Evangelischer Christ: Unternehmer Heinz-Horst Deichmann wird 85

Heinz-Horst Deichmann ist vielleicht einer der ungewöhnlichsten Unternehmer unserer Zeit: An der Spitze einer weltweit bekannten Firma erwirtschaftet er Milliardenumsätze. Durch seine Stiftung „Wort und Tat“ bekommen über 117.000 Menschen in Indien, Tansania, Moldawien und Griechenland dringend benötigte Hilfe… Kaum etwas liegt ihm so sehr am Herzen wie das Wohl seiner rund 30.000 Mitarbeiter. Und bei all dem macht er sich gar nicht viel aus Luxus. „Ich besitze keine Jacht und keinen Sportwagen oder so etwas Überflüssiges. Wenn ich reiten will, miete ich ein Pferd. Ich gehe gern Skilaufen und Bergsteigen. Das kostet nicht viel Geld.“

Aber nicht nur der Lebensstil des nun 85-jährigen ist ungewöhnlich. Auch sein Lebenslauf mutet nicht so an, wie man es von einem der führenden Schuhhändler weltweit vermuten würde. Deichmann wird am 30. September 1926 als Sohn des Schuhmachers Heinrich Deichmann in Essen-Borbeck geboren. Man wohnt über und manchmal auch im Geschäft, weshalb der kleine Heinz-Horst oft mit seinem Kinderwagen im Schuhlager abgestellt wird. Die Verbindung zu Schuhen und Leder ist ihm damit sozusagen in die Wiege gelegt. Auch die Leidenschaft zum sozialen Engagement kommt nicht von irgendwo. Schon Vater Heinrich kümmert sich intensiv um Arme und Kranke. Die Kinder begleiten ihn oft bei Besuchsdiensten. Und durch tägliches Bibellesen am Mittagstisch lernen die Kinder die Grundlagen des Glaubens im Alltag kennen.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich Deichmann 1946 für ein Theologiestudium entscheidet.  Weil ihn aber auch die Medizin fasziniert, schreibt er sich kurzerhand auch dafür ein. Der Gedanke an eine medizinische Laufbahn verfolgt ihn schon seit seinem Einsatz als Luftwaffenhelfer an der Ostfront 1945: Im Gefecht hatte er eine schwere Verletzung und noch auf dem Schlachtfeld entschieden: „Wenn ich überlebe, will ich mein Leben der Hilfe anderer Menschen widmen.“ Arzt zu werden erscheint ihm seitdem wie eine Berufung.

Trotz der nun zwei Studiengänge treibt er das Familienprojekt „Schuhhandel“ weiter voran. Seit dem Tod des Vaters ist er mitverantwortlich. Dazwischen promoviert Deichmann; seit 1951 ist er Doktor der Medizin. Ein Jahr zuvor hatte er Ruth Fischer geheiratet. Sie unterstützt ihn, steht abends lang im Geschäft. Trotz der Kinder. Und stellt fest: „Ich bin verheiratet mit Deichmann Schuhe.“

Es geht immer weiter bergauf mit „Deichmann Schuhe“. Und auch das soziale Engagement Deichmanns nimmt immer größere Formen an. Entscheidend dafür ist eine Indienreise im Jahr 1977, weil Dr. Deichmann sehen wollte, wofür seine Spenden vor Ort genutzt werden. Er begegnet dort hunderten Leprakranken. Diese Begegnung ist ein einschneidendes Erlebnis und soll weitreichende Folgen haben. Deichmann ist tief berührt: „Im griechischen Text des Neuen Testaments heißt es von Jesus: ‚Das Herz dreht sich ihm im Leibe um.‘ Luther hat das übersetzt mit ‚Er fühlte Erbarmen.‘ Die Inder sagen: ‚compassionate love‘. So was empfand ich da. Leidenschaftliche Liebe.“

Aus dieser „leidenschaftlichen Liebe“ entsteht die Organisation „Wort und Tat“. Seit nun 30 Jahren unterstützt sie viele Hilfsprojekte in Indien und Tansania. „Wir haben angefangen, diesen Aussätzigen, den Heimatlosen, eine Heimat zu geben“, schreibt Heinz-Horst Deichmann in einem Buch über das Werk. Die Organisation liefert den Leprakranken medizinische Hilfe. Tausende  Kinder können zur Schule gehen und werden versorgt. Der Name der Stiftung sagt aus, um was es geht: Das Wort Gottes, das Evangelium, auf der einen Seite, die praktische Hilfe auf der anderen.

