Für eine wichtige Frömmigkeitsrichtung hält der scheidende Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, den Pietismus… In den vergangenen Jahren sei es gelungen, das Verhältnis zwischen EKD und Pietismus zu entspannen, sagte Huber im Gespräch mit der evangelischen Monatszeitschrift „zeitzeichen“ (Oktober-Ausgabe): „Eine Kirche, die sich missionarisch neu ausrichten will, und das ist ja unsere erklärte Absicht, kann ohne die Kraftquellen des Pietismus nicht auskommen.“
Zugleich habe die evangelische Kirche ein kritisches Verhältnis zu bestimmten sogenannten evangelikalen Entwicklungen wie dem Kreationismus oder der Absolutsetzung gewisser sexualethischer Positionen. Wenn bestimmte Medien alle, die sie als evangelikal betrachten, als fundamentalistisch bezeichneten, sei das sehr undifferenziert, sagte Huber. Er verwies auf einen ZDF-Beitrag über die Vorbereitung evangelikaler Jugendliche auf Missionseinsätze, der den Rat der EKD zu einer Zurückweisung veranlasst hatte. „Auf der anderen Seite kann und will die EKD nicht ein undifferenziertes Ja zu allem sagen, was evangelikal ist oder sich so versteht“, sagte Huber, der nach sechs Jahren als EKD-Ratsvorsitzender sein Amt Ende Oktober abgeben wird.
Angesichts der weltweit erstarkenden Pfingstbewegung rief Huber dazu auf, sich mit dieser auseinanderzusetzen und ihre Impulse aufzunehmen. Die Gottesdienste der Pfingstkirchen seien „oft näher an der Lebenswirklichkeit der Menschen als unsere Gottesdienste“. Insgesamt beobachtet der früherer Professor für Sozialethik in Deutschland ein stärkeres Interesse an Religion als vor einem Jahrzehnt. In seinem Tätigkeitsbereich, der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, wirke jedoch der Gewohnheitsatheismus der DDR stark nach.
Die Erfahrung in der DDR hat nach Hubers Ansicht gezeigt, dass in einer Minderheitensituation nicht automatisch eine „Beteiligungskirche“ mit nur aktiven Mitglieder entsteht. Diese Erfahrung sei positiv umzuwandeln, denn Auftrag der evangelischen Kirche ist nach Meinung des Bischofs, die christliche Botschaft an alle zu verkünden. Er könnte sich nie mit einer Kirche abfinden, „die sich in eine Nische der Gleichgesinnten zurückzieht“. Kirchliche Beteiligung dürfe zudem nicht auf den Besuch des Sonntagsgottesdienst oder bestimmter Amtshandlungen reduziert werden. „Die Pluralisierung der Gesellschaft schlägt sich auch in einer Pluralisierung der Beteiligung am Leben der Kirche nieder“, sagte der 67-Jährige, der am 14. November nach 16 Jahren seine Tätigkeit als Bischof beenden wird.
Q: epd vom 30. September 2009