Der Mensch verträgt nur wenig Wirklichkeit«, schrieb der englische Schriftsteller T.S. Eliot. Es gehört zur Genialität Wicherns, dass er eine Ausnahme von dieser Regel darstellt. Anstatt wegzusehen, wurde er schon als junger Mann zu einem wachen Beobachter sozialer Missstände. Offensichtlich waren dafür die eigene Armut und die Entdeckung der diakonischen Ausrichtung des christlichen Glaubens durch seine Bibellektüre verantwortlich. Der 24-jährige Wichern hielt nach einem Hausbesuch im Hamburger Armenviertel St. Georg in seinen Notizen fest: »Frau an der Cholera gestorben. Fünf Kinder (eins im Waisenhaus), vier zu Haus. Der Vater wünscht einen netten 6-jährigen Jungen los zu sein.«3 In den Hamburger Slums herrschte damals dramatische Not. Man macht sich heute kaum noch eine Vorstellung, wie die Menschen im Zeitalter der Industrialisierung weit unterhalb der Stufe des Menschenwürdigen dahinvegetierten. Besonders die Kinder waren dem Chaos der Armut hilflos ausgeliefert. Kindesmisshandlungen waren an der Tagesordnung. Bei den Hausbesuchen wurde Wichern zweierlei deutlich: Ehe die Verkündigung des Evangeliums überhaupt möglich ist, ist unverzügliche diakonische Hilfe notwendig. Außerdem erkannte er: Die wenigen Stunden pro Woche in der Sonntagsschule reichen nicht aus, um einem Kind wirksam zu helfen. So wurde der Gedanke eines »Rettungshauses« geboren.
Wichern war es, der als erster in der Kirche den durch die industrielle Revolution verursachten neuen Charakter der gesellschaftlichen Not erkannte: »Sie ist einmal mehr eine individuelle, persönliche, vereinzelt zur Erscheinung kommende – sodann eine mehr sozielle, allgemeine, das Ganze der Gesellschaft umfassende, volksmäßige, massenhafte.«4 Bisher hatte man in Kirche und Staat nur die individuellen Gründe für menschliche Notlagen wahrgenommen. Darum konnte ungefähr zur gleichen Zeit der Vater Friedrich Engels‘, ein frommer Fabrikant aus dem Wuppertal, noch mit gutem Gewissen am Sonntagmorgen zum Gottesdienst gehen, während seine Arbeiter zu Hungerlöhnen in der Fabrik schufteten. Wichern wurde sich bewusst, dass die Armut auch strukturelle Ursachen hat. Eine Erkenntnis, die der damaligen kirchlichen Stimmungslage diametral entgegenstand.5
Was war der Grund für diese aus dem Rahmen fallende Diagnose? Wichern dachte in der Perspektive des Reiches Gottes. Seit dem Sündenfall ist die Weltgeschichte für ihn von einem gewaltigen Drama geprägt. Zwei Reiche kämpfen miteinander: das Gottesreich und das Reich der Sünde. Dabei ist es Christus selbst, der immer wieder zugunsten des Gottesreiches in die Geschichte eingreift. Endgültig wird der Kampf zwischen beiden Reichen erst mit der Wiederkunft Christi entschieden. Wichtig ist der Gedanke, dass Christus nicht nur der Herr der Christenheit, sondern der Welt insgesamt ist. Genau das bringt der Begriff des Reiches Gottes zum Ausdruck: Christus wirkt sowohl in der Kirche als auch in der Welt. Für den einzelnen Christen heißt das, dass er sein Wirkungsfeld nicht auf die Kirche beschränken darf, sondern auch den Bereich der Gesellschaft mit einschließen muss.