Auch vor der Haustür, in der eigenen Firma, ist er aktiv. Sein Grundsatz: „Gib den Kunden, was sie haben wollen. Und den Mitarbeiten auch.“ Schuhe für 19,99 Euro sind deshalb das Markenzeichen des Unternehmens. Da stellt sich allerdings die Frage: Wie geht denn das, ohne die Mitarbeiter auszubeuten? „Vertikalisierung“ gibt Herr Deichmann darauf zur Antwort. Vom Entwurf bis hin zum Verkauf im Geschäft kontrolliert und überwacht das Unternehmen alle Arbeitsschritte. Der Zwischenhandel fällt damit weg, das spart Geld. Alle Mitarbeiter müssen außerdem einem „Code of Conduct“ zustimmen. Einem ethischen Leitbild, das der Firmenphilosophie entspricht. Denn Deichmann arbeitet nach dem Prinzip: „Das Unternehmen muss den Menschen dienen.“

Und die Mitarbeiter in Deutschland? Bei seinen Eltern gehörten sie fast zur Familie. Zum heutigen Verhältnis sagt Deichmann: „Später habe ich dann leistungsbezogenen Lohn eingeführt, auch eine Geburtenprämie und die Altersversorgung für unsere Leute. Und wir unterstützen Angestellte, die in Not geraten.“

Der „Focus“ fragte den Schuh-Mogul einmal: „Warum sind sie so freigiebig?“ Deichmanns Antwort: „Das gehört zum Menschsein dazu. Das ist meine Aufgabe als Christ. Es macht überhaupt keinen Sinn, bis zum letzten Atemzug Reichtum anzuhäufen.“ Auf seine verstorbene Frau hinweisend fügt er an: „Sie hat in ihrem Leben so vielen Menschen Freude bereitet. Das ist das Einzige, was bleibt. Nur das hat Bestand vor Gott.“

Apropos Familie: Seit 1999 führt sein Sohn Heinrich das Tagesgeschäft. Trotz vieler Gemeinsamkeiten unterscheiden sich Vater und Sohn aber doch. Vater Deichmann beschreibt sich als impulsiv und spontan. Sein Sohn sei der Analytiker. „Meine Entscheidungen aus der Situation heraus waren oftmals richtig. Mein Sohn denkt immer gründlich nach“, sagt Deichmann. Am Ende kämen sie aber meistens zum gleichen Ergebnis.

Heinz-Horst Deichmannn – ein ungewöhnlicher Unternehmer mit einem ungewöhnlichen Leben. Ein Vorbild, wenn es darum geht, christliche Werte zu leben. Seine „Volkswagen für die Füße“ und seine Firmenpolitik trotzen dem managergeführten Unternehmertum. Deichmann ist ein Familienunternehmen, das ein solches auch bleiben will. Dieses Versprechen musste Sohn Heinrich seinem Vater geben. Der Seniorchef sieht sich eben nicht als einfacher Unternehmer. „Wenn man nur schnell Gewinn machen will, um jeden Preis reich werden will, dann führt es den Menschen in Untergang und Verderben. So steht es schon in der Bibel.“

2006 ist der Schuhhändler für sein Engagement mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik ausgezeichnet worden. „Sie bezeugen mit Ihrem tun, dass es verbindliche Werte gibt und dass man sie mit Leben füllen muss“, sagte der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers.

Deichmann bringt es noch einmal auf den Punkt: „Am Ende meines Lebens wird Gott mich nicht fragen, wie viele Schuhe ich verkauft habe. Er wird wissen wollen, ob ich wie ein wahrer Christ gelebt und das Evangelium verkündet habe.“

[Als wir ehrenamtliche Jugendgruppenleiter einer traditionellen evangelischen Jugendarbeit waren, lud Dr. Deichmann in den 1980er Jahren einmal pro Jahr zu sich nach Hause ein. Zudem haben wir vom Posaunenchor stets auf seinen jährlichen Betriebsweihnachtsfeiern im Essener Saalbau das musikalische Rahmenprogramm gestaltet. – Fazit: Ich habe noch nie in meinem Leben einen so beeindruckenden – „schwer reichen“ – Mann getroffen, der es dennoch wundersam versteht, mit wirklich jedem Gesprächsgegenüber ganz bescheiden und demütig auf gleicher Augenhöhe zu kommunizieren: Warmes Herz & feste Hand. Deichmann redet fromm – aber im Sinne von gottesfürchtig (!) – gleichzeitig keine Spur von rechtgläubigem oder hartherzigem Fanatismus – und vor allem: Er handelt! Ein Mann in „Wort und Tat“. Ein wahrhaftes Vorbild in Glauben und Leben…]

cma/ch