Angesichts der Wirtschaftskrise wirbt die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann für eine Kultur der Bescheidenheit. „Dass Maßhalten positiv ist, das können wir jetzt noch einmal neu lernen“, sage sie am Freitag (30.01.2009) im Deutschlandradio Kultur. Die Gier verführe. Dabei kritisierte sie nicht nur die Banken. Das ganze Land habe sich von einer „Schnäppchen-Mentalität“ leiten lassen. Jetzt sei der Moment, noch einmal zu fragen, ob nicht anders gewirtschaftet werden müsse, fügte die evangelische Theologin hinzu. Ziel müsse sein, nachfolgenden Generationen ein schuldenfreies Land zu hinterlassen. Zudem gerate derzeit die ökologische Frage zu sehr in den Hintergrund, kritisierte sie. „In dieser Hektik und Schnelligkeit der Entscheidungen“ finde kaum jemand genügend Abstand, um in aller Ruhe nach Zukunftskonzepten zu fragen. „Drei Schritte zurücktreten, noch einmal nachdenken, und dann mit Gottvertrauen in die Zukunft gehen: Das wäre entscheidend“, sagte die Bischöfin.
Käßmann schlug vor, bereits in der Schule stärker auf die Vermittlung von Werten zu setzen. Jedes dritte Kind in Deutschland erkläre, in der Schule gehänselt zu werden, weil es beim Konsum nicht mithalten könne. Deswegen müssten die Lehrer mit ihren Schülern mehr über Armut reden. Die Schulen bräuchten derzeit so viel Unterstützung der Gesellschaft wie nur irgend möglich, sagte Käßmann.
Das Interview im Wortlaut:
Landesbischöfin kritisiert „Schnäppchen-Mentalität“. Margot Käßmann (im Gespräch mit Hanns Ostermann) plädiert für eine Kultur der Bescheidenheit.
Die Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, Margot Käßmann, hat Banken und Bürger zum Maßhalten aufgerufen. Gier verführe, sagte Käßmann. Als Ziel nannte sie, nachfolgenden Generationen ein schuldenfreies Land zu hinterlassen.
Hanns Ostermann: Sie kennen den gut gemeinten Rat „Man/Frau sollte nie nie sagen“. So gut Absichtserklärungen auch sein mögen, der Fall könnte doch eintreten und dann bedarf es verbaler Klimmzüge. Heute verabschiedet das Kabinett das zweite Konjunkturpaket, anschließend berät es der Bundestag in erster Lesung. Der Aktionsplan umfasst 50 Milliarden Euro für das laufende und das kommende Jahr. Die Politik stopft Löcher in einem Maße, wie sie es früher kategorisch abgelehnt hätte, sagen die einen. Politik und Wirtschaft nutzen die Lage wie in einem Selbstbedienungsladen, sagen die anderen. Und was ist richtig? Ich sprach darüber mit Margot Käßmann, der Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover. Sie war zu Gast bei uns im Deutschlandradio Kultur. Als erstes wollte ich von ihr wissen: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus der Krise.
Margot Käßmann: Ich denke, dass es eine Ethik des Genug gibt, dass Maßhalten positiv ist, das können wir jetzt noch einmal neu lernen. Und dass die Gier Menschen nicht zum Positiven treibt, sondern eher verführt. Mir ist noch mal ganz wichtig dabei, nicht nur auf andere zu zeigen, sondern zu sagen, es gibt ein ganzes Land, das in einer Art Schnäppchen-Mentalität doch sich befunden hat, weil Geiz ist geil als Slogan kann es nur geben, wenn man tatsächlich meint, dass Geiz irgendwie weiterhilft. Und schon in der Bibel gehört Geiz zu den Lasterkatalogen.
