Rheinischer Merkur zu Finanzkrise: Kirchen auf der Suche nach Halt

kirche-geldVON MATTHIAS GIERTH für RM v. 05.03.2009 – Beide Kirchen verpassen ein zentrales Thema. Dabei bietet die christliche Soziallehre Leitplanken der Orientierung. Als am vergangenen Sonntag in allen deutschen Diözesen Fastenhirtenbriefe… …der jeweiligen Ortsbischöfe verlesen wurden, war das thematische Spektrum weit. In Köln schrieb Joachim Kardinal Meisner den Gläubigen seine Gedanken zu Weiheamt und Priestermangel, der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, dachte über Qualität und Niveau der Liturgie nach, und Görlitz‘ Bischof Konrad Zdarsa meditierte über die Fähigkeit des Christen, Grenzen zu überwinden. Von einem Thema aber war nicht die Rede: der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Das dürfte kein Zufall sein. Seit dem Beginn des Bankenzusammenbruchs haben sich einzelne katholische wie evangelische Kirchenführer zwar punktuell geäußert. Der Vorsitzende der EKD, Berlins Bischof Wolfgang Huber, attackierte das von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann vorgegebene Renditeziel von 25 Prozent als „eine Form von Götzendienst“. Münchens Erzbischof Reinhard Marx verurteilte im Rheinischen Merkur die „Versuche von Ökonomen, einen ethischen Ordnungsrahmen zu konstruieren, in dem es nicht auf Ethik und Moral des Einzelnen“ ankäme. Aber an vertiefenden Argumenten, die über den reinen Ruf nach einer Verantwortungsethik hinausgehen, fehlte es weithin.

Auch die Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe, die seit Montag in Hamburg tagte, konnte das nicht gänzlich ändern. Gewiss hat sich der Klerus in einem Studienhalbtag mit der Finanz- und Wirtschaftskrise beschäftigt, ein positionierendes Eckpunktepapier debattiert. Doch die Zeit drängt. Die Kirchen drohen an den aktuellen Sorgen und Nöten der Deutschen vorbeizureden und eine Debatte zu verpassen, bei der ihre Stimme dringend gebraucht wird. Dies gilt umso mehr, als die Angst der Bürger vor einer systemischen Krise mit Händen zu greifen ist, die die wirtschaftliche und soziale Ordnung der Bundesrepublik bis in ihre Grundfesten erschüttern könnte. Tragende Säulen der Gesellschaft wie Bundespräsident Horst Köhler schweigen. Auch so ist ein Vakuum entstanden, dem sich der Einzelne hilflos gegenübersieht.

Es ist nicht Aufgabe der Kirchen, zu jeder staatlichen Bürgschaftsentscheidung Stellung zu nehmen. Ob sie im einen oder anderen Fall gerechtfertigt ist, bleibt eine Frage an die Berliner Politik, nicht an Ordinariate und Landeskirchen. Das Zweite Vatikanum hat klar herausgestellt, dass Christen in politisch-weltlichen Fragen zu unterschiedlichen Antworten gelangen können, die Kirche mithin keine eigene Lösungskompetenz beanspruchen darf.

Doch wenn Größenordnungen erreicht sind wie bei Opel und der Staat vor milliardenschweren Hilfszusagen steht, stellt sich die Situation anders dar. Überhebt sich ein Gemeinwesen, drohen ihm unkalkulierbare Risiken, bis hin zum Staatsbankrott. Gleiches gilt bei zentralen ordnungspolitischen Entscheidungen wie der Verstaatlichung oder Enteignung. Hier sind die Grundlagen eines Staates berührt, etwa die Freiheit des Individuums, selbstbestimmt Eigentum zu erwerben und zu wirtschaften. Bei diesen Fragen darf die Kirche nicht schweigen.

Denn in Gefahr steht dann die wichtigste Solidaritätsfunktion des Staates: ein solides Sozialsystem, wie wir es im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft hierzulande aufgebaut haben. Dafür hat die christliche Soziallehre immer gekämpft. Die Kirche kann deshalb nicht still zusehen, wie sich der Staat durch überbordende Verschuldung in eine finanzielle Lage bringt, in der er seine Bürger in der Not nicht mehr ausreichend unterstützen kann.

Geboten ist stattdessen ein nachhaltiges Finanzwirtschaften des Staates. Keine Bevölkerung hat das Recht, ihr eigenes Überleben auf Kosten der nachfolgenden zu betreiben. Die Politik handelt unverantwortlich, wenn sie die nächste Generation ihrer Zukunftschancen beraubt, weil sie ihr – etwa durch konjunkturelle Stützungsmaßnahmen – Schuldenlasten auferlegt, die diese niemals zurückzahlen kann.

Und: Die Verpflichtung der Staaten der Ersten Welt, Hunger und Armut zu bekämpfen, besteht während Wirtschaftskrisen fort. Die wirklich Notleidenden der Erde, für die die Kirche zuerst ihre Stimme erheben muss, stehen unter keinem staatlichen Schutzschirm. Daher darf Entwicklungspolitik und -hilfe keine „Schönwetterveranstaltung“ sein, wie auch Misereor-Chef Josef Sayer kritisiert hat, sondern muss nachhaltig betrieben werden.

Die Gelegenheit, den diesjährigen Fastenhirtenbrief zu nutzen, ist verstrichen. Die Berliner Kanzel aber steht stets offen. Steigen die Konfessionen gemeinsam hinauf, ist ihnen Aufmerksamkeit gewiss. Viele im Land warten sehnlich auf andere kirchliche Schlagzeilen als jene über den Holocaustleugner Williamson und seine zwielichtige Priesterbruderschaft.

Q: RM