Der neue stellvertretende Synodenpräses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Günther Beckstein (CSU), hält eine Umkehr im Denken über Wirtschaftskreisläufe für dringend geboten. „Es war eine Degeneration, Reichtum auf Kontostände zu verengen“, sagte Beckstein in einem epd-Interview. Der Mensch habe Vorrang vor der Rendite. Der 65-jährige CSU-Politiker und frühere bayerische Ministerpräsident beklagte, Geiz, Gier und Renditejagd hätten sich „in undimensionierter Weise“ durchgesetzt. Der Mammon sei zum größten Gott geworden, sagte Beckstein, der dem Kirchenparlament erstmals angehört… Ein neuer Ethos in der Wirtschaft müsse zentrales Thema werden. Es gebe Millionäre, die dennoch „arme Teufel“ seien, weil sie von Einsamkeit umgeben seien.
Beckstein war Anfang Mai bei der konstituierenden Sitzung des Kirchenparlaments in Würzburg zum Vizepräses gewählt worden. Als Präses an der Spitze der Synode steht die Grünen-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. In der Zusammenarbeit mit Göring-Eckardt sieht der Franke Beckstein kein Präjudiz für eine schwarz-grüne Koalition in der Politik. Allerdings signalisiere dies durchaus, „dass die ideologischen Grenzen kleiner werden“, fügte er hinzu.
epd v. 25. Mai 2009
Ganzes Interview mit Beckstein: „Mammon ist zum größten Gott geworden“
Der Mensch muss nach Ansicht des neuen Synodenvizepräses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und CSU-Politikers Günther Beckstein Vorrang vor Rendite haben. „Der Mammon ist zum größten Gott geworden“, kritisierte Beckstein in einem epd-Interview die Entwicklungen der letzten Jahre, die eine globale Wirtschafts- und Finanzkrise führten. „Es sind die menschlichen Beziehungen, die uns reich machen“, betonte der 65-Jährige. In der Zusammenarbeit mit der Synodenpräses und Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckhardt an der Spitze des Kirchenparlaments sieht Beckstein keine Vorzeichen für eine schwarz-grüne Koalition. Mit Beckstein sprachen Gabriele Rettner-Halder und Achim Schmid.
epd: Ihre Wahl zum Vizepräses der EKD-Synode und damit in ein wichtiges Ehrenamt innerhalb des Kirchenparlaments war eine Überraschung. Die Mehrheit bestand bekanntlich nicht aus Beckstein-Fans. Wie haben Sie überzeugt?
Beckstein: Wie die Jungfrau zum Kind bin ich dazu gekommen. Als ich zuerst in der bayerischen Landessynode gefragt wurde, ob ich kandidieren würde, habe ich denen gesagt, ich hätte Null Komma Null Ehrgeiz, besonders nach dem CSU-Wahlergebnis im Herbst und meinem Rückzug vom Amt. Aber wenn mich jemand vorschlagen wolle, stünde ich zur Verfügung.
Wochen später war in der Zeitung zu lesen, ich sei als Präses der EKD-Synode im Gespräch. Verwunderlich war das schon: Ich bin 65 Jahre alt, zweitens ein Mann, was in der EKD-Synode problematisch ist. Dann auch noch bei der Union, aus dem Süden, sogar bei der CSU, was noch mal erschwerend wirkt. Und obendrein bin ich Hardliner in der Ausländerpolitik. Ich dachte, das ist völlig aussichtslos.
epd: Und was passierte?
Beckstein: Bei der Synode saß der Arbeitskreis „Lebendige Gemeinde“, dem ich angehöre, zusammen. Dort bin ich wieder gefragt worden, ob ich kandidiere. Ich blieb unentschlossen, eine Blamage wollte ich nicht erleben. Bis Göring-Eckhardt auftauchte, um ein Gespräch in dem Arbeitskreis bat und ich mich in dem anderen Arbeitskreis „Offene Kirche“, der viel größer ist, vorstellte.
