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DER GOTTESDIENST IM KIRCHENJAHR
von
Karl-Heinrich Bieritz
Der Autor lehrt(e) Praktische Theologie an der Universität Rostock

DIE SONNTAGE IM ADVENT
„Endlich soll geschehen“, so beschreibt ein Medienexperte die geheime Hoffnung vieler Zeitgenossen, „was man noch nie gesehen, gehört, erfahren hat.“ Christen rechnen mit dem Unerwarteten. Sie lassen sich aufstören durch die Nachricht vom Kommen Gottes. Sie gewähren dieser befremdlichen Botschaft Zugang zu ihren Herzen, Häusern, Kirchen – und weigern sich, sie zu verniedlichen und zu entschärfen. Das ist der Kern christlicher Adventsfeier.
Das lateinische Wort adventus, zu deutsch Ankunft, konnte in der Antike die Thronbesteigung eines Herrschers bezeichnen, seinen ersten offiziellen Besuch nach Antritt der Herrschaft, aber auch die Ankunft einer Gottheit im Tempel. Christen verwendeten das Wort sowohl zur Bezeichnung der Ankunft des Christus unter den Menschen, seine „Erscheinung im Fleisch“, als auch zur Bezeichnung seiner erhofften Wiederkunft am Ende der Zeiten.
Die Entstehung der Adventszeit, die der christliche Osten in dieser Form nicht kennt, hängt vermutlich mit der altkirchlichen Taufpraxis zusammen. Bezeugt ist ein mehrwöchiges Fasten, das am 11. November begann und ursprünglich wohl auf die zu Epiphanias (6. Januar) vollzogenen Taufen vorbereitete. Die Zahl der Adventssonntage – zunächst sechs – verkürzte man später auf vier. Unterschiedlich waren auch die inhaltlichen Akzente: Während in manchen Regionen die Erwartung der Menschwerdung Christi, also das weihnachtliche Motiv, bestimmend war, stand in Gallien und anderen Gebieten der Gedanke der Buße angesichts der Wiederkunft des Herrn im Vordergrund und führte zur Ausgestaltung der Adventszeit als Bußzeit (violette Farbe, Wegfall des Gloria in excelsis). Eine frühe römische Leseordnung verband das Thema der Wiederkunft Christi mit dem Vorläufermotiv (Johannes der Täufer) und dem ›herrscherlichen‹ Motiv des Einzugs Jesu in Jerusalem.
Die Bedeutung, die Christen der Adventszeit beilegen, drückt sich in ihren Adventsliedern aus. Advent wird hier als Erscheinung der Menschenfreundlichkeit Gottes verstanden (Tit 3,4). Beliebt sind die Metaphern vom König, der „in niedern Hüllen“ Einzug hält (EG 14), von Tor und Tür, Psalm 24 entlehnt (EG 1), vom ankommenden Schiff (EG 8), vom Schleier, den Gott selbst zerreißt (EG 7), vom Licht, das in das Dunkel scheint (EG 4,4; 16,5). Aber auch die Sendung des Johannes (EG 10), die Wiederkunft Christi (EG 6) und sein Einzug in das Herz der Menschen (EG 10) werden besungen.
Die Adventszeit ist in vielfältiger Weise eine Zeit der Erinnerung und der Erwartung, der Bereitung und der Buße. Ihr Sinn wird verkürzt, richtet man sie lediglich auf das historische Ereignis der Geburt Jesu aus. Noch weniger wird ihre Umformung in eine stimmungsvolle, kommerzbestimmte ›Vorweihnachtszeit‹ dem gerecht, was in der Adventspräfation zum Ausdruck kommt: „Ihn hast du gesandt als Sohn deines Volkes Israel, den Völkern das Heil zu verkünden, durch ihn erfüllst du alle Verheißungen der Propheten.“

1. SONNTAG IM ADVENT
Ein König kommt: Das alte (römische!) Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem nach Mt 21,1-9 bestimmt den 1. Sonntag im Advent und verleiht ihm ein besonderes, in mancher Hinsicht festliches Gepräge. „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer“, lautet der Wochenspruch aus Sach 9,9. So wird das Ehre sei Gott in der Höhe, das sonst in der Adventszeit schweigt, heute noch einmal gesungen. Auf den König aus dem Hause Davids, der „Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird“, nimmt sowohl die Lesung aus dem Alten Testament (Jer 23,5-8), als auch der Eingangspsalm („…dass der König der Ehren einziehe“) und der Hallelujavers Bezug. Einen eigenen Akzent setzt die Epistel Röm 13,8-12(13.14), die zu einem Leben in der Liebe angesichts der erwarteten Wiederkunft Christi ermahnt: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen.“ Eines der beiden vorgeschlagenen Wochenlieder – Jochen Kleppers „Die Nacht ist vorgedrungen“ (EG 16) – nimmt das Bild auf, verleiht ihm jedoch stärker ›weihnachtliche‹ Züge. Auch das andere Lied besingt die Menschwerdung Gottes im Krippenkind: „Dein Krippen glänzt hell und klar…“ (EG 4).
Nach allgemeiner Übung beginnt mit dem 1. Advent ein neues Kirchenjahr. Dies verdankt sich dem Brauch, mit dem Formular dieses Sonntags die liturgischen Bücher zu eröffnen. Es täuscht jedoch leicht darüber hinweg, dass die Adventssonntage nach Gehalt und Gestalt eng mit den letzten Sonntagen im Kirchenjahr verbunden sind, so dass mit dem 1. Advent eigentlich gar kein thematisch neuer Abschnitt beginnt: Der endzeitliche Akzent ist durchaus im Advent noch präsent. Das gilt auch für die Predigtperikopen dieses Sonntags aus Offb 5,1-5(6-14) und Hebr 10,(19-22)23-25: „…und das um so mehr, als ihr seht, dass sich der Tag naht.“

2. SONNTAG IM ADVENT
Kopf hoch: Das ist die Glaubens-Haltung, zu der der 2. Sonntag im Advent auffordert. Das „Ende der Geschichte“ – und das heißt: das Ende von Unrecht, Gewalt, Leid, Tod – ist nahe. Die Thematik von Wiederkunft Christi und Gericht prägt den Charakter dieses Sonntags. Evangelium ist Lk 21,25-33 (Zeichen des Endes), Epistel Jak 5,7-8 („Seid geduldig, liebe Brüder, bis der Herr kommt“). Die alttestamentliche Lesung Jes 63,15-16 ist Teil eines Buß- und Bittgebetes des Gottesvolkes, von den gleichen Motiven bestimmt wie der Eingangspsalm, der nach der rettenden Erscheinung Gottes schreit: „Du Hirte Israels, höre, der du dein Volk hütest wie Schafe, erscheine!“ Nicht als bedrohliche Katastrophe, sondern als inständig erflehte, sehnlich erhoffte Erlösung wird in all dem das endliche Kommen Christi geschaut und beschrieben: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht“ (Wochenspruch, zugleich Kernsatz des Evangeliums). Das Wochenlied EG 6 nimmt diese freudige Stimmung auf: „Ihr lieben Christen, freut euch nun, bald wird erscheinen Gottes Sohn…“, ebenso wie das erste Tagesgebet: „..dass wir bereit sind, wenn dein Sohn kommt, ihn mit Freude zu empfangen.“ Während das zweite Tagesgebet den Gerichtsgedanken akzentuiert, nimmt das dritte Gebet ganz stark das Motiv sehnsüchtiger, flehentlicher Erwartung auf: „Damit aus Schreien der Verzweiflung und Angst ein Loblied wachsen kann…“

3. SONNTAG IM ADVENT
Ein Weg durch die ortlose Wüste: Am 3. Advent gibt die alttestamentliche Lesung Jes 40,1-8(9-11) das Bild vor, das sich durch die Texte dieses Sonntags zieht. Es klingt im Wochenlied an („Bereitet doch fein tüchtig den Weg dem großen Gast“, EG 10,2), wird vom dritten Tagesgebet aufgenommen („Du bist auf dem Weg zu uns, Gott…“) und vom Wochenspruch festgehalten: „Bereitet dem Herrn den Weg, denn siehe, der Herr kommt gewaltig.“ Das Bild vom Weg verbindet sich mit der Gestalt Johannes des Täufers, der als Wegbereiter des Heils gilt; frühere Auslegung sah ihn im ›Prediger‹ von Jes 40,6 vorgebildet und angekündigt. Seine Frage an Jesus steht im Mittelpunkt des Evangeliums Mt 11,2-6(7-10): „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Die Antwort Jesu überführt das Bild vom Wüsten-Weg in die erfahrbare Wirklichkeit des Gottesreiches: „Blinde sehen und Lahme gehen…“ Der große Gast – wieder schwingt darin das Motiv des Fremden, Befremdlichen mit – schafft Lebensräume, Lebensmöglichkeiten mitten in der ortlosen Wüste. Wo er sich auf den Weg macht, verwandelt sich die Welt – auch gegen den Zweifel, der sich weigert, solches zur Kenntnis zu nehmen (zweites Tagesgebet).
Die Epistel 1 Kor 4,1-5 ist über das Stichwort „der Herr kommt“ mit der Thematik dieses Sonntags verbunden. Das Gericht, so hofft Paulus, wird Licht in die Finsternis bringen – ›Aufklärung‹ über das „Trachten der Herzen“. Man darf dies getrost mit der Bitte verbinden, in die der Eingangspsalm mündet: „…dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue.“

4. SONNTAG IM ADVENT
Freut euch, ihr Hungrigen! Es ist ein höchst aufstörendes, aufrüttelndes Lied, das der Evangelist Lukas hier der Mutter Jesu in den Mund legt, und es verkündet befremdliche Dinge: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ Die Freude, die in den Texten dieses Sonntags aufscheint, hat konkrete Gründe: Keine Hoffart mehr, keinen Hunger,
keine Gewalt, sondern Barmherzigkeit, Recht, Leben für alle. Kein Wunder, dass Johannes im Leib seiner Mutter hüpft! Alle drei Tagesgebete nehmen auf den Lobgesang der Maria und damit auf das Evangelium aus Lk 1,(39-45)46-55(56) Bezug, geben so dem 4. Advent das Gepräge eines evangelischen ›Marientages‹: „Wie Elisabeth und Maria einander umarmten und dein Lob gesungen haben, erfülle auch uns mit deinem Geist…“ (zweites Gebet). Auch die Präfation für den 4. Advent (EGb S. 620) nimmt den Lobgesang Mariens auf und bekennt sich zu ihrer Erwählung „als Mutter deines Sohnes Jesus Christus“.
Epistel (Phil 4,4-7), Wochenspruch, Wochenlied (EG 9) stimmen in den Klang des Marien-Liedes ein, akzentuieren das Motiv der Freude: „Freuet euch in dem Herrn allewege … Der Herr ist nahe!“ Dem Spruch – Leitvers des Eingangspsalms — verdankt der 4. Advent in der katholischen Kirche den Namen Gaudete; statt der violetten (Buß-)gewänder dürfen an diesem Tage rosafarbene getragen werden. Evangelische Christen feiern am 4. Advent ihren Sonntag Gaudete: „Der Herr ist nahe“. Der Doppelsinn des Wortes – wir denken zunächst an das bevorstehende Fest der Geburt, Paulus aber spricht von der Wiederkunft Jesu – verdeutlicht noch einmal die Spannung, unter der die Adventszeit steht. Großartig das Bild, mit dem die zweite Antiphon zum Eingangspsalm die Botschaft vom Advent Gottes bündelt: „Tauet (Rorate), ihr Himmel, von oben und ihr Wolken regnet Gerechtigkeit! Die Erde tue sich auf und bringe Heil.“

