Der Deutsche Evangelische Kirchentag 2009 wird überschattet von der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, erwartet von dem Christentreffen in Bremen klare Forderungen für ein nachhaltiges Wirtschaften. Mit dem Berliner Bischof, der selbst aus der Kirchentagsbewegung kommt und 1985 Präsident des Düsseldorfer Kirchentags war, sprachen die epd-Redakteure Karsten Frerichs und Thomas Schiller. – epd: Ab dem 20. Mai trifft sich in Bremen der Evangelische Kirchentag. Was erwarten Sie von dem Treffen? – Huber: Ich hoffe… darauf, dass das ein großes Fest des Glaubens wird – mit einer besonderen Prägung durch die Weltoffenheit und die vielfältige Liberalität Bremens. Ich hoffe auch auf eine Zeitansage angesichts der herausfordernden Probleme der Gegenwart und der Notwendigkeit, Globalisierung neu zu verstehen und sich mit der wirtschaftlichen Entwicklung und ihren gravierenden Auswirkungen auf die Menschen auseinanderzusetzen.
epd: Der Kirchentag wird überschattet von der Wirtschafts- und Finanzkrise. Welche neuen Denkansätze kann ein Kirchentag liefern?
Huber: Der Kirchentag an sich wird ein großes Signal dafür sein, dass Menschen bereit und entschlossen sind, sich einzubringen. Sie wollen nicht nur Opfer der globalen Entwicklung sein, sondern selbst das Wort ergreifen. Der Kirchentag wird, so hoffe ich, ein Signal für eine Beteiligungsgesellschaft setzen.
epd: Welches Gesellschaftsbild soll er vermitteln?
Huber: Dieser Kirchentag soll mit Nachdruck einfordern, dass alles, was wir tun, den Kriterien der Nachhaltigkeit genügen muss. Reparaturen an der gegenwärtigen Situation reichen nicht. Nötig sind Weichenstellungen hin zu grundlegenden Veränderungen, die wir gegenüber unseren Kindern verantworten können.
epd: Der Wortschatz der Globalisierungskritiker – etwa Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, erneuerbare Energien – hat inzwischen Einzug in das Vokabular der Spitzenpolitiker gehalten. Hat sich die Politik diese Wörter nur ausgeliehen oder auch die dahinter stehenden Gedanken?
Huber: Es besteht Grund zur Hoffnung. Denn in der Politik gibt es verantwortliche Personen, denen Nachhaltigkeit ein zentrales Anliegen ist. Bis in die Beschlüsse des G-20-Gipfels hinein spielen die Gesichtspunkte der Armutsbekämpfung und der Nachhaltigkeit eine Rolle. Die Ankündigungen des Londoner Gipfels müssen aber nun auch in Regierungsentscheidungen umgesetzt werden. Es darf nicht nur bei einer Charta für eine nachhaltige Marktwirtschaft bleiben, es muss auch zu Strukturen einer nachhaltigen Marktwirtschaft kommen.
epd: Was kann in diesem Zusammenhang die besondere Stimme der Kirche sein?
Huber: Unsere Kirche tritt dafür ein, dass auch in einer solch schwierigen Situation das Reden über die soziale Verantwortung wichtiger bleibt als das Reden von sozialen Unruhen, so ernst man die Betroffenheit der Menschen auch nehmen muss. Wir wollen mit unserer Stimme die Solidarität stärken in einer Situation, die viele Züge von Entsolidarisierung trägt. Das weitere Auseinanderklaffen von Armut und Reichtum in unserer Gesellschaft wollen wir nicht hinnehmen; sondern wir drängen darauf, dass Gerechtigkeit ein verpflichtender Maßstab bleibt.
epd: Was empfinden Sie, wenn zur Rettung von Banken schnell Milliarden zur Hand sind, während für den Sozialstaat um wesentlich geringere Beträge gestritten wird?
