Der Tisch im Kircheninnern ist geschmückt mit Prospekten, Luftpumpen und Radschläuchen. Während auf dem Vorplatz der Hördener evangelischen Kirche bei Gaggenau (Landkreis Rastatt) eine Radlergruppe unter schattenspendenden Platanen die Wegstrecke bespricht, hält Peter Weinmacher innen auf einer der Kirchenbänke inne. „Ein idealer Platz zum Ausruhen und Auftanken“, meint der 64-Jährige Radler aus Landau. Radfahrerkirchen sind immer mehr im Kommen, die meisten liegen in Sachsen und Thüringen. Die vermutlich deutschlandweit erste Radlerkapelle öffnete 2001 im thüringischen Reinhardsbrunn… bei Gotha, eine zweite folgte kurze Zeit später im Landkreis Weimarer Land. In Sachsen können Radler außer in Wehlen auch in Weßnitz bei Torgau und in Diehsa bei Niesky Rast machen, eine gibt es in Vorpommern. Seit 2005 wächst auch die Zahl in den alten Bundesländern mit Orten in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern an.
Klein und fast unscheinbar am Wegesrand liegt das 53-jährige Kirchlein im badischen Hörden, einem Ortsteil von Gaggenau. Für Radfahrer, die gerade zwischen Rastatt und Freudenstadt an der Murg entlang strampeln, allerdings ein idealer Rastplatz. „Wer hier vorbeifährt und eine Pause machen will, hat genügend Zeit, sich Luft für Leib und Seele zu holen“, sagt Pfarrer Thomas Weiß.
Weiß ist selbst ein „leidenschaftlicher Radrennfahrer“, erzählt der Theologe, der die erste Radfahrerkirche in Baden vor drei Jahren initiiert hat. „Das gehört zu unserem City-Kirchenkonzept“, sagt Weiß. Die Kirche bewege sich auf die Menschen zu und „holt sie dort ab, wo sie in ihrer Freizeit unterwegs sind“. Die „Kirche am Weg“, so Weiß, soll spirituelle Einkehr und praktischen Service bieten. Ein Radsport-Unternehmen stellt kostenlos oder gegen eine Spende die nötigsten Biker-Ersatzteile zur Verfügung.
„Ich will keine geschlossenen, sondern offene Kirchen“, sagt Weiß. Jahrzehntelang sei die Hördener Kirche nur zu den sonntäglichen Gottesdiensten geöffnet gewesen, jetzt kann man über die Sommermonate hinweg jeden Tag einkehren. Etwa 800 Menschen pro Saison besuchen sie und nutzen das Angebot auf verschiedene Weise. Sie hat eine große regionale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Damit habe die Kirchengemeinde Gaggenau in der Öffentlichkeit einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. In den Betreuerteams konnten Menschen in das Gemeindeleben eingebunden werden, deren Hauptinteresse im sportlichen Bereich liege.
Unsere Gemeinde erlebt so eine „offene und öffentliche Kirche“, etwa beim Radler-Café oder im „Gottesdienst für Radler und andere Christen“. Da begegneten Gemeindeglieder anderen Menschen, die sie sonst eher nicht treffen. Kaum ein Gemeindemitglied habe jetzt noch wie zu Beginn der Idee Angst davor, „ihre Kirche“ an „Außenstehende“ zu verlieren. Auch die Rückmeldungen der Teilnehmenden und Mitarbeitenden vor Ort im Gästebuch seien durchweg positiv, die Mehrzahl der Besucher komme gar aus kirchenfernen Milieus.
„Nur gute“ Erfahrungen mit dieser Idee hat auch die evangelische Kirchengemeinde Möhringen bei Tuttlingen (Schwarzwald-Baar-Kreis) gemacht. Vor vier Jahren öffnete dort mit der Kreuzkirche die erste württembergische Radfahrerkirche direkt am Donauradwanderweg. „Täglich halten hier rund 50 Radfahrer“, die Saison startet dieses Jahr offiziell mit einem Familiengottesdienst am 14. Juni und geht bis 2. August, erzählt Gemeindepfarrerin Stefanie Schlimper. Jedes Wochenende biete eine Gruppe Ehrenamtlicher aus der Gemeinde Essen und Trinken an.
„Viele machen hier Halt, sind neugierig und interessiert und finden es klasse, dass es so etwas von der Kirche gibt“, sagt Schlimper. Eine kleine Kalligraphie-Ausstellung im Foyer der Kreuzkirche soll die kurze Saison begleiten. „Leider haben wir nach dem 2. August keine ehrenamtlichen Helfer mehr, die bewirten könnten“, erklärt Schlimper das frühe Saisonende schon zu Beginn der Sommerferien. Am 12. Juli kommt es zum ersten offiziellen Begegnungstreffen beider Radfahrerkirchen, wenn in Möhringen Pfarrer Thomas Weiß und Pfarrer Ulf Schlimper, der sich die Möhringer Pfarrstelle mit seiner Frau teilt, zum gemeinsamen Gottesdienst einladen.
Das Programm der badischen Radfahrerkirche wurde dieses Jahr gemeinsam mit dem ADFC am 10. Juni mit der Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit“ eröffnet. Am 20. Juni findet die traditionelle Tour de Murg statt, gemeinsam veranstaltet mit Arbeitskreis Tourismus und ADFC, am 11. und 12. Juli folgt die etwa 270 km lange und zweitägige Rennradtour von der Hördener Kirche zur Radfahrerkirche in Möhringen. Der „Gottesdienst für Radler und andere Christen“ wird am 26. Juli, 10.15 Uhr, unter dem Titel „Kette rechts“ gefeiert.
Im Internet ist derzeit nur die seit Mai jeden Tag geöffnete badische Radfahrerkirche unter www.radfahrerkirche-hoerden.de zu erreichen, in Württemberg streikt gerade die Technik. Weitere Informationen gibt es deshalb beim evangelischen Pfarramt, Am Mühlweg 16, in Tuttlingen-Möhringen und unter der Telefonnummer 07461/75467. Die badische Kirche hat täglich von zehn bis 17 Uhr geöffnet, die württembergische jedes Wochenende.
Q: epd (Juni 2009)