WEIHNACHTEN
„Weihnachten ist das Fest der Geburt – des Erlösers gewiss, aber in dem himmlischen Kind feiert jeder seine eigene Grandiosität“, schreibt Manfred Josuttis und er versucht damit, die ungebrochene Popularität des Weihnachtsfestes zu erklären. „Zu Weihnachten, darf man sagen, feiern die Menschen ein zentrales Geheimnis des Lebens. Jeder ist einzigartig auf diese Welt gekommen, ist dort bewundert und bewahrt worden und bestätigt seine Lebensbejahung durch den Tausch von Geschenken.“ Das mag so sein. Aber es ist, wendet man sich den biblischen Überlieferungen zu, auf denen das Fest gründet, ein höchst gefährdeter, zerbrechlicher Flucht- und Rückzugsraum, der hier eröffnet wird. Neben dem Krippen-Idyll – handelt es sich wirklich um eine Idylle? – stehen Wanderung und Flucht und der Bescherung durch die heiligen Magier aus dem Orient folgt der Kindermord.
In den ersten drei Jahrhunderten kannte die Christenheit außer dem Osterfest keine Jahresfeste. Erst im 4. Jh. begann man in Rom, den 25. Dezember als Geburtsfest Christi zu feiern. Etwas früher setzte sich im Osten und in manchen Gebieten des Abendlandes der 6. Januar als Fest der Erscheinung Christi (Epiphanie; Genitiv Epiphanias) durch. Über den Ursprung des römischen Weihnachtsfestes gibt es unterschiedliche Hypothesen. Manche gehen davon aus, dass christliche Theologen durch Berechnungen verschiedenster Art auf den 25. Dezember als Geburtsdatum Jesu gekommen sind. Andere meinen, dass das Geburtsfest Jesu mit dem Fest des unbesiegten Sonnengottes (Natale Solis Invicti) zusammenhängt, das der römische Kaiser Aurelian im Jahre 274 eingeführt und in die Nähe der Wintersonnenwende auf den 25. Dezember gelegt hatte. Vermutlich haben beide Faktoren – Versuche, das Geburtsdatum Jesu zu berechnen, und die Verchristlichung des Sonnenfestes – bei der Entstehung und raschen Ausbreitung des Festes zusammengewirkt. In den Kirchen des Ostens tritt es seit dem Ende des 4. Jh. dem Epiphaniasfest zur Seite – mit Ausnahme der armenischen Kirche, die bis heute die Geburt Jesu nicht am 25. Dezember, sondern nur am 6. Januar feiert.
Geburtstag oder Geburtsfest meinte in der Sprache der Antike mehr als die bloße Erinnerung an die Geburt eines Menschen. Der Ausdruck konnte – zumal da, wo er auf Herrscher und Götter Anwendung fand – auch die Bedeutung von Machtentfaltung, Verherrlichung, Offenbarung, Vergöttlichung in sich aufnehmen. Man darf annehmen, dass die Christen das Fest von Anfang an in solch weiterem Sinne und nicht nur als Gedächtnistag des historischen Ereignisses der Geburt Jesu begangen haben: Sie feiern die Offenbarung Gottes in Jesus Christus, sein Kommen in die Welt in Gestalt eines von einer Frau geborenen, Leid, Vergänglichkeit und Tod unterworfenen Menschen. Sie feiern zugleich solche Selbstentäußerung und -erniedrigung Gottes als Erweis und Bestätigung seiner göttlichen Macht.
Die Menschwerdung Gottes zielt auf die Erlösung der Menschen und der ganzen Schöpfung aus der Macht der Sünde und des Todes. Gott wurde Mensch, damit Menschen Kinder Gottes werden: Auf diese Formel hat christliche Theologie das weihnachtliche Festgeheimnis gebracht. Man spricht vom „wunderbaren Tausch“, der sich dabei vollzieht: „…in unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut“, heißt es bei Martin Luther (EG 23; vgl. auch EG 27). Gerade die sehr menschlichen Umstände der Geburt Jesu, von denen besonders Lukas berichtet, haben die fromme Phantasie immer wieder beschäftigt; gewinnt hier doch die abstrakte Rede von der Menschwerdung Gottes konkrete Gestalt. Die Faszination, die bis heute für viele Menschen von Weihnachten ausgeht, hängt damit zusammen: Es sind durchaus vorstellbare, erfahrbare, alltägliche Gegebenheiten und Geschehnisse, von denen da die Rede ist.
Von Beginn an ist dem Weihnachtsfest die Lichtthematik eigen: Die Menschwerdung Gottes wird ins Bild gesetzt durch das Gleichnis vom Licht, das in die Welt kommt (Joh 1,4f.7.9; 3,19ff.; 8,12; 9,5 u. ö.) und die Finsternis vertreibt: „Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein‘ neuen Schein“ (EG 23). Als Christusfest kommt Weihnachten – von der Christvesper am Heiligen Abend bis zum Epiphaniasfest am 6. Januar – die weiße Farbe zu.

CHRISTVESPER
Für evangelische Christen beginnt die Feier des Weihnachtsfestes in der Regel mit der Christvesper am Heiligen Abend. Der Brauch reicht bis in die Reformationszeit zurück: Um „unordentlichem“ Wesen zur nächtlichen Stunde entgegen zu steuern, ersetzte man den Mitternachtsgottesdienst durch die Vesper am Vorabend. Die Christmette, die nach damaliger Übung den nächtlichen Gottesdienst einleitete, verlegte man auf den frühen Morgen des Weihnachtstages. In manchen Gebieten steht bis heute die Christmette in der Frühe des Festtages im Mittelpunkt evangelischer Weihnachtsfeier.

Nach der Agende wird die „Christvesper in der Regel in einer besonderen Form ohne Abendmahl gefeiert“. Man liest die alttestamentlichen ›Weissagungen‹ aus Mi 5,1-3, Jes 9,1-6 und Jes 11,1-2. Im Mittelpunkt steht die Geburtsgeschichte nach Lk 2,1-14(15-20), die meist in mehreren Abschnitten, unterbrochen von Gemeindeliedern und Chorgesang, vorgetragen wird. Die Lichtthematik, wie sie Jes 9,1 anschlägt („Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“), wird in eindrücklicher Weise vom dritten Tagesgebet aufgenommen: „…du hast durch die Geburt Jesu einen hellen Schein in unsere dunkle Welt gegeben.“ Das zweite Tagesgebet akzentuiert – wie das Tageslied EG 23 – den wunderbaren Tausch: „Du bist ein Menschenkind geworden, auf dass wir Gottes Kinder werden.“ Als festliches Eingangslied dient Ps 96, gerahmt von Jes 9,1.5: „Singet dem Herrn ein neues Lied; singet dem Herrn, alle Welt!“ Die Epistel Tit 2,11-14 schlägt mahnende Töne an: Die „heilsame Gnade Gottes“, in Christus allen Menschen erschienen, verpflichtet zu einem Leben „gerecht und fromm in dieser Welt“.
Für viele Menschen ist die Christvesper am Heiligen Abend der Weihnachtsgottesdienst schlechthin. Verbale wie nichtverbale Zeichen – Lesungen, Lieder, Lichter, Klänge – sind emotional hoch besetzt. Liturgische und homiletische Gestaltung müssen darauf Rücksicht nehmen. Sie können nicht einfach Stimmungen bedienen. Aber sie dürfen sie aufnehmen und – zum Beispiel – die Regression auf Krippe und Kind durch das Angebot der Gotteskindschaft überschreiten und überwinden.

CHRISTNACHT
Licht in der Nacht: Seit der Frühzeit der Kirche kommen Christen zu nächtlichen Gottesdiensten (Vigilien = Nachtwachen) zusammen. Der Brauch knüpft an den kosmischen Wechsel von Hell und Dunkel, Tag und Nacht an und nimmt die darin beschlossenen Bedeutungen auf: Christus ist das Licht, das die Nacht der Sünde, des Todes, der Gottesferne erhellt. „…du lässt diese Nacht erstrahlen im Geheimnis des wahren Lichtes: Christus ist geboren! Erhalte uns in diesem Licht, bis wir einst den unverhüllten Glanz deiner Gottheit schauen“, heißt es im ersten Tagesgebet und das dritte stimmt ein: „In ihm leuchtet deine Liebe auf, strahlend wie ein nie verlöschendes Licht“. Auch die weihnachtliche Präfation, die hier zum ersten Mal erklingt, nimmt das Bild auf: „Denn Mensch geworden ist er, dein ewiges Wort, in ihm schauen wir das Licht deiner Herrlichkeit.“ Wie ein Blitz erhellt das Wort das nächtliche Dunkel: „Als alles still war und ruhte und eben Mitternacht war, fuhr dein mächtiges Wort vom Himmel herab, vom königlichen Thron“, heißt es im Leitvers zum Eingangspsalm, der damit zugleich einen weiteren Aspekt des Festes zum Klingen bringt: Der König aller Könige tritt – im Krippenkind – seine Herrschaft an.
Als Evangelium liest man die Geschichte von der Ankündigung der Geburt Jesu nach Matthäus (1,18-21), gegebenenfalls ergänzt um den Stammbaum Jesu (1,1-17) und die Weissagung des Gott mit uns aus Jes 7,14, die auch Gegenstand der alttestamentlichen Lesung (Jes 7,10-14) ist: „Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebä
ren, den wird sie nennen Immanuel.“ Die Epistel Röm 1,1-7 ist über V. 3 mit dieser Geschichte verbunden: Christus, geboren „aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch“.
Für katholische Christen ist die mitternächtliche Messe Beginn und zugleich Höhepunkt der Weihnachtsfeier. Die starken Bild- und Erlebnisgehalte, die dem nächtlichen Gottesdienst eignen, tragen dazu dabei, dass auch immer mehr evangelische Gemeinden wieder einen Gottesdienst in der Christnacht begehen.

CHRISTFEST I
Eigentümlich für die Feier des Weihnachtsfestes in Rom und später im ganzen Abendland sind die drei weihnachtlichen Gottesdienste um Mitternacht, in der Morgenfrühe und am Tage. Mystiker des Mittelalters sahen darin die ›dreifache Geburt‹ Jesu abgebildet: die Geburt des Gottessohnes aus dem Vater vor aller Zeit und Welt; die Geburt des Gottessohnes aus der Jungfrau Maria; die Geburt Gottes durch den Heiligen Geist in der Seele des Einzelnen.
Eine Eigenheit evangelischer Weihnachtsfeier, die ihre Wurzeln in der Reformationszeit hat, ist ihre Ausdehnung auf einen zweiten (früher sogar dritten) Weihnachtsfeiertag. Die Festoktav nach der katholischen Ordnung wird dagegen durch das Gedenken an die sogenannten comites Christi (Begleiter des Christuskindes: 26.12. Stephanus, 27.12. Evangelist Johannes, 28.12. Unschuldige Kinder) bestimmt. Die lutherische Agende von 1955 schloss sich im Prinzip daran an. Sie übernahm die drei Weihnachtsmessen in der Nacht, in der Frühe und am Tage, gab aber den beiden zuletzt genannten die Bezeichnungen Heiliges Christfest I und II, um damit zu verdeutlichen, dass das zweite Formular sowohl am 25. als auch am 26.12. verwendet werden kann. Das Ev. Gottesdienstbuch erklärt die beiden Formulare Christfest I und II für austauschbar.
Das Formular Christfest I, das wohl in der Regel am 1. Weihnachtsfeiertag genommen werden dürfte, sieht als Evangelium noch einmal die Geburtsgeschichte nach Lukas vor, wobei der Akzent jetzt auf dem zweiten Teil (V. 15-20) liegt. Alttestamentliche Lesung ist die Weissagung aus Mi 5,1-4a vom Herrscher, der aus Bethlehem kommen wird. Die Epistel Tit 3,4-7 verkündet die Erscheinung der „Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes“ und schlägt eine Brücke von Weihnachten zur Taufe, zur Gabe des Heiligen Geistes und zur Hoffnung auf das ewige Leben. Zweites Tagesgebet und das zweite Dankgebet nach dem Abendmahl legen aus, was die Erscheinung der Menschenfreundlichkeit Gottes bedeutet: „Den Armen bringt er Heil, den Gefangenen Freiheit, den Traurigen Freude“; bei ihm finden „die Ausgenutzten Erfüllung, die Überanstrengten Ruhe; die Armen finden Schätze und die Reichen begreifen ihre Armut.“
CHRISTFEST II
Das Formular Christfest II entspricht in seinem Kern der alten Messe ›am Tage‹. Nicht die Geburtsgeschichte, sondern die Botschaft von der Fleischwerdung des Wortes nach Johannes steht im Mittelpunkt, und als Evangelium wird Joh 1,1-5(6-8)9-14 gelesen. Die Epistel aus Hebr 1,1-3(4-6) nimmt noch einmal das ›herrscherliche‹ Motiv der Einsetzung des Sohnes „zum Erben über alles“ auf. Die Lesung aus dem Alten Testament (Jes 11,1-9) legt in kräftigen Bildern aus, welcher Art solche Herrschaft ist: Er „wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande“.

1. SONNTAG NACH DEM CHRISTFEST
Dieser Sonntag trägt noch ganz und gar weihnachtliche Züge. Als Evangelium liest man Lk 2,(22-24)25-28(39-40), die Geschichte von der Darstellung Jesu im Tempel, vom Lobgesang des Simeon und von der Lobpreisung der Prophetin Hanna. Das zweite Tagesgebet nimmt ausdrücklich darauf Bezug: „…du hast dem greisen Simeon geschenkt, deinen Heiland zu sehen, und der hoch betagten Hanna Worte gegeben, den Erlöser zu preisen.“ Auch erstes und drittes Tagesgebet beziehen sich auf das Evangelium, wenn es heißt: „…im Kind in der Krippe lässt du uns deine Herrlichkeit schauen.“ Der Leitvers zum Eingangspsalm (Lk 1,78) zitiert den Lobgesang des Zacharias, der Psalm selber nimmt die ›herrscherlichen‹ Töne auf, wie sie im Evangelium anklingen: „Der Herr ist König und herrlich geschmückt…“

