Schon der weise Sokrates (* 469 v. Chr. in Alopeke, Athen; † 399 v. Chr. in Athen) hat sich damit beschäftigt: mit dem zwanghaften Verbreiten von leichtsinniger Wichtigtuerei. Bei den legendären „drei Sieben des Sokrates“ geht es um die drei Grundfragen, die Informationen nach ihrem Bedeutungsgehalt filtern sollen. Die Grundidee: Ist etwas weder gut noch notwendig noch wahr, dann sollte der Mensch keine Energie darauf verschwenden. Was allerdings durch alle Maschen der drei Siebe hindurchrieselt, das muss umgekehrt automatisch die Qualitäten Güte, Notwendigkeit und Wahrheit besitzen und ist es folglich wert, Aufmerksamkeit zu beanspruchen.
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Auch das Neue Testament (Mt 5,37) empfiehlt eine einfache Formel gegen Klatsch, Tratsch und sonstiges Ballast-Wissen: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Bösen.“ Also: Wer Wichtiges zu sagen hat, soll ein klares Ja oder Nein sagen, mehr nicht. Alles andere ist zu viel. Ob dieser Satz von Jesus aus der Bergpredigt auch für unsere moderne Kommunikation im Jahr 2024 gilt? Für Partnerschaft und betriebliches Miteinander, für Politik und social media? Oder gelten da andere Richtlinien? Wie verlässlich soll ein gesprochenes Wort sein? Weniger verlässlich als ein schriftliches Wort? Und vielleicht noch weniger als ein Schwur? Jesus hat eine bessere Idee: Das Wort eines Christen soll etwas wert sein! Da ist kein Platz für Lügen, Tricks oder taktische Spielchen. Wer nach vorne hin lächelt und nach hinten hin tritt, muss damit rechnen, irgendwann durchschaut zu werden. Und wenn der Schwindel aufgeflogen ist, dann sind Vertrauen und Respekt kaputt. Vielleicht müssen auch tragische Konsequenzen gezogen werden.
Die Worte von Jesus dienen uns als nützliches Vorbild: Sie sind klar und führen niemanden hinters Licht. Sein „ja“ zum Leben und für das Gute ist untrennbar mit seinem „nein“ zu Sünde und Elend verbunden. Immer faszinierend „echt“ und im Zeichen von Liebe und Respekt. So eine Lebenseinstellung soll sogar glücklich machen – wie es der 1990 geborene Liedermacher Tiemo Hauer singt: „Ich bin ehrlich glücklich, ehrlich frei, ehrlich einsam und ehrlich dabei, ich bin ehrlich glücklich, ehrlich froh, ehrlich zärtlich und ehrlich sowieso, ich bin ehrlich glücklich!“
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Durch alle Zeiten hindurch werden jedoch die unehrlichen Kommunikations-Phänomene nicht weniger: Wichtigtuerischer Journalismus oder Voyeurismus, meist aus der Feder von „Geistern“, die gerne größer wären als sie sind. Üble Nachrede aus den Mündern unterbeschäftigt-frustrierter Individuen, die ihren „Standpunkt“ (also einen Horizont mit dem Radius NULL) für sensationell wertvoll halten. Teil- oder ganz anonyme Pamphlete, die den Eindruck erwecken möchten, es handele sich um unvermeidbar Kunddtuenswertes – während die Armseligkeit der urhebenden Person kläglich selbstoffenbart wurde.
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Ein Pfarrer im Ruhestand erzählte von unzähligen anonymen Briefen als Spiegel eines meist emotional oder intellektuell unterbelichteten Persönlichkeits-Notstandes, dem wohl weder professionelle Seelsorge noch therapeutische Maßnahmen heilsam zu Hilfe kommen können – eben weil das „Visier“ tragisch zugeklappt bleibt. Spätestens auf dem Sterbebett könnten derlei Machenschaften zum Problem werden. Weil eben doch die Angst da sein (und die Hosen voll) sein könnte/n, sich für Worte und Taten vor einer Art „Weltenrichter“ verantworten zu müssen.
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Interessant und spannend ist in derartigen Zusammenhängen das relativ neue Sachgebiet der „forensischen Linguistik“, als deren wichtigste Unterdisziplin das so genannte „Autoren-Profiling“ gilt. Ein interessantes Interview (themenrelevant ab ca. 7:30) im Zusammenhang mit dem Bamberger Fake-Acoount-Skandal führt Florian Herrnleben mit der öffentlich bestellten und staatlich vereidigten Forensikerin Dr. Isabelle Thormann. „Forensische Linguistik“ ist ein Teilgebiet der „Angewandten Linguistik/Sprachwissenschaft“. Sie kommt in solchen Fällen zum Einsatz, in denen etwas Sprachliches Gegenstand von Ermittlungsverfahren bzw. der Wahrheitsfindung ist, u. a. in Fällen von Erpressung, gefälschten Dokumenten (z. B. Testamente, Zeugnisse), anonymer Bedrohung, Verleumdung, übler Nachrede, Romance Scamming / Love-Scamming, Business-Mobbing etc.
