Die empirica-Sexualitätsstudie (2025), herausgegeben durch das empirica-Institut der CVJM-Hochschule Kassel und gefördert von der Stiftung Christliche Medien (SCM), beansprucht, Einstellungen und Lebenswirklichkeiten zur Sexualethik empirisch zu erfassen. Dabei geht es um Erfahrungen und Wahrnehmungen aus der Sicht von Menschen, die sich als Christinnen und Christen verstehen.
Die vorliegende Betrachtung beleuchtet gravierende methodische Schwächen, Interessenkonflikte und fehlende Transparenz, die die wissenschaftliche Belastbarkeit der Ergebnisse stark einschränken. Sie zeigt den Eindruck auf, dass die Studie in zentralen Aspekten die Standards empirischer Sozialforschung nicht erfüllt und empfiehlt strukturelle Verbesserungen für künftige Projekte.
„Zwischen Empirie und Agenda“ – Eine methodenkritische Betrachtung der empirica-Sexualitätsstudie (CVJM-Hochschule / SCM-Stiftung)
- Einleitung
Mit der „Empirica-Sexualitätsstudie“ legt das Forschungsinstitut empirica – Institut für Jugend, Kultur und Religion an der CVJM-Hochschule Kassel – eine angeblich breit angelegte Untersuchung zu sexualethischen Einstellungen (hoch-)religiöser Christinnen und Christen im deutschsprachigen Raum vor. Finanziert wurde das Projekt durch die Stiftung Christliche Medien (SCM). Der Forschungsbericht (2025) umfasst eine Diskursanalyse, eine quantitative Onlinebefragung (N = 10.608) sowie qualitative Interviews (n = 14).
- Strukturelle Interessenkonflikte
Bereits der Projektaufbau weist eine Besonderheit auf: Die Diskursanalyse der ersten Projektphase untersucht primär Bücher und Zeitschriften aus der SCM-Verlagsgruppe, während die Studie selbst durch die SCM-Stiftung finanziert wurde.
- Stichprobenproblematik und Repräsentativität
Die quantitative Hauptuntersuchung verzeichnet eine Anzahl von 10.608 Teilnehmenden. Gleichwohl fehlt im veröffentlichten Bericht jede transparente Angabe zu Rekrutierungswegen, Rücklaufquoten und Gewichtung, Non-Response-Analyse und Validierung der erhobenen Skalen. Eine große Fallzahl kompensiert keine fehlende Zufallsstichprobe. Ohne Kenntnis der Grundgesamtheit und der Antwortstruktur kann kein belastbarer Schluss auf „religiöse Christinnen und Christen in Deutschland“ gezogen werden.
- Fehlende Offenlegung der Messinstrumente
Die Studie benennt Themenfelder wie Pornografienutzung, Solosexualität, Ehe und Partnerschaft, liefert aber keine vollständige Dokumentation des Fragebogens. Ohne Kenntnis der konkreten Itemformulierungen lässt sich weder die inhaltliche Validität noch die Neutralität der Fragen prüfen. Dies ist für ein Forschungsvorhaben mit normativen Implikationen gravierend.
- Qualitative Teilstudie: begrenzte Aussagekraft
Die ergänzende qualitative Untersuchung basiert auf 14 Interviews. Diese Einzelfälle können wertvolle Tiefeninformationen liefern, sind aber nicht generalisierungsfähig. Dennoch werden die Ergebnisse teilweise verallgemeinernd als „typische Spannungen“ oder „repräsentative Dilemmata“ dargestellt. Eine methodisch saubere Integration qualitativer und quantitativer Daten (Triangulation) ist nicht nachvollziehbar dokumentiert.
- Theoretische Vorannahmen und Deutungsrahmen
Die Studie ist theoriegeleitet von der Annahme, dass christliche Sexualethik sich im Spannungsfeld von Tradition und individueller Authentizität bewege. Diese Leitidee strukturiert die Interpretation und birgt eine Bestätigungstendenz. Wissenschaftliche Akkuratheit verlangt eine Offenlegung alternativer Hypothesen – diese fehlt.
- Publikationsstrategie und externe Kontrolle
Die Veröffentlichung erfolgte ausschließlich über die CVJM-Hochschule. Externe Qualitätssicherung ist nicht erkennbar, und es wurden keine anonymisierten Datensätze bereitgestellt. Damit entzieht sich die Studie der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit und könnte einen Anfangsverdacht von Suggestion und Manipultation nähren.