ALTJAHRSABEND
In die Weihnachtswoche, die alte Festoktav, fällt der Jahreswechsel. In evangelischen Gemeinden gehört ein Gottesdienst am Abend des 31. Dezember – neuerdings immer häufiger auch in der Nacht – zur festen Praxis. Das Evangelium aus Lk 12,35-40, das Gleichnis von den Knechten, die auf ihren Herrn warten, trägt ein endzeitliches Moment in die Weihnachtszeit ein. Das gilt auch für die Epistel aus Röm 8,31b-39 („Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein?“) und die alttestamentliche Lesung aus Jes 30,(8-14)15-17, die mit außerordentlich scharfen Worten und packenden Bildern zur Buße ruft. Sie stellt zugleich eine Art Konstrastprogramm zur lärmigen, besinnungslosen Geschäftigkeit dar, die die Begehung des Jahreswechsels weithin kennzeichnet: „Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.“ Auch die Tagesgebete nehmen durchweg auf den Jahreswechsel Bezug, akzentuieren aber stärker den Gedanken der göttlichen Führung. Nur das dritte Gebet nimmt auch die kritischen Töne auf, wie sie in den Lesungen anklingen: „Du tröstest uns, Gott, und du forderst uns heraus … Über Verlorenes und Zerbrochenes dürfen wir vor dir trauern, für Gutes und Schönes dir danken.“
NEUJAHRSTAG
Nach der Chronologie des Lukas findet acht Tage nach der Geburt die Beschneidung des Kindes statt, bei der es den Namen Jesus erhält. Diese Notiz gab Anlass, den 1. Januar – zunächst in Spanien und Gallien, später auch in Rom, wo man ursprünglich zu diesem Datum ein Marienfest feierte – als Tag der Beschneidung und Namengebung Jesu zu begehen. Daneben gab es schon in der Alten Kirche den Brauch, die ersten drei Januartage mit Bußgottesdiensten und Fastenübungen zu begehen und Christus als Herrn der Zeit – so in einem altspanischen Formular – zu verkünden. Martin Luther polemisierte gegen den Brauch, „das Neujahr auszuteilen auf der Kanzel“, und forderte, statt dessen über die Beschneidung und den Namen Jesu zu predigen. Für ihn begann das neue Jahr mit Weihnachten: „des freuet sich der Engel Schar und singet uns solch neues Jahr“, heißt es in einem seiner bekanntesten Weihnachtslieder (EG 24). Dennoch hielt sich in den evangelischen Kirchen der Gottesdienst zum Neujahrstag. Das Ev. Gottesdienstbuch hat sich dafür entschieden, dem Motiv des Jahreswechsels den Vorrang gegenüber dem Motiv der Beschneidung einzuräumen, erklärt aber: „Der Neujahrstag kann auch als Tag der Beschneidung und Namengebung Jesu begangen werden.“
Die Epistel aus Jak 4,13-15 (Ungewissheit der Zukunft; Orientierung am Willen Gottes) nimmt ebenso wie das Evangelium aus Lk 4,16-21 (Jesus predigt in der Synagoge zu Nazareth: „…zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn“) auf die Situation des Jahresbeginns Bezug. Die alttestamentliche Lesung Jos 1,1-9 ist vor allem wegen ihres letzten Verses ausgewählt worden: „Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist.“ Das zweite Tagesgebet nimmt diesen Gedanken auf: „Jesus Christus, wo du bist, weicht alle Angst.“ Das Motiv des Namens Jesu – eigentlich mit dem Motiv der Beschneidung verknüpft – lässt sich sehr gut auch mit dem Jahresbeginn verbinden. Das geschieht in dem Leitvers zum Eingangspsalm, die Phil 2,10-11 zitiert („In dem Namen Jesu sollen sich beugen alle Knie“). Dass Gott der Herr der Zeit ist, kommt im ersten und dritten Tagesgebet, aber auch im ersten Vorschlag für das Lied des Tages (EG 64) zum Ausdruck.

2. SONNTAG NACH DEM CHRISTFEST
Der 2. Sonntag nach dem Christfest wird nur begangen, wenn auf die Zeit zwischen dem 1. und 6. Januar ein Sonntag fällt. Er steht zwischen Weihnachten, Neujahr und Epiphanias und nimmt Motive auf, die auch an diesen Tagen begegnen. Evangelium ist die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel nach Lk 2,41-52, die bei Lukas den Kreis der Kindheitsgeschichten abschließt. Thema ist die Sohnschaft Jesu: „Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ Die Lesung aus Jes 61,1-3(4.9)11.0 gibt den alttestamentlichen Text wieder, auf den sich Jesus bei seiner Predigt in der Synagoge zu Nazareth bezieht (vgl. dazu das Evangelium auf den Neujahrstag Lk 4,16-21): „Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit…“ Die Epistel aus Joh 5,11-13 hält fest: Ewiges Leben gibt es nur durch Jesus Christus, den
Sohn Gottes. Zweites und drittes Tagesgebet umkreisen – indem sie das Motiv der Menschwerdung und das Lichtmotiv aufnehmen – noch einmal weihnachtliche Themen, wobei insbesondere der dritte Text den Bogen zur alttestamentlichen Lesung schlägt: „Gott, dein Licht scheint in der Dunkelheit. Deine Kraft stärkt die, die müde sind.“ Der Leitvers zum Eingangspsalm ruft noch einmal das Motiv des ›Namens‹ auf, wie es uns bereits am Neujahrstag begegnen ist, und das zweite Wochenlied nimmt Töne des Epiphaniasfestes vorweg: „O Jesu Christe, wahres Licht, erleuchte, die dich kennen nicht“ (EG 72).

FEST DER ERSCHEINUNG DES HERRN
Epiphanias
Steht zu Weihnachten der Gedanke der Menschwerdung – und damit der Selbstentäußerung Gottes – im Vordergrund, so betont das Fest der Erscheinung stärker den herrscherlichen Aspekt dieses Vorgangs. Es ist wirklich Gott, der Herr, der sich in Jesus der Menschheit zuwendet und seine Königsherrschaft über die Welt aufrichtet: Die Magier kommen, um den „neugeborenen König der Juden“ anzubeten; sie huldigen ihm mit königlichen Geschenken (Mt 2,1-12). Die Berufung zum Sohn in der Taufe (Mt 3,13-17) bedeutet Herrschafsübertragung, Krönung. Die Evangelien, die nach evangelischer Ordnung die Sonntage nach Epiphanias prägen (Joh 2,1-12; Mt 8,5-13; Mk 4,35-41), offenbaren die Machtfülle des Gottessohnes, von dem die Epiphaniaslieder singen: „Jesus ist kommen, der König der Ehren“ (EG 66).
Das Lichtmotiv ist von Anfang an mit dem Fest verbunden („O Jesu Christe, wahres Licht“, EG 72). Mit ihm verknüpfte man den Missionsgedanken, der besonders in evangelischen Gemeinden eine Rolle spielt. Der Stern, der die Weisen zum Christuskind leitet, wird ebenfalls vielfach in diesem Sinn gedeutet: Der „Wunderstern“ (EG 73) bringt Licht, Klarheit und Freude auch in das Leben des einzelnen Glaubenden.
Die Wurzeln des Festes liegen in Ägypten, wo man um den 6. Januar die Geburt des Sonnengottes Aion beging und heilbringendes Wasser aus dem Nil schöpfte. Hieran anknüpfend, feierte die gnostische Sekte der Basilidianer die Taufe Jesu im Jordan, die sie als die eigentliche Zeugung und Geburt des Christus verstand. Vermutlich hat die Kirche in Ägypten zu Beginn des 4. Jh. dem ein eigenes Fest entgegengesetzt, das sowohl die Taufe Jesu als auch seine Geburt zum Inhalt hatte. Als man im Osten später das römische Weihnachtsfest übernahm, wanderte das Motiv der Menschwerdung auf den 25. Dezember. Der 6. Januar stand nun vor allem im Zeichen der Taufe Jesu. Im Abendland wurde die Geschichte von der Anbetung des Kindes durch die Weisen zum eigentlichen Inhalt des Festes. Ist Mt 2,1-12 nur von Weisen allgemein die Rede, so wurde ihre Zahl später auf Grund der Zahl der Gaben auf drei festgesetzt. Sie wurden zu Königen, deren Namen man zu kennen glaubte: Balthasar, Melchior und Caspar. Der 6. Januar gewann im Abendland dadurch immer stärker den Charakter eines Heiligenfestes (Dreikönigstag).

Auch nach dem Ev. Gottesdienstbuch prägt das Evangelium Mt 2,1-12 den Charakter des Festes. Die Perikope von der Taufe Jesu (Mt 3,12-17), die nach der alten Leseordnung hier zusätzlich ihren Platz hatte, ist dem 1. Sonntag nach Epiphanias zugeordnet worden. Die Lesung aus Jes 60,1-6 – früher eine der wenigen alttestamentlichen Episteln überhaupt – führt vor, in welcher Weise die Motive des Evangeliums (wie seiner späteren Ausdeutung) im Alten Testament vorgebildet sind: „Und die Heiden werden zu deinem Licht ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht … Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des Herrn Lob verkündigen.“ Die Epistel Eph 3,2-3a.5-6 nimmt das auf, wenn sie erklärt, „dass die Heiden Miterben sind und mit zu seinem Leib gehören“. Das erste Tagesgebet thematisiert die Anbetung der Weisen, das zweite stellt das Lichtmotiv in den Mittelpunkt, das dritte knüpft mit dem Gedanken der Christussuche an die Geschichte von den Weisen an: „Gib uns die Gnade, dich zu suchen, wo du zu finden bist.“ Das Fest hat eine eigene Präfation, die Christus als „Licht der Welt und Heiland der Völker“ preist. Die liturgische Farbe ist weiß.

1. SONNTAG NACH EPIPHANIAS
Auf die Sonntage zwischen Epiphanias und dem Beginn des Osterfestkreises fällt noch das Licht des Erscheinungsfestes, so dass man in gewisser Weise von einer geprägten ›Epiphaniaszeit‹ sprechen kann. Ihre Zahl ist abhängig vom Osterdatum. Liegt Ostern sehr früh – zum Beispiel am 22. März – kann sich ihre Zahl bis auf einen Sonntag verringern. Der sechste und letzte Sonntag nach Epiphanias wird als Tag der Verklärung Christi immer nach einem eigenen Formular begangen. Die liturgische Farbe ist – bis auf den letzten Sonntag, der als Christusfest die weiße Farbe hat – grün.
Am Sonntag nach dem 6. Januar begeht die katholische Kirche das Fest der Taufe des Herrn. Auch das Ev. Gottesdienstbuch stellt an diesem Tag die Taufe Jesu in den Mittelpunkt. Evangelium ist Mt 3,13-17, das früher als zweite evangelische Lesung dem Epiphaniasfest zugeordnet war. Die alttestamentliche Lesung, das Gottesknechtlied aus Jes 42,1-4(5-9), schlägt die Brücke vom Evangelium zu den Verheißungen des ersten Bundes: „Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn – und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat.“ Die Epistel Röm 12,1-3(4-8) lässt sich auf dem Hintergrund des Evangeliums als Mahnung an die Christen verstehen, die Taufe in der Erneuerung des Sinns zu bewähren. Alle drei Tagesgebete nehmen das Taufthema auf; erstes und zweites Gebet stellen eine Beziehung zwischen der Sohnschaft Jesu und der Gotteskindschaft der Getauften her, auch das dritte akzentuiert den Gedanken der Nachfolge: „Mit Wasser getauft, mit dem Geist gesegnet, mit deiner Stimme berufen: Dass wir auf ihn hören und ihm folgen …“ Der festliche Charakter dieses Sonntags wird auch dadurch unterstrichen, dass das Ev. Gottesdienstbuch ihm eine eigene Präfation zuordnet: „In seiner Taufe ist er zu uns getreten als Bruder, uns vom ewigen Tode zu erlösen“ (S. 622).

2. SONNTAG NACH EPIPHANIAS
Wasser wird zu Wein: Das Evangelium von der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) verleiht diesem Sonntag sein besonderes Gepräge. Der Bezug zu Epiphanias ist deutlich: Das Wandlungswunder wird als Offenbarung der Herrlichkeit – der Vollmacht, der Machtfülle, der Herrschaft – des Gottessohnes verstanden (V. 11). In einem spannungsvollen – und darum spannenden – Verhältnis steht dazu die alttestamentliche Lesung (2 Mose 33,17b-23): Mose darf der Herrlichkeit Gottes ›hinterhersehen‹ (V. 23); die unvermittelte Schau seines Angesichtes wird ihm gnädig verwehrt. Die Gebete akzentuieren das Motiv der Verwandlung, beziehen es auf Leben und Glauben der Christen: „Wandle unseren Mangel in Fülle“, heißt es im zweiten Tagesgebet, und das dritte konkretisiert diese Bitte: „Lass uns erfahren, dass du neue Freude wachsen lässt aus der Trauer, Frieden schaffst im Streit…“ Das Motiv der Freude – traditionell mit dem Bildkreis um Wein, Weinstock, Hochzeit verbunden – klingt auch im zweiten Wochenlied-Vorschlag („In dir ist Freude“, EG 398) an. Einen anderen Akzent setzt der Wochenspruch Joh 1,17; er erinnert an die nicht ganz unproblematische Auslegung, nach der sich in der Wandlung von Wein zu Wasser das Verhältnis von Gesetz und Evangelium abbildet. In gewisser Weise stimmt dazu die Epistel Röm 12,(4-8)9-16, die das Gesetz Christi entfaltet. Das Motiv der Freude scheint hier in V. 12 und V. 15 auf.

3. SONNTAG NACH EPIPHANIAS
Geh hin! Komm her! So wie der römische Offizier seine Soldaten kommandiert, so besitzt der Gottessohn Befehlsgewalt über die Krankheits- und Todesmächte. Dem Wandlungszeichen tritt das Heilungszeichen zur Seite: Auch und gerade in seinen Heilungstaten zeigt sich die Herrlichkeit des Gottessohnes. Der Bezug des Evangeliums (Mt 8,5-13), des Wochenspruchs (Lk 13,29), des Eingangspsalms (Ps 117,1-2 in Verbindung mit Ps 86) wie des Wochenliedes zu Epiphanias – und hier sowohl zum Erscheinungs- wie zum Missionsmotiv – ist deutlich: „Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all…“ (EG 293). Die alttestamentliche Lesung (2 Kön 5,[1-8]9-15[16-18]19a) erzählt von der Heilung des Naaman durch Elisa und knüpft damit deutlich an Motive des Evangeliums (auch der Aramäer Naaman ist ein heidnischer Offizier) an. In der Epistel Röm 1,(14-15)16-17 spricht Paulus von der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt, und formuliert damit jene Aussage, die für Luther und die Reformation zum Kern- und Angelpunkt ihres theologischen Denkens wurde.

