Gottesdienst-Studie aus Bayern: Bloß nichts verändern?

erntedank-20061Er gilt als Zentrum des Gemeindelebens: der Gottesdienst. Was aber erwarten Gemeindeglieder eigentlich davon? Eine Studie aus Bayern gibt Aufschluss. Viele der befragten evangelischen Kirchgänger praktizieren im häuslichen Bereich Rituale. Das fängt bei der morgendlichen Teezeremonie an und hört beim Bier nach der Arbeit auf. Diese Rituale haben „den Charakter des Verlässlichen, haben mit Urvertrauen, mit Grundvertrauen zu tun“, so eine Befragte. Dabei kann man sich fallen lassen und ruhig werden. Wichtig ist, dass sich diese Rituale nicht verändern. 

»Aufpeppen« kommt nicht immer gut an

Das ist auch beim Gottesdienst nicht anders. Die Mehrheit der Befragten mag es nicht, wenn man ihn mit neuen Variationen „aufpeppen“ will. Man wünscht sich eine vertraute Liturgie und gleichbleibenden Gottesdienst.

Menschen, die am Sonntag in die Kirche gehen, suchen und finden dort Gemeinschaft mit Gott und mit anderen. Gleichzeitig wollen viele nicht „auf Befehl“ auf den Banknachbarn zugehen und ihm die Hand geben müssen. Wo also der gegenseitige Friedensgruß mit Handschlag nicht schon länger eingeführt ist, sollte man ihn besser sein lassen.

Abendmahl: Manchen ist es wichtig, manche stört es

Für manche Befragten ist das Abendmahl wichtig: „Ich gehe in den Gottesdienst, um Gottes Wort zu hören, die Liturgie mitzufeiern, das Abendmahl mitzufeiern, falls es stattfindet.“

Auf der anderen Seite gibt es manche, die es stört, wenn im Gottesdienst Abendmahl gefeiert wird. Das ist dann ein Grund, den Gottesdienst nicht zu besuchen. Schließlich wird deutlich, dass einige Kirchgänger das Abendmahl nur als Pflichtübung über sich ergehen lassen.

Für diejenigen, in deren Gemeinde das Abendmahl nur zwei- oder dreimal im Jahr angeboten wird, ist es etwas Besonderes. Für diejenigen, die es öfter feiern, ist es eher eine Selbstverständlichkeit.

Alternative Gottesdienste haben eine andere Qualität

Für die Kirchgänger, die alternative Gottesdienste bevorzugen, haben diese „eine ganz andere Qualität als der offizielle Gottesdienst“. Die Predigt ist bei alternativen Gottesdienstformen weniger wichtig als beim Sonntagsgottesdienst.

Es geht eher darum, sich über einen Bibeltext mit Menschen austauschen zu können, mit denen man vertraut ist. Diejenigen, die dem freikirchlichen Spektrum nahe stehen, schätzen es, wenn sie im Gottesdienst eigene Gebete sprechen können.

Im Blick auf die Musik gibt es hier bestimmte Vorlieben. Die Orgel wird weniger geschätzt, dafür werden andere Instrumente und Bands bevorzugt. Die Bandbreite reicht dabei von Popmusik bis hin zu Taizé-Liedern.

Anbetungslieder mit eingängigen Refrains werden lieber gesungen als traditionelle Kirchenlieder. Für alternative Gottesdienste ist es schließlich wichtig, dass sie zu passender Zeit stattfinden. Abendtermine werden deutlich bevorzugt, und zwar zwischen Donnerstag und Sonntag. Der Sonntagvormittag gilt als unpassender Termin.

Aus der Predigt »etwas mitnehmen«

Die Predigt ist für evangelisch getaufte Menschen nach Aussagen der Befragten in großer Breite das Wichtigste. Mehr als 80 Prozent derer, die von sich sagen, dass sie Gottesdienste besuchen, sehen dies so. Menschen, die zur Kirche gehen – egal wie häufig -, wollen bei einer Predigt etwas „mitnehmen“. Die Predigt wird auf das eigene Leben bezogen.

Auch wenn Kirchgänger manchmal von Predigten enttäuscht werden, sind sie grundsätzlich davon überzeugt, dass die Predigt ihnen etwas bringt und Gott durch sie in ihr Leben spricht. Die Botschaft der Bibel soll lebendig werden und zur eigenen Situation sprechen. Soziale und politische Inhalte finden viele weniger interessant, es sei denn, man ist persönlich betroffen.

Predigten sind auch gut, wenn man gar nicht zuhört…

Interessant ist: Bei Predigten geht es für manche Befragte gar nicht in erster Linie darum, ihnen genau zuzuhören. So werden Predigten auch dann positiv erlebt, wenn man ihnen nicht zuhört: Die Predigt wird in diesem Fall als eine Art „Raum“ der Ruhe, des Rückzugs und der eigenen Besinnung erlebt und geschätzt. Die Hörer gehen in diesem „Raum“ ihren eigenen Gedanken nach, während die Predigt wie ein Film im Hintergrund weiterläuft.