Wichern hat sich wie kein anderer Theologe seiner Zeit auf die Seite der Armen und der Opfer staatlichen Versagens und kirchlicher Ignoranz gestellt.6 Z.B. entdeckte er die Not der Gefangenen. Wichern bemängelte, dass der Strafvollzug in keiner Weise zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft befähigte. Jahrelang hat er im Auftrag des preußischen Königs in Theorie und Praxis an einer Reform des Strafvollzugs gearbeitet, die im Endeffekt allerdings scheiterte. In den drei deutschen Einigungskriegen fiel Wichern das Elend der verwundeten Soldaten auf. Deshalb entwickelte er ein Konzept der Felddiakonie. Erstmals in der deutschen Armee trugen seine Diakone das Rote Kreuz als Schutz- und Erkennungssymbol.7
Auch heute lohnt es sich, spirituell zu leben. Wichtig ist dabei folgende Erkenntnis: Das Leben im Glauben hilft zu erkennen, dass politisches Handeln nicht von der individuellen Nächstenliebe zu trennen ist. Der Einsatz für gesellschaftliche Veränderungen darf nicht auf Kosten des konkreten Nächsten gehen. Wenn unser politisches Engagement nicht den direkten Nächsten im Auge behält, verkommt es zu einem abstrakten Prinzip, wird ideologisiert und übersieht im Namen der Mitmenschlichkeit den konkreten Menschen, der unserer Hilfe bedarf.
3. Spiritualität als Quelle einer neuen diakonischen Theologie
Wicherns Spiritualität ist geprägt von der Erwartung des Reiches Gottes. Gott ist unterwegs, seinem Reich des Friedens und der Gerechtigkeit allen Widerständen zum Trotz in dieser Welt zum Sieg zu verhelfen. Für die Diakonie bedeutet das, dass sie zuerst Gottes Sache ist.8 Im Gegensatz dazu sind wir normalerweise gewohnt, die Diakonie als kirchliche Reaktion auf das Massenelend deutscher Handwerker und Arbeiter im Gefolge der Industrialisierung zu verstehen. Tatsächlich wäre das Rauhe Haus nie gegründet worden, ohne dass Wichern die unhaltbaren Zustände in den Hamburger Slums kennen gelernt hätte. Dennoch ist das nur die halbe Wahrheit. Für Wichern ist Diakonie zuerst Aktion, ureigenste Tat Gottes. Als Christ bin ich in Gottes Geschichte mit dem Menschen hineinverwickelt.
Die Erkenntnis, dass Diakonie Teil der Heilsgeschichte Gottes mit der Welt ist, lässt Wichern zum Bahnbrecher diakonischen Handelns in Kirche und Gesellschaft werden. Diakonie ist Teilhabe an Gottes Kampf gegen die lebenszerstörenden Mächte der Finsternis. Bereits im Alten Testament tritt Gott als Diakon Israels auf und versorgt sein Volk mit allem, was es zum Leben braucht. Im Gegenzug bekommt Israel die Aufgabe, seinerseits für die Armen und Bedürftigen da zu sein. Das Alte Testament wird für Wichern zum Buch der diakonischen Vorbilder und Verheißungen.
Ihre Erfüllung findet die Diakonie in Christus: »Christi Erscheinung ist die volle Offenbarung der Diakonie«, sagt Wichern.9 Das gilt in doppeltem Sinne: Durch sein Wirken als Hirte und Arzt der Menschen bis zur Hingabe seines Lebens am Kreuz erfüllt sich in Christus Gottes Diakonie. Sie erfüllt sich aber auch darin in Christus, dass er sich die Liebe der Menschen gefallen lässt. Genauso will er, dass Menschen ihm heute in ihren geringsten Brüdern und Schwestern dienen (Mt 25,31-46).