4. SONNTAG NACH EPIPHANIAS
Schweig und verstumme! Dem Wandlungs- und dem Heilungszeichen tritt das Naturwunder zur Seite, das den Gottessohn als Herrn über die Schöpfung – und hier besonders über ihre bedrohlichen, tödlichen Aspekte – ausweist. Auch das Evangelium Mk 4,35-41 ist in solchem Sinne eine Offenbarungsgeschichte und damit ein Epiphaniastext. Die Tagesgebete nehmen sehr schön die darin beschlossenen Motive auf. Da dieser Sonntag relativ selten gefeiert wird, sei empfohlen, sie auch zu anderer Gelegenheiten zu verwenden. „In den Gefahren des Lebens hoffen wir auf dich“, betet das erste Tagesgebet, und das zweite fährt fort: „Lass deine Schöpfung nicht Schaden nehmen durch die Schuld der Menschen“. Das dritte verinnerlicht und ›vergeistigt‹ die Bilder des Textes: „Gott, du gebietest dem Sturm und schaffst Ruhe. Fege hinweg die Wolken des Zweifels und der Angst.“
5. SONNTAG NACH EPIPHANIAS
Unkraut unter dem Weizen: Will man einen Zusammenhang herstellen zwischen dem Evangeliums dieses – sehr selten begangenen – Sonntags (Mt 13,24-30) und den anderen Epiphaniassonntagen, so wird man sagen dürfen: Hier begegnet die ›dunkle Seite‹ jenes Geschehens, das Theologie und Liturgie unter den Begriff der Erscheinung des Gottessohnes fassen. Nicht nur das Himmelreich, sondern auch der Feind ist unterwegs zu den Menschen, stört und zerstört das Leben, verdirbt die Frucht. Das Wochenlied EG 246 („Ach bleib bei uns Herr Jesu Christ“) drückt die angemessene Haltung gegenüber diesem Vorgang aus, der von den Tagesgebeten eher verharmlost und verschwiegen wird.

LETZTER SONNTAG NACH EPIPHANIAS
Als Fest der Verklärung Christi wird der 6. und letzte Sonntag nach Epiphanias immer begangen. Die katholische Kirche feiert dieses Fest, das im Osten schon im 5. Jh. bezeugt ist und das im 10. Jh. erstmals im fränkisch-römischen Bereich auftaucht, am 6. August. Die Entstehung des Festes hängt vermutlich mit einer Kirchweihe auf dem Berg Tabor zusammen, der in der Überlieferung als Berg der Verklärung gilt.
Hier ist gut sein: Die drei Jünger bekommen schon etwas Himmelreich zu schmecken, als sie Zeugen der Erscheinungen auf dem Berg werden. Doch sie müssen wieder hinab: Vor ihnen liegt noch der beschwerliche, schmerzhafte Weg nach Jerusalem (Evangelium Mt 17,1-9). Es handelt sich um eine der zentralen Offenbarungserzählungen des Neuen Testaments, und so ist es nur angemessen, wenn ihr die Geschichte, in der Gott dem Mose seinen Namen offenbart (2 Mose 3,1-10[11-14]), als alttestamentliche Lesung zur Seite gestellt wird. Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten: Die Epistel 2 Kor 4,6-10, in der der Apostel von der Leidens- und Lebensgemeinschaft mit Jesus spricht, schlägt gleichsam den Bogen von der Epiphanias- zur Passionszeit. Dazu stimmt gut das dritte Tagesgebet, das auch die ›dunklen‹ Töne anklingen lässt, die in der Festgeschichte untergründig mitschwingen: „…manchmal strahlend in unserem Vertrauen zu dir, manchmal düster und kalt wie ein erloschenes Feuer.“
Dennoch: Die liturgische Farbe dieses Sonntags ist weiß. Und so richtet er unsere Blicke – bevor die lange Wanderung durch die Passionszeit beginnt – auf Ostern aus.

DER OSTERFESTKREIS

Ostern ist das älteste christliche Jahresfest. Manches spricht dafür, dass die ersten Gemeinden auf dem Boden Palästinas, die sich allem Anschein nach zunächst an die jüdische Gottesdienst- und Festpraxis hielten (vgl. Apg 2,46; 3,1), auch das Passafest nach überliefertem Brauch feierten, es aber mit christlichen Deutungen füllten. Es ist denkbar, dass auch Paulus 1 Kor 5,7 auf eine christliche Passafeier Bezug nimmt, die inhaltlich durch die Aussage „Christus ist unser Passalamm“ bestimmt wird. Auch die Passions-Chronologie des Johannesevangeliums wie die Abendmahlsberichte der synoptischen Evangelien deuten in diese Richtung.
Eindeutige Zeugnisse für eine christliche Feier des Passafestes finden sich erst im 2. Jh. So wie im Mittelpunkt des jüdischen Passafestes das abendliche Passamahl stand (das freilich gegen Mitternacht beendet sein musste), bildete ein nächtlicher Gottesdienst auch das Zentrum der christlichen Passafeier. Er dauerte bis zum frühen Morgen des Ostertages, wo er mit dem Herrenmahl abgeschlossen wurde.
Bald schon bildeten sich im Umkreis dieses nächtlichen Gottesdienstes bestimmte Gewohnheiten und Formen der gottesdienstlichen Begehung heraus. So wird schon früh ein Fasten zur Vorbereitung der Passafeier bezeugt. Es dauerte – unterschiedlich in den einzelnen Regionen – einen bis sechs Tage und fand erst mit der Mahlfeier am Ende des nächtlichen Gottesdienstes seinen Abschluss. Es stand im Zeichen der Trauer über das Leiden und den Tod Jesu und trug den Charakter eines Sühnefastens. Dieses Passafasten wurde zum Ansatzpunkt für die spätere vorösterliche Buß- und Fastenzeit, die im Ev. Gottesdienstbuch als ›Passionszeit‹ die letzten sechs Sonntage vor dem Osterfest umfasst.
Ebenfalls relativ früh finden sich Hinweise auf eine fünfzigtägige Freudenzeit, die sich an das christliche Passa anschloss. Bei ihrer Ausbildung und zeitlichen Begrenzung mag das jüdische Wochenfest – sieben Wochen nach dem Passafest – eine Rolle gespielt haben. Der fünfzigste Tag nach Ostern (griechisch pentekoste, hiervon das deutsche Wort Pfingsten) wurde zunächst als festlicher Abschluss der österlichen Freudenzeit insgesamt verstanden und begangen. Erst seit dem 4. Jh. gewann er – nunmehr verbunden mit dem Gedächtnis der Ausgießung des Heiligen Geistes – mehr und mehr den Charakter eines eigenständigen Festes. Das gilt auch für das Fest Christi Himmelfahrt am 40. Tag nach Ostern. Motive des Wochenfestes – Aufstieg des Mose zum Sinai, Empfang der Gabe des Gesetzes – mögen dabei mitgewirkt haben.
Nach dem Ev. Gottesdienstbuch umfasst der österliche Festkreis den Zeitraum vom 3. Sonntag vor der Passionszeit bis zur Pfingstwoche. Da auch die Sonntage nach Trinitatis – einschließlich der letzten Sonntage des Kirchenjahres – kalendarisch vom Ostertermin abhängen, können auch sie in einem weiteren Sinne dem österlichen Festkreis zugeordnet werden.
SONNTAGE VOR DER PASSIONSZEIT
Vermutlich unter dem Einfluss ostkirchlicher Praxis wurde seit dem 6. Jh. in Rom der vorösterlichen Fastenzeit eine Vorfastenzeit vorangestellt, die mit dem Sonntag Septuagesimae (von lat. siebzig; genau genommen, ist es der 63. Tag vor Ostern) begann. Auch andere Einflüsse – die Vorbereitung auf die österliche Taufe, eine verstärkte Bußgesinnung angesichts der unsicheren Weltlage – mögen dabei eine Rolle gespielt haben. Während man im Zuge der nachkonziliaren Kalenderreform in der katholischen Kirche die Vorfastenzeit abgeschafft hat, hält das Ev. Gottesdienstbuch der Sache nach an ihr fest, auch wenn die Sonntage hier als Sonntage vor der Passionszeit bezeichnet und gezählt werden. Die liturgische Farbe ist grün. Nach alter Ordnung, der das Ev. Gottesdienstbuch folgt, verstummt vom Sonntag Septuagesimae an das Halleluja, das erst zu Ostern wieder gesungen wird.

3. SONNTAG VOR DER PASSIONSZEIT
Septuagesimae
Lauft so, dass ihr den Siegespreis erlangt: Vielleicht hat die Wahl dieser ›sportlichen‹ Epistel (1 Kor 9,24-27) etwas mit dem altkirchlich-römischen Brauch zu tun, an Septuagesimae diejenigen auszuwählen, die zu Ostern getauft werden sollten, und sie dem Bischof vorzustellen. Das gilt vermutlich auch für das Gleichnis von den Arbeitern in Weinberg (Mt 20,1-16a), das als Evangelium diesem Sonntag zugeordnet ist. Insgesamt wird hierdurch sehr deutlich das Thema Nachfolge angeschlagen, das auch die folgenden Sonntage bestimmt und uns fortan durch die ganze Zeit bis zum Osterfest begleiten wird. Die alttestamentliche Lesung Jer 9,22-23 wie der Wochenspruch Daniel 9,18 sind wohl als Auslegung des Evangeliums gedacht: „Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit…“ Sehr schön geschieht das auch im dritten Tagesgebet: „Unser Gott, in deiner Güte gibst du uns mehr, als wir verdienen…“ Das erste Wochenlied (EG 342) antwortet dem Evangelium, indem es das zentrale reformatorische Bekenntnis in Verse fasst: „Es ist gerecht vor Gott allein, der diesen Glauben fasset…“

2. SONNTAG VOR DER PASSIONSZEIT
Sexagesimae
Sperrt die Ohren auf: Mit diesem Ruf beschließt Jesus das Gleichnis vom Sämann, das Evangelium (Lk 8,4-8[9-15]) für den Sonntag Sexagesimae (›sechzig‹ Tage vor Ostern) ist. Die Jünger fragen dennoch weiter, und ihnen wird eine Deutung der Geschichte zuteil, die den Hörern heute nicht vorenthalten werden sollte. Auch die alttestamentliche Lesung Jes 55,(6-9)10-12a enthält in ihrem Kern ein Gleichnis, das die Wirkweise des Gotteswortes in Analogie zu Vorgängen in der Natur beschreibt. Ein eher militärisch-juristisches Bild wählt die Epistel aus Hebr 4,12-13, wenn sie das Wort Gottes mit
einem „zweischneidigen Schwert“ vergleicht. Zentrales Thema des Sonntags ist demnach das Wort Gottes. Das erste Wochenlied (EG 196) preist das Gotteswort auf eher traditionelle Weise, das dritte Tagesgebet tut dies in hochpoetischer Form: „Ewiger Gott, führe mich zurück in die Oase deines Wortes.“ Nüchtern, prägnant fasst der Wochenspruch die Botschaft dieses Sonntags zusammen: „Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstocket eure Herzen nicht“ (Hebr 3,15).

SONNTAG VOR DER PASSIONSZEIT
Estomihi
Hinauf nach Jerusalem: Leidensankündigung und Ruf in die Nachfolge bestimmen das Evangelium (Mk 8,31-38) am Sonntag Estomihi, der seinen Namen von den Worten hat, mit denen der Leitvers zum Eingangspsalm beginnt: „Sei mir ein starker Fels und eine Burg…“ (Ps 31). Früher hieß der Sonntag manchmal auch Quinquagesimae (›fünfzig‹ Tage vor Ostern). Wochenspruch (Lk 18,31) und zweites Wochenlied nehmen den Ruf des Evangeliums auf: „Lasset uns mit Jesus ziehen…“ (EG384), während das erste Lied (EG 413) auf die Epistel aus 1 Kor 13, das Hohe Lied der Liebe, Bezug nimmt. Natürlich hängen Nachfolge und Liebe eng miteinander zusammen; doch akzentuieren die Texte dieses Sonntags beide Themen auf durchaus unterschiedliche Weise. Das erste Tagesgebet bittet um die Belebung von „Glauben, Liebe, Hoffnung“, das dritte steht ganz im Zeichen von Christusleiden und -nachfolge: „Verwundbarer Gott, im Sterben Jesu nimmst du teil am Leiden der Welt.“ Kultkritische Töne schlägt die alttestamentliche Lesung Am 5,21-24 an: „Es ströme aber das Recht wie Wasser…“

DIE PASSIONSZEIT

Seit dem 4. Jh. ist auf vielfältige Weise eine vierzigtägige Vorbereitungszeit auf das Osterfest bezeugt. Zählung und inhaltliche Ausgestaltung konnten freilich im einzelnen erheblich voneinander abweichen: So begannen die Vierzig Tage (lat. Quadragesima) in Rom ursprünglich sechs Wochen vor Ostern. Während dieser Zeit bereiteten sich die Büßer auf ihre Wiederaufnahme in die Gemeinde am Gründonnerstag vor. Als ihr Charakter als Bußzeit zurücktrat und sie vornehmlich als Fastenzeit begangen wurde, ergab sich die Notwendigkeit einer neuen Zählung: Karfreitag und Karsamstag wurden jetzt mit einbezogen, die Sonntage – an denen man nicht fastete – wurden ausgenommen. Seither beginnen die Vierzig Tage am Aschermittwoch, dem Mittwoch vor dem 6. Sonntag vor Ostern. Im Osten, wo man nur von Montag bis Freitag fastete und die Samstage und Sonntage ausnahm, musste man folgerichtig zu einer noch längeren Vorbereitungszeit auf Ostern gelangen.
Im evangelischen Bereich heißen die Vierzig Tage Passionszeit – Zeichen dafür, dass das Motiv der Passion Jesu die gesamte Vorbereitungszeit auf Ostern bestimmt. Ursprünglich war solche Prägung auf die Karwoche beschränkt. Im Mittelalter dehnte man die Passionszeit auf die beiden Wochen vor dem Osterfest aus. Der 5. Sonntag vor Ostern, Judika, wurde als Passionssonntag begangen. Im Anschluss an die Leseordnung von 1978 bezeichnet das Ev. Gottesdienstbuch die gesamte Quadragesima als Passionszeit.
Den biblischen Hintergrund für die Begehung der Vierzig Tage liefern all jene Texte, in denen dem Zeitraum von 40 Tagen – bzw. 40 Jahren – eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. zum Beispiel 1 Mose 7,4ff.; 2 Mose 24,18; 34,28; 1 Kön 19,8; Jos 5,6; Jona 3,4; Mk 1,13; Mt 4,2; Lk 4,1f). Es sind allemal Zeiten des Übergangs, der Vorbereitung und der Läuterung, von denen hier berichtet wird. In der alten Kirche traten die Taufbewerber, die Katechumenen, mit dem Beginn der Vierzig Tage in ein neues Stadium ihrer Taufvorbereitung ein. Als Photizomenen (griech. ›die erleuchtet werden‹) bereiteten sie sich intensiv auf ihre Taufe in der Osternacht vor. Die liturgische Begehung der Quadragesima wurde hiervon stark geprägt.
Die liturgische Farbe der Passionszeit ist violett. Das Halleluja und das Ehre sei Gott in der Höhe entfallen.

