Die Verleugnung und Einschränkung christlicher Freiheit ist eines der wesentlichen Kennzeichen des christlichen Fundamentalismus. Das sagte der Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW, Berlin), Reinhard Hempelmann, in einem Interview mit dem Magazin „WIR – gemeinsam unterwegs“ des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes (Kassel). Hempelmann rät in dem Interview, auch mit Fundamentalisten den Dialog zu suchen, aber unter bestimmten Bedingungen auch die Gemeinde zu wechseln. „Wenn es über Fragen des christlichen Lebens und Handelns keine Diskussion geben darf, wenn Kritik an einem Pastor oder der Gemeindeleitung von vornherein als Kritik am Wirken des göttlichen Geistes oder an einer gottgegebenen Führungsstruktur gesehen wird, wenn selbstbewusste Rückfragen als Angriff auf Autoritäten angesehen werden, dann liegt eine Situation vor, wo Menschen sich meines Erachtens nach in einer anderen Gemeinde beheimaten sollten.“ …
Kritik an charismatischem Fundamentalismus
Hempelmann berichtete in dem Interview ferner, dass es Menschen gebe, die von intensiv gelebter christlicher Religiosität verletzt wurden. So gebe es einen charismatischen Fundamentalismus, der „die Gebrochenheit christlichen Lebens“ verdränge. Er gehe davon aus, dass für den Christen, sofern er wirklich auf Gott vertraue, ein „Leben ohne Krankheit unbedingter göttlicher Wille und unsere Möglichkeit ist“, erklärte Hempelmann. „Das kann Menschen unter Druck setzen und dazu führen, dass sie sich in ihrem Glauben als defizitär ansehen.“ Problematisch werde es auch, wenn ein Seelsorger dem Ratsuchenden „im Namen Gottes eine Weisung für sein Leben“ geben wolle. „Mit prophetischen Worten können Menschen manipuliert werden“, so Hempelmann. „Niemand darf in der Seelsorge anderen Menschen Lebensentscheidungen abnehmen, deren Folgen er nicht selbst zu tragen hat.“
Wo Stilfragen Grundsatzfragen werden
Charakteristisch für fundamentalistische Gruppierungen ist Hempelmann zufolge auch, dass Stilfragen – etwa die Frage, ob eine Frau im Gottesdienst ein Kopftuch zu tragen hat – zu Grundsatzfragen erhoben werden. „Fundamentalistische Gruppierungen wollen Eindeutigkeit schaffen“, so Hempelmann. Sie beriefen sich auf göttliche Gesetze und beanspruchten unbedingte Autorität. „Wichtig ist mir, die Frage nach der Freiheit eines Christenmenschen zu stellen“, so der EZW-Leiter. Auch der Umgang von Jesus Christus mit den heiligen Schriften seiner Vorväter sei durch Freiheit gekennzeichnet gewesen, wie man etwa an der im Neuen Testament vielfach auftauchenden Formulierung „Ich aber sage Euch…“ erkennen könne.