Yogeshwar: Journalismus oft schnell und dreckig

Gegen einen „Fast-and-Dirty“-Journalismus hat sich der TV-Wissenschaftsexperte Ranga Yogeshwar ausgesprochen. Beim Berliner Medien-Diskurs der Konrad-Adenauer-Stiftung am 27. Juni 2011 in Berlin sagte er, die Berichterstattung über Fukushima habe gezeigt, dass deutsche Medien oft schlecht recherchierten und Risiken… übertrieben darstellten.

Schnell und dreckig – so gehe es in vielen deutschen Redaktionen zu, erklärte Yogeshwar und begründete dies mit seiner Wahrnehmung der Fukushima-Berichterstattung. So sei das Unglück etwa zu Unrecht immer wieder mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl verglichen worden. Bei Letzterem sei bis heute unklar, wie viel Radioaktivität aus dem Reaktor entwichen sei. Bei Fukushima sei es in jedem Fall wesentlich weniger gewesen. Natürlich könnten besonders TV-Journalisten das aufgrund des verheerend wirkenden Bildmaterials nur schwerlich erklären. Besonders im Fernsehen herrsche die „Macht der Bilder“ – und der könnten sich weder Redakteure noch Zuschauer entziehen.

Deutsche sorgen sich mehr um Reaktor als Japaner

Dennoch steht für Yogeshwar fest, dass sich eine Vielzahl von Journalisten vor der Berichterstattung nicht ausführlich mit dem Thema beschäftigt habe. Wie sonst könne es geschehen, dass Schlagzeilen, wie „Hochgefährliches Plutonium rund um Fukushima entdeckt“ geschrieben würden, wenn die Internationale Atomenergiebehörde längst öffentlich erklärt habe, dass nur ein winziger Teil dieses giftigen Stoffs tatsächlich aus dem Reaktor stamme. Yogeshwar stellte bei Katastrophen zudem eine Interessenhalbwertszeit von ein bis zwei Wochen fest. Danach fielen Internetzugriffszahlen auf Artikel eines Themas wie Fukushima rasant ab. Beachtlich: In Deutschland wurde mehr über Fukushima berichtet und gelesen als im Rest der Welt. Selbst in Japan sei die mediale Sorge um Land und Leute nicht so groß gewesen wie in der Bundesrepublik. In den USA und Frankreich sei zwar auch viel über das Unglück berichtet worden – hier hätten sich die Medien aber eher auf den Tsunami denn auf das Reaktorunglück konzentriert. Yogeshwar erklärte das durch eine traumatöse Tschernobyl-Prägung der Deutschen. Bestätigt sieht er dies durch einen Vergleich ost- und westdeutscher Leserzugriffe auf Artikel über Fukushima. Im Osten ist der Wissensdurst diesbezüglich deutlich geringer – „weil Tschernobyl damals in ostdeutschen Medien nicht stattfand“, lautet Yogeshwars These.

Auch der Politikwissenschaftler Hans Kepplinger mahnte, in Deutschland gebe es keine objektive Berichterstattung über vermeintliche Katastrophen wie den EHEC-Ausbruch, die Vogelgrippe oder eben Fukushima. So seien etwa an der Vogelgrippe weltweit nur 323 Menschen gestorben – gerade in Deutschland seien aber tausende Artikel publiziert worden. Dabei gelte: Wer ein Risiko objektiv einschätzen wolle, benötige dafür Informationen zum erwarteten Ausmaß des Schadens und der Häufigkeit des Auftretens. Beides komme in deutschen Medien zu kurz. So seien etwa nur 0,003 Prozent der deutschen Rinder positiv auf BSE getestet worden, es seien aber 487 Beiträge in „Bild“, „Spiegel“ und anderen großen Medien erschienen, die noch dazu „nahezu nie die Informationen gebracht haben, die ihre Leser für eine rationale Einschätzung der Lage gebraucht hätten“. Die Medien-Dramaturgie verlaufe immer nach demselben Schema: Langsames Steigern der Berichterstattung, der Skandal als Höhepunkt und schließlich folge relativ bald das Verschwinden des Themas.

Kepplinger mahnte, Journalisten sollten passive Beobachter sein. Er nehme jedoch eine gezielte Stimmungsmache wahr, vor allem bei der Gerichtsberichterstattung, was er am Fall Kachelmann veranschaulichte. Auch im Vorfeld von Protesten, etwa gegen den Castortransport, würde das Publikum über die Medien bestens über das „was, wann, wie, wo“ des Geschehens informiert – damit erleichtere die Presse den Lesern und Zuschauern die Teilnahme. Der Politikwissenschaftler beobachtet außerdem: „Je entschiedener die Medien etwa die Kernenergie ablehnen, desto stärker kündigen sie Proteste an.“ Zwar sei die Qualität deutscher Medien im internationalen Vergleich „hervorragend“, wenn es aber um „Bedrohungen“ gehe, tendierten sie zur Dramatisierung und „rufen Phantomängste hervor“. Das könne zum Teil dramatische Folgen haben. Die BSE-Krise zum Beispiel habe 13.000 Menschen arbeitslos gemacht und dafür gesorgt, dass tausende Rinder notgeschlachtet werden mussten. Auch deshalb forderte Kepplinger Forschungsgelder für die nachträgliche Analyse der TV-Berichterstattung über Katastrophen.

„Das Internet sagt uns, ob wir Unsinn schreiben“

Eine Lanze für den deutschen Journalismus brach der Chefredakteur des Berliner „Tagesspiegels“, Stephan-Andreas Casdorff. In Zeiten des Web 2.0 sei der Journalismus einer zusätzlichen Qualitätskontrolle ausgesetzt, die Panikmache vermeide. „Das Internet sagt uns, ob wir Unsinn schreiben“, erklärte er im Hinblick auf die Kommentarfunktion vieler Nachrichtenseiten. Auch deshalb sei die Herausforderung, guten Journalismus zu bieten, viel größer geworden. Im Falle Fukushima hätten die Berichterstatter vor erheblichen Problemen gestanden: Es habe nur vereinzelt Korrespondenten und Informanten in Japan gegeben. Die Berichterstattung seiner Zeitung sei trotz allen Aufruhrs zurückhaltend geblieben. Für übertrieben habe er das Medieninteresse aber ohnehin nicht gehalten – schließlich habe Fukushima sogar eine innenpolitische Komplettwende ausgelöst und selbst die Kanzlerin sei mit den Worten zitiert worden: „Fukushima hat alles geändert.“

cma | 27.06.2011