ASCHERMITTWOCH
Die Bezeichnung dieses Tages, mit dem die Feier der Vierzig Tage nach katholischem wie evangelischem Brauch beginnt, weist zurück auf die altkirchliche Bußpraxis: Die öffentlichen Büßer legten zu Beginn ihrer vorösterlichen Bußzeit ein Bußgewand an und wurden mit Asche – seit altersher ein Zeichen der Buße – bestreut. Vermutlich aus Solidarität mit den Büßern beteiligten sich mehr und mehr auch die anderen Gläubigen an diesem Aschenritus, der sich in der katholischen Liturgie bis heute erhalten hat.
Das Ev. Gottesdienstbuch schlägt vor, den Aschermittwoch mit einem Bußgottesdienst oder der Feier der Gemeindebeichte zu begehen. Die liturgischen Texte, die mit denen des Sonntags Invokavit getauscht werden können, thematisieren die Motive der Buße, des Fastens und des christlichen Lebens (so die Epistel 2 Petr 1,2-11). „Bekehrt euch zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, mit Weinen, mit Klagen!“ heißt es in der alttestamentlichen Lesung (Joel 2,12-18[19]), und im Evangelium Mt 6,6,16-21 warnt Jesus die Jünger vor einer falschen, heuchlerischen Fastenpraxis, die darauf aus ist, Eindruck bei den Menschen zu schinden. Das dritte Tagesgebet nimmt ausdrücklich auf die Karnevalszeit Bezug, die mit diesem Tag zu Ende geht: „Gott, du Schöpfer und Herr der Zeiten, nach der Zeit fröhlicher Ausgelassenheit wird uns bewusst, was unser Leben beschwert…“
1. SONNTAG DER PASSIONSZEIT
Invokavit
Versucht wie wir: Die Epistel Hebr 4,14-16 schlägt den Ton an, dem die Texte dieses Sonntags folgen. Der Bogen wird dabei weit geschlagen: Die alttestamentliche Lesung berichtet, wie Mensch und Menschin im Garten Gottes den Verlockungen der Schlange erliegen (1 Mose 3,1-19[20-24]). Gleichsam als Gegengeschichte hierzu erzählt das Evangelium Mt 4,1-11, wie der Menschensohn – nach vierzigtägigem Fasten in der Wüste – den Verlockungen des Bösen widersteht. Die Bezüge zur Fasten-, Buß- und Taufpraxis, die sich mit der Zeit der Vierzig Tage verbindet, liegen auf der Hand. Wochenspruch (1 Joh 3,8b) und zweites Tagesgebet fordern dazu auf, darüber nachzudenken, worin denn wohl heute „die Werke des Teufels“ und „die Macht des Bösen“ sich zeigen – vielleicht auch darin, „Entscheidungen aus dem Wege zu gehen“, wie das dritte Tagesgebet meint? Mit gewaltigen Worten und Tönen fordert das erste Wochenlied (EG 362), etwas sanfter das zweite (EG 347) zum Widerstand gegen den „altbösen Feind“ und seine List auf.
Seinen Namen Invokavit verdankt dieser Sonntag – das gilt auch für die meisten anderen Sonntage der Passions- und Osterzeit – der Antiphon zum Eingangspsalm: „Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören“ (Ps 91). Die Präfation für die Passionszeit thematisiert die Lebenshingabe Jesu. In der Textsammlung zum Ev. Gottesdienstbuch findet sich auf S. 618 auch eine eigene Präfation für Invokavit, die das Brotmotiv aus dem Evangelium aufnimmt.

2. SONNTAG DER PASSIONSZEIT
Reminiszere
Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit: Angesichts der harten Geschichte von den „bösen Weingärtnern“, die das Evangelium erzählt (Mk 12,1-12; dazu als alttestamentliche Lesung das Weinberglied Jes 5,1-7), drängen sich einem diese Worte aus der Antiphon zum Eingangspsalm (Ps 25,6 in Verbindung mit Ps 10), denen der Sonntag seinen Namen verdankt, nachdrücklich auf die Lippen. Es geht ja nicht an, dieses Gleichnis nur auf das Versagen der Führer des ersten Bundesvolkes zu beziehen; heute und hier im Gottesdienst gelesen, werden damit auch Christenheit und Kirche getroffen. Erstes und zweites Tagesgebet stellen sich solchem Anruf: „Gott, du hast täglich Grund, uns zu zürnen … Lass uns nicht versinken in den Folgen unserer Eigenmächtigkeit.“ Das Wochenlied EG 366 nimmt diese Töne auf: „…und flehen um Begnadigung und aller Strafen Linderung“. Das dritte Tagesgebet lenkt demgegenüber den Blick eher nach draußen – auf die „Mächte … die die Herrschaft in der Welt an sich reißen“, und schlägt damit eine andere Auslegung vor. Einen starken Kontrapunkt zum Evangelium setzt diesmal die ›evangelische‹ Epistel Röm 5,1-5(6-11): „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus“.

3. SONNTAG DER PASSIONSZEIT
Okuli
Vor Nachfolge wird gewarnt: Ein harter Text wird uns auch an diesem Sonntag („Meine Augen sehen stets auf den Herrn“, Ps 25,25 in Verbindung mit Ps 34) als Evangelium zugemutet. Wer Rück-Sicht nimmt auf Bindungen, die ihn an diverse Vergangenheiten fesseln, „der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“ (Mt 9,57-62). Der Menschensohn ist ein ›hausloser Geselle‹ (V. 58), und wer ihm folgen will, muss sein ›Haus‹ – samt aller Sicherheit, Ordnung, Wärme, die es bietet – gegebenenfalls rücksichtslos verlassen (V. 61). Härter ist der Ruf in die Nachfolge selten formuliert worden und man darf sich nicht wundern, dass die Tagesgebete nur sehr verhalten darauf antworten: Das erste bittet für alle, „die gebeugt sind von Schuld und Leid“, das zweite artikuliert „die Angst, allein zu sein“ (ohne die bergende Gemeinschaft eines ›Hauses‹?), und das dritte ruft zum Glaubenswagnis „aller Unsicherheit zum Trotz.“ Einen Schritt weiter geht die Epistel Eph 5,1-8a, wenn sie die neue ›Hausordnung‹ für die Kinder Gottes formuliert; aber auch hier findet sich die Warnung vor falscher Hausgenossenschaft (V. 7). Was man sich dabei alles einbrocken kann – und was einem Gott unterwegs so alles einbrockt (V. 6!) -, davon erzählt die alttestamentliche Lesung von der Flucht Elias durch die hauslose Wüste (1 Kön 19,1-8[9-13a]).

4. SONNTAG DER PASSIONSZEIT
Lätare
Freut euch mit Jerusalem: Der Leitvers zum Eingangspsalm (Jes 66,10.12 in Verbindung mit Ps 84) schlägt den Ton an; Epistel (vom „Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal“, 2 Kor 1,3-7), alttestamentliche Lesung („es sollen wohl Berge weichen…“, Jes 54,7-10), zweites Wochenlied („Jesu, meine Freude…“, EG 396) und drittes Tagesgebet („Stecke uns an mit deiner Freude“) nehmen ihn auf. Es ist wie ein Innehalten, ein Aufatmen auf dem harten Weg ›hinauf nach Jerusalem‹. Der Ruf in die Nachfolge wird nicht storniert; daran lässt das Evangelium Joh 12,20-26 keinen Zweifel („wo ich bin, da soll mein Diener auch sein“). Aber das Ziel erscheint deutlich vor Augen: Verherrlichung. Freude. Frucht. Das Bild vom Weizenkorn wird zum Gleichnis für das Leben in der Christus-Nachfolge. Es erinnert zugleich an die Geschichte von der Speisung der Fünftausend (Joh 6,1-15), die früher hier als Evangelium gelesen wurde und auf die die Predigttexte der Reihen III und V (Joh 6,55-65: „Brot, das vom Himmel gekommen ist“; 6,47-51: „Ich bin das Brot des Lebens“), vor allem aber die beiden ersten Tagesgebete ausdrücklich noch Bezug nehmen: „Du hast, reicher Gott, dein hungerndes Volk in der Wüste gesättigt … Sättige uns mit dem Brot des Lebens“. Auch das erste Wochenlied („Korn, das in die Erde“, EG 98) nimmt das Bild vom Weizenkorn auf.
Seit dem 16. Jh. Ist die Sitte bezeugt, am Sonntag Lätare keine violetten, sondern rosafarbene liturgische Gewänder zu tragen. Der Papst weihte an diesem Tag (dem ›Rosensonntag‹) eine goldene Rose, die er an hervorragende Persönlichkeiten vergab. In der alten Kirche wurde am 4. Fastensonntag an den Taufkandidaten der Effata-Ritus (›Öffnung der Ohren‹; vgl. Mk 7,32ff.) vollzogen.

5. SONNTAG DER PASSIONSZEIT
Judika
Mit lautem Schreien und mit Tränen: Mehr noch als das Evangelium vom Rangstreit der Jünger (Mk 10,35-45) gibt die Epistel (Hebr 5,7-9) diesmal das Thema des Sonntags vor: die Selbsthingabe Jesu an Gott und die Menschen in seinem Leben und Wirken – es ist ausdrücklich von „den Tagen seines irdischen Lebens“ die Rede -, die sich in seinem Leiden und Sterben am Kreuz vollendet. In einer sehr spannungsvollen Entsprechung steht dazu die alttestamentliche Lesung von der – durch Gott in letzter Minute verhinderten! – Opferung Isaaks (1 Mose 22,1-13). Der dem Evangelium entnommene Wochenspruch (Mt 20,28; vgl. Mk 10,45) bindet die drei Texte zusammen: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ Einzig das zweite Tagesgebet spricht dieses Thematik an: „…du hast deinen Sohn leiden und sterben lassen, um uns zu erretten.“ Das dritte Tagesgebet spricht vom Weg Gottes zu uns „durch die Ungerechtigkeiten und das Leiden dieser Welt hindurch“ – und bittet dann: „Hilf uns, diesen Weg zu finden“.
Nach der älteren Ordnung begann mit dem Sonntag Judika („Schaffe mir Recht, o Gott“, Ps 43) die eigentliche Passionszeit: Altarkreuz und -bilder wurden mit Tüchern verhängt (entstanden aus den Hunger- bzw. Fastentüchern, mit denen man seit dem 11. Jh. den Blick auf den Altar versperrte). Das ›Fasten der Augen‹, das man sich auferlegte, sollte ein Zeichen der Buße sein. Neben den Lesungen des Sonntags spricht in besonderer Weise das Wochenlied EG 76 das Passionsthema an: „…dass er für uns geopfert würd, trüg unsrer Sünden schwere Bürd wohl an dem Kreuze lange.“

DIE KARWOCHE
Die frühchristliche Osterfeier zeichnete sich dadurch aus, das hier Leiden, Tod und Erhöhung Christi als Einheit erfahren und gefeiert wurden. Ostern war nicht einfach das ›Fest der Auferstehung Jesu‹, sondern hatte das Geheimnis der Erlösung insgesamt zum Thema. Die Passion Jesu und sein Tod am Kreuz waren noch nicht einem – historisch wie gottesdienstlich von Ostern getrennten – ›Karfreitag‹ zugeordnet, sondern bildeten zusammen mit dem Gedächtnis seiner Auferstehung den unteilbaren Inhalt der Osterfeier selbst.
Vom 4. Jh. an wird – zuerst in Jerusalem – die Tendenz wirksam, in der österlichen Festfeier die Christusgeschichte sozusagen historisch nachzuvollziehen. In einem ersten Schritt kam es zur Ausgliederung der heiligen drei Tage (Triduum sacrum): Karfreitag als Tag des Leidens und Sterbens Jesu; Karsamstag als Tag der Grabesruhe; Ostersonntag als Tag seiner Auferstehung. Da der Vorabend bereits den folgenden Tag eröffnete, begannen die heiligen drei Tage faktisch mit dem Donnerstagabend. Im Zentrum der Feier stand weiterhin der Gottesdienst in der Osternacht, mit dem der dritte Tag des Triduum sacrum eröffnet wurde.
Bald wurde die ganze Woche vor Ostern als Heilige Woche (Große Woche, Leidenswoche, Karwoche – von althochdeutsch kara = Trauer, Klage) begangen. Der Palmsonntag stand im Zeichen des Einzugs Jesu in Jerusalem, der abendliche Gottesdienst am Gründonnerstag erinnerte an die Einsetzung des heiligen Abendmahls.