Dort begann meine Vorstellung wieder mit dem Satz, ich wisse noch nicht, ob ich kandidiere. Ich habe klar gemacht, dass ich die Überparteilichkeit der Kirche für wichtig halte und ein freier Mensch bin. Meine Aufgabe als früherer Innenminister war eine andere, dafür habe ich geworben und Beifall bekommen. Jetzt gibt es das Tandem Göring-Eckardt/Beckstein. Vom Tandem komme ich anscheinend nicht los.
epd: Und Sie müssen mit einer Grünen-Politikerin im gleichen Tempo strampeln.
Beckstein: Kirche und Politik sind zu trennen, eine schwarz-grüne Koalition wie in der Politik gibt es hier nicht. Die Zusammenarbeit mit Göring-Eckhardt, die ich wegen ihrer Überzeugungstreue sehr schätze, ist kein Frühwarnzeichen für die Politik, höchstens ein vorsichtiges Signal, dass die ideologischen Grenzen kleiner werden. Was mich in der evangelischen Kirche begeistert, ist die Freiheit des Wortes. Wir haben keinen Papst, der prägend ist, aber einen Bischof Huber, der diese Rolle gut ausfüllt.
epd: Sie können jetzt Vorzeige-Protestant sein und nicht mehr der „Schwarze Sheriff“.
Beckstein: Ich musste nicht bekehrt werden, mich nicht ändern. Es ist mir auch heute noch lieber, als „Schwarzer Sheriff“ für Recht und Ordnung gegolten zu haben anstatt als Weichei für Unrecht und Unordnung. Jemand, der ein geistliches Amt hat, muss sich nach anderen Maßstäben richten. Da gilt „Liebe Deinen Nächsten“ in einer viel intensiveren Weise. Aber auch das weltliche Schwert wurde von Gott eingesetzt und ohne Einhaltung der Ordnung würde das Zusammenleben der Menschen schwierig werden.
epd: Und doch gibt es an diesem Punkt eine heikle Schnittstelle?
Beckstein: In der Ausländerpolitik gibt es natürlich schwierige Fälle. Ich war bemüht, menschlich erträgliche und rechtlich tragfähige Lösungen zu finden. Für Grenzfälle gibt es die Härtefallkommission, an der mir viel liegt. Wenn kirchliche Kreise jemanden hier belassen wollen, muss das möglich sein, dem Rechtssystem ist das nicht fremd.
epd: In der Landessynode gibt es Überlegungen, die große Frage eines Wirtschaftsethos stärker zu thematisieren.
Beckstein: Das ist ein zentrales Thema. Der Mammon ist zum größten Gott geworden, Geiz, Gier, Renditejagd hat sich in undimensionierter Weise durchgesetzt.
epd: Die von Ihnen Angeprangerten scheinen davon nicht abzulassen.
Beckstein: Es war eine Degeneration, Reichtum auf Kontostände zu verengen. Der Mensch hat Vorrang vor der Rendite. Ich kenne Persönlichkeiten, die Hunderte von Millionen gescheffelt haben und arme Teufel sind, wenn die Einsamkeit sie umgibt. Ich brauche nicht jeden Tag auf mein Konto schauen. Es sind die menschlichen Beziehungen, die uns reich machen. Das erlebe ich jetzt auch wieder deutlicher, seit ich mehr Zeit habe. Der Verlust meines Amts war erst eine höchst schmerzliche Erfahrung, doch ich habe mir vorgenommen, nicht mehr zurückzuschauen. Jetzt bin ich wieder in meiner Kanzlei tätig, kann ein Buch lesen und habe am Sonntag Zeit.
epd: Ist Christsein für Sie wichtiger als Parteipolitiker zu sein?
Beckstein: Als Innenminister und danach habe ich versucht, als Christ zu leben. Das vor sich herzutragen wie in Amerika scheint mir peinlich. Insoweit hat sich nichts geändert. Statt jeden Tag mit harten Botschaften in den Medien zu dominieren, interessieren mich jetzt mehr die Werte. Das, was dahinter steckt. Diese Seite wird man von mir stärker zur Kenntnis nehmen müssen.
Q: epd vom 25. Mai 2009