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Im schulischen Bereich sind es häufig Kinder und Jugendliche, die von Cybermobbing (oder auch Cyberbullying) betroffen sind, zum Beispiel in Chats und auf Social Media wie Instagram oder TikTok, aber auch in Foren, auf Videoplattformen wie YouTube und in Games.
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Üble Nachrede ist ein Straftatbestand. Er ist im § 186 StGB beschrieben und gehört im 14. Abschnitt des Strafgesetzbuchs zu den sogenannten Ehrdelikten. Ein Ehrdelikt liegt vor, wenn die strafbare Handlung die persönliche Ehre eines anderen Menschen verletzt. Andere Ehrdelikte sind die Beleidigung und die Verleumdung. Auch diese sind im selben Abschnitt des Strafgesetzbuches zu finden. Der üblen Nachrede macht sich schuldig, wer “in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist (…)” und diese Tatsache nicht nachweislich wahr ist. Üble Nachrede liegt also vor, wenn der „Täter“ etwas behauptet oder verbreitet, welche die Ehre des Opfers verächtlich verletzten und welche nicht als wahr zu beweisen sind.
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In schweren Fällen der üblen Nachrede können Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche entstehen. Ein Fall der üblen Nachrede ist dann als schwerwiegend zu betrachten, wenn eine besonders schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung vorliegt. Dies liegt zum Beispiel vor, wenn die Intimsphäre des Opfers in der Öffentlichkeit (vor allem in Medien) stark verletzt wird. In mehreren Gerichtsverhandlungen wurden den Opfern von übler Nachrede zum Teil hohe Entschädigungen zugesprochen. Im prominnten Fall von Jörg Kachelmann wurde die BILD-Zeitung wegen übler Nachrede zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 635.000 EUR verurteilt.
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Was haben die bisher genannten Bereiche gemeinsam – und wie kann Abhilfe geschaffen werden?
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Ein Stichwort heißt Zivilcourage.
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Mit meinen Schülerinnen und Schülern an einem Gymnasium in der Nähe von Köln hatten wir in Reli das Thema „Zivilcourage“ auf dem Programm. Beim anfänglichen Brainstorming erzählte eine Schülerin, ihr Bruder hätte mal ne coole Zivilcourage gezeigt: Als sie ein kleines Mädchen war und zwei freche Jungs immer wieder ihre schönen Sandburgen zerstörten, da sei ihr Bruder gekommen und hätte den Jungs „anständig was auf die Zwölf verpasst“.
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Mahatma Gandhi, Rosa Parks, Martin Luther King, Nelson Madela und viele andere haben natürlich weniger ans „auf die Zwölf Kloppen“ gedacht, sondern an gewaltlosen Widerstand gegen das Unrecht. Mich faszinieren aber auch die unprominenten Heldinnen und Helden des Alltags, zum Beispiel ein Passanten, der bei einer Schlägerei erfolgreich dazwischen ging.
Der Tübinger Politikwissenschaftler Gerd Meyer unterscheidet drei Arten des Handelns mit Zivilcourage:
1.) Eingreifen zugunsten anderer, meist in unvorhergesehenen Situationen.
2.) Einsatz für allgemeine Werte und für das Recht anderer.
3.) Sich-Wehren gegen körperliche Angriffe, Mobbing, Ungerechtigkeit und so weiter.
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Meine Schülerinnen und Schüler damals wollten nach dem Theorie-Block einen ganz praktischen Teil folgen lassen: Mit Genehmigung der Schulleitung haben wir dann ein Expertenteam für alle Klassen dieser Jahrgangsstufe eingeladen, die einen ganzen Vormittag lang gewaltfreie Handlungsvorschläge zur Deeskalation von Zank und Gewalt angeboten haben. Zusammenfassung der Schülerinnen und Schüler: „Nur Feiglinge greifen zu Gewalt, Rufmord und Mobbing. Zivilcourage dagegen erfordert Mut, den wir dringend brauchen…“ – sagt auch sinngemäß der Mann aus Nazareth – nicht nur für den Reli-Unterricht.
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Fortsetzung folgt…