Auch »Evangelen« sind empfänglich für Karneval – meint der Kölner Kabarettist Jürgen Becker. Becker sieht bei evangelischen Christen eine ebenso große Empfänglichkeit für Humor und Karneval wie bei den Katholiken. »Da ist kein großer Unterschied«, sagte Becker in einem epd-Interview. Besonders von den Karnevalsaktionen der Kölner Protestanten und deren sogenannter »Prot’s«-Sitzung sei er begeistert. »Bei den Sitzungen der Evangelen geht es zwar nur um Religion, aber da ist eine Riesenstimmung in der Kirche«, sagte Becker. Wenn Köln evangelisch wäre…, …so ist sich der Kabarettist und Autor sicher, fände die Karnevalssitzung im Kölner Dom statt.
Karneval in der Auferstehungskirche
Die evangelische Auferstehungskirche im westlichen Kölner Ortsteil Bocklemünd ist seit 1997 Austragungsort der protestantischen Karnevals-Sitzung.
Gegründet wurde die »Prot’s«-Sitzung, deren Programm stark an die alternative Kölner »Stunk«-Sitzung angelehnt ist, von Pfarrerinnen und Pfarrern sowie Gemeindemitgliedern. Die fünf Sitzungen in diesem Jahr spielten Anfang Februar einen Reinerlös von rund 30.000 Euro ein.
Erlös für Flüchtlingsberatung
Das Geld soll nach Information der Kirchengemeinde der diakonischen Flüchtlingsberatung und dem Projekt »Asyl in der Kirche« zugute kommen. Bei dem Programm treten auch regelmäßig bekannte Persönlichkeiten der Kölner Kabarett- und Karnevalsszene auf.
Internet: www.prots-sitzung.de
_______________________
Das Interview im Wortlaut:
Herr Becker, Sie haben einmal im Fernsehen ein Lied mit dem Titel gesungen »Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin!«. Weshalb sind Sie denn froh?
Jürgen Becker: Das Lied war für mich die Freude, die Unterschiedlichkeit darzustellen. Es gibt auch eine Karaoke-Version, damit die Leute das umgekehrt singen können. Dafür müssen nicht einmal die Strophen geändert werden.
Das Lied ist auf einer evangelischen Beerdigung entstanden, wo mich der Pfarrer mit seiner Art provoziert hat. Beerdigungen sind ja immer traurig, aber ich finde es wichtig, auch eine Beerdigung mit Humor zu machen. Wenn ich eine Trauerrede halte, sorge ich immer dafür, dass die Menschen auch was zu lachen haben. Das schafft Distanz und tröstet.
Humor als Trostspender?
Becker: Meiner Meinung nach haben Humor und Religion dasselbe Prinzip: Sie sollen trösten. Ich gehe sogar noch weiter und glaube, dass Religion letztendlich eine Erscheinungsform des Humors ist.
Es gibt ja so vieles im Katholizismus, was nicht stimmt. Genau wie beim Humor, wo die Torte im Gesicht landet, obwohl sie da nicht hingehört. Das macht Religion auch: Die Jungfrau kriegt ein Kind, der Tote steht wieder auf und Wasser wird zu Wein. Heißt heute nur Schorle.
Warum sind denn Katholiken für den Karneval so empfänglich?
Becker: Im Grunde genommen hat das gesamte Christentum die Religion karnevalisiert. Dietrich Schwanitz schrieb einmal, Karneval bedeutet Umkehrung. Der Narr wird zum König und Gott, der Allmächtige, zu einem kleinen Kind im abgehängten Prekariat.
Das ist eigentlich der ganze Trick. Die katholische Fakultät hat das nur noch weiter karnevalisiert. So ist ja auch das Papsttum entstanden. Das Machtzentrum hat sich damals nach Byzanz verlagert, und der Bischof von Rom überlegte sich fortan der christliche Cäsar als Stellvertreter Gottes auf Erden zu sein. Da muss man erst mal drauf kommen.
Die katholische Kirche beruht also Ihrer Meinung nach auf einem Witz?
Becker: So was kann man nur mit Humor machen. So ein Papst – das geht gar nicht anders. Nur hat der Luther versucht, den Humor wieder aus der Kirche herauszunehmen. Das ist dann ein bisschen dünn. Die Leute mögen an sich lieber einen Papst, der sich blamiert, als gar keinen.
Sind Katholiken kritikloser, wenn sie diesen ganzen »Zirkus« mitmachen?
Becker: Die glauben das ja nicht ernsthaft. Das hat auch mit Bildung oder Intelligenz nichts zu tun. Die Kirche hat seit 2.000 Jahren ein und dasselbe Problem: Sie muss etwas verkaufen, was noch nie jemand gesehen hat. Da kommt man doch mit Vernunft nicht weiter, sondern braucht Fantasie und Bilder. Vernünftig ist das doch alles nicht.
Der Papst will zwar immer Vernunft und Religion verbinden, das ist aber Quatsch. Schiller hat einmal gesagt »Religion ist Fantasie und Spiel«. Und der Mensch ist nur Mensch, wenn er spielt.
Wenn für Sie Religion eine besondere Form des Humors ist, wie lässt sich denn Religion ohne Humor und ohne Symbolik überhaupt leben?
Becker: Es reduzieren sich die Spielmöglichkeiten. Religion ist durchaus auch philosophisch und entwickelt sich weiter. Aktuell ist ja beispielsweise der Trend zur Wellness-Religion nicht mehr aufzuhalten.
Religion ohne Humor ist aber auch brandgefährlich. Das sieht man überall auf der Erde. Sobald Leute Religion nur noch ernst nehmen, muss man sofort auf Distanz gehen.
Insofern sind die Evangelen gut beraten, auch eine Art von Karneval zu haben?
Becker: Den haben die doch schon längst! In Köln gibt es zum Beispiel die »Prot’s-Sitzung«. Da bin ich ganz begeistert von. Da ist kein großer Unterschied zu den Katholiken.
Bei den Sitzungen der Evangelen geht es zwar nur um Religion, aber da ist eine Riesenstimmung in der Kirche. Also wenn Köln evangelisch wäre, dann wäre die Karnevalssitzung im Kölner Dom.
Q: UK