6. SONNTAG DER PASSIONSZEIT
Palmsonntag
Ein Eselskönig: Auch wenn man um die Weissagung Sach 9,9 weiß, bleibt die Geste widersprüchlich. Jesus – als König begrüßt – hält auf einem Eselsfüllen Einzug in Jerusalem. „Das verstanden seine Jünger zuerst nicht“, heißt es im Evangelium (Joh 12,12-19). Haben wir es wirklich verstanden? Das große Christuslied in Phil 2,5-11, als Epistel gelesen, versucht eine Auslegung. Es beschreibt den ›Königsweg‹ des Gottessohnes, der durch die tiefste Erniedrigung zur Verherrlichung führt: „..und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.“ Im Lied des leidenden Gottesknechtes Jes 50,4-9, der alttestamentlichen Lesung auf den Palmsonntag, gewinnt die Erniedrigung konkrete Züge. Von Schmach und Speichel ist da die Rede, von Schlägen auf den Rücken und auf die Wangen, so dass der Gepeinigte sein Angesicht hart machen muss „wie einen Kieselsein“, aber auch von der Nähe des Richters, vor dem die Peiniger zerfallen werden wie Kleider, die die Motten fressen.
Das dritte Tagesgebet nimmt ausdrücklich auf das Evangelium Bezug („Menschen haben dir zugejubelt“), um sich dann wieder rasch der Besserung menschlichen Verhaltens („Schenke uns Klarheit über uns selbst“) zuzuwenden. Das erste und das zweite Gebet umkreisen stärker das Geheimnis der Erniedrigung Gottes in Jesus Christus, ohne den Gedanken der Teilhabe und der Nachfolge auszuklammern. Das gilt erst recht für das Wochenlied EG 87: „O hilf, dass wir auch uns zum Kampf und Leiden wagen“.
Eine Prozession am Palmsonntag zur Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem ist zuerst in Jerusalem bezeugt. Der Brauch verbreitete sich seit dem 8. Jh. auch im Abendland. Man führte grünende Zweige mit sich, die zuvor gesegnet wurden. In der katholischen Kirche eröffnen Palmsegnung und -prozession auch heute noch die Feier der Heiligen Woche. Vom Palmsonntag bis zum Karsamstag entfallen nicht nur (wie bisher in der Passionszeit) Halleluja und Ehre sei Gott in der Höhe, sondern auch das Gloria Patri (Ehre sei dem Vater). Das Ev. Gottesdienstbuch hat für Palmarum (so die ältere evangelische Bezeichnung) eine eigene Präfation, die Worte aus dem Christuslied Phil 2 aufnimmt (S. 619).

TAG DER EINSETZUNG DES HEILIGEN ABENDMAHLS
Gründonnerstag
Das tut zu meinem Gedächtnis: „In der Nacht, da er verraten ward“ (1 Kor 11,23) erinnert sich die Christenheit daran, dass sie nicht zuerst als eine „Interpretations- und Argumentationsgemeinschaft“ (Johann Baptist Metz), sondern als eine Mahl- und Tischgemeinschaft in die Geschichte eingetreten ist. Bis heute steht – wenn auch in den Kirchen auf unterschiedliche Weise umgeformt, verdunkelt, manchmal auch vergessen – eine Mahlhandlung im Zentrum des christlichen Gottesdienstes, die in der Praxis Jesu selbst wurzelt. Am Vorabend seines Todes begeht die Christenheit das Gedächtnis der Einsetzung des heiligen Abendmahls, das ja seinerseits Gedächtnisfeier seines Lebens, Leidens, Sterbens, aber auch seiner Auferstehung und Erhöhung ist.
Die eigentliche ›Festgeschichte‹ steht darum diesmal in der Epistel 1 Kor 11,23-26, dem wohl historisch ältesten Mahlbericht. Das Evangelium von der Fußwaschung (Joh 13,1-15[34-35]) legt diese Geschichte auf seine Weise aus. Die Hingabe Jesu für die „vielen“ (Mt 26,28) erscheint hier unter anderen Zeichen, die zugleich verdeutlichen, dass die Mahl- und Tischgemeinschaft sich als Dienst- und Liebesgemeinschaft verwirklicht: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe“ (V. 15). Die alttestamentliche Lesung 2 Mose 12,1.3-4.6-7.11-14 vergegenwärtigt – indem sie von der Einsetzung des Passafestes erzählt – die israelitisch-jüdischen Wurzeln des Herrenmahls. Selbstverständlich nehmen alle drei Tagesgebete auf das Abendmahl Bezug. Während das erste die darin beschlossene „erlösende Kraft“ akzentuiert, kommt im zweiten stärker der Gedanke der Nachfolge („und nimmst uns mit auf deinen Weg der Hingabe“), im dritten der Gedanke der Gemeinschaft („dass wir weitergeben, was wir empfangen haben“) zum Zuge. Die beiden Präfationen auf den Gründonnerstag im Ev. Gottesdienstbuch (S. 310, S. 619) preisen Christus als das „Brot des Lebens“.
Der Gottesdienst am Gründonnerstagabend zum Gedächtnis der Einsetzung des heiligen Abendmahls eröffnet den inneren Kern der Osterfeier, die Drei österlichen Tage vom Leiden, vom Tod und von der Auferstehung des Herrn (Triduum sacrum). Der besondere Charakter des Gottesdienstes kommt dadurch zum Ausdruck, dass im Eröffnungsteil das Gloria (Ehre sei Gott in der Höhe) gesungen wird, um von da an bis zur Osternacht wiederum zu verstummen. Es entfallen jedoch das Ehre sei dem Vater und das Halleluja. Die liturgische Farbe ist weiß.
Die Bezeichnung Gründonnerstag leitet sich vermutlich von einem mittelhochdeutschen Verb gronan = weinen, greinen ab. Sie verweist darauf, dass ursprünglich an diesem Tage die öffentlichen Büßer (›Weinende‹) wieder in die volle kirchliche Gemeinschaft auf´genommen wurden und am Abendmahl teilnehmen durften.
TAG DER KREUZIGUNG DES HERRN
Karfreitag
Gehorsam bis zum Tod: Der Leitvers zum Eingangspsalm (Phil 2,8 oder 2,10.8b) steht zusammen mit Ps 22, den Jesus nach biblischer Überlieferung in seiner Todesstunde gebetet hat, wie eine große Überschrift über den Texten dieses Tages. Man liest als Evangelium einen Auszug aus der Passionsgeschichte nach Johannes (Joh 19,16-30; früher konnte hier die ganze Passion gelesen werden), als alttestamentliche Lesung das Lied vom stellvertretenden Leiden des Gottesknechtes nach Jesaja ([52,13-15]53,1-12) und die Epistel aus 2 Kor 5,(14b-18)19-21 von der Selbstversöhnung des Schöpfers mit seiner Schöpfung in Christus, eine gewaltige Aussage, die durch alle Theologien bis heute noch nicht wirklich eingeholt worden ist. Am ehesten wird noch das erste Tagesgebet dieser Aussage gerecht: „Unerforschlicher Gott, dein Sohn hat nach deinem Willen den Fluch des Kreuzes auf sich genommen und so die Macht des Verderbens zerbrochen“.
In den ersten christlichen Jahrhunderten wurde der Karfreitag nicht gottesdienstlich begangen. Wohl aber ist der Brauch bezeugt, am Karfreitag und Karsamstag zum Gedenken an den Tod und die Grabesruhe Jesu zu fasten. Im 4. Jh. verehrte man in Jerusalem am Karfreitag das heilige Kreuz und hielt einen Wortgottesdienst zur Todesstunde Jesu. Die katholische Kirche kennt bis heute keine Eucharistiefeier am Karfreitag, sondern lädt zur „Feier vom Leiden und Sterben Christi“ am Nachmittag ein, die Wortgottesdienst – mit den großen Karfreitagsfürbitten -, Kreuzverehrung und Kommunion miteinander verbindet.
In der Frömmigkeit evangelischer Christen kommt dem Karfreitag ein besonderer Rang zu. Er gilt vielfach als höchster Feiertag des Kirchenjahres und als einer der wichtigsten Abendmahlstage. Die liturgische Farbe ist schwarz oder violett. Nach dem Ev. Gottesdienstbuch kann aber auch auf jegliche Farbe verzichtet werden. Der Altar kann ohne Kerzen, Blumen und anderen Schmuck bleiben. Es ist möglich, den Gottesdienst nicht nach der Ordnung des Hauptgottesdienstes, sondern nach einer eigenen Ordnung (S. 177-189) zu feiern, in der den Fürbitten „unter dem Kreuz deines Sohnes“ bzw. der Karfreitags-Litanei ein wichtiger Platz eingeräumt wird.

KARSAMSTAG
Der Karsamstag gilt als Tag der Grabesruhe Jesu. An ihm wird – wie ursprünglich auch am Karfreitag – keine Eucharistiefeier gehalten. Im Lektionar von 1978 heißt es: „Am Karsamstag wird, alter Übung entsprechend, kein Hauptgottesdienst gehalten. Die hier angebotenen Texte können in Mette und Vesper oder bei einem Predigtgottesdienst gelesen werden.“ Das Ev. Gottesdienstbuch übernimmt diese Regelung, bietet aber dennoch ein komplettes Formular mit Lesungen und Predigttexten, Psalm und Tagesgebeten. Als alttestamentliche Lesung Ez 37,1-14 liest man die große Vision des Propheten von der Auferweckung des Totenfeldes durch den Odem Gottes. Die Epistel 1 Petr 3,18-22 enthält den – später auf die ›Höllenfahrt Christi‹ gedeuteten – Hinweis, dass Christus auch den „Geistern im Gefängnis“ gepredigt habe. Das Evangelium Mt 27,(57-61)62-66 erzählt von der Grablegung Jesu durch Josef aus Arimathäa und von der Anordnung des Pilatus, das Grab bewachen zu lassen.

OSTERNACHT
Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden: Dreimal wird der Ruf wiederholt, dreimal antwortet die Gemeinde darauf mit dem Halleluja, das jetzt nach neun Wochen – seit Septuagesimae – zum ersten Mal wieder erklingt. Alle singen „Christ ist erstanden“ (EG 99), und feierlich wird das Auferstehungsevangelium (Mt 28,1-10) vorgetragen: „Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach…“ Doch bevor es soweit ist, ist noch ein weiter Weg zurückzulegen: Der Gottesdienst in der Osternacht beginnt mit der Lichtfeier. Wo es möglich ist, wird die Osterkerze am Osterfeuer entzündet, das vor dem Portal der Kirche brennt. Die Osterkerze wird in die dunkle Kirche getragen, und dreimal erklingt das Lumen Christi: „Christus, Licht der Welt – Gott sei ewig Dank“. Alle entzünden ihre Kerzen am großen Osterlicht und es erklingt der Österliche Lobpreis, das Exsultet: „Frohlocket nun, ihr Engel und himmlischen Heere…“. Der Wortgottesdienst beginnt mit einer langen Reihe alttestamentlicher Lesungen, unterbrochen von Gesängen und Gebeten. Themen sind die Schöpfung (1 Mose 1), die Rettung Noahs aus der Sintflut (1 Mose 6-8), der Auszug Israels aus Ägypten und seine Errettung beim Durchzug durch das Meer (2 Mose 14-15), die prophetische Einladung zum Gnadenbund Gottes (Jes 55), die Auferweckung Israels (Jes 26; Ez 37). Dann läuten die Glocken, die Kerzen am Altar werden entzündet, die Orgel erklingt, und die Gemeinde singt das Ehre sei Gott in der Höhe, das während der Fastenzeit verstummt war. Das Tagesgebet preist die Auferstehung und nimmt Bezug auf die Taufe: „Schöpfer des Lebens, du lässt diese heilige Nacht erstrahlen im Licht der Auferstehung unseres Herrn. Erwecke alle Getauften zu neuem Leben.“ Die Epistel steht Kol 33,1-4: „Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, wo Christus ist“. Dem Wortgottesdienst folgt die Tauffeier: Taufen werden vollzogen, alle begehen das Gedächtnis ihrer eigenen Taufe. Der Gottesdienst in der Osternacht schließt mit der festlichen Feier des Abendmahls: „Wahrhaft würdig ist es und recht, dass wir dich, Herr, heiliger Vater, ewiger Gott, zu allen Zeiten und an allen Orten loben und dir danken und dich in dieser Nacht mit festlichen Jubel preisen…“.
Der Gottesdienst in der Osternacht galt in der frühen Kirche als der bedeutendste des ganzen Jahres und als Herzmitte christlicher Festfeier überhaupt. Er begann mit einer gemeinsamen Nachtwache, die noch ganz von der Trauer über Leiden und Tod Jesu bestimmt war, und dauerte bis zum frühen Morgen, wo er unter Freude und Jubel mit der Feier des Abendmahls abgeschlossen wurde.
Das Ev. Gottesdienstbuch bietet Texte für einen ›normalen‹ Gemeindegottesdienst in der Osternacht, weist aber darauf hin, dass die Osternacht „in der Regel … in einer besonderen Form gefeiert“ wird.
DIE ÖSTERLICHE FREUDENZEIT
Mit der Feier der Osternacht beginnt der zweite Teil des Osterfestkreises, die Österliche Freudenzeit. Sie dauert fünfzig Tage (griechisch: Pentekoste; lateinisch: Quinquagesima) und endet mit dem Pfingstsonntag, dem ›fünfzigsten Tag‹ nach Ostern. Die ganze Zeit galt in der frühen Kirche gleichsam als ein einziger, ungeteilter Festtag, inhaltlich bestimmt durch das österliche Geheimnis des Hinübergangs Jesu – und mit ihm der Christen – durch den Tod in das leben. Seit dem Ende des 4. Jh. steht der ›fünfzigste Tag‹ im Zeichen der Ausgießung des Heiligen Geistes – als Erfüllung und Besiegelung der österlichen Ereignisse. Pfingsten entwickelt sich schließlich zu einem eigenständigen Fest mit einer eigenen Festwoche.
Besondere Bedeutung besitzt in der frühen Kirche die Woche nach Ostern (Osteroktav, Weiße Woche), in der Gottesdienste und Predigten (Katechesen) für die Neugetauften gehalten werden. In Jerusalem kommt man in dieser Woche täglich in der Himmelfahrtskirche zusammen, um die Erhöhung Christi zu feiern. Seit dem 4. Jh. wird es üblich, gemäß der lukanischen Chronologie den 40. Tag nach Ostern – den Donnerstag vor dem 6. Sonntag nach Ostern – als Tag der Himmelfahrt Christi zu begehen.
Die liturgische Farbe der Osterzeit ist weiß. Während der Gottesdienste bis zum Pfingstsonntag brennt die Osterkerze, die früher vielfach bereits nach dem Evangelium des Himmelfahrtstages gelöscht wurde. Kennzeichnend für die Osterzeit ist der doppelte Hallelujavers mit dem entsprechend wiederholten Halleluja (durchgängig dabei an zweiter Stelle stets der Ostergruß: „Der Herr ist auferstanden…“).