- Vergleich zur Vorgängerstudie „Generation Lobpreis“
Bereits die 2018 erschienene empirica-Studie „Generation Lobpreis“ stieß auf ähnliche Kritik: mangelnde methodische Transparenz, unklare Stichprobengewinnung und starke theoretische Rahmung. Trotz dieser Kritikpunkte wurden vergleichbare Strukturen erneut angewandt, was die Frage aufwirft, ob überhaupt irgendwelche Lehren aus früheren Rezensionen gezogen wurden – oder ob hier vielleicht so etwas wie eine Beratungsresistenz vorliegt.
- Bewertung
Die „Empirica-Sexualitätsstudie“ ist thematisch relevant, methodisch jedoch nicht hinreichend abgesichert, um die beanspruchte Repräsentativität oder Objektivität zu stützen. Insbesondere bestehen Interessenkonflikte durch die Förderstruktur, fehlende Dokumentation der Datenerhebung, fehlende Validierung der Messinstrumente, Überdehnung qualitativer Befunde und keine externe wissenschaftliche Begutachtung. Solange diese Defizite nicht aufgearbeitet sind, sollte die Studie nicht als belastbare Grundlage dienen.
- Empfehlung
Für künftige Arbeiten ähnlicher Reichweite sind folgende Mindeststandards unerlässlich:
– Veröffentlichung von Fragebogen und Codebook
– Offenlegung der Rekrutierungsstrategie
– Dokumentation von Validitätskennwerten
– externe Peer-Review-Begutachtung
– Bereitstellung eines anonymisierten Datensatzes
Zitierhinweis
Alle inhaltlichen Angaben und Zahlen stammen aus dem veröffentlichten Forschungsbericht empirica – Sexualitätsstudie 2025 (CVJM-Hochschule Kassel) sowie der offiziellen Projektseite (https://www.cvjm-hochschule.de/forschung/forschungsinstitut-empirica-fuer-jugend-kultur-und-religion/forschungsprojekte/sexualitaetsstudie).
Verfasser / Ort/ Datum:
Pfarrer Carsten Heß, Lahnau, im Oktober 2025
c.hess@alsbald.com
www.vitamin-c-online.com
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Daraus ergeben sich folgende Fragen an SCM:
Absender:
Carsten Heß, Pfr.
…
Empfänger:
SCM-Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41
71088 Holzgerlingen
Bitte um Offenlegung methodischer Unterlagen zur empirica-Sexualitätsstudie (2025)
Sehr geehrte Damen und Herren,
als wissenschaftlich interessierter Leser sowie als voll ausgebildeter evangelischer Pfarrer bitte ich um ergänzende Unterlagen zur kürzlich veröffentlichten Empirica-Sexualitätsstudie 2025 (CVJM-Hochschule / SCM-Stiftung).
Im veröffentlichten Forschungsbericht sind wesentliche methodische Angaben nicht enthalten, die für eine unabhängige Nachvollziehbarkeit erforderlich sind. Ich ersuche daher um Einsicht in bzw. Bereitstellung folgender Dokumente:
1. Vollständiger Fragebogen / Codebook einschließlich aller Item-Formulierungen, Skalen und Antwortformate;
2. Beschreibung der Rekrutierungsstrategie (Einladungskanäle, Zeiträume, Ausschlusskriterien);
3. Rücklauf- und Drop-out-Statistiken sowie ggf. durchgeführte Gewichtungen oder Adjustierungen;
4. Methodische Validierung der verwendeten Skalen (z. B. Cronbach-Alpha, Reliabilitäts- / Validitäts-Kennwerte);
5. Protokolle des wissenschaftlichen Beirats oder Nachweise zur Sicherstellung der Unabhängigkeit gegenüber dem Förderer (SCM-Stiftung);
6. Angabe, ob und wann ein anonymisierter Datensatz für externe Forschende zugänglich gemacht wird.
Ich bin überzeugt, dass die Offenlegung dieser Informationen nicht nur der Transparenz, sondern auch der Glaubwürdigkeit und Anschlussfähigkeit der Studie in der wissenschaftlichen Gemeinschaft dient.
Sollte eine Herausgabe aus datenschutz- oder urheberrechtlichen Gründen teilweise eingeschränkt sein, bitte ich um entsprechende Begründung und ggf. Hinweise auf interne Ansprechpartner/innen für wissenschaftliche Kooperation.
Für Ihre Rückmeldung bedanke ich mich herzlich.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten Heß