Ein renommierter Journalist nennt das einen interessant recherchierten Artikel – und dass es ihm gefällt, wie hier mal ganz praktisch durchgerechnet wurde – und dass der Autor deutlich macht, wie hier verschiedene Prioritäten konkurrieren. – (FAZ.net) Jahr für Jahr verbuchen die Kirchen in Deutschland Rekordeinnahmen aus der Kirchensteuer. Zuletzt flossen… den beiden großen Kirchen darüber etwa 11,5 Milliarden Euro zu. Schon seit Jahren gleicht die gute Konjunkturlage sinkende Mitgliederzahlen mehr als aus. Paradiesische Zeiten für Kirchengemeinden? Von wegen. Die verbliebenen Mitglieder bekommen von der bisher üppigen finanziellen Ausstattung wenig mit. In der katholischen Kirche werden immer weniger Gemeinden von einem eigenen Priester betreut. Die evangelische Kirche verfügt zwar derzeit noch über genügend Pfarrer. Doch auch dort werden manche Kirchen dichtgemacht, Gemeinden zu unübersichtlichen Verbünden zusammengelegt und bleiben Pfarrstellen teils über Jahre unbesetzt.
Auch der Service für die Mitglieder wird zurückgefahren. Einst war es üblich, dass Pfarrer ihre Gemeindemitglieder besuchten, gerade wenn sie neu zugezogen waren. Solche Hausbesuche sind mittlerweile die Ausnahme. Wer sich im Bekanntenkreis umhört, dürfte neben den zahlreichen guten Erfahrungen mit der Kirche auch irritierend viele Klagen vernehmen: Geschichten über Pfarrämter, die telefonisch kaum erreichbar sind. Berichte von trauernden Angehörigen, die jahrelang Kirchensteuern zahlen, dann aber Schwierigkeiten haben, einen Pfarrer für die kirchliche Beisetzung zu finden. Erzählungen über Kirchengemeinden, die mehrere Taufen zu Sammeltaufen poolen, obwohl viele Eltern das explizit nicht wollen. Rekordeinnahmen einerseits, weniger Leistung andererseits – wie ist das möglich?
Karl-Friedrich Wackerbarth stellt sich diese Frage schon länger. Der bärtige Theologe gehört zu denen in der evangelischen Kirche, die sich trauen, ihrer Kirchenleitung kritische Fragen zu stellen. Er ist stellvertretender Vorsitzender des 2012 gegründeten Gemeindebunds, dem mittlerweile immerhin vierzig der rund 1500 Kirchengemeinden der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern angehören. Auch in anderen Landeskirchen gibt es solche Zusammenschlüsse, die sich zunehmend untereinander vernetzen.
Pfarrer Wackerbarth macht eine einfache Rechnung auf, die jeden Kirchensteuerzahler aufhorchen lassen sollte. Der Pfarrer zieht dafür die Eckwerte seiner eigenen Kirchengemeinde in Prien am Chiemsee heran. Wackerbarth kümmert sich dort zusammen mit einem jungen Kollegen um knapp 3000 Mitglieder. Statistisch zahlt etwa jedes dritte Kirchenmitglied Kirchensteuern. Im Schnitt sind das gut 750 Euro. Aus einer Gemeinde dieser Größe fließen der Landeskirche also etwa 750.000 Euro zu. In einer wohlhabenden Region wie dem Chiemsee dürften die tatsächlichen Einnahmen deutlich höher liegen. Doch weil Wackerbarth den innerkirchlichen Ausgleich zwischen den armen und den reichen Gemeinden richtig findet, legt er seiner Rechnung die Durchschnittszahlen zugrunde.
Jugendreferentin kann nur durch Spenden finanziert werden
Wie groß ist der Anteil an den 750.000 Euro, der wieder in die Gemeinde zurückfließt? Der Pfarrer setzt für die beiden Pfarrstellen jeweils 100.000 Euro an, die seinem Arbeitgeber inklusive der erforderlichen Pensionsrückstellungen ungefähr entstehen. Von der Landeskirche erhalte die Kirchengemeinde zudem eine Zuweisung in Höhe von etwa 75.000 Euro. Damit solle das gesamte Gemeindeleben finanziert werden, erklärt Wackerbarth. Macht zusammen 275.000 Euro.
Die Gemeinde in Prien beschäftigt zwar auch noch eine Pfarramtssekretärin in Teilzeit und eine Jugendreferentin. Das aber kann sie sich nur leisten, weil Wackerbarth jährlich mehr als 150.000 Euro an Spenden einwirbt und wie in vielen anderen Gemeinden auf jede kleine Ausgabe geachtet wird.
Landeskirchenamt präsentiert andere Rechnung
Wackerbarth meint, dass bei der Verteilung der Kirchensteuern etwas nicht stimmt. „Bei mir kommt nur ein Drittel an“, kritisiert er. Wo bleiben die restlichen 475.000 Euro?
Im Landeskirchenamt in München ist für die Kirchengemeinden Hans-Peter Hübner zuständig. „Die Ausgangszahlen von Wackerbarth stimmen“, bestätigt der Oberkirchenrat. Für die Gemeinde in Prien hat Hübner eine Gegenrechnung erstellt, die nicht nur deutlich komplizierter ist als der Ansatz von Wackerbarth, sondern auch zu ganz anderen Ergebnissen kommt. Hübner setzt eine Zwanzig-Prozent-Umlage für die Landeskirche an, rechnet noch eine Umlage an das Dekanat hinzu, schlägt die Ausgaben für die Klinikseelsorgerin der Kirchengemeinde zu und so weiter. Wackerbarths 475.000 Euro schrumpfen zusammen auf 63.095 Euro. Immerhin, die könnten für die Gemeinde in Prien zusätzlich zur Verfügung stehen.
Die Kirche als Dienstleister
Pfarrer Wackerbarth kennt die Gegenrechnung, die der von ihm geschätzte Oberkirchenrat aufgemacht hat. Die darin veranschlagten Umlagen für die Landeskirche halte er auch für sinnvoll, sagt Wackerbarth. Der Gemeindebund fordere auch gar nicht, die gesamte Kirchensteuer in die Gemeinden zu leiten. Realistisch sei aber, der Gemeinde statt nur 75.000 Euro für die Gemeindearbeit etwa 250.000 Euro zur Verfügung zu stellen. Dann könnten sie sich viel besser um die Kirchenmitglieder kümmern. „Wir müssen ein Stück weit Dienstleister sein“, fordert Wackerbarth. „Doch den Gedanken, für die Menschen da zu sein, haben wir verloren. Und die Kirchengemeinden sind völlig aus dem Blick geraten.“
Die Klage, dass die Kirche den Kontakt zu ihren Mitgliedern verliert, ist keineswegs neu. Es gab sie schon während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Nur schlossen die Kirchenleitungen schon damals das Gegenteil daraus: Statt die Gemeinden zu stärken, gründeten sie viele neue Einrichtungen, die sogenannten „Dienste und Werke“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Aufbau solcher Strukturen noch einmal beschleunigt, weil die Einnahmen der Kirchen zu sprudeln begannen wie niemals zuvor. Der Kirchenhistoriker Wolf-Dieter Hauschild sprach für die 1960er und 1970er Jahre von der „dagobertinischen Phase“ der Kirchengeschichte.
Kirchensteuer kommt anderen Einrichtungen zugute
Ein Beispiel: Die Einnahmen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau stiegen zwischen 1950 und 1974 um mehr als das Zehnfache, wie der Historiker Stefan Schmunk in einer Dissertation nachwies. Inflationsbereinigt…
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