Wicherns Begründung der Diakonie hat entscheidende Bedeutung für sein Verständnis der Kirche: Kirche ist für ihn nur in dem Maße christliche Kirche, in dem sie diakonische Kirche ist. »Sie [die Diakonie] ist die Signatur der Christenheit«, schreibt Wichern.10 Die traditionelle Sicht diakonischen Handelns wird damit tief greifend verändert. Wurden die Werke der Liebe bis zu Wichern als erfreuliches Nebenprodukt des Evangeliums verstanden, werden sie jetzt zu einer Gestalt des Evangeliums. Diese Auffassung kommt im folgenden Satz aus der Wittenberger Rede klassisch zum Ausdruck: »Wie der ganze Christus im lebendigen Gottesworte sich offenbart, so muß er auch in den Gottestaten sich predigen, und die höchste, reinste, kirchlichste dieser Taten ist die rettende Liebe.«11 Wer diakonisch handelt, verkündigt auf eine für Hilfsbedürftige verständliche Weise die Liebe Gottes. Die Diakonie ist nicht länger nur Frucht, sondern auch Samenkorn für den Glauben. Fortan gilt beides: Die Diakonie ist ein Werk der Kirche, aber die Kirche ist auch ein Werk der Diakonie. Noch einmal Wichern in seiner Wittenberger Rede: »Es tut eines Not, dass die evangelische Kirche in ihrer Gesamtheit erkenne: Die Arbeit der Inneren Mission ist mein! dass sie ein großes Siegel auf die Summe dieser Arbeit setze: die Liebe gehört mir wie der Glaube.«
Was heißt das für die Diakonie heute? Die Unverzichtbarkeit der Diakonie für die Kirche ist aus Wicherns Erkenntnis erwachsen, dass sich im Kommen Christi Gottes Diakonie an den Menschen erfüllt hat. Wie wichtig ihm die Orientierung an Christus als dem Sohn Gottes war, zeigt folgende Geschichte:12 Als er 1844 das katholische, im Protestantismus noch weithin unbekannte Weihnachtslied »Stille Nacht« in das Liederbuch des Rauhen Hauses aufnahm, änderte er in der zweiten Strophe die Zeile »Jesus, der Retter ist da« in »Christ, der Retter ist da.« Wichern betrachtete den Jesusnamen als heilsgeschichtlich nichtssagend. Bis heute wird die Strophe in der von Wichern veränderten Weise gesungen. Christ, der Retter ist da – darum können Kirche und Diakonie nicht einfach als Varianten des allgemeinen Wohlfahrtswesens auftreten.
4. Spiritualität als Quelle einer revolutionären diakonischen Pädagogik
Wicherns Spiritualität ließ ihn zu damals revolutionären Erziehungsgrundsätzen gelangen. Aufgrund seiner Arbeit im Rauhen Haus entstand ein ganz neues Modell der Heimerziehung.13 Grundlegend war die vorbehaltlose Vergebung als Anfang der Geschichte des einzelnen Kindes mit Gott. Dies mutet gut lutherisch an. Aufregend wird es, weil es Wichern gelang, der traditionellen theologischen Wahrheit im Aufnahmeritual des Rauhen Hauses kindgemäßen Ausdruck zu verleihen. Als Antwort auf seine Geschichte hörte jedes Kind bei der Neuaufnahme folgende Worte: »Mein Kind, dir ist alles vergeben! Sieh um dich her, in was für ein Haus du aufgenommen bist! hier ist keine Mauer, kein Graben, kein Riegel; nur mit einer schweren Kette binden wir dich hier … diese heißt Liebe und ihr Maß ist Geduld. – Das bieten wir dir, und was wir fordern, ist zugleich das, wozu wir dir verhelfen wollen, nämlich daß du deinen Sinn änderst und fortan dankbare Liebe übest gegen Gott und Menschen!«14 Wichern verbot den Kindern, mit einem anderen Menschen als mit ihm selbst je wieder über ihr früheres Leben zu sprechen.
Das Aufnahmeritual enthält Hinweise auf weitere pädagogische Essentials. Entscheidend war neben der Vergebung das Vertrauen. Nur wenn den Kindern Vertrauen entgegengebracht wurde, bestand die Möglichkeit, dass sie lernten, dem Vergebungswort zu vertrauen. Das erste, was Wichern mit den Jungen tat, war das Abtragen des Walles, der im Osten und Westen das Rauhe Haus umgab. Dadurch machte er ihnen ein für allemal deutlich, dass ihre neue Heimat kein Zuchthaus war! Jungen, die immer wieder wegliefen, schickte er absichtlich auf weite Wege – und von ihm geschickt, kamen sie wieder.15 Mit dem Vertrauen war unmittelbar das Moment der Freiheit verbunden. Erziehung im christlichen Sinne, verstanden als Lernhilfe zur Liebe gegenüber Gott und den Menschen, kann nur in einem Raum der Freiheit gelingen. »Die menschliche Natur lässt sich nicht wie ein Kleid oder stückweise bessern und verbessern; es kommt vielmehr auf die Schöpfungen eines neuen Lebens an, und dieses neue Leben kann nur geboren werden aus der Freiheit des christlichen Glaubens, der es erzieht.«16 Im Gegensatz zu Erziehungskonzepten, die von der Aufklärung inspiriert waren, erkannte Wichern die positive Bedeutung der Krise für den Erziehungsprozess. Erziehung darf nicht einfach mit einer kontinuierlichen Entfaltung der Persönlichkeit gleichgesetzt werden. Krisen sind keine Katastrophen, sondern notwendige Wachstumsknoten im Reifungsprozess.
