Wenn man Werbung und Selbsthilfebüchern glaubt, dann geht es immer noch schöner und erfolgreicher. Die evangelische Kirche hinterfragt mit ihrer Fastenaktion den Trend zur Selbstoptimierung, der schon im Kindesalter beginnt…
Was kann man nicht alles in zehn Tagen schaffen: den Führerschein machen, seine Pickel loswerden, China erkunden, fünf Kilo abnehmen oder auch zehn. Zumindest wenn es nach den zahlreichen Ratgeberseiten im Internet geht. Die Botschaft ist klar: Jeder kann sich verbessern, und das in kürzester Zeit. „An der Forderung zur Selbstoptimierung kommt niemand vorbei“, sagt die Zürcher Soziologin Stefanie Duttweiler. „Schwächen werden heute umgewertet.“ Sie zeigen, an welchen Stellen man sich noch weiter verbessern kann.
Die Evangelische Kirche in Deutschland will diesen Trend mit ihrer diesjährigen Fastenaktion hinterfragen. Das Motto: „Gut genug – 7 Wochen ohne falschen Ehrgeiz“. Die Initiatoren rufen dazu auf, in der Fastenzeit von Aschermittwoch am 22. Februar bis Ostern am 8. April nicht nur auf Schokolade oder Alkohol zu verzichten, sondern auch Pause vom Perfektionismus zu machen. An der Initiative mit Aktionskalendern und Fastengruppen beteiligen sich in jedem Jahr rund zwei Millionen Menschen.
„Man darf heute eigentlich keine Schwächen zeigen“, sagt die Münchener Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, Kuratoriumsvorsitzende von „7 Wochen Ohne“. „Jeder ist ständig dabei, sich selbst zu verbessern. Man ist sich selbst der größte Sklaventreiber.“
Mit dem Wunsch nach Optimierung lässt sich viel Geld verdienen: Unzählige Lebenscoaches und Persönlichkeitstrainer bieten im Internet ihre Dienste für mehr beruflichen Erfolg an, für bessere Schulnoten wollen zahlreiche private und professionelle Nachhilfelehrer sorgen. Nach Angaben des Bundesverbands Nachhilfe- und Nachmittagsschulen, in dem mehr als 2.500 solcher Organisationen zusammengeschlossen sind, nimmt jedes dritte bis vierte Kind im Laufe seiner Schulzeit Nachhilfeunterricht.
Denn die Forderung nach Verbesserung beginnt schon im Kindesalter. „Eltern machen Kindern sehr deutlich, dass man sich seinen Platz in der Gesellschaft durch gute Leistungen erarbeiten muss“, sagt der Erziehungswissenschaftler Arnold Lohaus.
Der Professor der Universität Bielefeld beobachtet, dass Eltern immer höhere Erwartungen in ihre Kinder setzen. Den Grund dafür sieht Lohaus unter anderem in veränderten Familienstrukturen. „Früher haben sich die Erwartungen der Eltern auf mehr Kinder verteilt.“ Wenn sich heute alle Hoffnungen auf ein oder zwei Kinder konzentrierten, sei der Druck größer.
Die Schulpsychologin Monika Drinhaus berichtet von 15- oder 16-jährigen Mädchen, die bis zur Erschöpfung lernen, weil sie mit ihren Noten unzufrieden sind. „Wenn sie eine Drei statt einer Zwei in der Klassenarbeit schreiben, entwickeln einige Schüler massive Versagensängste.“
Für zusätzliche Belastung sorgt nach Ansicht der Psychologin, die an mehreren Schulen im Rheinland arbeitet, die Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre. Schüler hätten heute einen Arbeitstag wie ein Erwachsener. „Und das müssen sie in einer Phase bewältigen, in der sie sich körperlich und emotional rasant entwickeln.“
Leistung spielt nach Drinhaus‘ Erfahrung auch in der Freizeit von jungen Menschen eine immer größere Rolle. „Heute besuchen so viele Kinder das Gymnasium, dass sich viele Eltern fragen: Wie kann sich mein Kind da abheben?“ Hobbys wie Sport oder Musik seien dann nicht mehr Mittel zur Entspannung, sondern auf Höchstleistungen ausgerichtet.
Der Erziehungswissenschaftler Lohaus hat in Untersuchungen festgestellt, dass jeder fünfte Drittklässler über häufige Kopfschmerzen klagt – ein typisches Stress-Symptom. Gründe dafür könnten Hausaufgaben und Klassenarbeiten, aber auch die vielen Freizeitaktivitäten sein. Lohaus rät, Schularbeiten und Hobbys sinnvoll über die Woche zu verteilen – und auch Ruhepausen einzuplanen.
Ehrgeiz sei an sich nichts Schlechtes, betont Bischöfin Breit-Keßler. Doch „7 Wochen Ohne“ wolle vor falschem Ehrgeiz warnen, der ständig zu neuen Superlativen antreibe. Breit-Keßler will dem das christliche Verständnis entgegensetzen: „Gott liebt uns so, wie wir sind, ohne Vorleistung.“
Kinder sollten ihre Zeit auch mal sinnfrei genießen können, sagt sie. Einfach in der Natur sein, mit Tieren oder Freunden spielen – das komme häufig zu kurz. Auch Erwachsenen rät sie, „den Sabbat mal im Alltag zu heiligen“. Die Fastenzeit sei dazu eine gute Gelegenheit.
Ehrgeiz kann man nach Meinung von Breit-Keßler auch im Kleinen fasten: „Nach einem langen Arbeitstag muss man nicht unbedingt noch ein 3-Gänge-Menü kochen und die gesamte Wäsche erledigen“. Es könne auch mal reichen, nur die Bluse für den nächsten Tag zu bügeln.
epd