Neupietismus-Symposium: Interessante Unterscheidungen

Der emeritierte baptistische Konfessionskundler Prof. Erich Geldbach (Marburg) sagte bei einem Vortrag… (auf dem Symposium „Pietismus, Neupietismus, Evangelikalismus – Identitätskonstruktionen im erwecklichen Protestantismus“ der Forschungsstelle Neupietismus der Evangelischen Hochschule Tabor am 13. und 14. März 2015 in Marburg), die evangelikale Bewegung sei davon überzeugt, dass es Gläubige in allen Kirchen gebe – als unsichtbare Gemeinde Gottes. „Baptisten haben stets die sichtbare Kirche gelehrt und halten die unsichtbare Kirche für ein Gespenst“, so Geldbach. Für sie bestehe die Kirche nur aus „sichtbaren Heiligen“. Evangelikale betrachteten die Bibel und Glaubensbekenntnisse als „objektive“ Vorgaben, während Baptisten davon überzeugt seien, dass Bekenntnisse immer wieder angepasst werden müssten, „wenn der Geist Gottes neue Erleuchtungen gibt“. Wie Geldbach vor den 45 Tagungsteilnehmern weiter ausführte, können drei verschiedene Strömungen im Baptismus unterschieden werden: „Mainline-ökumenische“ Baptisten tolerierten ein weites Spektrum theologischer Meinungen, engagierten sich für Frieden, Menschenrechte, soziale Fragen und seien ökumenisch aktiv. „Konservativ-evangelikale“ Baptisten hielten an einer traditionellen Moral fest und kooperierten meist mit konservativen Evangelikalen. Eine „separatistisch-fundamentalistische“ Gruppe schließlich bekämpfe militant die moderne Theologie. Sie arbeite auch nicht mit anderen Gruppen zusammen, die ökumenische Kontakte unterhielten. Sie gehörten mit zu den schärfsten Kritikern der bekannten Baptisten Billy Graham und des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter.

Bis 2004 gab es ein gemeinsames Dach für alle Baptisten

Wie Geldbach erläuterte, waren bis 2004 alle drei Strömungen unter dem Dach des Baptistischen Weltbundes vereint. Doch dann sei der größte Mitgliedsverband, der 16 Millionen Mitglieder zählende Bund der Südlichen Baptisten, aus dem Weltbund ausgetreten. Geldbach kritisierte, dass leitende Vertreter der Südlichen Baptisten sich als Evangelikale bezeichneten, in Wirklichkeit aber Fundamentalisten seien. Sie hätten im Jahr 2000 ein verbindliches Glaubensbekenntnis verabschiedet, das alle Mitarbeiter unterschreiben müssten. Geldbach: „Damit haben sie die Gewissensfreiheit aufgegeben.“ Die Südlichen Baptisten tauften jedes Jahr Tausende Kleinkinder und führten damit die im Baptismus übliche Taufe mündiger Christen ins Absurde. Das Priestertum aller Glaubenden sei auf Männer reduziert, weil das Bekenntnis Frauen das Pastorenamt verbiete. Für sexistisch hält es Geldbach, wenn in dem Bekenntnis festgehalten werde, dass Frauen sich ihren Männern unterordnen müssten.

Kritik an der Weltweiten Evangelischen Allianz

Kritik übte Geldbach auch an der Weltweiten Evangelischen Allianz. Ihr Glaubensbekenntnis sei so eng gefasst, dass es keinen Spielraum für die Erforschung der Heiligen Schrift lasse, wenn es heiße, dass die Bibel „göttlich inspiriert“, „unfehlbar“ und „vollkommen vertrauenswürdig“ sei. Zugleich bezweifelt Geldbach, dass dieser Dachverband von Kirchen in 129 Nationen und 100 internationalen Organisationen wirklich für alle Mitglieder sprechen könne. Für wichtiger als den Weltverband hält Geldbach den Weltkirchenrat. Er stehe für die Einheit der Kirche Jesu Christi.

Vier Kennzeichen für Evangelikale

Nach den Worten des britischen Theologen Prof. David Bebbington (Stirling/Schottland) gibt es vier Kennzeichen der Evangelikalen. Sie betonten die Notwendigkeit der Bekehrung als Start für eine Lebenswende; sie setzten ihr Vertrauen auf die Bibel als Richtschnur für ihr Leben; sie engagierten sich für ihren Glauben, um andere Menschen zu gewinnen; und sie unterstrichen die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu als Zeichen der Versöhnung Gottes mit den Menschen.

Eine Linie von den alten Pietisten bis zu den Evangelikalen heute

Der Leiter der Tagung, der Kirchengeschichtler Prof. Frank Lüdke (Marburg), sagte der Evangelischen Nachrichtenagentur idea, bei dem Treffen sei auch festgestellt worden, dass die heutige evangelikale Bewegung in Deutschland sowohl durch Impulse des alten Pietismus – für ihn stehen dafür z. B. Persönlichkeiten wie der Pädagoge August Hermann Francke (1663-1727) oder der Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) – als auch durch Einflüsse aus dem englischen und amerikanischen Evangelikalismus, wie z.B. durch den Methodisten John Wesley (1703-1791) oder den Evangelisten Dwight L. Moody (1837-1899), geprägt worden ist.

Warum Menschen ihren Glauben verlieren

Die beiden Theologen Prof. Tobias Faix und Tobias Künkler vom Marburger Bildungs- und Studienzentrum stellten ihre Untersuchung „Warum ich nicht mehr glaube!“ vor. Sie hatten 300 Personen gefragt, die einmal Christen gewesen waren und sich dann vom Glauben abgewandt hatten. Mit 15 von ihnen führten sie weitergehende Interviews. Wie es hieß, fühlten sich die ehemaligen Christen von Gott oder von ihrer Gemeinde enttäuscht. Ihre Gebete seien nicht erhört worden und sie hätten keine Antworten auf Leiderfahrungen bekommen. Einige seien Opfer von Machtmissbrauch geworden. Wie Faix und Künkler betonten, müssen Gemeinden offen mit Glaubenszweifeln umgehen und unterschiedliche Meinungen – auch in Glaubensfragen – gelten lassen. Die Vielfalt verschiedener christlicher Traditionen müsse positiv gewürdigt werden, mit dem Ziel, junge Leute zu mündigen Christen zu machen. (Ev. Nachrichtenagentur idea)

 

Gleiches Thema:

Bonner Querschnitte 10/2015 Ausgabe 346:

Schirrmacher fordert in einem offenen Brief seinen Kollegen Geldbach auf, zur ökumenischen Gesprächskultur des 21. Jahrhunderts aufzuschließen

(Bonn, 21.03.2015) Der Vorsitzende der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz, Thomas Schirrmacher, hat seinen Kollegen, den Bochumer baptistischen Konfessionskundler Erich Geldbach, in einem offenen Brief aufgefordert, Begriffe wie ‚Erzfeinde‘ aus der Sprache der ökumenischen Beziehungen zu verbannen und sich intensiv mit den Mitgliedskirchen der Weltweiten Evangelischen Allianz im Globalen Süden vertraut zu machen.

Den ganzen Text hier finden:
http://www.bucer.de/ressource/details/bonner-querschnitte-102015-ausgabe-346.html