Interview mit Dr. Roland Werner zur Neuerscheinung „Das Buch“ – Neues Testament – Roland Werner – Brockhaus, Witten – ISBN-10: 3417261066 – ca. 576 S. – Erscheinungstermin: 29.6.2009 – <?> Roland, für deine Bibelübersetzung „Das Buch.“ hast du einige Begriffe ganz neu übersetzt. So wird z. B. aus dem Teufel der Zerstörer, aus Gnade wird die unverdiente Annahme. Worin liegt die Chance einer solchen Neuformulierung? – Roland Werner: Der Diabolos ist ja der Durcheinanderwerfer, der Kaputtmacher. Das Wort Teufel ist ja nur eine Eindeutschung dieses griechischen Wortes… Ich versuche, die Leute etwas aufzuwecken, und sich beim Lesen folgende Fragen zu stellen: „Das hört sich irgendwie anders an – was steckt dahinter?“ Oder auch: „Kann man das wirklich so sagen?“ Sobald das geschieht, ist der Leser mit Kopf und mit dem Herzen dabei. Also: Ein gewisser Anstoß ist erwünscht, weil so die Leser anfangen, neu nachzudenken. Jetzt noch kurz zu den konkreten Begriffen: Bei der Gnade ist das Problem, dass dieses schöne Wort fast sinnentleert ist. Man hört nicht mehr den Reichtum dieses Wortes und des Wortstamms von charis, der eng mit chara – Freude und eucharisteo – danken, loben usw. verbunden ist. Durch verschiedene Übersetzungen wie freundliche Zuwendung, bedingungslose Annahme und ähnliche Begriffe will ich das wieder etwas aufleuchten lassen.
<?> Wenn aber z. B. „Johannes der Täufer“ zu „Johannes der Untertaucher“ gemacht wird, besteht nicht auch die Möglichkeit, Leser zu verwirren?
Roland Werner: Mag sein, auf jeden Fall stolpert man etwas. Aber das ist meiner Meinung nach gut. Denn „Täufer“ ist auch nicht wirklich verständlich für heutige Leute. Das alte Wort taufen heißt heute tauchen. Also ist das eine genau angemessene Übersetzung.
<?> Einige Begriffe hast du manchmal auch stehen lassen, obwohl ihnen eine neue Formulierung auch gut anstehen würde, z. B. Gerechtigkeit oder Sünde. Warum?
Roland Werner: Das Wort Sünde habe ich häufig als Schuld oder Lebensschuld oder ähnlich übersetzt. Nur an ganz zentralen Stellen habe ich den Begriff Sünde gelassen. Ich versuche, im jeweiligen Zusammenhang den Wortsinn herauszuarbeiten. Manchmal geht das mit den alten, bekannten Worten, manchmal aber auch mit neuen Übersetzungen und Deutungen. Gerechtigkeit ist ein sehr aktuelles Wort, das ich an vielen Stellen, aber nicht überall, auch so übersetzt habe.
<?> Gerechtigkeit ist aber ein Wort, das der heutige Leser eher im Sinne von angemessen und verhältnismäßig versteht. Im Neuen Testament ist es oft nicht von der Beziehung zu Gott zu trennen und der Frage, wie diese aussieht – also auch ein Wort mit reicher Bedeutung…
Roland Werner: Stimmt. Jedes Wort hat eine reiche Palette von Bedeutungen. Gerechtigkeit hören wir allerdings häufig vor allem theologisch. Wir reden von Gottes Gerechtigkeit, Gerechtigkeit, die vor Gott gilt usw. – während es in der Bibel eher ganzheitlich gemeint ist und auch gerade das gerechte Leben meint, also das, was wir tun und lassen, weil wir eine höhere Instanz anerkennen.
<?> Welche Ziele hast du mit dieser gemischten Vorgehensweise, also einiges neu zu formulieren und anderes zu belassen, verfolgt?
Roland Werner: Ich will die Leute in den Reichtum der verschiedenen Bedeutungsschattierungen einführen. Das Ziel von „Das Buch.“ ist es, sehr sinngetreu bei gleichzeitig sehr variabler Sprache zu sein. Ich will den Geist der Aussagen zum Ausdruck bringen.
<?> Welche Rolle haben andere Übersetzungen gespielt, die ähnliche Ziele haben wie deine Übersetzung?
Roland Werner: Ich habe bewusst nur aus dem Griechischen übersetzt und in maximal einem Prozent der Verse geschaut, was andere Übersetzungen wie die Neue Genfer Übersetzung oder andere gemacht haben. Manchmal habe ich auch andere Sprachen angeschaut, gerade die anderen germanischen wie holländisch oder die skandinavischen Sprachen. Ansonsten habe ich immer mal wieder in die Revidierte Elberfelder geschaut.
Aber grundsätzlich habe ich beim Übersetzen immer nur das Griechische vor Augen gehabt. Gerade weil auch im Griechischen die verschiedenen neutestamentlichen Bücher einen jeweils anderen Ton bzw. eine eigene Färbung und Stimmung haben, habe ich auch in meiner Übersetzung verschiedene Tonarten gewählt. Das Johannesevangelium hört sich anders an als der Römerbrief, und die Offenbarung anders als der Hebräerbrief.
<?> Kannst du diese unterschiedlichen „Tonarten“ näher beschreiben?
Roland Werner: Okay, hier einige Beispiele: Im Johannesevangelium haben wir eine Sprache, die zugleich sehr einfach – im besten Sinne des Wortes – und erhaben ist. Das Markus-Evangelium hört sich bodenständig an, kurze Episoden folgen aufeinander. Es ist wohl so, dass Markus das aufgeschrieben hat, was Petrus, der Apostel, ihm erzählte. Kurz, knapp, dynamisch. Das hat übrigens der Kirchenvater Papias von Hierapolis berichtet.
Überall findet sich Liebe zum Detail, bei Johannes, aber auch bei Lukas usw. Matthäus hört sich „hebräisch“ an, und auch das bestätigt Papias von Hierapolis. Die Johannesbriefe kreisen immer wieder um die selben Themen wie Wahrheit, Liebe, Gemeinschaft, während der Judasbrief kurz, knapp und klar das Wesentliche für seine Zeit äußert. So hat jedes Buch des Neuen Testaments eine eigene Tonart, und ich versuche, diese Tonart auch in der Übersetzung wiederzugeben.
<?> Ein Leser hat zum letzten Beitrag zu „Das Buch.“ auf www.erf.de die Bedenken geäußert, dass auf Kosten einer wohlgeformten Sprache der ursprüngliche Sinn verfälscht werden kann. Wie beschreibst du das Verhältnis von wohlgeformter Sprache und ursprünglichem Sinn in deiner Übersetzung?
Roland Werner: Ich glaube, dass ich sehr nahe am Sinn bin und dass Texttreue nicht Worttreue, sondern Sinntreue bedeutet. Aber das sollen dann die Experten beurteilen. Ein Theologe, der mit am griechischen Neuen Testament gearbeitet hat, hat gesagt – er hat das Johannesevangelium in der Übersetzung „Das Buch.“ gelesen – , dass meine Übersetzung sehr gut den Sinn bzw. Ton des Griechischen wiedergibt.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Die Fragen an Dr. Roland Werner stelle Joachim Bär für ERF