TAG DER AUFERSTEHUNG DES HERRN
Ostersonntag
Dies ist der Tag, den der Herr macht (Hallelujavers): Steht die Osternacht noch im Zeichen des Übergangs vom Dunkel zum Licht, so bestimmt festliche Freude ganz und gar die Texte des Ostersonntags. Der Eingangspsalm (Ps 118) gibt den Ton an: „Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten“, und die beiden ersten Tagesgebete nehmen das österliche Siegeslied auf: „Allmächtiger, ewiger Gott, durch deinen Sohn hast du den Tod besiegt“. Das dritte Gebet ist zurückhaltender, spricht zwar vom „Aufstand des Lebens gegen den Tod“, weiß aber auch: „Noch ist unser Leben vom Tod gezeichnet“. In der Epistel 1 Kor 15,1-11 übermittelt uns Paulus die Überlieferung von den Erscheinungen des Auferstandenen, wie er sie ›empfangen‹ hat, und reiht sich selber in die Schar der Osterzeugen ein. Nachdenklich stimmt das Osterevangelium Mk 16,1-8 mit seinem merkwürdigen Schluss: „…denn sie fürchteten sich“. Alttestamentliche Lesung ist der Lobgesang der Hanna 1 Sam 2,1-2.6-8a: „Der Herr tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder hinauf.“ Wochenlied ist die Umdichtung der
alten Ostersequenz Victimae psachali laudes durch Luther (EG 101) oder das jubelnde „Erschienen ist der herrlich Tag“ (EG 106) des Nikolaus Herman.

OSTERMONTAG UND OSTERWOCHE
Wenn die Herzen brennen: Der Ostermontag steht im Zeichen der Jünger, die von Jerusalem nach Emmaus wandern (Evangelium Lk 24,13-35) und erst beim Abschied – als er ihnen das Brot bricht – begreifen, wer sie da begleitet und ihre Herzen entzündet hat auf dem Wege. Als Epistel liest man einen weiteren Abschnitt aus dem Auferstehungskapitel des ersten Korintherbriefes (1 Kor 15,12-20). Die alttestamentliche Lesung Jes 25,8-9 erzählt vom großen Freudenmahl, das Gott seinem Volk auf dem Berg bereiten will: „Er wird den Tod verschlingen auf ewig.“ Während die beiden ersten Tagesgebete in eher traditionellen Wendungen das österliche Geheimnis umkreisen, stellt das dritte sehr entschieden existenzielle Fragen in den Mittelpunkt: „Bei dir können wir uns fallen lassen: Du fängst uns auf.“ Psalm, Lied, Spruch und Hallelujavers werden vom Ostersonntag genommen.

1. SONNTAG NACH OSTERN
Quasimodogeniti
Wie die neugeborenen Kinder: Der Name des Sonntags verweist auf die Antiphon (nach 1 Petr 2,2a) zum Eingangspsalm (Ps 116), und die wiederum macht auf die besondere Bedeutung aufmerksam, die der Weiße Sonntag in der frühen Kirche besaß: Während der Osterwoche fanden täglich Gottesdienste statt, an denen die in der Osternacht Getauften in ihren weißen Taufkleidern teilnahmen und in denen sie in ein tieferes Verständnis der Sakramente eingeführt wurden. Am Sonntag nach Ostern legten sie ihre Taufkleider wieder ab. Während die Epistel 1 Petr 1,3-9 (aus der auch der Wochenspruch genommen ist) mit dem Stichwort ›Wiedergeburt‹ das Taufthema aufgreift, stellt das Evangelium Joh 20,19-29 – der Chronologie des Johannes folgend, der von einer Erscheinung Jesu ›nach acht Tagen‹ berichtet – die Gestalt des ›ungläubigen Thomas‹ in den Mittelpunkt. Das zweite Tagesgebet spricht dieses Thema an („Gott, wir haben deinen Sohn Jesus Christus nicht mit eigenen Augen gesehen und unsere Hände haben seinen Leib nicht berührt“), während das dritte wieder ganz existenzielle, diesmal recht depressive Töne anschlägt („Müde waren wir und verzagt, sprachlos gemacht und ohne Hoffnung“). Wochenlied ist die knappe, theologisch jedoch sehr gefüllte Osterleise Martin Luthers (EG 102).
2. SONNTAG NACH OSTERN
Miserikordias Domini
Ich bin der gute Hirte (Wochenspruch Joh 10.11a.27-28a): In jeder Weise bestimmt das Bild des Guten Hirten die Texte dieses Sonntags. Im Mittelpunkt steht das Evangelium Joh 10,11-16(27-30), das alles andere als ein Hirtenidyll entwirft: „Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe“. Auch die Epistel 1 Petr 2,21b-25 nimmt das Hirtenthema auf, und die alttestamentliche Lesung Hes 34,1-2(3-9)10-16.31 zeigt, wo es seine Wurzeln in der Bibel hat: „Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen“. Es darf nicht übersehen werden, dass sowohl Evangelium wie AT-Lesung mit kräftigen Worten und Bildern gegen die falschen Hirten, die ›sich selbst weiden‹, zu Felde ziehen. Ausdrücklich nimmt das zweite Tagesgebet das Hirtenthema auf, während das dritte an die alte Antiphon zum Eingangspsalm (Ps 33,5b.12a) anknüpft, der der Sonntag seinen Namen verdankt: „Du Gott voll Güte und Erbarmen…“ Dass zum Eingang der Hirtenpsalm 23 gebetet und als Wochenlied die gereimte Fassung des Psalms (EG 274) gesungen wird, versteht sich von selbst.

3. SONNTAG NACH OSTERN
Jubilate
Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist: Bestimmend für den Charakter dieses österlichen Sonntags ist weniger das starke Bild vom Weinstock und den Reben, das im Evangelium Joh 15,1-8 entfaltet wird, als vielmehr der Gedanke der ›neuen Schöpfung‹, wie er im Wochenspruch (2 Kor 5,17) anklingt. Die Erinnerung an die erste Schöpfung am Beginn der Welt (alttestamentliche Lesung ist 1 Mose 1,1-4a.26-31a; 2,1-4a) darf dabei ebenso wenig fehlen wie der Hinweis auf die Natur, die in diesen Tagen zu neuem Leben erwacht: „Du Schöpfer aller Dinge, wie du die Natur zu neuem Leben erweckst, so willst du auch uns Menschen erneuern und einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen…“ (zweites Tagesgebet). Eine eigenwillige, nicht leicht zu erfassende Verbindung zwischen Schöpfung und Jesusnachfolge stellt das dritte Tagesgebet her: „Gott, du Lebenshauch des Paradieses, dich loben wir. Hauche uns deinen Geist ein, dann können wir unseren Weg gehen, wie du ihn gegangen bist.“ In glücklicher Weise vermag das Wochenlied EG 108 den Gedanken des ›Weges‹ mit der Auferstehungsbotschaft zu verbinden: „Mit Freuden zart zu dieser Fahrt…“ Auch die Epistel aus 1 Joh 5, 1-4 feiert den Sieg des Glaubens, „der die Welt überwunden hat“. Wie alle Sonntage der Österlichen Freudenzeit (Ausnahme: Rogate) verdankt auch Jubilate seinen Namen der Antiphon zum Eingangspsalm: „Jauchzeit Gott, alle Lande“ (Ps 66).
4. SONNTAG NACH OSTERN
Kantate
Singet dem Herrn ein neues Lied (Ps 98): Der Brauch, die Sonntage nach den Anfangsworten der Antiphon zum Eingangspsalm zu benennen, hat sich zu Kantate als besonders folgenreich erwiesen; lag es doch nahe, daraus einen ›Sonntag der Kirchenmusik‹ zu machen. Dem trägt die Wahl der Epistel (Kol 3,12-17) voll Rechnung, während es wohl einiger homiletischer Anstrengungen bedarf, das Evangelium Mt 11,25-30, den ›Heilandsruf‹ Jesu, jedesmal auch im Blick auf die Aufgaben des Kirchenchors auszulegen: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid…“ Die Tagesgebete können dem Prediger vielleicht dabei helfen: „Lass uns nicht stumm bleiben unter den Geschöpfen, die dich preisen, sondern mach unser Leben zu einem Lobgesang auf deine wunderbare Macht und Güte“, betet das zweite, und im dritten heißt es: „Du Gott des Heils und der Gerechtigkeit, dir singen wir aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele von dem Leben, das du uns schenkst“. Sehr schön stimmt in diesen Klang die alttestamentliche Lesung aus Jes 12,1-6, das ›Danklied der Erlösten‹, ein.

5. SONNTAG NACH OSTERN
Rogate
„So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen“ (aus der Epistel 1 Tim 2,1-6a): Dem Singesonntag Kantate folgt der Betesonntag Rogate. Diesmal ist es freilich nicht das Anfangswort der Antiphon, das den Namen und damit das Thema für den Sonntag hergibt, sondern ein liturgischer Brauch: Bittprozessionen, die im 4. Jh. in Rom eingeführt wurden, um heidnische Flurprozessionen zu verdrängen oder zu verchristlichen. In Gallien sind seit dem 5. Jh. Bitt- und Bußprozessionen an den drei Bittagen zwischen dem 5. Sonntag nach Ostern und Christi Himmelfahrt bezeugt, die um 800 auch in Rom übernommen wurden.
Ermahnung, aber auch Ermutigung zu Gebet und Fürbitte bestimmen den Charakter des Sonntags: „Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er’s euch geben“ (aus dem Evangelium Joh 16,23b-28[29-32]33). Wochenspruch, Hallelujavers und Antiphon zum Eingangspsalm nehmen diesen Klang im Lobpreis des Gebers auf: „Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet“ (Ps 66,20). Aus dem Alten Testament wird die starke Geschichte von der Fürbitte des Mose und dem Sinneswandel Gottes gelesen: „Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte“ (2 Mose 32,7-14). Mit starken Bildern, wenn auch auf ganz andere Weise, packt uns das dritte Tagesgebet („O Gott, dich rufen wir an, wir sehnen uns nach dir, wie sich eine Frau in den Wehen nach der Entbindung sehnt“; vgl. dazu Joh 16,21), während das zweite die Botschaft des Evangeliums aufnimmt: „Erbarmender Gott, du hast uns verheißen, dass du uns geben willst, was wir im Namen deines Sohnes erbitten“.

CHRISTI HIMMELFAHRT
Erhöht von der Erde (vgl. den Wochenspruch Joh 12,32): Die Botschaft des Himmelfahrtsfestes spricht von Abschied, aber auch von Nähe – Jesus trennt sich vom engen Kreis der Jünger, um an der Seite Gottes allen Menschen nahe zu sein. Das dritte Tagesgebet setzt dies fast schon in der Weise einer Kurzpredigt in Worte und Bilder um: „Jesus Christus: Der Himmel steht offen – du zeigst uns die Erde. Du bist bei Gott – du bist uns nah. Du hältst Himmel und Erde in deinen Händen – du hältst auch uns. Dir sei Ehre.“ Das zweite Gebet betont stärker die Verborgenheit Christi, ohne auf den Gedanken der ›Nähe‹ zu verzichten: „Unseren Augen bist du verborgen. Darum bitten wir dich: Hilf uns darauf zu vertrauen, dass du uns allzeit nahe bist…“. Die Himmelfahrtspräfation, die das Ev. Gottesdienstbuch auf S. 620 bietet, betont den herrscherlichen Aspekt: „Du hast ihm alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden…“ Mit fröhlichen Bildern feiert der Eingangspsalm 47 die Thronbesteigung Gottes, durch die beiden Antiphonen auf die Erhöhung Christi gedeutet: „Ihr Völker alle, klatscht in die Hände…“
Epistel (Apg 1,3-4[5-7]8-11) und Evangelium (Lk 24,[44-49]50-53) erzählen die Geschichte von der Himmelfahrt Jesu, wobei die unterschiedlichen Nuancen aufmerksam zur Kenntnis zu nehmen sind. Alttestamentliche Lesung ist die Geschichte von der Einweihung des Tempels durch Salomo (1 Kön 8,22-24.26-28). Motiviert vermutlich durch V. 27 („Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen“), ist dies eine schwierige, wenig überzeugende Wahl.
In der frühen Kirche war das Gedächtnis der Himmelfahrt Christi zunächst eng mit der Osterfeier verbunden. Erst im 4. Jh. – ein frühes Zeugnis hierfür ist eine Predigt des Bischofs Chrysostomus von Jerusalem aus dem Jahre 386 – begann man damit den 40. Tag nach Ostern entsprechend der Zeitangabe des Lukas als Tag der Himmelfahrt Christi zu begehen.

