Viele Freikirchen sind modern. Und Landeskirchen suchen Wege, ihr Potenzial auch für sich zu nutzen. Das stellt ein Hörfunkbeitrag des SWR fest. Und: „Manche freikirchlichen Gruppierungen sind sektiererisch.“
„Also, ich kenne Menschen, die sich umbringen wollten“, erklärt Claudia Schreiber. Sie ist „Freikirchen-Aussteigerin“, wie es im Beitrag „Faszination Freikirche“ des Südwestdeutschen Rundfunks (SWR) heißt. Dort berichtet sie über ihren Austritt aus der Baptistengemeinde ihrer Jugend. Als Studentin habe sie Schwierigkeiten bekommen mit dem biblisch geprägten Weltbild der christlichen Gemeinde, wollte keine anti-homosexuellen Predigten mehr hören und nicht das Gefühl haben müssen, als Frau zur Unterordnung verpflichtet zu sein. Ihr Austritt, so berichtet sie, habe schwerwiegende Konsequenzen gehabt: „Es gab Leute die haben mir nicht mehr gestattet, mit ihren Kindern zu spielen. Als sei ich irgendwie ansteckend.“Anderen “ Aussteigern“ sei es teilweise noch schlimmer ergangen. Sie seien krank geworden oder hätten Selbstmordgedanken gehabt.
Doch „Faszination Freikirche“ blickt auch auf die Vielfältigkeit christlicher Gemeinden. Nicht in jeder Freikirche gebe es einen „Verdacht zur Sekte“, wie Andrea Strübind im Beitrag erklärt. Sie ist Professorin für evangelische Theologie an der Uni Oldenburg und selbst Baptistin. Freikirche, das sei ein „Container-Begriff“. Gemeinden würden in einen Topf geschmissen und stünden durch die Abgrenzung zur Landeskirche generell im Verdacht, sektiererisch zu sein.
Die SWR-Reporterin Natalie Akbari erkennt jedoch auch: Freikirchen bieten Potenzial. Ihre Gottesdienste sind meist moderner als die der Landeskirchen und ihre Mitglieder engagierter, vielleicht auch deshalb, weil sie viele junge Menschen anziehen. Den Gottesdienst einer Heidelberger FeG vergleicht sie angesichts der Musik und der emotional aufgeladenen Stimmung gar mit einem „Popkonzert“. „Locker, auf Augenhöhe – das kommt an“, sagt sie über interaktive Gottesdienstelemente wie das so genannte „Kreuzverhör“, bei dem sich der Pastor den Fragen seiner Gemeinde zur Predigt stellt. „Nichts erklären, nichts beweisen müssen – einfach so angenommen werden, wie man ist: das hat eine große Anziehungskraft und erklärt, warum Freikirchen solchen Zulauf haben“, heißt es weiter.
Landeskirchen reagieren: Gemeinschaftsgefühl fördern
Die aktive Mitarbeit der Gemeindeglieder hielten auch die großen Volkskirchen für erstrebenswert. So erklärt Karl Jung, katholischer Stadtdekan in Mannheim, die Kirche versuche, mit speziellen Angeboten eine Alternative zur Freikirche zu bieten. So habe etwa das katholische Mannheimer Evangelisierungsteam MET enormen Zulauf, in dem der Schwerpunkt auf dem Gemeinschaftsgefühl liege.
Kritisch zu betrachten sei neben der Gefahr des Sektierens jedoch auch das wortnahe Bibelverständnis, sagt Jan Badewien von der Evangelischen Landeskirche in Baden. Das führe unter anderem dazu, dass Christen ihre Kinder nicht am Biologieunterricht teilnehmen ließen, weil sie nicht mit der dort gelehrten Evolutionstheorie einher gingen.
„Fordern die alles von mir, dann sage ich: Vorsicht!“
Die Grenze zwischen Sekte und christlicher Kirche sieht Theologieprofessorin Andrea Strübind dort, wo die Freikirche „sich einen Alleinvertretungs-Anspruch anmaßt“ und etwa nicht bereit sei, mit anderen Kirchen zusammenzuarbeiten. „Aussteigerin“ Claudia Schreiber erklärt es so: „Es gibt außerordentlich freie und kreative Gemeinden, wo man sich als Christ sehr gut positionieren kann. Man muss einfach nur schauen, ob die diese Rigorosität an den Tag legen. […] Also: bin ich auch in der Lage, andere Freunde zu haben? Kann ich Zweifel äußern? Kann ich schwul sein? Kann ich geschieden sein? Kann ein Pastor, dem die Frau weggelaufen ist, trotzdem Pastor bleiben? Gibt es solche Dinge? Dann scheint es gut zu laufen. Gibt es das nicht – fordern die alles von mir, inklusive meinem Herz und meinem Geld, und meiner Zeit und meinem Gehorsam, dann sage ich: Vorsicht!“
Q: cma
Das Skript des kompletten SWR-Beitrags finden Sie hier >>