Ostermann: Sie haben das Bild gebraucht, Schnäppchen-Jäger versuchen, das Günstigste für sich zu finden, und auf der anderen Seite steht vielleicht eine Frau, ein Mann, der in wenigen Tagen seinen Job verliert. Ist nicht aber auch das Suchen eines günstigen Angebots für diejenigen, die wenig Geld haben, völlig legitim?
Käßmann: Das Suchen eines günstigen Angebotes ist natürlich völlig legitim. Ich meine mit Schnäppchen-Mentalität den Versuch, für sich egozentrisch das Beste herauszuholen, ohne einen Blick auf das Gemeinwohl noch zu haben. Und ich denke, dass ein Bewusstsein für Verantwortung, gerade wenn ich ein Unternehmen beispielsweise leite, sich nicht dann zeigt, wenn ich mit Zahlen eher abprotze, dass es Gewinn gegeben hat, und gleichzeitig bekannt gebe, dass ich 1000 Menschen entlasse. Also Unternehmer haben Verantwortung.
Ostermann: Unternehmer haben Verantwortung, und manchmal treibt diese Verantwortung auch jemanden in den Freitod, in den Selbstmord. Ist der Unternehmer Merckle für Sie etwas, was Sie auch zutiefst bewegt?
Käßmann: Ich muss sagen, das hat mich wirklich erschüttert, als diese Nachricht kam, weil Herr Merckle evangelischer Christ war. Ich weiß, dass seine Frau sehr stark im christlichen Glauben verwurzelt ist. Und wenn jemand dann seinem Leben so ein Ende setzt, schockiert mich das umso mehr. Es muss doch immer im Leben auch Auswege geben. Ich habe mich allerdings auch erschrocken, als ich dann gelesen habe, dass auch jemand, der sich so stark als evangelisch geerdet begreift, sich verführen lässt dazu, mit Geld derartig umzugehen.
Ostermann: Das Ganze, Sie sprechen von der Ethik des Genugs, sollte natürlich so früh wie möglich gelernt werden, ich denke da nur an die Schule. Jetzt haben Sie da in den normalen, in den Regelschulen haben Sie Kinder aus unterprivilegierten Familien und Kinder, denen es zu Hause relativ gut geht, die genug Geld haben. Wie würden Sie, wären Sie Lehrerin, wären Sie Lehrer, das, was Sie da gerade abstrakt gesagt haben, konkret machen und den Kindern begreifbar machen?
Käßmann: Ich denke, wichtig ist vor allen Dingen, über Armut auch zu reden. Viele Kinder sagen ja, dass sie sich schämen, weil sie arm sind. Jedes sechste Kind in Deutschland ist inzwischen arm, und jedes dritte Kind erklärt, dass es in der Schule gehänselt wird wegen Aussehen beispielsweise und wegen Anziehsachen, weil es nicht mithalten in der Konsumgesellschaft. Wenn ich Lehrerin wäre, würde ich das thematisieren und genau das mit den Kindern besprechen.
Ostermann: Jetzt haben Sie eine riesengroße Klasse, Lehrer, das wissen Sie auch, sind vielfach überfordert mit den unterschiedlichsten Ansprüchen der Gesellschaft. Das ist eine ungeheuer schwierige Aufgabe.
Käßmann: Ich denke, dass der Beruf des Lehrers, der Lehrerin heute vor Herausforderungen steht, die immens sind, und ich möchte auch dafür plädieren, dass das oft hämische Umgehen mit dem Lehrerberuf ein Ende hat. Wir brauchen gute Pädagoginnen und Pädagogen, die alle Unterstützung der Zivilgesellschaft haben bei ihrer ungeheuren Aufgabe, weil es heute eine Bildungsaufgabe ist, aber oft auch gleichzeitig eine Erziehungsaufgabe und eine Integrationsaufgabe, die in den Schulen stattfindet. Also die Schulen brauchen alle Unterstützung der Gesellschaft, die sie nur haben können. Und ich bin auch dafür, dass bei Ganztagsschulen, von denen ja immer mehr entstehen, auch die Zivilgesellschaft in die Nachmittagsgestaltung beispielsweise eintritt, dass beispielsweise Vereine, Sportvereine, Musikschulen an Schulen selbst dann angeknüpft werden.