Entscheidend für das Gelingen von Wicherns pädagogischem Programm war, dass die Kinder in die familienähnliche Struktur einer Gruppe eingebettet waren. Hier erlebten sie – oftmals zum ersten Mal -, dass ihnen Liebe entgegengebracht wurde; hier traute man ihnen zu, dass sie ihrerseits für andere Verantwortung übernehmen konnten. Dabei kam das Prinzip »Hilfe zur Selbsthilfe« zur Anwendung: So bauten sich die Jungen, die als erste angekommen waren, ein eigenes Häuschen und machten im alten Haus Platz für eine neue Jungenfamilie.
Konstitutiv für das diakonische Erziehungskonzept Wicherns waren außerdem die verlässliche Gestaltung des Tagesablaufs, der Wechsel von Alltag und Sonntag und der Jahreszyklus anhand des Kirchenjahres.17 Zum Tagesablauf im Rauhen Haus gehörten selbstverständlich die Morgen- und Abendandachten. Wichern verstand das Evangelium als die große Horizonterweiterung und Lebensbereicherung, die jedem Menschen angeboten wird. Indem Wichern die Andacht als Gabe und Geschenk Gottes auslegte, verlor sie ihren Zwangscharakter. Ein Übriges bewirkte die Tatsache, dass die Jungen abwechselnd als Vorleser tätig waren. Dabei übersah Wichern nicht, dass »Überfüllung mit Religiösem und Geistlichem« »von großem Übel« sei.18
Durch seinen Lehrer Schleiermacher hatte Wichern die Bedeutung von Fest und Feier für den Menschen erkannt. Im Rauhen Haus wurde eine reiche Festkultur entfaltet, was sich an seinem »Festbüchlein«19 und den Rauhhäusler Liederbüchern20 zeigte. Jedes Haus feierte z.B. den eigenen Geburtstag. Zu einem Zeitpunkt, wo noch mühsam um die Eindämmung der Kinderarbeit gerungen wurde, war es für Wichern selbstverständlich, dass auch Kinder der Erholung bedurften.
Wichern erkannte die Bedeutung des Kirchenjahres für die Spiritualität. Es ist ein Haus, in dem die Seele wohnen kann. Die Rituale und Symbole des Kirchenjahres verhelfen dem Glauben zur Gestaltwerdung. Ohne solche festen Formen droht der Glaube zu verdunsten. Unser Adventskranz geht auf einen mit Kerzen besteckten Holzreifen Wicherns zurück, der erstmals 1839 im Rauhen Haus als eine Art Adventskalender benutzt wurde.21
Notwendigkeit und Art und Weise der religiösen Erziehung sind in der jüngsten Vergangenheit heiß diskutiert worden. Vielleicht könnte Wicherns Einsicht weiterhelfen, dass Spiritualität neue Lebensräume zu eröffnen vermag. Christlicher Glaube darf nicht mit Lebensbeschränkung verwechselt werden! Gebet und Wort Gottes erschließen Hoffnungs- und Heilungspotentiale, die es erlauben, bisher unbekannte Wirklichkeits- und Erfahrungsräume kennenzulernen. Das schließt die Möglichkeit von Fremdheitserfahrungen nicht aus, sondern ein. Echte Begegnung ist schon im zwischenmenschlichen Bereich nur möglich, wenn ich die Fremdheit des anderen aushalte. Das gilt auch im Hinblick auf die Beziehung zu Gott.
