Manövriert Benedikt XVI. die Kirche in große Schwierigkeiten? – Und: Kardinal Lehmann beweist wie immer klaren Blick.

ben-lehm(WELT-onl. v. 01.02.2009) – Nach der Rehabilitierung des Holocaust-Leugners Bischof Williamson gerät der Papst immer mehr unter Druck. Israel droht mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum Vatikan; mehrere Theologen sprachen sich für eine Ablösung des Papstes aus. Hat Benedikt XVI. zu viele Fehler gemacht? An der Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Piusbruderschaft sich auch innerhalb der katholischen Kirche breite Kritik an Entscheidungen von Papst Benedikt XVI. erhoben. Die katholische Welt, und nicht nur sie, ist alarmiert. Bedeutet die Aufhebung der Exkommunikation… …von vier Bischöfen der traditionalistischen Priesterbruderschaft Pius X., unter denen sich auch der Holocaust-Leugner Richard Williamson befindet, schon einen „Wendepunkt der Kirchengeschichte“, wie die katholischen Theologieprofessoren der Universität Tübingen meinen?

Papst Benedikt XVI. habe „die Welt enttäuscht“, resümierte Hans Küng, der den Professor Joseph Ratzinger einst nach Tübingen geholt hatte. Und der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst sieht Fundamente des Glaubens in Gefahr.

So wächst der Druck auf das Kirchenoberhaupt, die Schuldigen an dem Desaster zu benennen und weitere Klarstellungen über das Verhältnis zu den Juden und zu Israel abzugeben. Der vatikanische Pressesprecher, Federico Lombardi, ging nochmals auf Distanz zu dem Briten Williamson, der die Existenz von Gaskammern in den Konzentrationslagern bestritten hatte, und zu anderen Mitgliedern der Priesterbruderschaft, von denen ähnliche Bemerkungen vorliegen: „Wer die Shoa leugnet, weiß weder etwas vom Geheimnis Gottes, noch etwas vom Kreuz Christi. Umso schwerwiegender ist es, wenn die Verneinung aus dem Mund eines Priesters oder Bischofs kommt, das heißt von einem christlichen Würdenträger, sei er in Einheit mit der katholischen Kirche oder nicht“, sagte Lobardi.

Indes warf der Mainzer Kardinal Karl Lehmann auf WELT-online die entscheidende Frage auf: die nach den Kommunikationsfehlern des Vatikans. Lehmann, lange Jahre Vorsitzender Deutschen Bischofskonferenz, wandte sich gegen den Eindruck, der Papst habe die Exkommunikation aufgehoben, obwohl ihm die inkriminierte Interviewäußerung bekannt gewesen sei: „Tatsächlich hat Williamson das Interview erst nach der Aufhebung der Exkommunikation gegeben, der Papst konnte die Äußerungen gar nicht kennen.

Dennoch: Wenn jetzt der Präsident der päpstlichen Kommission Ecclesia Dei , der kolumbianische Kardinal Hoyos sagt, er habe nichts gewusst, dann muss ich schon sagen: Es hat durchaus die Möglichkeit gegeben, sich ein zutreffendes Bild von Williamson zu machen, denn dieser hat sich ja schon öfter zu anderen Themen problematisch geäußert.“

Lehmann spielte damit darauf an, dass Williamson stets als der polemischste Gegner des Zweiten Vatikanischen Konzils auftrat: Er stellte dieses als „erneute Kreuzigung des Herrn“ dar; bezichtigte Kurienprälaten der Freimaurerei und machte aus seinem antiquierten Frauenbild kein Hehl. Doch auch seine drei Mitbischöfe ließen keine Zweifel daran aufkommen, dass es ihnen um mehr als die alte tridentinische Messe geht, die der Papst 2007 rehabilitiert hat – sie lehnen wie Williamson die Konzilsbeschlüsse über die Religionsfreiheit, das neue Verhältnis zum Judentum und den Ökumenismus ab. „Wir wollen dieses Gift nicht trinken“, sagte im Oktober 2008 der Generalobere der Priesterbruderschaft, Bernard Fellay. Zu dieser Zeit waren die Vorbereitungen für die Aufhebung der Exkommunikation schon im Gange, unter der Federführung von Kardinal Dario Castrillon Hoyos.

Auf Hoyos richtet nicht nur Lehmann seinen Blick, wenn es um die vatikanische Panne geht. Von dem 79 Jahre alten Kolumbianer heißt es, er habe noch vor seiner Versetzung in den Ruhestand die „Versöhnung“ mit den Pius-Brüdern erreichen wollen und deshalb über das Problem Williamson hinweg gesehen. Der Leiter der römischen Bischofskongregation, Kardinal Giovanni Battista Re, soll einen „Wutanfall“ bekommen haben.

Kardinal Lehmann ist sich sicher, dass die Anhänger der von dem 1991 verstorbenen französischen Erzbischof Marcel Lefebvre gegründeten Pius-Bruderschaft bedenkliche politische Positionen vertreten, er nimmt sie „überhaupt gar nicht in erster Linie als theologisch motivierte Bewegung wahr“. Sie stünden teilweise in der Tradition der Action Francaise, einer radikal nationalistischen Bewegung, die in Frankreich um 1900 herum entstanden war, nach der Dreyfus-Affäre. Diese Gruppierung gab sich militant katholisch, monarchistisch und antisemitisch.

