Die Mehrheit der evangelischen Christen in Deutschland ist glaubensfester als gemeinhin angenommen und der Stellenwert von Religion bei den meisten nach wie vor hoch. Dies gilt auch für die nachwachsenden Generationen. Gleichzeitig ist die öffentliche gezeigte religiöse Praxis unter den Protestanten hierzulande relativ gering ausgeprägt, ebenso wie ihr Bekennertum und Missionseifer. Zu diesem Fazit kommt der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh im Vorfeld des in dieser Woche beginnenden evangelischen Kirchentages in Bremen. Danach können von den 25 Millionen… Mitgliedern der evangelischen Kirchen 80% als religiös eingestuft werden, 14% davon sogar als ausgesprochen hochreligiös. Nur knapp jedes fünfte Mitglied ist dagegen gar nicht religiös. Vier von fünf evangelische Christen beschäftigen sich regelmäßig mit religiösen Fragen oder wünschen sich mehr Information dazu. Ebenfalls 80% pflegen wenigsten gelegentlich das Gebet, jeder Dritte sogar mehrmals in der Woche.
Ebenfalls jeder Dritte beschreibt dabei die Vorstellung von Gott als einem persönlichen Gegenüber, zu dem er sprechen kann, der sich persönlich mit den Menschen befasst und in ihr Leben eingreift. Das Gottesbild der meisten Protestanten ist dabei durchweg positiv: Am häufigsten verbinden sie mit ihm Hoffnung, Dankbarkeit, Geborgenheit und Liebe. Nur eine verschwindende Minderheit assoziiert dabei Vorstellungen wie Zorn, Schuld oder böse Mächte. Zu übersinnlichen oder okkulten Vorstellungen neigen sie dabei nur wenig. 90% lehnt die Vorstellung von Dämonen ab, Dreiviertel auch Astrologie oder den Glauben an übersinnliche Kräfte. Lediglich an Engel glaubt jeder Zweite.
Der regelmäßige Kirchgang und die Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen sind dagegen unter evangelischen Christen nur gering ausgeprägt. Der Religionsmonitor bestätigt dabei die Ergebnisse langjähriger Mitgliedschaftsuntersuchungen der EKD. Nur ein harter Kern von cirka 6% nimmt einmal in der Woche an einem Gottesdienst teil, jeder fünfte etwa einmal im Monat, die Hälfte aber allenfalls einmal im Jahr oder noch weniger. Allerdings verstehen sich evangelische Christen hierzulande auch als Christen im Alltag.
Eine übergroße Mehrheit erklärt, dass ihr Glaube Auswirkungen auf ihren Umgang mit der Natur, dem Partner, bei der Kindererziehung, vor allem aber bei der Suche nach dem Sinn des Lebens oder wichtigen Ereignissen wie Geburt, Taufen, Hochzeit und Tod habe. 87% erklären sie bemühe sich in ihren Leben unter allen Umständen Gesetz und Ordnung zu respektieren eine große Mehrheit, 75% machen sich häufiger Gedanken um Leid und Elend in der Welt, und jeder Vierte orientiert sich dabei explizit an den christlichen Geboten.
Dabei ist der Stellenwert von Religion in den verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich ausgeprägt. So können unter den evangelischen Christen über 60 Jahren über 83% als religiös eingestuft werden, bei den Jüngeren unter 30 Jahren beträgt der Anteil der Religiösen immerhin noch 67%, allerdings ist hier der Anteil der Hochreligiösen deutlich geringer. Von den Jüngeren erklärt zum Beispiel aber mehr als die Hälfte, dass sie regelmäßig betet.
Besonders ausgeprägt ist die Toleranz deutscher Protestanten in religiösen Dingen. Zugleich ist der Missionsauftrag nur schwach ausgeprägt. Nicht einmal jeder Zehnte stimmt der Aussage zu: „Ich versuche möglichst viele Menschen für meine Religion zu gewinnen.“ Dreiviertel lehnen dies für sich klar ab. Nur jeder fünfte ist bereit, für seine Religion auch große Opfer zu bringen. Eine große Mehrheit meint dagegen, dass jede Religion einen wahren Kern habe. Weniger als 10% der Protestanten ist der Überzeugung, dass vor allem die eigene Religion Recht habe und das vor allem die eigene Religion zum Heil führe.
Ein positives Fazit der Erkenntnisse des Religionsmonitors zieht der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Bischof Wolfgang Huber: „Es versteht sich keineswegs von selbst, dass moderne Gesellschaften säkularisiert sind. Modernität ist keineswegs automatisch mit einer abnehmenden Bedeutung von Glauben und Religion für das persönliche und öffentliche Leben verbunden.“ Andererseits sieht er die Bindung an kirchliche Verhaltensweisen wie auch an die Riten persönlicher Frömmigkeit bei Protestanten schwächer ausgebildet als etwa bei Katholiken: „Die Stärke des Protestantismus in der Betonung von Individualität und Mündigkeit hat als Kehrseite, dass ihm die Weitergabe von Traditionen schwerer fällt.“
Als Konsequenz aus den Erkenntnissen des Religionsmonitors für die Kirche sieht Bischof Huber insbesondere zwei Aspekte. Wegen des großen Interesses in Glaubensfragen sollten die Kirchen unbedingt ihre Bildungsangebote in allen Dimensionen von der Schule bis zur Erwachsenenbildung stärken. Als zweiten Bereich sieht er die Verbesserung in der Qualität von Gottesdiensten und kirchlichen Veranstaltungen. Auch Menschen, die den Sonntagsgottesdiensten distanziert gegenüberstünden, begegneten der Kirche nicht nur bei Taufen, Trauungen und Beerdigungen sondern auch in wachsenden Zahlen bei großen Anlässen und Feiertagen.
epd v. 18.05.2009