(Von Andre Zelck für DIE ZEIT) – Willibert Pauels macht etwas, was bei Kindern als schlechtes Benehmen getadelt würde. Er lauscht an der Tür. Bloß nicht den Einsatz verpassen. Die Kapelle stimmt Tochter Zion an. Pauels verlässt seinen Horchposten, strebt im Kölner Gürzenich der Bühne entgegen, hebt die Arme und singt lautstark mit. Ein Weihnachtslied im Karneval? Für Willibert Pauels ist das keine komische Kombination. Der 54-Jährige ist im Hauptberuf Büttenredner und nebenbei noch Diakon. Bis vor drei Jahren war das noch umgekehrt. Willibert Pauels, der in der Bütt zu den Topstars… …zählt, musste sich entscheiden. Hauptberuflich Spaßmacher oder hauptberuflich Diakon. Er fand für sich einen dritten Weg. »Büttenredner und Kabarettist ist jetzt der Beruf, mit dem ich mein Geld verdiene. Ich trete das ganze Jahr über auf, deutschlandweit. Diakon bin ich natürlich auch noch, aber ohne Dienstverpflichtungen und ohne Bezüge.« Sein Arbeitgeber, das Erzbistum Köln, hat ihm die Entscheidung leicht gemacht: Pauels hat eine Rückkehrgarantie. Er nennt das »eine goldene Brücke«.
»Wer lacht, bekommt eine Ahnung vom Paradies«
Eine schwarze, etwas zu kurze Hose, ein rotes T-Shirt und eine schwarze Hornbrille, so steht er vor dem närrischen Volk. Die rote Pappnase und das verbeulte Hütchen lassen ihn aussehen wie ein komischer August. Es spricht aber aus jedem Satz der Diakon zu den Menschen. Selbst dann, wenn er sich über die Institution Kirche und deren »Bodenpersonal« lustig macht. »Beim evangelischen Pfarrer hängt die Kinderwäsche ums Haus, beim katholischen im ganzen Dorf.« Der Saal tobt.
Für Willibert Pauels schließen sich Kirche und Karneval keinesfalls aus: »Lachen hat eine unglaublich befreiende Kraft. Das hat die Kirche schon früh erkannt.« Wer lache, vertreibe die Angst vor dem Tod, und der Mensch bekomme eine Ahnung vom Paradies, sagt Pauels.
Religion müsse nur richtig vermittelt werden, dann werde sie heiter und leicht. »Die Moral und der große Verbotskatalog stehen nicht im Mittelpunkt des Glaubens. Gott ist kein großer Polizist.« Bis er Karnevalsstar wurde, hat Pauels viele Umwege eingelegt. Nach dem Abitur schien die Sache erst einmal klar: Er wollte Priester werden. Er stammt aus einem streng katholischen Elternhaus, studierte Theologie in Bonn und Münster. »Irgendwann wurde mir aber klar, dass ich nicht im Zölibat leben wollte.« Das Studium setzte er fort und machte sein Diplom. Danach wechselte er aufs Collegium Marianum. Das ist eine Ausbildungsstätte für geistliche Berufe, Träger ist das Erzbistum Köln. Willibert Pauels bereitete sich auf den Beruf des Diakons vor. 1993 wurde er im Kölner Dom geweiht. Da war er bereits verheiratet und Vater. Seine Tochter Franziska ist jetzt 16 Jahre alt.
