Bundeskanzlerin: Kirchen sollten sich stärker einmischen

basilikatrBundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eine stärkere Einbringung der Kirchen in gesellschaftliche Themen wie die weltweite Finanzkrise gefordert. Sie wünsche eine weitere „und manchmal noch lautere Einmischung“, sagte sie am Dienstagabend in einer Rede in der Katholischen Akademie in Berlin. Sie lobte zugleich, dass trotz der Trennung von Kirche und Staat die Kirchen bei der politischen Meinungsbildung eine wichtige Rolle spielten. Die Kanzlerin bekannte sich klar zum christlichen Menschenbild als ihrer Leitlinie für politisches Handeln. Dazu zähle, dass der Mensch als einzigartiges Geschöpf Gottes… …zur „Freiheit in Verantwortung“ und dem Wunsch, seine Fähigkeiten entfalten zu wollen, berufen sei.

In der Finanzkrise zeige sich auch, wie wichtig ein christliches Leitbild sei, ergänzte die CDU-Politikerin. Vielen sei es im Vorfeld der Krise nur um sich selbst gegangen, „das Gemeinwohl partiell auf der Strecke geblieben“. Umso mehr gelte es, weiter auf die soziale Marktwirtschaft zu setzen. Diese sei, geprägt durch die evangelische Sozialethik und die katholische Soziallehre, „im Grunde ein gutes Werk der Ökumene“.

Das christliche Menschenbild in der Politik habe auch Bedeutung für die Familien- und Integrationspolitik, sagte Merkel weiter. So werde ihre Partei am besonderen Stellenwert von Ehe und Familie festhalten. Leider seien noch nicht ausreichend Wahlmöglichkeiten vorhanden, damit Familien ihr Leben so gestalten könnten, wie sie es wünschten.

Zur Integrationspolitik in Deutschland sagte Merkel, Integration erfordere auch die Offenheit derer, die schon lange hier lebten. Als positiv hob sie etwa den gesellschaftlichen Dialog mit Muslimen in der Deutschen Islamkonferenz sowie die verstärkte Sprachförderung für Kinder sowie in Integrationskursen hervor.

Auf ihre Kritik am Papst und seinen Umgang mit dem Holocaust-Leugner Richard Williamson ging Merkel nicht ein. Für ihre Äußerungen war sie von Katholiken wie auch Mitgliedern der Union kritisiert worden.

Q: epd v. 25. März 2009

Gleiches Thema: Vereint im christlichen Menschenbild. Merkels erfolgreicher Abend in der Katholischen Akademie

Es hätte ein schwieriger Auftritt werden können für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Eine Rede vor der Katholischen Akademie, gefolgt von einer Fragerunde. Denn nach ihrer Kritik am Papst wegen dessen Umgang mit Holocaust-Leugner Richard Williamson war Merkel bei Katholiken wie auch in der Union in die Kritik geraten. Doch was für die Kanzlerin ein heikler Gang nach Canossa hätte werden können, endet als erfolgreiche Wählerwerbung: Offen sprach sie von ihrem Selbstverständnis als Christin und erntete damit reichlich Anerkennung. Kritische Fragen blieben aus.

Merkel bekannte sich in ihrer Rede am Dienstagabend klar zum christlichen Menschenbild als ihrer Leitlinie für politisches Handeln. Die Finanzkrise gefährde diese Ideale jedoch: Vielen sei es im Vorfeld nur um sich selbst gegangen, „das Gemeinwohl partiell auf der Strecke geblieben“. Umso mehr müsse nun auf die soziale Marktwirtschaft gesetzt werden, betonte Merkel und holte die Kirchen mit ins Boot: Denn die soziale Marktwirtschaft sei, geprägt durch die evangelische Sozialethik und die katholische Soziallehre, „im Grunde ein gutes Werk der Ökumene“. Sie rief die Kirchen dazu auf, sich noch lauter als bisher in solche aktuellen Fragen einzumischen.

Perfekt sei der Mensch nicht und die Politik nicht allmächtig, unterstrich die CDU-Vorsitzende. Es müsse in der Politik darum gehen, Leidenschaft für die Menschen zu zeigen, „aber immer in der Verantwortung vor Gott“. In einer Situation wie der derzeitigen Krise sei auch „Gottvertrauen“ nötig.

Sehr deutlich war von der Kanzlerin zu hören, wie stark die Religion ihr Handeln antreibt. Die Bedeutung dieses Leitbilds für die Familien-, die Integrationspolitik oder auch den Umgang mit der Globalisierung, wie sie Merkel ausführte, teilten die Anwesenden offensichtlich. Wohl deshalb überhörten sie kleine Spitzen der Kanzlerin einfach: Sie wisse ja nicht, wie sie damit in diesen Kreisen ankomme, scherzte Merkel, bevor sie sich für eine stärkere Rolle der Väter in der Familie aussprach. Die Antwort bekam sie gleich: Applaus.

Ungewohnt offen sprach sie auch darüber, wie die Integration ausländischer Mitbürger lange vernachlässigt wurde: Die Politik habe sich „jahrelang und jahrzehntelang in die Tasche gelogen“, sagte Merkel und schloss dabei ihre Partei mit ein. Zwar nannte sie auch verstärkte Sprachförderung oder die Deutsche Islam Konferenz als Fortschritte. Aber: „Integration erfordert auch die Offenheit derer, die hier schon lange leben“, mahnte sie.

Merkel schloss ihre Rede damit, wie lohnend Politik sei. Aber man müsse sich dafür auch Mühe und Anstrengung aussetzen: „Und ich hoffe, das ist nicht nur protestantisch“, schloss sie keck.

Keinesfalls, versichert der Direktor der Katholischen Akademie, Joachim Hake. Es folgte ein großes Lob für Merkels „starke“ Rede. Er erlebe viele Vorträge über das christliche Menschenbild, sagt Hake – die seien „häufig nicht besonders“. Eine Reihe – offensichtlich vorbereiteter – Fragen von Akademiemitgliedern umschiffte schließlich das kritische Thema der Papst-Schelte Merkels weiträumig.

Am Ende suchte die Kanzlerin dann geradezu die Herausforderung: Ob man nicht noch ein, zwei Fragen zulassen wolle, fragte sie. Denn die anderen waren „doch alle vorbestellt“. Doch die Journalisten im Hintergrund müssen ihre Hände wieder sinken lassen, zugelassen werden nur ein paar freundliche Fragen aus den ersten Reihen.

So durfte Merkel sich am Ende dazu äußern, warum sie immer „so ruhig und ausgeglichen“ sei. „Ich bin ja im Norden aufgewachsen und habe als Physikerin viel gebrütet und geschrieben“, sagte sie. „Aber manchmal plappere ich auch.“ Das sei dann „nicht immer so gut“. Ob die Anwesenden das als Entschuldigung annehmen, dass Merkel nicht immer auch die katholische Linie fährt, sei dahingestellt – ihre Äußerungen wurden jedenfalls mit gutmütigem Lachen quittiert. Unmut über die Kanzlerin – an diesem Abend jedenfalls war das kein Thema.

Q: epd v. 25. März 2009