Der Schweizer Pastor Jürg Rother aus Ägeri veranstaltet sechsmal im Jahr mit seinem Team einen „Soul on Sunday“-Gottesdienst: ohne Liturgie, ohne Predigt, aber mit einem intensiven Austausch und „guter Musik“, nicht zu vergessen der „sensationellen Sandwiches“, wie Rother sagt. Im Interview mit dem Magazin Gemeinde.praktisch verrät er, warum Soul on Sunday für ihn „seelische Wellness“ bedeutet. Und wie jede Gemeinde so einen Gottesdienst nachmachen kann…
Gemeinde.praktisch: Herr Rother, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine neue Gottesdienstform auszuprobieren?
Jürg Rother: Ausgangspunkt war ein Impuls von Bill Hybels, dem Gründer von Willow Creek. Er hat Menschen gefragt: Wie müsste ein Gottesdienst aussehen, damit ihr kommt?
Diese Frage haben Sie auch Ihrer Gemeinde gestellt?
Nicht ganz. Zusammen mit sechs Männern und Frauen, die nicht aktiv in der Gemeinde waren, habe ich diese Frage etwas abgewandelt zu: „Wie müsste ein Gottesdienst aussehen, damit du deinen Nachbarn dazu einlädst?“ Innerhalb von einem Jahr haben wir uns mehrmals getroffen, um aus dieser Frage ein Konzept zu erarbeiten.
Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben uns eine Zielperson für unsere Frage ausgedacht: männlich, beruflich aktiv, Familienvater, an gesellschaftlichen Fragen interessiert.
Warum das?
Wenn wir „ihn“ überzeugen, haben wir den größt-möglichen Effekt und die größte Reichweite. Wenn dieser Mann sagt „Ich gehe in die Gemeinde – kommt ihr mit?“, begleitet ihn die ganze Familie. Oder der Mann sagt zu seiner Frau: „Ich schaue nach den Kindern, geh du mal in den Gottesdienst.“ Dann nimmt sie vielleicht ihre Freundin und auch noch die Nachbarin mit.
Und wie schafft ihr nun Anziehungskraft?
Mit einem sehr niedrigschwelligen Angebot. „Soul on Sunday“ ist ein unkonventioneller Gottesdienst. Liturgie gibt es kaum. Ich glaube, ich habe in 13 Jahren vielleicht drei Mal eine Bibel dabeigehabt. Das höchste der Gefühle ist das gemeinsame Lied „Morning Has Broken“, das „Vater unser“ und ein Segenswort.
Und sonst?
Der Spezial-Gottesdienst bekommt ein Thema, beispielsweise Vergebung, Gnade oder Auferstehung. Mein Vorbereitungsteam recherchiert dazu und trifft sich vorher zwei- bis dreimal zum Diskutieren. Im Gottesdienst wird das Publikum dann in dieses Thema einbezogen. Jeder darf eigene Erfahrungen erzählen. Wir sitzen dabei in bequemen Sesseln in einer Mehrzweckhalle.
Warum nicht in der Kirche?
Wir brauchen Platz für die Musik, die ist uns sehr wichtig. Es gibt Untersuchungen, wie Musik emotional durch einen Gottesdienst führt. Daher laden wir Profi-Musiker ein, die mit ihrem Equipment anreisen. Es geht in Richtung Rock/Pop.
Was ist mit der Predigt?
Seit drei Jahren gibt es eine Kurzpredigt, die zwischen drei und vier Minuten dauert. Die meiste Zeit sind wir aber im Gespräch oder in der Interaktion mit den Teilnehmenden.
Was nehmen die Leute mit nach Hause?
Das Gefühl „Ich bin willkommen“, „Ich werde nicht in eine Liturgie eingezwängt“. Wir sprechen bewusst keine Insidersprache. Durch die professionelle Musik ist der Gottesdienst ein kulturelles Erlebnis. Dann kommt das kulinarische Erlebnis und Begegnungen untereinander. Das ist für mich seelische Wellness. Wir verbringen einen schönen Morgen miteinander.
Was für ein kulinarisches Erlebnis?
Wir haben ein Cateringteam, das sensationelle Sandwiches vorbereitet. Unser ursprünglicher Arbeitstitel für den Gottesdienst lautete übrigens „Lachsbrötchen und Prosecco“ (lacht). Zentral geht es darum, Zeit miteinander zu verbringen. Wir nehmen uns eineinhalb bis drei Stunden.
Welche Reaktionen gibt es?
„Soul on Sunday“ ist inzwischen eine echte Marke, hat regionale Bekanntheit und ist immer gut bis sehr gut besucht. Es kommen fünfmal so viele Leute wie zu einem normalen Gottesdienst.
Was braucht eine Gemeinde, wenn sie einen ähnlichen Gottesdienst veranstalten möchte?
Es muss jemanden geben, der moderieren kann – und zwar sehr spontan. Dann muss man den Mut haben, sich von liturgischen Traditionen zu lösen und auf gute Musik achten. Die Kosten sind auch ein wichtiger Faktor. Bei uns kostet ein „Soul on Sunday“ zwischen 700 und 1000 Franken, das sind um die 600 bis 800 Euro. Zudem braucht es Gäste, die bereit sind, sich persönlich auf ein Thema einzulassen – dann wird es interessant.
Danke für das Gespräch.
Die Fragen stellte Laura Schönwies für jesus.de/ch