Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat seinen Auftritt beim bevorstehenden evangelischen Kirchentag in Bremen als „persönliches Anliegen“ bezeichnet. Mit Wahlkampf habe das nichts zu tun, sagte der Vizekanzler und Herausforderer von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der am Donnerstag in Bremen zu Gast ist. Der protestantische Christ nannte die Kirchentage in einem Interview mit dem epd „ein einzigartiges Forum der Glaubensvergewisserung und des Dialogs mit anderen Konfessionen und Religionen“. – epd: Herr Minister Steinmeier, zeitgleich zum 60-Jahr-Jubiläum des Grundgesetzes… begeht der Deutsche Evangelische Kirchentag sein 60-jähriges Bestehen. Welchen Beitrag zur Entwicklung der Bundesrepublik hat der Kirchentag geleistet? – Steinmeier: Er gehört zweifelsohne zu den Ereignissen, die unser Land prägen. Für mich sind Kirchentage ein einzigartiges Forum der Glaubensvergewisserung und des Dialogs mit anderen Konfessionen und Religionen. Hier spürt man hautnah das breite Engagement von Christen in Gesellschaft und Politik. Die Wiedervereinigung unseres Landes, seine Verantwortung in der Welt, unser Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung – über all das wurde und wird dort leidenschaftlich diskutiert und gestritten. Gerade diese streitbare Tradition der Kirchentage – das ist einmalig in der Welt.
epd: Schon seit den 70er Jahren fordert die Kirchentagsbewegung ein nachhaltiges Wirtschaften und den schonenden Umgang mit Ressourcen. In Zeiten der weltweiten Wirtschaftskrise scheint nun Nachhaltigkeit mehrheitsfähig geworden zu sein. Hat sich die Politik das Vokabular der Bewegungen nur ausgeliehen, oder steckt dahinter ein langfristiges politisches Ziel?
Steinmeier: Das will ich jedenfalls hoffen. Viel zu lange Jahre ging es in der Wirtschaft zu wie im Casino, wurde alles dem kurzfristigen Gewinn geopfert. Hier müssen wir ganz entschieden und dauerhaft umsteuern. Das ist Credo meiner Partei, dafür setze ich mich ein. Wir brauchen die Rückkehr von Vernunft und langfristigem Denken in Politik und Gesellschaft. In der Umweltpolitik gilt das sowieso, weshalb wir an unseren ehrgeizigen Klimazielen festhalten, auch in der Krise. Im übrigen sehe ich erneuerbare Energien und moderne Umwelttechnologien als wichtige und vor allem nachhaltige Wachstumsfelder, die uns auch helfen können, diese Krise zu überwinden.
epd: Sie sind Herausforderer von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Bundestagswahl im September. Beim Kirchentag in Bremen treten Sie wenige Stunden nach der Kanzlerin auf. Das erste Wahlkampfduell?
Steinmeier: Ach was! Das hat doch mit Wahlkampf nichts zu tun. Ich gehe seit Jahren auf den Kirchentag. Das ist mir ein persönliches Anliegen, Wahlkampfjahr hin oder her.
epd: Sie sind evangelischer Christ und deutscher Außenminister. Wie bestimmt Ihr Christ-Sein das Handeln auf der politischen Bühne?
Steinmeier: Mein protestantischer Glaube ist mir wichtig, und er prägt mich natürlich auch als Politiker. Natürlich nicht bei jeder Alltagsentscheidung. Aber es gibt viele schwierige Entscheidungen im Leben eines Außenministers, Entscheidungen, die Risiken für andere bergen. Da brauche ich Rückhalt, aus dem ich Orientierung und Kraft schöpfe. Und vielleicht ist es nicht ganz zufällig, dass ich meine Bibelarbeit auf dem Kirchentag 2005 dem Thema Zuversicht gewidmet habe. Die braucht man, um in schwierigen Situationen wie in Afghanistan oder in Pakistan oder nach den Rückschlägen im Nahen Osten immer wieder die Kraft zum Neubeginn zu finden.
epd: Empfinden sie die religiöse Vielfalt in der Welt als friedensstiftend? Oder überwiegt im diplomatischen Alltag das Bemühen um die Eindämmung der zahlreichen religiös motivierten Konflikte?
Steinmeier: Friedensstiftend? – nicht von selbst. Nur wenn wir uns in der Vielfalt auf das Einende besinnen: den Wunsch nach Frieden in allen Religionen. Leider müssen wir immer wieder erleben, dass Kultur oder Religion ausgenutzt werden, um Konflikte zu schüren. Und ebenso leichtfertig ist es, Konflikte vorschnell als religiös zu interpretieren. Beides halte ich für hoch gefährlich. Wir brauchen Dialog und Offenheit, Toleranz und gegenseitiges Verständnis, auch zwischen Kulturen und Religionen. Dafür einzutreten kann schwierig sein, aber es ist alternativlos.
epd: Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, hat in den vergangenen Wochen mehrfach die deutsche Spitzenstellung als „Europameister des Waffenexports“ kritisiert. Findet das bei Ihnen Gehör?
Steinmeier: Wir müssen bei der Exportkontrolle einen strengen Maßstab anlegen – da hat Bischof Huber völlig Recht. Deutsche Rüstungsgüter haben nichts in den Händen von Diktatoren oder Fanatikern zu suchen. Rüstungskontrolle und Abrüstung gehören ganz hoch auf die internationale Tagesordnung. Der Frieden ist gefährdet, solange die Atomwaffenarsenale prall gefüllt sind und die Gefahr besteht, dass sich weitere Länder Atomwaffen verschaffen. Seit Beginn des Jahres haben wir endlich einen amerikanischen Präsidenten, der selbst Fortschritte bei der Abrüstung anstrebt. Atomare Abrüstung ist das Gebot der Stunde, noch in diesem Jahr brauchen wir entscheidende Schritte nach vorn. Auch bei herkömmlichen Waffen. Für Juni habe ich nach Berlin eingeladen, um über die Rettung des KSE-Vertrags über konventionelle Streitkräfte in Europa zu beraten. Und gemeinsam mit anderen habe ich um ein internationales Verbot von Streumunition gerungen. Wir sind noch nicht am Ziel eines weltweit ausnahmslosen Verbots, aber fast 100 Staaten sind schon an Bord. Auch hier werden wir dranbleiben.
epd: Wie treibt Sie Ihr christlicher Glaube in Ihrem politischen Handeln an?
Steinmeier: Vielen praktischen Elementen des Glaubens – wie Verantwortung oder soziales Handeln – fühle ich mich natürlich gerade als Politiker verpflichtet. Auch als Außenminister: „Herr, mach mich zum Werkzeug Deines Friedens“, so soll einst schon Franz von Assisi gebetet haben. Es gibt wenig bessere Zielbeschreibungen für mein Amt.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird am Donnerstag. 20.05.2009, von 14.30 bis 15.00 Uhr im evangelischen Medienzelt auf der Bürgerweide (Stand B09) zum Gespräch zur Verfügung stehen.
Q: epd vom 19. Mai 2009