Große Kirchen wie den Hamburger Michel füllte Helmut Thielicke (1908-1986) mühelos. Die Kanzel war neben Hörsaal und Schreibtisch der Lieblingsplatz des Theologen, der 1954 aus Tübingen nach Hamburg kam und dort bis zu seinem Lebensende wirkte. Als Professor für Systematische Theologie baute er den evangelischen Fachbereich an der Universität mit auf. Doch immer wieder verließ er den Elfenbeinturm seiner Wissenschaft und suchte… …den Dialog mit seinen Zeitgenossen. Am 4. Dezember wäre Thielicke 100 Jahre alt geworden. „Zu Gast auf einem schönen Stern“ heißen seine Lebenserinnerungen, die er 1984 zwei Jahre vor seinem Tod am 5. März 1986 veröffentlichte. Insgesamt hat Thielicke einige 100 Titel über Ethik, Dogmatik und Religionsphilosophie verfasst, darunter eine siebenbändige „Systematische Theologie“. Mit Büchern wie „Das Gebet, das die Welt umspannt“, „Das Bilderbuch Gottes“ oder „Das Lachen der Heiligen und Narren“ wurde er zu einem der meistgelesenen Theologen der Nachkriegszeit.Am 4. Dezember 1908 als Sohn eines Schulrektors in Barmen bei Wuppertal geboren, studierte Thielicke bis 1934 Theologie und Philosophie in Greifswald, Marburg, Erlangen und Bonn. Nach einer missglückten Schilddrüsen-Operation saß er lange Zeit im Rollstuhl und schrieb seine Doktorarbeit als eine Art Vermächtnis, den sicheren Tod vor Augen. Erst ein neues Medikament aus den USA brachte ihm Heilung.
1935 habilitierte er sich als Dozent in Erlangen und übernahm bis 1940 eine kommissarische Professur in Heidelberg. Als Mitglied der Bekennenden Kirche von den Nazis 1940/41 seines Postens enthoben, wurde er bis 1945 zeitweise mit Rede-, Reise- und Schreibverbot belegt.
Nach Kriegsende erhielt Thielicke den Lehrstuhl für Systematische Theologie der Universität Tübingen, deren Rektor er 1951 wurde. Das badische Bischofsamt schlug er 1946 ebenso aus wie das Amt des Kultusministers für das damalige Württemberg-Baden. 1954 jedoch folgte er dem Ruf nach Hamburg, wo er 1960/61 Rektor der Universität war und bis 1974 als Professor wirkte.
Als Michel-Prediger war Thielicke regelmäßig ein Stadtereignis. Seine Sprachbilder und lebensnahe Frömmigkeit machten ihn zum Publikumsmagneten, auch bei Kirchentagen und in Evangelischen Akademien, die er in den 50er Jahren mitinitiierte. Zu heftigen Auseinandersetzungen kam es zur Zeit der Studentenrevolten. Thielicke wurde zur Zielscheibe mancher Provokation. Der Slogan vom „Muff unter den Talaren“ galt auch ihm, als Prototyp des konservativen Professors.
„Ein Prediger muss die Limonade, die er auf der Kanzel ausschenkt, auch selber trinken“, lautete einer seiner Wahlsprüche. 1968 gründete er gemeinsam mit Studenten und Journalisten die „Projektgruppe Glaubensinformation“, deren Publikationen und Bücher („Wer glaubt, denkt weiter“) Millionenauflagen erreichten und bis nach Japan gelangten.
„Thielicke hatte die Gabe, tiefe Wahrheiten ganz schlicht und einfach auf den Punkt zu bringen“, urteilt Hamburgs Bischöfin Maria Jepsen. Vermutlich sei es die Tiefe seines Glaubens gewesen, die es ihm trotz aller Gestapo-Verhöre und Publikationsverbote ermöglicht habe, standhaft zu bleiben. Sie selbst habe zwar nie zum „Kreis der eingeschworenen Thielicke-Jünger“ gehört, dennoch aber seine Schriften mit Gewinn gelesen: „Für unsere Kirche war er ein wahrer Segen“, sagte die Bischöfin.
Neben der Hauptkirche St. Michaelis erinnert heute ein kleiner „Thielicke-Stieg“ an den großen Theologen und Michel-Prediger. Und in unmittelbarer Nähe seines Hauses im Stadtteil Wellingsbüttel gibt es noch immer das „Thielicke-Wäldchen“: Hier ging der Professor immer mit seinem Hund spazieren.
Q: epd