Menschen, die nicht in die Kirche gehen, haben erstaunlich viel über Predigten zu sagen. Manchmal beziehen sie sich dabei auf Predigten, die sie im öffentlichen Raum oder bei Taufen und Hochzeiten gehört haben. Dabei überwiegen die Klagen.

Politik in der Predigt kommt nicht gut an

Sehr kritisch wird es gesehen, wenn Geistliche die Predigten dazu benutzen, um ihre eigenen politischen Ansichten zu verkünden, etwa in punkto Kirchenasyl. Man spricht den Predigenden ganz einfach ab, dass sie von diesen Dingen mehr verstehen als andere.

Bei den befragten Kirchgängern – und zwar vor allem bei den gelegentlichen – wird deutlich, dass sie sich nicht selten von Predigten überfordert fühlen. Dieses Ergebnis wird durch eine Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) gestützt: 49,1 Prozent der Befragten mit Hauptschulabschluss stimmen der Aussage „Viele Predigten sind mir zu kompliziert“ entweder „voll und ganz“ oder „etwas“ zu.

Immerhin 20,7 Prozent der Befragten mit abgeschlossenem Studium stimmen der Aussage ebenfalls „voll und ganz“ oder „etwas“ zu.

Von der Predigt überfordert?

Dabei scheint weniger die verwendete Sprache das Problem zu sein. Vielmehr können viele der Kirchgänger die Gedankenschritte und Auslegungen ihrer Pfarrer und Pfarrerinnen nicht nachvollziehen.

Die Länge der Predigten wird übrigens von keinem einzigen befragten Kirchgänger angesprochen oder als Problem wahrgenommen. Das Thema der Predigtlänge ist nur für die interessant, die nie zur Kirche gehen.

Die Kirchenmusik ist neben der Predigt das Wichtigste im Gottesdienst

Insgesamt wird die Orgelmusik am Sonntagmorgen sehr geschätzt. „Kirche und Orgelmusik … das gehört einfach dazu.“ Die Orgelmusik ist fester Bestandteil des Ritus. Selbst eine Frau, die dem Gottesdienst sonst eher fernsteht, meint: „Orgel, das ist schon etwas Schönes.“ Dabei wird vor allem erwartet, dass die Orgel den Gesang unterstützt.

Beim Singen empfinden viele Kirchgänger ein Gemeinschaftsgefühl: „Das finde ich klasse, wenn so viele Leute miteinander singen.“ Weil dieses Gemeinschaftsgefühl sehr wichtig ist, wird es beim Singen in einer vollen Kirche stärker erlebt, als wenn nur wenige miteinander singen: „Wenn eine Kirche voll ist und wenn man dann miteinander singt, das klingt natürlich anders, wie wenn jetzt nur zwanzig Leute irgendwo sind.“

Singen als gemeinsames Erlebnis

Das Singen ganz bestimmter Lieder kann auch der Höhepunkt eines Gottesdienstes sein, etwa wenn zum Abschluss der Christvesper „O du fröhliche“ gesungen wird.

Damit man gemeinsam singen kann, müssen die Lieder bekannt und beliebt sein. Wichtig ist auch, dass die Tonlage passt. Traditionelle Lieder werden oft als zu hoch empfunden. Schließlich kommt es darauf an, dass man weiß, was gerade gesungen wird.

Auffällig ist auch, dass traditionelle Kirchenlieder sogar von Personen geschätzt werden, die der Kirche distanziert gegenüberstehen. In hohem Maße wird abgelehnt, wenn neue Lieder im Gottesdienst eingeübt werden.

Chorarbeit ist im Gemeindeaufbau ganz wichtig

Oft hört man, dass die Sprache der Gesangbuchlieder unverständlich und veraltet sei. Allerdings gilt: Je häufiger Menschen Gottesdienste besuchen, desto weniger finden sie die Texte veraltet. Die Aussage „Die Wechselgesänge von Pfarrer und Gemeinde finde ich überflüssig“ findet in der GfK-Untersuchung etwas mehr Ablehnung als Zustimmung.

Die Chorarbeit ist für den Gemeindeaufbau und das Gottesdienstleben ganz wichtig. In den Interviews zeigt sich, dass das Singen und Musizieren in einem Chor Menschen an eine Gemeinde und an den Gottesdienst bindet. Ein Chor kann beispielsweise zum Treffpunkt für neu Zugezogene werden.

Geselligkeit unter Chormitgliedern

Besonders erbaulich ist das Mitwirken im Chor dann, wenn die Chormitglieder etwa gleich alt sind und untereinander Geselligkeit pflegen, auch über die Proben und Auftritte hinaus. Das Singen kann ein „sich wie ein roter Faden durch mein Leben ziehendes Ritual“ sein, sodass ein Befragter nach einem Wohnortwechsel sofort wieder den Anschluss an den Kirchenchor sucht.

Dieser Beitrag wurde am 15.2.2009 bei UK veröffentlicht.
Autorin: Harinke Fugmann

Info:
Die Studie „Zur Bedeutung des Gottesdienstes im Leben evangelisch getaufter Menschen in Bayern“ (Leitung: Professor Hanns Kerner, Nürnberg, am Lehrstuhl von Professor Christoph Bochinger, Bayreuth) ist die größte Erhebung zum Gottesdienst in Deutschland.