(Von Daniel Deckers für faz v. 16.02.2009) – Mit Berichten über die katholische Kirche verhält es sich oft so: Sie können nicht anders sein, weil sie nicht anders sein dürfen. Das gilt in die eine Richtung: Chaos im Vatikan? Unmöglich. Der gute Papst als unpolitisches Opfer schlechter Ratgeber? Unverschämt. Es gilt aber auch in die andere Richtung: Benedikt ein potentieller Holocaust-Leugner? Die Freude über perfide Insinuationen von hoher Berliner Warte war nicht immer klammheimlich. Kirchenaustritte en masse nach der Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe der Pius-Bruderschaft? Wäre doch… …gelacht, wenn sich das nicht beweisen ließe.
Standesämter und Amtsgerichte sind längst im Bild, Zahlen für den Monat Januar und die ersten Februartage schnell bei der Hand: In den ersten Wochen dieses Jahres sind deutlich mehr Kirchenmitglieder aus ihrer Kirche ausgetreten als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, lautet der Tenor von Nord bis Süd. Umgehend finden Zahlenspiegeleien ihren Weg in Online-Dienste und Gesprächsrunden. Dort untermauern sie die vermeintliche Gewissheit, dass die deutschen Katholiken entweder noch nie Papst sein wollten oder ihren vorläufig letzten Versuch dazu am 21. Januar 2009 – dem Tag, als der Vatikan die Exkommunikation der Lefebvre-Bischöfe aufhob – beendet haben.
Protestanten treten wegen des Papstes aus der Kirche aus
Schade nur, dass Standesbeamte und Justizangestellte die Austrittswilligen nicht widerrechtlich nach den Gründen gefragt haben, mit denen sie der Kirche den Rücken kehren. Dann gäbe es schwarz auf weiß, was man immer schon zu wissen glaubte. Schade auch, dass die meisten Behörden nur sogenannte Austrittssachen registrieren und nicht nach Konfessionen unterscheiden. Angeblich sind beim Hamburger Hauptpastor Adolphsen immer wieder Protestanten wegen des Papstes aus der Kirche ausgetreten. Die Zahl der im Behördendeutsch hin und wieder „Evangelen“ genannten, die jetzt wegen des Papstes aus der evangelischen Kirche austreten, wird man wohl vernachlässigen dürfen – vor allem in Passau, wo es Protestanten bis jetzt nicht in größerer Zahl hin verschlagen hat.
Hier, im allerkatholischsten Wir-sind-Papst-Niederbayern, ist die Zahl der Kirchenaustritte in den ersten Wochen dieses Jahres deutlich höher als zu Beginn des Jahres 2008. Und natürlich hat der Leiter des Standesamtes von dem einen oder anderen sagen gehört, dass er seinem Unmut über die Vorgänge um die Pius-Bruderschaft und Bischof Williamson nicht nur mündlich Luft machen wolle. Aber von Schlangen erboster oder enttäuschter Kirchenmitglieder vor den Türen der Mitarbeiter, die mit Austrittssachen befasst sind, weiß man in Passau nichts. Dem Beamten gibt etwas anders zu denken: In der Regel steigt die Zahl der Kirchenaustritte mit dem Versand der Lohnsteuerkarten zum Jahresende hin an und geht unmittelbar danach wieder zurück. Letzteres habe sich in den ersten Januarwochen nicht beobachten lassen. Es fällt das Wort Kurzarbeit.
Die Kurve weist steil nach oben
In Westfalen sagt man, die Steigerungsformen von schwarz lauteten Münster und Paderborn. Zuerst an allerschwärzester Stelle nachgefragt: Zwischen dem 1. Januar und dem 6. Februar wurden im Amtsgerichtsbezirk Paderborn 90 Austrittssachen registriert, im vergangenen Jahr insgesamt 615, im Jahr 2007 nur 484. Die Kurve weist steil nach oben. In Münster ist es nicht anders: Der Pressesprecher des Landgerichts verzeichnet akkurat 165 Austrittssachen bis einschließlich 8. Februar 2009 gegenüber 96 im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Sage nun niemand, die Preußen hätten nur dem Fußballverein in Münster ihren Stempel aufgedrückt. Denn die Münsteraner Justiz weiß nicht nur vieles, sondern auch vieles besser: 100 Katholiken / 62 Evangelische lautet die nach Konfessionen aufgeschlüsselte Austrittsbilanz im Westfälischen für die ersten knapp sechs Wochen des neuen Jahres. Es kommt noch besser: Im vergangenen Jahr kamen auf 610 ausgetretene Katholiken 380 Protestanten.
„Austrittssachen“ wegen der Abgeltungsteuer
Nachfrage in Stuttgart, wo die Menschen traditionell nicht nur anders sprechen als in Westfalen, sondern auch anders glauben. Im Standesamt Innenstadt haben zwischen dem 24. Januar und dem 10. Februar 67 Personen ihren Kirchenaustritt erklärt, fast dreimal so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Doch Schwaben wären keine Schwaben, wenn nicht der Hinweis folgte, dass der fragliche Zeitraum des Jahres 2009 mit zwei Werktagen mehr aufwarten könne als der des Vorjahres. Ein anderer Vergleich belegt, dass auch in Stuttgart Protestanten und Katholiken ihren Kirchen konstant im Gleichschritt den Rücken kehren. Im Januar 2008 erfolgten von insgesamt 99 Kirchenaustritten 47 aus der katholischen Kirche, im Januar 2009 waren unter 129 Personen, die aus Kirchen austraten, 63 Katholiken.
Auch der Leiter des Standesamts Nürnberg berichtet von dem saisonal üblichen Anstieg im November und Dezember und dem entsprechenden Rückgang zu Beginn eines jeden Jahres. Der aber könnte in diesen Wochen ausfallen, weil zu Beginn des Jahres die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge eingeführt worden sei und die Banken bei ihren Kunden schriftlich nachfragten, wie sie es denn mit der einbehaltenen Kirchensteuer auf Kapitaleinkünfte halten sollten. „Die Leute sparen, wo’s geht“, heißt es in Nürnberg. Das hat auch der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst registriert: Auf seinem Schreibtisch finde er mehr „Austrittssachen“ wegen der Abgeltungsteuer als wegen der jüngsten Vorkommnisse in Rom. Sprach’s, und eine in die Hunderte gehende Zuhörerschaft schwieg betreten.
Q: faz