5. Spiritualität als Quelle eines dreifachen diakonischen Auftrags
Wichern war beides zugleich: ein großer Organisator und ein großer Denker. In seiner Denkschrift »Die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche« gelang es ihm als erster, einen Gesamtentwurf für das diakonische Handeln in Staat, Gesellschaft und Kirche vorzulegen.22 In der Schrift geht es um nichts Geringeres als um die Lösung der sozialen Frage. Wichern schlägt eine dreifache Strategie vor.23 Zunächst muss der Staat seine umfassende sozialpolitische Aufgabe erkennen. Wichern spricht von »bürgerlicher Diakonie«. Sodann geht es darum, dass immer mehr Menschen die diakonischen Herausforderungen erkennen und sich zu freiwilligen Hilfsvereinen zusammenschließen. Sie sollen angesichts der mannigfaltigen inneren und äußeren Nöte vielfältige diakonische Initiativen ins Leben rufen. Wichern nennt diese Form »freie Diakonie«. Als Drittes soll die Kirche als Ganze die diakonische Dimension ihres Auftrags wahrnehmen. Hier verwendet Wichern den Begriff »kirchliche Diakonie«.
Zwei Gedanken sind für den dreifachen diakonischen Auftrag grundlegend: Zum einen geht es für Wichern in allen drei Bereichen um die gleiche Diakonie Gottes an den Menschen. Von seiner Reich-Gottes-Spiritualität her lässt sich Gottes Wirken nämlich nicht auf die Grenzen der verfassten Kirche beschränken. Wichern selbst hat nacheinander, z.T. sogar gleichzeitig in allen drei Bereichen der Diakonie gearbeitet. Als Leiter des Rauhen Hauses war er im Rahmen der freien Diakonie tätig; als Ministerialrat arbeitete er auf dem Gebiet der bürgerlichen und als Oberkonsistorialrat auf dem der kirchlichen Diakonie. Zum anderen besitzt die Weite dieses Diakonieverständnisses einen klaren Orientierungspunkt: Es geht in jedem diakonischen Handlungsbereich um die ganzheitliche Rettung des Menschen, um seine Erneuerung in körperlicher bzw. materieller und in spiritueller Hinsicht. Wichern ist überzeugt, dass die soziale Frage letztlich verursacht ist durch Gottlosigkeit, die sich im Egoismus des Menschen niederschlägt.
Obwohl er das fast zeitgleiche »Kommunistische Manifest« nicht kannte, weisen beide Programme eine erstaunliche Strukturanalogie auf. Beide haben nichts weniger als die Schaffung eines neuen Menschen zum Ziel. Vergleicht man die vorgeschlagenen Wege, so erkennen wir heute, dass Wichern im Letzten tiefer gesehen hat als Marx. Trotz seines rastlosen Kampfes gegen die äußere Not war Wichern gleichzeitig der Überzeugung, dass die inneren Probleme des Menschen durch kein noch so radikales gesellschaftliches Sozialprogramm gelöst werden können.
Wie sahen Wicherns Vorschläge im Einzelnen aus?24 Um die äußere und innere Verarmung des Volkes zu überwinden, genügt für ihn weder die freie noch die kirchliche Diakonie. Es ist die Aufgabe des Staates, durch eine neue Gesetzgebung für eine neue Einkommensverteilung zu sorgen und damit die Massenarmut zu überwinden. Allein durch die bürgerliche Diakonie kann die Übermacht der äußeren Armut gebrochen werden, die mitverantwortlich dafür ist, dass im beginnenden Industriezeitalter breite Volksschichten kein geordnetes Leben in Familie und Gesellschaft mehr führen können. Wicherns Programm lässt an dieser Stelle bereits den modernen Sozialstaat am Horizont auftauchen, der sich des einzelnen Hilfsbedürftigen annimmt und zugleich durch seine Wirtschafts- und Sozialpolitik die Ursachen der Not bekämpft.