Huber: Dass der Zusammenbruch einer großen Bank eine besondere Sogkraft entwickelt und weite wirtschaftliche Bereiche in einen verheerenden Strudel zieht, haben wir gerade erlebt. Deshalb ist politisches Eingreifen in solchen Fällen notwendig; es verdient unseren Dank und unseren Respekt. Trotzdem wühlt es mich innerlich auf, dass bei systemrelevanten Banken, deren Zusammenbruch das gesamte Wirtschaftssystem bedroht, Milliarden zur Verfügung stehen, während ich gleichzeitig bei einem Besuch in einem Altenpflegeheim feststelle, dass die Menschen, die dort arbeiten, die elementarsten Formen der sozialen Wertschätzung entbehren – bis in die Tarife
hinein.
epd: Der Kirchentag wird 60 Jahre alt. Was waren die drei wichtigsten Impulse?
Huber: Wenn ich – nur – drei Impulse hervorheben darf, beginne ich erstens mit der Verantwortung der Christen für die gemeinsame Zukunft unseres Landes und die Zusammengehörigkeit der Deutschen. Der Kirchentag 1954 in Leipzig war dafür eine großartige Manifestation. Das war der letzte gesamtdeutsche Kirchentag in einer DDR-Stadt vor dem Mauerbau. Zweitens nenne ich den Aufbruch zu neuen Formen christlicher Frömmigkeit – das fängt an in den 70er Jahren, zum Beispiel 1975 in Frankfurt. Und drittens ist mir die Zuwendung zu den gesellschaftlichen Herausforderungen wichtig, das unbequeme Wort, das
Nein ohne jedes Ja. Dazu gehört das frühe Einfordern von Nachhaltigkeit unter dem Wort «Die Erde ist des Herrn» 1985 in Düsseldorf.
epd: Was waren in den 60 Jahren die größten Irrtümer der Kirchentagsbewegung?
Huber: Wir alle haben daneben gelegen in der Frage, für wie unauflösbar wir die Spaltung Europas und Deutschlands hielten. Wir haben friedenspolitische Konzepte gehabt, die ganz und gar im Bann dieser europäischen Spaltung standen. Wir waren alle überrascht vom Jahr 1989. 20 Jahre nach der friedlichen Revolution muss man zugeben, dass wir uns geirrt haben. Im Rückblick muss man sagen: glücklicherweise.
epd: Im Programm des Bremer Kirchentags sind führende deutsche Manager selten vertreten. Bedauern Sie, dass so wenige zum Gespräch bereitstehen?
Huber: Das tiefere Problem ist, dass Manager auch in anderen Bereichen der gesellschaftlichen Debatte nicht so präsent sind, wie ich es mir wünschen würde. Darum gibt es nicht genügend Erfahrungen mit ihnen im öffentlichen Disput, an die man anknüpfen könnte, wenn man sie zu Kirchentagsveranstaltungen einlädt. Wer Debatten aus den vergangenen Jahren zur Zukunft unserer Gesellschaft anschaut, sieht einen eklatanten Mangel an Beiträgen von führenden Managern. Das verbindet sich mit einem verzerrten Bild der Wirtschaft, das ganz und gar am Handeln der Manager von international tätigen Konzernen orientiert ist. Der ganze Bereich der mittelständischen, oft familiengeführten Unternehmen tritt dahinter zurück. An dieser Verzerrung der öffentlichen Wahrnehmung hat auch der Kirchentag
seinen Anteil.
epd: Ebenfalls 60 Jahre alt wird Ende Mai die Bundesrepublik. Steht der Kirchentag in Konkurrenz zu dem zeitgleichen Festprogramm in Berlin?
Huber: Konkurrenz ist ein falscher Ausdruck. Aber es ist eine außerordentliche Terminfülle in einer Woche, das kann man nicht bestreiten. Ich hoffe, dass die beiden Ereignisse sich gut ergänzen, aber auch jeweils ihre Eigenständigkeit behalten. Der Kirchentag ist nicht ein Kommentar zu 60 Jahre Grundgesetz. Er ist aber eine Gelegenheit, bei der wir deutlich machen können, was wir als evangelische Christen in das Ethos einer freiheitlichen Demokratie einbringen: nämlich die Grundposition einer verantworteten Freiheit, die dadurch Gestalt gewinnt, dass man füreinander und für das Gemeinwesen einsteht.
Quelle: (epd)