Finanzen: Kirchen warnen vor einem »Weiter so«

weitersoIn Krisenzeiten hätten die Kirchen Konjunktur, heißt es landläufig. Wenn Sicherheiten wegbrechen und Vertrauen abhanden kommt, wie in der aktuellen und in ihrem historischen Ausmaß kaum gekannten Wirtschaftskrise, so die Hoffnung, könne von dort Orientierung kommen. In den vergangenen Monaten haben die Kirchen zunächst im Chor mit anderen gewettert – gegen Abzockermentalität, Gier, Maßlosigkeit und exzessive Rendite-Ziele. In den Predigten von Pfarrern und Bischöfen zu Weihnachten und Ostern finden sich reichlich Beispiele für Empörung, die kaum im Kalkül hat, welche Rezepte wirklich helfen. Nun präsentiert… die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) einen Text, der die weit verbreitete Verunsicherung aufgreift, es aber nicht bei Ursachenforschung, Schuldzuweisungen oder wohlfeilen Rezepten belässt. Römische Antworten auf die Finanzmarktkrise werden von der neuen Sozialenzyklika des Papstes erwartet, die unmittelbar vor dem G-8-Gipfel am nächsten Dienstag veröffentlicht wird.

Leiten lässt sich die EKD von der Frage, welcher Geist Politiker, Wirtschaftsmanager und Banker, aber auch jeden Einzelnen leiten soll, wenn es kurzfristig um Stabilisierung, mittelfristige um Reparatur und langfristig um Reformen geht. Angesichts des Risses in der Mauer, deren Einsturz beim Weiter so droht, wird in dem Dokument in Anlehnung an ein biblisches Jesaja-Wort zu Umkehr gemahnt.

Neuorientierung am globalen Gemeinwohl, also eine zukunftsfähige Wirtschaftsweise ist ein Grundtenor der kirchlichen Rats. Dieses Plädoyer für ein um Respekt für die Natur und Solidarität mit den Ärmsten erweitertes Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ist nicht neu und knüpft an früheren wirtschaftsethischen Positionen an wie das gemeinsame Sozialwort der Kirchen von 1997.

Doch dezidierter als bisher mahnt die evangelische Kirche: Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Mit diesem Schlüsselsatz in dem knapp gehaltenen Kirchenwort, das in einem kleinen Kreis von Ratsmitgliedern und Fachleuten entstanden ist, drängt die EKD auf eine ethische Neubesinnung zugunsten des Gemeinwohls.

Auch die Wirtschaft lebt von Voraussetzungen, die sie nicht selbst erzeugen kann, lautet die unmissverständliche Mahnung. Verzicht auf Wachstum ist nicht nur von Nachteil, lässt sich aus dem Verständnis für geringere wirtschaftliche Zuwächse folgern.

Adressat sind in dem EKD-Dokument nicht nur Politiker, die für eine strenge Regulierung der Finanzmärkte und wirksame Kontrolle sorgen sollen. Ethische Maßstäbe, die das Streben nach dem »schnellen Geld« dem Gemeinwohl unterordnen, fordert das Kirchenwort auch den Wirtschaftslenkern und jedem Einzelnen ab.

Damit wird angeknüpft an die Wirtschafts-Denkschrift von 1991, in der die Spannung von Gemeinwohl und Eigennutz im Mittepunkt stand, an die Armuts-Denkschrift von 2006 sowie der Stellungnahme zum Unternehmer-Ethos von 2007.

Klarer als in der Vergangenheit benennt die evangelische Kirche die Blindheit der Wirtschaftstheorie. Deren Modell, wonach die Summe der Einzelinteressen ohne moralische Pflichten automatisch das Gemeinwohl befördert, habe die Krise widerlegt. Vielmehr zeige der Kollaps der Finanzmärkte, dass solche idealen Märkte Fiktion seien.

Eine auf Freiheit basierte Wirtschaftsordnung sei darauf angewiesen, dass für Transparenz, Verantwortung und Haftung gesorgt und Missbrauch verhindert wird, verlangt die EKD.

Q: epd vom 3.7.2009