Moral: Das Prinzip „Pharisäer“

heiligenscheinPharisäer („die Abgesonderten“) nannten sich die besonders gesetzestreuen Juden zur Zeit Jesu. Nach dem biblischen Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner (Lk. 18, 9-14) zu urteilen, neigte diese religiöse Elite in hohem Maße zu Selbstgerechtigkeit und Scheinheiligkeit: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute.“ Eine neue psychologische Studie hat nun gezeigt, dass ein Pharisäer in uns allen steckt. Sonya Sachdeva und zwei Kollegen von der Northwestern University in Chicago stellten fest, dass Menschen es gerade dann an Nächstenliebe fehlen lassen, wenn sie eine sehr gute Meinung von sich entwickelt haben. Sachdeva hatte 46 Studenten aufgefordert, eine Geschichte aus ihrem Leben niederzuschreiben und dabei jeweils drei vorgegebene Wörter zu verwenden. Einer Gruppe wurden positive Attribute angeboten (fürsorglich, großzügig, freundlich), einer anderen drei negative (unzuverlässig, gierig, selbstsüchtig). Im Anschluss daran wurden die Probanden um eine Spende für wohltätige Zwecke gebeten.

Den geringsten Betrag (durchschnittlich 1,07 Dollar) gaben die Studenten, die für sich die positiven Attribute verwendet hatten; jene, die sich am negativsten charakterisiert hatten, spendeten am großzügigsten (5,30 Dollar).

Ein weiterer Versuch bestätigte den Trend. In einem Rollenspiel sollten sich 46 Studenten jeweils in die Lage eines Managers einer Fabrik versetzen. Jene, die sich zuvor als besonders positiv dargestellt hatten, gingen am wenigsten auf die Wünsche einer Umweltgruppe ein, die den Einsatz teurer Schadstofffilter gefordert hatte.

Zudem zitiert die Forscherin Studien, die belegen, dass Personen, die zunächst besonders „politisch korrekt“ agieren und gegen Diskriminierung ankämpfen, später eher zu Vorurteilen neigten.

Laut Sonya Sachdeva verfügen Menschen über eine Art „moralischen Thermostat“, der um Ausgleich bemüht ist. „Gutsein“ erfordert eine Menge Energie und Aufwand, für den man entschädigt sein möchte. Dadurch werden „Heilige“ leicht zu Scheinheiligen.

Die positive Botschaft: In „Sündern“ regt sich das schlechte Gewissen, und sie versuchen, durch gute Taten ihre „moralische Temperatur“ wieder zu erhöhen.

Q: GEO.de