Papst Pius X. hat sie 1914 scharf verurteilt. Offenbar ist ihr Gedankengut noch in der Pius-Bruderschaft lebendig, die sich nicht mit der Französischen Revolution abgefunden hat. Nicht von ungefähr leben 100.000 der weltweit 600.000 Anhänger Lefebvres, der einst als Missionsbischof einen ausgezeichneten Ruf genoss, in Frankreich.

Im deutschen Katholizismus gab es keine der Action Francaise vergleichbare Bewegung. Die Ergebnisse der Wahlen zum Reichstag weisen die deutschen Katholiken bis zum Ende der Weimarer Republik als weitgehend resistent gegen das Gift des Nationalsozialismus aus. Allerdings war auch in Deutschland ein starker kirchlicher Antijudaismus virulent.

Kardinal Lehmann räumt ein, dass es in Deutschland noch immer ein großes Reservoir an Abneigung, „ja auch an Hass“ gegen Juden gebe. Gleichwohl rät er dem Papst nicht zu neuen Gesten, um deutlich zu machen, wie er zum Judentum stehe. Papst Benedikt XVI. habe zum Weltjugendtag 2005 in der Kölner Synagoge „so klar und eindeutig“ gesprochen, da gebe es nichts nachzutragen. Damals in Köln hatte der Pontifex an die Worte seines Vorgängers Johannes Paul II. angeknüpft: „Auch bei dieser Gelegenheit möchte ich versichern, dass ich beabsichtige, den Weg der Verbesserung der Beziehungen und der Freundschaft mit dem jüdischen Volk weiterzuführen.“

Umso erstaunter reagierten Juden und auch viele Katholiken auf die von Benedikt im Februar 2008 formulierte Karfreitagsfürbitte für die alte tridentinische Liturgie. Darin heißt es: „Lasset uns auch beten für die Juden: Dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Heiland aller Menschen anerkennen.“ Das war zwar keine Rückkehr zur Formulierung von den „treulosen“ Juden, die noch unter Pius XII. gegolten hatte, aber Vertreter des Judentums und viele Katholiken sahen darin eine indirekte Aufforderung zur Judenmission. Der Vatikan dementierte.

Die Priesterbruderschaft Pius X. bemüht sich, den Eindruck zu erwecken, ihr Bischof Williamson sei eine Art Sonderfall. Dem Briten wurde auferlegt, sich nicht mehr öffentlich zu politischen und historischen Vorgängen zu äußern. Doch in den Erklärungen, mit denen man sich von dem umstrittenen Geistlichen abzusetzen suchte, überwogen die Worte des Bedauerns über den Schaden, der für die Bewegung entstanden sei.

Und auch Williamson persönlich entschuldigte sich beim Papst in erster Linie für den „Sturm“, den sein Verhalten ausgelöst habe. Der Leiter des norditalienischen Distrikts der Pius-Bruderschaft, Floriano Abrahamowicz, jüdischer Herkunft, meldete sich mit einer weiteren eigenwilligen Interpretation zu Wort: Die Gaskammern der Nazis hätten zu Desinfektionszwecken gedient, und er wisse nicht, „ob darin Menschen zu Tode gekommen sind“.

Die Häufung solcher problematischer Einlassungen verstärkten erst recht das Misstrauen gegen die traditionalistische Bewegung, die ausgerechnet vom „deutschen Papst“ zurück in den Schoß von Rom holen möchte. Triumphierend forderte der französische Disktriktobere, Abbe Regis de Cacqueray, das gesamte Konzil müsse wieder zur Diskussion gestellt werden. Und der italienische Lefebvristen-Prior Pierpaolo Petrucci freute sich, die Exkommunikation sei aufgehoben worden, „ohne dass uns eine Bedingung gestellt wurde“.

Für Papst Benedikt XVI. bedeutet sein „Akt der Barmherzigkeit“ auf jeden Fall einen Ansehensverlust, selbst wenn ihm die unappetitliche Causa Wiliamson nicht bekannt gewesen sein sollte. Angesichts der jüngsten Irritationen finden auch andere Vorgänge breite Beachtung. So rückt die normalerweise unspektakuläre Bestellung eines neuen Weihbischofs für die oberösterreichische Diözese Linz in die Schlagzeilen.

Sie gilt als Beleg für eine problematische Personalpolitik von Papst Benedikt. Der von ihm ernannte Geistliche Gerhard Maria Wagner wird von österreichischen Medien einer kleinen erzkonservativen Minderheit zugerechnet, der es gefalle, eher das Bild eines strafenden als eines liebenden Gottes zu zeichnen. Belegt wird das mit einem Zitat über den Hurrikan „Katrina“, der New Orleans zerstört hat: „Nicht irgendeine Stadt ist hier versunken, sondern eine Traumstadt des Volkes mit den ‚besten Bordellen und den schönsten Huren“. Es gelte darüber nachzudenken, ob Umweltkatastrophen nicht eine Folge der „geistigen Umweltverschmutzung“ seien. Schließlich sei wohl kein Zufall, dass in New Orleans alle Abtreibungsklinken zerstört worden seien. Aufsehen erregte Wagner auch mit seiner Bewertung der Harry-Potter-Romane: „Da ist Satanismus am Werk.“

Die Causa Williamson, die ausgestreckten Hände des Papstes zu den Traditionalisten und die Ernennung eines Weihbischofs, der offensichtlich gegen Vorschläge aus Österreich durchgesetzt wurde, sind Vorgänge, die auseinander gehalten werden müssen. Aber so leicht ist die Differenzierung in diesen Tagen nicht.

Autor: Gernot Facius, 1. Februar 2009, 17:59 Uhr

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