Sozial-Enzyklika: Papst zeigt skrupellosen Kapitalisten die Rote Karte

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Pünktlich zum Treffen der wichtigsten Industrienationen beim G-8-Gipfel in L’Aquila hat Papst Benedikt XVI. seine Ideen für eine Überwindung der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise vorgelegt. In der nach dem Ausbruch der Krise eigens überarbeiteten dritten Enzyklika »caritas in veritate« (Liebe in Wahrheit) erteilt er dem Wildwuchs des Kapitalismus nach dem Ende des Kalten Krieges eine herbe Absage. »Um die Weltwirtschaft zu steuern, die von der Krise betroffenen Wirtschaften zu sanieren, einer Verschlimmerung der Krise und sich daraus ergebenden Ungleichgewichten vorzubeugen, ist das Vorhandensein einer… echten politischen Weltautorität dringend nötig«, schreibt er in seiner Sozialenzyklika.

Nur eine mit weit mehr Macht als die Vereinten Nationen ausgestattete Institution könne »vollständige Abrüstung verwirklichen, Sicherheit und Frieden nähren, Umweltschutz gewährleisten und Migrationsströme regulieren«, so das katholische Kirchenoberhaupt.

»Krise ist Chance für radikalen Neuanfang«

Die weltweite Krise sieht der Papst als Chance für einen radikalen Neuanfang. Den noch von seinem Vorgänger in dessen Sozialenzyklika »Centesimus Annus« 1991 propagierten Glauben an einen sich selbst regulierenden Markt sieht er durch die Krise in Misskredit gebracht. Ein allein auf Profit basierendes Wirtschaften gefährdet Benedikt zufolge das Wohl der Menschen.

Der Konjunktureinbruch zeigt nach Auffassung des ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation, dass Markt und Staat eng miteinander verbunden sein müssen. Ohne staatliche Regulierung verliert die Wirtschaft demnach ihre auf das Wohl des Menschen auszurichtende Funktion aus den Augen.

Spekulative Geschäfte treiben Millionen in Arbeitslosigkeit und Hunger

Im Interesse von Hauptaktionären, »bei denen es sich normalerweise um anonyme Fonds handelt«, drohen auf spekulative Geschäfte zielende Märkte Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit und Hunger zu treiben.

Jenseits der Gründung einer der bestehenden internationalen Organisationen übergeordneten Instanz fordert der Papst in seiner seit mehr als einem Jahr mit Spannung erwarteten Enzyklika eine »Erneuerung der Strukturen« des Finanzmarkts.

Nicht lösgelöst von den Interessen der Menschen handeln

Weder Finanzjongleure noch Unternehmer hätten das Recht, losgelöst von den Interessen anderer Menschen zu handeln. In diesem Zusammenhang sieht der Papst auch die mangelnde Anerkennung der Rechte von Arbeitskräften in Ländern, in die Industrienationen zunehmend ihre Produktion auslagern.

Arbeitsmigranten dürften darüber hinaus nicht als Ware behandelt, sondern müssten in ihrer unveräußerlichen Würde respektiert werden.

Den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellen

Nach Jahren der Vergötterung des Markts muss nach den Worten des Papstes wieder der Mensch in den Mittelpunkt von Wirtschaft und Gesellschaft gestellt werden. Dabei wendet er erneut eine der Hauptthesen seines Pontifikats, nach der ganzheitliche Entwicklung des Menschen ohne Gottesglauben nicht möglich ist, erneut auch auf kirchliche Einrichtungen an.

Wenn er eine Reduzierung kirchlicher Aktivitäten auf Sozialeinrichtungen beklagt, erneuert er die bereits in seiner ersten Enzyklika »Deus caritas est« geäußerte Kritik an katholischen Entwicklungshelfern, die auf Missionierung verzichten.

Anfällig für Missbrauch

Was in den Augen des Papstes für die Macht des Marktes gilt, wendet er auch auf moderne Technologien an. Ohne ethische Grundlage könnten diese allein das Leben der Menschen nicht verbessern, sondern seien anfällig für Missbrauch.

Wie in der Wirtschaft ist Ethik dem Papst zufolge heute auch vermehrt bei Umweltschutz und Energiepolitik gefordert. Industriestaaten behinderten die Entwicklung armer Länder, indem sie nicht erneuerbare Energiequellen aufkauften.

Rote Karte für Kapitalisten, aber auch Umweltschützer

Ökologen wirft er vor, die Natur zu Unrecht über den Menschen zu stellen. Damit zeigt Benedikt sowohl skrupellosen Spekulanten und Kapitalisten als auch Umweltschützern die Rote Karte, für die Bäume wichtiger als Menschen sind.

Bundeskanzlerin begrüßt die Enzyklika

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die neue Sozialenzyklika begrüßt. Diese sei ein »wichtiger Schub« und »eine Ermutigung, vor dem G-8-Gipfel für eine sozial verantwortliche Welt einzutreten«, sagte Merkel in Berlin.

»Sie ist für uns eine Bestärkung, mit der G-20 eine neue Ordnung zu schaffen«, sagte die Kanzlerin. Zudem sei das päpstliche Rundschreiben »ein wichtiger Hinweis, sich für die soziale Marktwirtschaft global einzusetzen«.

epd vom 07.07.2009