Die freie Diakonie wird getragen von vielen freiwilligen Initiativen wie dem Rauhen Haus. Im Grunde setzt diese Form der Diakonie den Sozialstaat voraus. Wichern weist ihr primär die Aufgabe zu, die inneren Ursachen der sozialen Probleme anzugehen. Dazu soll sie eine Vielzahl missionarischer Aktivitäten entwickeln, alle mit dem Ziel, Menschen in eine lebendige Beziehung zu Gott zu bringen und ihnen auf diese Weise einen notwendigen Orientierungspunkt im Leben zu vermitteln. »Als einer der Hauptgrundsätze müsse voranstehen der Satz: kommen die Leute nicht in die Kirche, so muß die Kirche zu den Leuten kommen. So habe es auch der Herr Christus gemacht, der zu uns gekommen und nicht gewartet, bis wir zu ihm gekommen … Wir müssen Straßenprediger haben, vornehmlich in den großen Städten. Die Straßenecken müssen Kanzeln werden, und das Evangelium wird wieder zum Volk dringen.«25
Allerdings ist sich Wichern bewusst, dass der Staat seine Hausaufgaben noch nicht gemacht hat und weit davon entfernt ist, seiner sozialen Verpflichtung nachzukommen. Bis dahin ist eine Konzentration der freien Diakonie auf die »innere Mission« noch nicht möglich. Sie hat deshalb auch die Aufgabe, mit allen Kräften für in Not geratene Menschen zu sorgen. Die freie Diakonie steht für Wichern aber noch unter einem zweiten Vorbehalt. Sie arbeitet auf ihre Selbstauflösung hin. Wenn die Kirche als Ganze die diakonische Dimension ihres Wirkens erkannt hat, wird es nicht länger der freien Vereine bedürfen. Aber auch davon kann bis jetzt – so Wichern – noch keine Rede sein.
Damit sind wir bei der dritten Form diakonischen Handelns, der kirchlichen Diakonie. Wichern ist überzeugt, dass die Kirche die Aufgabe hat, selbst Trägerin der Diakonie zu sein.26 Ihm schwebt eine internationale und interkonfessionell organisierte kirchliche Diakonie vor. Die Größe der diakonischen Herausforderung macht die Zusammenarbeit der vielen verschiedenen Initiativen notwendig. Gleichzeitig hält Wichern ein eigenständiges diakonisches Amt für unerlässlich, damit die Diakonie in der Kirche dauerhaft verankert werden kann: »Die wahre, volle Erweckung der kirchlichen Diakonie aber ist bedingt durch Wiedererneuerung des apostolischen Diakonats.«27
Welcher Impuls für heute steckt in der dreifachen Strukturierung des diakonischen Auftrags? Man hat Wichern ein überholtes, christlich-patriarchales Staatsverständnis vorgeworfen. Das mag stimmen. Wichtiger als die Kritik erscheint mir das Positive seines Konzepts. Es eröffnet dem christlichen Handeln eine große Weite: Der Einsatz für gesellschaftliche Reformen ist genauso Teilnahme an der Diakonie Gottes für den Menschen wie die missionarische Verkündigung in der Fußgängerzone einer Großstadt. Keines sollte gegen das andere ausgespielt werden.
6. Spiritualität als Quelle der Hoffnung für Kirche und Gesellschaft
Wichern ist nicht nur ein Genie der Barmherzigkeit, sondern auch ein Genie der Hoffnung. Obwohl er ständig weitere unerledigte diakonische Aufgaben entdeckt, wird er nicht müde, immer neue Arbeitsfelder zu eröffnen. Mit der Erweckungsbewegung ist Wichern der Auffassung, dass nach den Befreiungskriegen für Europa ein neuer Geistesfrühling angebrochen ist. Das gibt seinen Initiativen ihren Schwung. Darum vermag er auch die Revolution von 1848 als Chance zu deuten: »Ein Tag Gottes als ein Tag des Heils für unsere Kirche in unserem teuren Vaterlande ist mit jenen Ereignissen über unsern Häuptern aufgegangen.«28 Die beispiellose soziale Krise hat den Weg frei gemacht zu einer Erneuerung aller Verhältnisse in Staat, Kirche und Gesellschaft.29 Voraussetzung dafür, dass die Krise wirklich zur Erneuerung führen kann, ist die ernste Buße – hier zeigt sich wieder der lutherische Theologe – und zwar Buße der ganzen Kirche über ihre Jahrhunderte langen sozialen Versäumnisse. »Diese Buße würde der Grenzstein zwischen der alten und neuen Zeit in unserer Kirche sein; und die neue Zeit und ihre Früchte würden herrlicher werden als die alte mit ihrem Ende.«30
Wichern erkannte, dass zur Erneuerung von Kirche und Gesellschaft die praktische Umsetzung der reformatorischen Entdeckung des allgemeinen Priestertums unerlässlich war.31 Die vielen selbstständigen Vereine der Diakonie stellten dafür ein hervorragendes Praxisfeld dar. Hier konnte das gleichberechtigte Miteinander von kirchlichem Amt und mündigen Laien eingeübt werden. Ohne den Einsatz der Laien hätte die Diakonie nie zu einer Bewegung werden können, die Kirche und Staat nachhaltig verändert. Wichern und die Diakonie hatten entscheidenden Anteil am Umbau der hierarchisch verfassten Staatskirche zu einer freiwilligen Gemeindekirche, ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist.
