ERINNERUNG: Wie Wolfgang Schäuble die Kirchensteuer rettete

mauerfall-monateNoch sind nicht alle Wendegeschichten erzählt worden. Etwa die von der Kirchensteuer. Im Sommer 1990 kam Heinz-Georg Binder, der Bevollmächtigte der evangelischen Kirche bei der Bundesregierung, zum damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble und beschwor ihn, die Kirchensteuer in den Einigungsvertrag aufzunehmen. Die östlichen Kirchen sprächen sich alle dagegen aus, aber sie wüssten nicht, wie abhängig sie von Kirchensteuergeldern seien. Ein peinliches Thema, das die Kirchen im Osten leicht beschämen kann: sich ahnungslos Gedanken gemacht zu haben über neue Formen… der Kirchenfinanzierung. Eigentlich konnte auch Schäuble nichts machen, denn Steuern sind Ländersache. Doch Binder und er machten eine Lücke aus: Noch gab es im Osten keine Bundesländer. Die DDR hatten sie abgeschafft und das Land in Bezirke und Kreise eingeteilt. Nur in den Namen der Landeskirchen waren sie präsent geblieben. Erst am 14. Oktober 1990 wurden sie wieder gegründet. Und nur deshalb konnten die beiden Staaten im Einigungsvertrag vom 3. Oktober die Kirchensteuer festschreiben und den Ländern eine Vorgabe machen. „Übergestülpt“, sagt Schäuble, „aber zum Wohl der Menschen.“ Jürgen Schmude, der zur Wendezeit das Präsesamt in der EKD-Synode innehatte, erzählt die Geschichte aus der Sicht der Kirchen im Osten: Sie hätten sich mit Kirchensteuer, Religionsunterricht und Militärseelsorge schwergetan, aber schließlich alle drei übernommen.

Schäuble, heute erneut Innenminister, ist souverän genug, die Geschichte zu erzählen. Und Katrin Göring-Eckardt, die grüne Bundestagsvizepräsidentin aus Friedrichroda und neue Präses der EKD-Synode, ist souverän genug, sie sich anzuhören und nichts zu verteidigen. Und sie zerstört selbst Mythen von Errungenschaften aus der DDR, die zu bewahren sich gelohnt hätte, etwa die Kinderbetreuung: „Ich hätte mein Kind nicht in eine DDR-Kindertagesstätte geschickt“, sagt sie, nicht nur wegen der Indoktrination, sondern auch wegen der standardmäßigen Abfertigung. Sie verwahrt sich auch gegen die Polemik, DDR-Bewohner hätten nur die D-Mark gemeint, als sie für die Einheit stimmten: „Die D-Mark hatte auch etwas mit Freiheit zu tun.“ Sie selbst hat als Jugendliche Geldgeschenke aus dem Westen gespart. Als Rentnerin, wenn sich die Grenze nach Westen endlich öffnen würde, wollte sie einmal nach New York fliegen.

Schäuble lässt die Beschleunigung der Entwicklung nach der Maueröffnung, die die Politik zum Handeln zwang, Revue passieren. Göring-Eckardt weiß noch, wie sie und ihre Freunde aus den Oppositionsgruppen gebangt haben, ob die Entwicklung friedlich bleiben würde und ob sie später noch Handlungsfreiheit behalten würden. Und Jürgen Schmude wirbt um Verständnis dafür, dass die westlichen Kirchen vorsichtig und manchmal langsam agierten, um ihren ostdeutschen Partnern Handlungsmöglichkeiten offenzulassen.

Solche Geschichten sind, zusammen mit der Bereitschaft zur Selbstkritik, die starke Seite des ersten Johannes-Rau-Kolloquiums im Altenberger Dom. Die EKD hat zusammen mit ihrer rheinischen Landeskirche eingeladen. Immer öfter profiliert sie sich selber als Veranstalter. Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der EKD, der die Moderation übernommen hat, lässt die Partner berichten und die Möglichkeiten zu Kontroversen verstreichen. Wahrscheinlich hätte das Johannes Rau gefallen, der selber gern reichlich erzählte und die pädagogische und therapeutische Wirkung von Geschichten kannte. Auch fuhr er oft in die DDR und pflegte viele Freundschaften zu Christen jenseits der Grenze. Er war eine der großen evangelischen Identifikationsfiguren, eine wandelnde Gewissensentscheidung, ein evangelischer Christ in politischer Verantwortung, von 1999 bis 2004, zwei Jahre vor seinem Tod, sogar im höchsten Amt der Republik. Das gefällt Protestanten ganz besonders. Hier, in der Nähe seiner Heimatstadt Wuppertal, in einer von Protestanten und Katholiken genutzten früheren Klosterkirche, unter der goldenen Muttergottes im Strahlenkranz, ist das alles präsent. Die evangelische Kirche pflegt ihre Vorbilder. Zu Beginn hat Wolfgang Huber den drei Podiumsteilnehmern fürsorglich die Becher mit Mineralwasser gefüllt. Vor 43 Jahren wurde er hier getraut, erinnert er sich. Vor zwei Stunden stand der rheinische Präses vorn am Pult mit der Adlerfigur, das Predigtmanuskript zwischen den Flügeln. Das Reich Gottes, sagte er, muss jetzt schon erfahrbar sein, hier auf der Erde.

Katrin Göring-Eckardt spricht von den unerfüllten Hoffnungen, von den Brüchen, die sich bis heute durch das Leben ostdeutscher Bürger wie der Kirchen ziehen. Sie ist überzeugt, dass Religionsunterricht nötig ist, allein schon um die Kultur zu verstehen, die die Bundesbürger umgibt. Ihr Mann, ein Pfarrer, der ihn erteilen müsste, weigert sich praktisch, weil er sich die Beziehung zwischen Staat und Kirche anders vorstellt. Als Schäuble sich von den Kirchen mehr Zuversicht wünscht und Zuhörer nach Mitgliederschwund der Kirchen im Osten fragen, wird sie nachdenklich. In der DDR sei es eine „echte Entscheidung“ gewesen, zur Kirche zu gehören.

Deshalb, vermutet sie, sind die Gemeinden nach der Wende unter sich geblieben und haben es bis heute nicht geschafft, auch die halb Überzeugten und Distanzierten aufzunehmen. „Wir müssten sagen können: Wir machen die Tür sperrangelweit auf“, meint sie. Keiner der Leute auf dem Podium kann die niedrige Beteiligung an freien Wahlen verstehen, nachdem die Menschen in der DDR gerade für diese Freiheit gekämpft haben. Aber auch da bleibt die Frau aus Thüringen selbstkritisch: „Wir Politiker könnten etwas mehr Begeisterung für Demokratie ausstrahlen.“

Q: Rheinischer Merkur vom 18.06.2009