Ostermann: Wir müssen in verschiedener Hinsicht flexibler werden, um den Schwierigkeiten dieser Tage, dieser Wochen begegnen zu können. Sie haben gerade das Problem der Ganztagsschule angesprochen. Wo sind aus Ihrer Sicht Grenzen?
Käßmann: Ich denke beispielsweise der Sonntagsschutz liegt mir besonders am Herzen. Wenn wir alles flexibilisieren, sieben Tage in der Woche einkaufen beispielsweise, brauchen auch Verkäuferinnen dann natürlich Kindertagesstätten, die müssten auch sonntags geöffnet werden, und die Gesellschaft würde jeden Rhythmus von Schaffen und Ruhen verlieren. Ich denke, dass das zu einem kollektiven Burn-out-Syndrom führen würde, weil überhaupt keine gemeinsamen freien Zeiten mehr haben. Einerseits geht es mir natürlich um den Gottesdienst, ganz klar, aber gleichzeitig auch um die Kultur eines Landes. Und ich denke, die geht verloren, wenn diese Rhythmen verloren gehen. Ich habe das mal in China erlebt, da hat eine Familie mir erzählt, dass der Vater donnerstags frei hat, die Mutter samstags und der Sohn am Montag. Wo ist da gemeinsame Zeit, gemeinsam gestaltbare freie Zeit?
Ostermann: Wir haben mit den wirtschaftlichen Problemen dieses Gespräch begonnen, ich würde auch ganz gern zum Schluss noch mal darauf eingehen, inwiefern möglicherweise unsere Kinder, unsere Enkel die Zeche zahlen müssen, die im Augenblick die Politik einbrockt. Jedes Loch muss gestopft werden, gigantische Schulden sammeln sich an, kann das jemals bezahlt werden?
Käßmann: Das finde ich auch sehr belastend. Ich muss sagen, als Kirche haben wir ganz klar gesagt, wir werden keine Schulden machen, weil wir heute so wirtschaften müssen, dass wir denen, die nach uns Kirche verantworten, keine Schulden hinterlassen. Das halte ich letzten Endes auch für den Staat für die entscheidende Maßgabe. Dass es auf dem Weg dahin, wo es ja ganz gut aussah, jetzt solche Milliardenausgaben gibt, halte ich schwer vermittelbar für die nachfolgende Generation. Nachhaltigkeit bedeutet ja, dass ich soziales, ökonomisches und ökologisches Anliegen miteinander verknüpfe und in eins sehe. Ich finde im Übrigen auch, dass die ökologische Frage, die Klimakatastrophe im Moment viel zu sehr in den Hintergrund kommt, das heißt, es wäre ja jetzt vielleicht auch ein Kairos, also ein besonderer Moment, noch mal zu fragen, halt, müssen wir nicht anders wirtschaften, so wirtschaften, dass wir in der Tat unseren Kindern und Enkeln ein schuldenfreies Land hinterlassen, das auch keine Klimakatastrophe durch das Wirtschaften erzeugt. Das wäre jedenfalls nachhaltig.
Ostermann: Und da wäre ein Sonntag wieder sinnvoll, um sich einfach zurückzuziehen und in Ruhe darüber nachzudenken?
Käßmann: Wahrscheinlich ist es so, dass im Moment in dieser Hektik und Schnelligkeit der Entscheidungen kaum jemand genügend Abstand findet, um in aller Ruhe zu fragen, was ist das Zukunftskonzept. Und ich denke, drei Schritte zurücktreten, noch einmal nachdenken und dann mit Gottvertrauen in die Zukunft gehen, das wäre entscheidend.
Q: DeutschlandRadio Kultur vom 30.01.2009