Auch in diesen Überlegungen lassen sich leicht Impulse für die Gegenwart finden. Hoffnung ist keine deutsche Tugend! Sie wird hierzulande in Kirche und Gesellschaft gern mit Oberflächlichkeit und Wegsehen angesichts von Problemen gleichgesetzt. Von Wichern können wir lernen, dass es gerade umgekehrt der christlich begründeten Hoffnung bedarf, um Langzeit-Probleme lösen zu können. Das Elixier der Hoffnung ist Voraussetzung für einen langen Atem.
7. Ausblick
Seit einigen Jahren wird im Raum der Diakonie verstärkt die Frage nach ihrer spirituellen Dimension gestellt. Dabei zeichnet sich als Konsens ab, dass zur Diakonie wesensmäßig ihr christliches Profil gehört – das gilt allemal historisch im Hinblick auf ihre Wurzeln, jedoch nicht weniger bezogen auf das diakonische Handeln heute. Für Wichern war klar: Ohne Liturgie keine Diakonie! Meine These ist: Auch heute bedarf die Diakonie der Spiritualität als kontinuierlicher Quelle der Kraft und der Inspiration.32
Diese theologischen Erkenntnisse erfahren gegenwärtig von betriebswirtschaftlicher Seite ungeahnte Unterstützung. Es ist eine Binsenweisheit, dass auf einem pluralen Markt nur die Anbieter auf Dauer überleben können, die sich durch ein klar erkennbares Profil von anderen unterscheiden. Die »Marke Diakonie« genießt in weiten Teilen der Bevölkerung – auch bei vielen Menschen außerhalb der Kirche – hohes Vertrauen. Dazu hat gerade ihre spirituelle Prägung beigetragen. Es wird in Zukunft angesichts einer zunehmenden Pluralisierung des sozialen Dienstleistungsmarktes darum gehen, das christliche Profil der Diakonie zu schärfen – schon um des Selbsterhalts der diakonischen Einrichtungen willen. Damit das keine bloße Wunschvorstellung bleibt, ist die Entwicklung und Pflege der Spiritualität der Mitarbeitenden unerlässlich. Sie sind nötig, wenn die Diakonie nicht zu einem Dienstleistungsunternehmen werden soll, das ausschließlich nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen geführt wird. Viele Mitarbeitende in den diakonischen Einrichtungen zeichnen sich durch kirchliches Engagement aus. Andere haben kaum Kenntnisse über den christlichen Glauben. Viele von ihnen sind jedoch motiviert, den christlichen Glauben näher kennen zu lernen.
Anmerkungen:
1 Nachweis bei Erich Beyreuther, Geschichte der Diakonie und Inneren Mission in der Neuzeit, (3. erw. Aufl.) Berlin 1983, 58.
2 Vgl. hier und im Folgenden Martin Gerhardt, Johann Hinrich Wichern, Bd. 1-3, Hamburg 1927-1931; Volker Herrmann, Art. Wichern, Johann Hinrich (1808-1881), TRE, Bd. 35, Berlin/New York 2003, 733ff.
3 Johann Hinrich Wichern, Sämtliche Werke, hg. von Peter Meinhold, Bd. IV/1, Berlin 1958, 19.
4 Wichern, Sämtliche Werke, Bd. I, Berlin/Hamburg 1962, 185 (Denkschrift; Hervorhebungen im Text).
5 Immer wieder ist in der Vergangenheit gerade auf die Grenzen von Wicherns Gesellschaftsdiagnose hingewiesen werden (z.B. Karl Janssen in: Johann Hinrich Wichern, Ausgewählte Schriften, Bd. 3, Gütersloh 1962, 142ff; ebenso Beyreuther, Geschichte, 108ff). Diese sollen hier in keiner Weise geleugnet werden. Dabei hat Wichern vor allem die Lösungsvorschläge des Kommunismus abgelehnt. Das Scheitern des real-existierenden Sozialismus hat an vielen Stellen zu einer Rehabilitierung Wicherns geführt.