Zu seinen Aufgaben als Diakon in St. Nikolaus im nordrhein-westfälischen Wipperfürth gehörten Trauungen, Taufen, Predigten, Gottesdienste und Beerdigungen. Die heilige Messe lesen und die Beichte abnehmen durfte er nicht. »Die richtig spannenden Sachen sind für einen Diakon tabu, aber als Ausgleich dürfen wir spannende Sachen machen, die für einen Priester nicht erlaubt sind.« Jetzt ist er nur noch auf Anfrage als Diakon im Einsatz und auch nur für Menschen aus seiner Gemeinde. Für Kollegen macht er manchmal eine Ausnahme. Als ihn ein Mitglied der Kölschrock-Gruppe Brings fragte, ob er dessen Tochter taufen würde, sagte er zu. Der 82-Jährigen, die ihn auf der Bühne erlebte und später per SMS anfragte, ob er sie beerdigen würde, wird er wohl absagen. Gründlich missverstanden fühlt er sich, wenn Menschen glauben, er wäre bereit, bei Klamauknummern mitzumachen. »Ich sollte mal bei einer nachgespielten Hochzeit mitwirken. So als Spaß bei einer Feier zur Silberhochzeit. Da ist bei mir Schluss mit lustig.«
Sein Stern am Karnevalshimmel »ging streng genommen schon 1962 auf«, sagt Pauels. Mit sechs Jahren spielte er im Kindergarten von St. Nikolaus den Wolken-Seppl, eine Art komischen Heiligen. »Das war meine erste Hauptrolle. Ein grandioser Erfolg.« Er sei schon immer ein Kasper gewesen. Vielleicht muss man das, wenn man sich als einziger Junge gegen drei Schwestern in Szene setzen möchte. Sein komisches Talent zündete jahrzehntelang lediglich im dörflichen Rahmen, dann wurde ein etablierter Kölner Karnevalssänger auf Pauels aufmerksam. Der war der Meinung, »der Mann gehört in den Karneval«.
Aber bevor der »Bergische Jung« sich anschickte, die Karnevalsbühnen im Rheinland zu erobern, war da wieder dieses Ringen. Soll ich oder soll ich nicht? Vor allem seine Ehefrau Irene hatte Bedenken. Denn Pauels war krank, hatte Depressionen. »Es war eine traurige Zeit für uns.« Ein Mann mit einem zerbrechlichen Nervenkostüm, ohne das schützende »dicke Fell« im mitunter knallharten Karnevalsgeschäft. Einem Geschäft, in dem in kurzer Zeit sehr viel Geld verdient wird und in dem daher Konkurrenzkämpfe keine Seltenheit sind. Über Summen wird in der Branche zwar nicht offen gesprochen, aber Pauels‘ Gage dürfte bei knapp unter 1000 Euro pro Auftritt liegen. Bis zum Ende der Session kommt er auf rund 250 Einsätze.
Den Rosenkranz hat er immer in der Hosentasche
Viele Gespräche und ein paar schlaflose Nächte später hatte das Ringen ein Ende. Die Bühne siegte. Bereut hat Willibert Pauels den Schritt nie. Er weiß auch, dass er mehr Glück als andere gehabt hat. Der beschwerliche Weg manch eines Kollegen durch die Bierzelte und Kneipen-Hinterzimmer blieb ihm erspart. Er legte einen karnevalistischen Blitzstart hin, wurde schnell für große Sitzungen gebucht, war gleich ein Star in der Bütt.
Für seine Witze wie den über den Unterschied zwischen katholischen und evangelischen Priestern lieben ihn heute viele Menschen, aber nicht alle. Manche schreiben empörte Briefe an den Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner. Sogar von Gotteslästerung soll da die Rede sein. Pauels bekommt alle Schreiben in Kopie. Etwa eine Handvoll sind es pro Jahr, Tendenz abnehmend. Konsequenzen gab es noch nie.
Anderen Menschen Freude zu bereiten habe auch ihm gesundheitlich geholfen. Wenn ihm heute gelegentlich kleine dunkle Wolken das Gemüt verschatten, schreckt ihn das nicht. »Ich weiß genau, das geht ganz schnell vorbei.« Sein Publikum bekommt ohnehin nichts davon mit. Wenn die ersten Töne von Tochter Zion ertönen, strebt ein strahlender Diakon der Bühne entgegen. Und für alle Fälle hat Willibert Pauels stets einen Rosenkranz in der Hosentasche.