Kinder und Smartphones

Fast zwei Drittel aller Zwölf- bis 19-Jährigen besitzen ein Smartphone – Alltagsgegenstand und Statussymbol zugleich. Für Eltern wird es immer schwieriger, den Medienkonsum zu kontrollieren. Spätestens mit der weiterführenden Schule kommt das Thema… auf Eltern zu: »In meiner Klasse haben fast alle ein Smartphone«, erzählt der elfjährige Levin. Der Fünftklässler hat monatelang gedrängelt. Inzwischen haben die Eltern nachgegeben und ihm auch eines gekauft. »Wir wollen nicht, dass unser Sohn ein Außenseiter wird«, sagt die Mutter – obwohl sie die Generation Smartphone kritisch sieht.

Mit dem Handy sind schon Kinder immer »on«. Ständig chatten, Kontakte pflegen oder Onlinespiele spielen – was für Jugendliche normal ist, verunsichert Eltern. » Viele haben Angst vor dieser Virtualität, weil sie selber nicht damit groß geworden sind«, beobachtet Andreas Gohlke, Vorsitzender des Fachverbandes Medienabhängigkeit in Hannover. Als Therapeut in einer Beratungsstelle für Mediensucht erlebt er auch die Schattenseiten der neuen Medien. »Wer online ist, steht ständig unter Zugzwang, muss Neuigkeiten posten, schnelle Antworten schreiben. Jugendliche sind oft mit fünf verschiedenen Dingen gleichzeitig beschäftigt. In dieser Fülle überfordert das Kinder.« Selbst nachts liege das Handy neben dem Bett, aus Angst, etwas zu verpassen. »Manche Chats fangen auch erst morgens um zwei Uhr an, weil das cool ist«, erzählt Gohlke. Zwar hätten Kinder früher auch heimlich unter der Bettdecke gelesen. »Aber Smartphones mit ihren vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten haben ein viel größeres Suchtpotenzial.«

Mit der Verbreitung von Tablets und Smartphones wächst generell die Gefahr, zu lange im Internet zu sein, warnen Experten. Pädagogisch begründete Zeitbegrenzungen für die Mediennutzung lassen sich kaum noch kontrollieren. Wie oft und wofür aber nutzen Jugendliche das Handy tatsächlich? Forscher der Universität Bonn haben eine App entwickelt, mit der sie erfassen können, was Menschen mit ihren Smartphones machen. Gleichzeitig bekommen die Nutzer ihr eigenes Telefonverhalten gespiegelt. Mehr als 100.000 Menschen haben sich die kostenlose App »Menthal« bereits heruntergeladen, berichtet Junior-Professor Alexander Markowetz.

Eine erste Auswertung von 500 Nutzern über drei Wochen ergab: Das Smartphone wird kaum zum Telefonieren oder SMS-Schreiben gebraucht – aber trotzdem zum Kommunizieren. Die meiste Zeit nutzten die Teilnehmer Messenger-Dienste oder tummelten sich in Sozialen Netzwerken. WhatsApp schlug mit 20 Prozent zu Buche, gefolgt von Facebook. Im Schnitt waren die Nutzer drei Stunden am Tag mit dem Handy beschäftigt und schalteten den Bildschirm 100 Mal täglich ein, wobei es große individuelle Spannbreiten gab.

»Das ist nicht repräsentativ für die breite Bevölkerung«, sagt Markowetz. Aber das Bild sei kennzeichnend für die jüngere Generation der »Viel-Handy-Nutzer«. Das Kommunikationsverhalten junger Menschen sei dabei extrem dynamisch und verändere sich ständig.

Apps, die heute angesagt sind, können morgen schon out sein.

Team-Kollege und Psychologe Christian Montag vergleicht den Smartphone-Umgang mit einem Glückspielautomaten: Jedes Mal, wenn wir etwas anklickten, werde der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet, der uns in freudige Erwartung versetzt. Darum schalten wir das Handy so oft ein. Das Reglementieren des Smartphone-Umgangs ist in vielen Familien ein täglicher Konflikt. Hinzu kommen Gefahren wie Cybermobbing, der Zugang zu Seiten mit Gewalt und pornografischen Inhalten. »Eltern müssen sich mit den neuen Medien auseinandersetzen, am besten mit den Kindern zusammen, auch wenn es mühsam ist«, rät Andreas Gohlke, der manchmal erstaunt ist, wie viele Eltern ihrem Nachwuchs leistungsstarke Geräte kaufen und sich dann über die Folgen wundern. Zu einem verantwortungsvollen Umgang gehöre, im Netz sparsam mit Daten und Bildern zu sein und sich bewusst zu machen, wie Nutzer ausgespäht werden könnten, sagt Medienpädagoge Stephan Schölzel vom Infocafé Neu-Isenburg in Hessen. Filtersoftware sei kein Freifahrtschein. »Ab einem gewissen Alter können Jugendliche diese Sicherungen problemlos umgehen.«

Viel wichtiger sei es, dass Eltern mit ihren Kindern in Kontakt blieben. »Kinder müssen das Gefühl haben, sie können sich immer an ihre Eltern wenden, ohne Ärger zu bekommen, selbst wenn sie auf eine Porno-Seite gestoßen sind.« Bis zu einem gewissen Maße rät Schölzel auch zu Entspannung: »Teenager neigen dazu, Dinge exzessiv zu tun. Das gehört zu dieser Lebensphase dazu.« Auch wenn das Medium Smartphone neu sei: Die Probleme, die Jugendliche umtreiben, seien häufig die selben wie früher – Verliebtsein, Freundschaften, die Kontaktaufnahme zum anderen Geschlecht.

Die Bonner Forscher wollen mit ihrer Menthal App eine Diskussion anstoßen, wie eine vernünftige »digitale Diät« aussehen kann. Alexander Markowetz: »Man kann die Zeit einschränken, zum Beispiel nach 19 Uhr nicht mehr das Smartphone nutzen, oder bestimmte Räume zur Tabuzone erklären. Also kein Smartphone auf dem Sofa, im Schlafzimmer oder in der Küche.« Gelegentliches Fasten, zum Beispiel eine Woche auf Online-Spiele verzichten, könne helfen, das Bewusstsein für den Medienkonsum zu schärfen.

Auch Levins Mutter versucht, den Hunger ihres Sohnes aufs Smartphone zu bremsen. Maximal eine Stunde pro Tag, darauf hat sich die Familie geeinigt. Und die Eltern bemühen sich, andere Freizeitaktivitäten wie Sport und Freunde treffen immer wieder schmackhaft zu machen. epd