6 Dietrich Sattler, Johann Hinrich Wichern: Von Christus begeistert – ein wacher Zeitgenosse, in: Johann Hinrich Wichern – Erbe und Auftrag. Stand und Perspektiven der Forschung, hg. von Volker Herrmann u.a. (Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts, Bd. 30), Heidelberg 2007, 19.
7 Martin Gerhardt, Johann Hinrich Wichern, Bd. 3, Hamburg 1931, 364.
8 Vgl. hier und im Folgenden Wilfried Brandt, Von Wichern lernen. Thesen aus dem Gespräch der heutigen Diakonie mit ihrem Gründer Johann Hinrich Wichern, Beiträge aus der Arbeit der Diakonie, 3ff.
9 Wichern, Sämtliche Werke, Bd. III/1, Berlin/Hamburg 1968, 132.
10 A.a.O., 130.
11 Wichern, Sämtliche Werke, Bd. I, 165 (Hervorhebungen im Text).
12 Vgl. im Folgenden: Sattler, Wichern, 20.
13 Vgl. dazu bes. Johann Hinrich Wichern, Pädagogik des Rauhen Hauses, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. VII, Hamburg 1975, 17-217; ders., Christliche Erziehungs- und Unterrichtslehre, in: a.a.O., 218-299; ders., Art. Rettungsanstalten als Erziehungshäuser in Deutschland, in: a.a.O., 374-534.
14 Wichern, Sämtliche Werke, Bd. IV/1, Berlin 1958, 108 (Hervorhebungen im Text).
15 Beyreuther, Geschichte, 94.
16 Gerhardt, Wichern, Bd. 3, 256.
17 Vgl. im Folgenden bes. Wichern, Sämtliche Werke, Bd. VII, 480-486.492-505.
18 A.a.O., 478.
19 Wichern, Sämtliche Werke, Bd. IV/2, Berlin 1959, 17-210.
20 Wichern, Sämtliche Werke, Bd. V, Hamburg 1971, 356-364.
21 In seiner heutigen Gestalt wurde er durch die Jugendbewegung nach 1900 verbreitet (Otto Böcher, Art. Licht und Feuer V, TRE, Bd. 21, Berlin/New York 1991, 116).
22 Wichern, Sämtliche Werke, Bd. I, 175-366.
23 Hinter dieser Dreiteilung steht die lutherische Dreiständelehre, nach der jeder Mensch durch das Amt, das er in der Gesellschaft innehat, verpflichtet ist, für das Wohl seiner Nächsten zu sorgen, z.B. hat derjenige, der ein Staatsamt hat, für das Wohl des ganzen Landes zu sorgen.
24 Vgl. im Folgenden die Einführung Karl Janssens zur Denkschrift in: Wichern, Ausgewählte Schriften, Bd. 3, 135ff.
25 Wichern, Sämtliche Werke, Bd. I, 164 (Rede in Wittenberg 1848; Hervorhebungen im Text).
26 Dieser Auffassung hat die Grundordnung der EKD hundert Jahre später mit der Formulierung entsprochen: »Die Innere Mission ist eine Wesens- und Lebensäußerung der Kirche.«
27 Wichern, Sämtliche Werke, Bd. III/1, 131.
28 Wichern, Sämtliche Werke, Bd. I, 155.
29 A.a.O., 163.
30 A.a.O., 165.
31 Vgl. dazu im Einzelnen: Wichern, Der Beruf der Nichtgeistlichen für die Arbeiten im Reiche Gottes und den Bau der Gemeinde, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. III/2, Berlin/Hamburg 1969, 122-134.
32 »Da die Diakonie Wesens- und Lebensäußerung der Kirche ist, kann sie ihren Dienst nur dann erfüllen, wenn das christliche Profil erhalten bleibt« (Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland. Eine Handreichung des Rates der EKD, EKD-Texte 86, Hannover 2006, 74). ?
Q: Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 – 9771
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Verband der Vereine evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V.
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