6. SONNTAG NACH OSTERN
Exaudi
Wenn aber der Tröster kommen wird: Die Jünger, daran lässt das Abschiedswort Jesu keinen Zweifel, das heute als Evangelium gelesen wird (Joh 15,26-16,4), haben allen Trost nötig. Von Verstoßung und Verfolgung ist da die Rede, gar vom Tod. Am ehesten wird noch das zweite Tagesgebet diesen bangen und doch ermutigenden Tönen gerecht: „…du bist siegreich emporgestiegen über alle Himmel: Lass uns nicht unsicher und hilflos zurück“. Die Gemeinde, die eben noch die Erhöhung Christi gefeiert hat, sieht sich mit den Todesmächten konfrontiert, die diese Welt regieren. „Heilger Geist, du Tröster mein, hoch vom Himmel uns erschein“, singt das Wochenlied EG 128, um dann fortzufahren: „Komm, Vater der armen Herd, komm mit deinen Gaben wert, und erleucht auf dieser Erd“. Dazu stimmt der Eingangspsalm, dessen Antiphon dem Sonntag wiederum den Namen gegeben hat: „Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe“ (Ps 27).
Der Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten steht im Zeichen des Abschieds und der Verheißung des Geistes. Die Epistel Eph 3,14-21 preist die Liebe Christi, die alle Erkenntnis übertrifft, und stellt den Glaubenden die Teilhabe an der „ganzen Gottesfülle“ in Aussicht. Sie steht so in einer sehr engen Beziehung zur alttestamentlichen Lesung Jer 31,31-34, die den „neuen Bund“ verheißt, in Herz und Sinn des Volkes geschrieben.

TAG DER AUSGIEßUNG DES HEILIGEN GEISTES
Pfingstsonntag
Und als der Pfingsttag gekommen war: Zu jedem Fest gehört eine Festgeschichte. Diesmal ist es nicht das Evangelium, sondern die Epistel Apg 2,1-18, die diese Geschichte erzählt. Eine Geschichte voller Merkwürdigkeiten. Ein Brausen in der Luft und Feuerzungen zeigen das Kommen des Geistes an: Luft und Feuer, zwei der vier Elemente, sind im Spiel. Später kommt noch das Wasser dazu: Dreitausend lassen sich taufen (2,41). Wo bleibt das vierte Element, die Erde? Wird sie durch die ungezählten, unaussprechlichen Weltgegenden repräsentiert, die in dieser Geschichte aufgerufen werden (2,9-11)? Die alttestamentliche Lesung 4 Mose 11,1-12.14-17.24-25 erzählt eine Pfingstgeschichte, die sehr viel Erdberührung hat. Von der Regression des Volkes ist da die Rede („wie eine Amme ihr Kind trägt“, V. 12), von der Depression des Mose („so töte mich lieber“, V. 15), schließlich von der ›Demokratisierung‹ des Gottesgeistes: Von Mose wird er genommen und unter das Volk verteilt (V. 17). Ebenso groß wie unbestimmt und unbestimmbar klingt dagegen das Evangelium auf den Pfingsttag (Joh 14,23-27): Der Tröster, der heilige Geist, „der wird euch alles lehren und an alles erinnern“ (V. 26).
Die Tagesgebete nehmen diese Geschichten, Gedanken, Bilder auf. Dicht an den Texten bleibt das dritte Gebet: „Tröster-Geist und Gottes-Feuer, Lebenskraft bist du in allen Geschöpfen“. Das zweite Gebet erinnert an den ›Geburtstag der Kirche‹: „Dies ist der Tag, an dem wir gerufen werden, deine Kirche zu sein“. Glut, Licht, Glanz, Liebe, Leben, Trost: Das sind die Pfingstworte, die das Wochenlied EG 125 zum Klingen bringt. Der Eingangspsalm 118 schlägt noch einmal österliche Töne an („Dies ist der Tag, den der Herr macht“), und auch die Präfation weiß, dass sich zu Pfingsten „das österliche Geheimnis vollendet“. Dazu stimmt das, was wir über die Geschichte des Pfingstfestes wissen: Am ›fünfzigsten Tag‹ wird ursprünglich die Osterzeit festlich abgeschlossen. Erst mit dem Ende des 4. Jh. gewinnt Pfingsten mehr und mehr den Charakter eines eigenständigen Festes. Später wird es mit einer eigenen Festwoche (Festoktav) ausgestattet, eine Entscheidung, die die katholische Kirche in ihrer jüngsten Kalenderreform wieder zurückgenommen hat.
Pfingstmontag und Pfingstwoche
Das Ev. Gottesdienstbuch hält – indem es für den Pfingstmontag und die Pfingstwoche ein eigenes Formular anbietet – in gewisser Weise an der alten Pfingstoktav fest. Die Osterzeit verlängert sich dadurch gleichsam um eine Woche und endet erst mit dem Sonnabend vor Trinitatis. Im Evangelium geht es buchstäblich um die ›Begründung‹ der Kirche: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen“ (Mt 16,13-19). Einen notwendigen Kontrapunkt hierzu setzt die Epistel, wenn sie von den verschiedenen Gaben, Ämtern und Kräften spricht, in denen der eine Geist wirkt, der die die Kirche begründet, bewegt und erhält (1 Kor 12,4-11). Mit der Geschichte vom Turmbau zu Babel (1 Mose 11,1-9) nimmt die alttestamentliche Lesung noch einmal auf das pfingstliche ›Sprachenwunder‹ Bezug. Das zweite Tagesgebet knüpft hier an und bringt das für Pfingsten bedeutsame ökumenische Motiv zur Sprache: „Wir bitten dich, vereine die Christen über alle Grenzen hinweg, dass die eine Kirche erkennbar werde…“ Die liturgische Farbe am Pfingstfest und in der Pfingstwoche ist rot.

TAG DER HEILIGEN DREIFALTIGKEIT
Trinitatis
Am Sonntag nach Pfingsten begeht die evangelische und katholische Christenheit den Tag der Heiligen Dreifaltigkeit (Trinitatis ist Genitiv von lat. trinitas, in dem sich das Zahlwort drei und lat unitas = Einheit verbirgt). Der Tag gehört zur Gruppe der Ideenfeste, die keinem konkreten heilsgeschichtlichen Ereignis zugeordnet sind, sondern ein bestimmtes Thema des christlichen Glaubens zum Gegenstand haben. Das Bedürfnis, das Glaubensgeheimnis der Dreieinigkeit Gottes zu feiern, reicht bis ins Altertum zurück. Es stand in engem Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Gottheit Christi und der Abwehr des Arianismus. Ursprungsort der liturgischen Dreifaltigkeitsfrömmigkeit und eines eigenen Festes waren vermutlich benediktinische Klöster. Im Jahre 1334 wurde das Fest von Papst Johannes XII. für die ganze Kirche verbindlich eingeführt und später auch von den Reformatoren beibehalten. Durch seine jetzige Stellung im Kirchenjahr kann es als thematische Bündelung jener heilsgeschichtlichen Ereignisse verstanden werden, die Gegenstand der großen Feste und Festzeiten des Kirchenjahres sind. Es setzt gleichsam den dogmatischen Schlusspunkt unter Weihnachten (Werk des Vaters), Ostern (Werk des Sohnes) und Pfingsten (Werk des Geistes). In ähnlicher Weise deutet auch die Präfation den Sinn des Festes: „Du, Gott, hast uns erschaffen durch dein lebendiges Wort, du hast uns erlöst durch Leben, Tod und Auferstehung deines Sohnes und durch den Heiligen Geist in die Gemeinschaft der Heiligen berufen.“ Auch die Tagesgebete knüpfen hier an: „Großer Gott, du hast Himmel und Erde erschaffen … Du bist unter uns gewesen in Gestalt eines Menschen … Dein Geist wohnt in uns und hält uns lebendig“ (drittes Gebet).

Die Lesetexte für Trinitatis zeigen freilich die Schwierigkeit, das Trinitätsdogma aus biblischen Texten zu begründen. Das Evangelium Joh 3,1-8(9-15) erzählt von dem nächtlichen Besuch des Nikodemus bei Jesus. In dem Gespräch zwischen beiden geht es im Grunde um ein pfingstliches Thema: „Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ Die Epistel Röm 11,(32)33-36 preist die Unergründlichkeit und Tiefe Gottes. Die alttestamentliche Lesung Jes 6,1-13 berichtet die Tempelvision des Propheten und überliefert das ›Dreimalheilig‹, das die Serafim vor dem Throne Gottes singen – Bekenntnis zur Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes, vor dem alles Geschaffene, auch der Mensch, ›vergeht‹ (V. 5). Die liturgische Farbe an Trinitatis ist weiß.

1. SONNTAG NACH TRINITATIS
Es war aber ein reicher Mann: Die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus, die als Evangelium diesen Sonntag ›regiert‹ (Lk 16,19-31), hat viele Facetten. Mit Recht legt die Epistel 1 Joh 4,16b-21 den Akzent auf die Gottes- und Bruderliebe, die untrennbar zusammen gehören: „Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe“ (V. 21). Keine Auslegung des Evangeliums kommt an diesem Satz vorbei. Die alttestamentliche Lesung zitiert das Schema, das Grundbekenntnis Israels, und knüpft damit an einen anderen Aspekt des Evangeliums an: „Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören“ (Lk 16,29). Das zweite Tagesgebet versucht, beide Aspekte miteinander zu verbinden: „Hilf, dass wir deine Stimme unterscheiden von den vielen anderen Stimmen, die auf uns einreden, damit unser Leben dir gehöre, getragen und geformt von deiner Liebe…“ Legt man das Evangelium im Lichte des Eingangspsalms aus, ergeben sich ebenfalls überraschende Zusammenhänge: „Sieh doch mein Elend und errette mich; denn ich vergesse dein Gesetz nicht … erquicke mich durch dein Wort“ (Ps 119). Hört man genau hin, begegnen auch im wuchtigen Wochenlied EG 124 Motive des Evangeliums und der Epistel („..an unserm Ende“; „…von Herzen einander lieben“). Das dritte Tagesgebet trifft dagegen kaum den ›Ton‹, den das Evangelium vorgibt, und auch der Wochenspruch Lk 10,16 verengt im Grunde das Spektrum der Geschichte auf einen, freilich wichtigen Aspekt.
Mit diesem Sonntag beginnt die lange Reihe der Sonntage nach Trinitatis. Kalendarisch hängen sie vom Ostertermin ab, inhaltlich entfalten sie das Evangelium auf vielfältige, durchaus unterschiedliche Weise. Die liturgische Farbe ist grün. Die Rede von der ›festlosen Zeit‹ des Kirchenjahres verkennt freilich, dass jeder Sonntag ein ›kleines Osterfest‹ ist und das Geschenk neuen, österlichen Lebens das Generalthema bildet, von dem her die anderen Glaubens- und Lebensthemen überhaupt erst sinnvoll behandelt werden können.
2. SONNTAG NACH TRINITATIS
Das Boot ist noch lange nicht voll: Der Knecht, der im Auftrag des Gastgebers die ungebetenen Gäste zum Festmahl gebeten hat, formuliert mit diesem Satz – „Es ist aber noch Raum da“ (V. 22) – die zentrale Aussage des Sonntagsevangeliums (Lk 14,[15]16-24). Dass am Tisch Gottes und in seinem Reich ›Raum‹ ist für Arme, Verkrüppelte, Blinde, Lahme, auch für die auf den Straßen und an den Zäunen, steht im Zentrum der Verkündigung Jesu. In der alttestamentlichen Lesung Jes 55,1-3b(3c-5) wird das ebenso konkret wie drastisch entfaltet: „Die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!“ Die Epistel Eph 2,17-22 verleiht dem gleichsam eine ›rechtliche‹ Basis: Aus Gästen werden Mitbürger, aus Fremdlingen werden Hausgenossen. Nein, das Boot der Kirche ist noch lange nicht voll. Wieder ist es das zweite Tagesgebet, das diese Motive aufnimmt, sie zugleich auf uns ›ungebetene Gäste‹ bezieht: „Wir danken dir, dass wir ein Zuhause finden in deiner Kirche … schenk uns Gemeinschaft an deinem Tisch…“ Noch deutlicher ist der Eingangspsalm auf diese Botschaft bezogen: „Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass wir Menschenkinder Zuflucht haben unter dem Schatten deiner Flügel. Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses…“ (Ps 36). Die vorgeschlagenen Wochenlieder EG 250 und 363 nehmen die Botschaft des Sonntagsevangeliums auf ihre Weise auf, und man sollte sie, soweit möglich, im Gottesdienst beide singen.

3. SONNTAG NACH TRINITATIS
Lasst uns essen und fröhlich sein: Schon wieder ist von einem Festmahl die Rede. Traut man den Worten des Evangeliums (Lk 15,1-3.11b-32), so wird das Reich Gottes nicht nur herbei gepredigt und herbei gebetet, sondern auch und vor allem herbei gegessen und -getrunken. Denn: in dem Festmahl, zu dem der Vater seine beiden verlorenen Söhne lädt, werden Liebe, Vergebung, Rechtfertigung allein aus Gnaden konkret. „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen“ (V. 2): Das ist der größte – und zugleich schönste – Vorwurf, den sich Jesus gefallen lassen muss. Er zeigt, dass die Rede vom ›Festmahl‹ keineswegs nur bildlich gemeint ist. Im Essen und Trinken hält er leibhaft Gemeinschaft mit uns Zöllnern und Sündern.
Der 3. Sonntag nach Trinitatis steht im Zeichen des Rettung des ›Verlorenen‹. In den Lesungen begegnen uns nicht nur die beiden verlorenen Söhne, sondern auch das verlorene Schaf, der verlorene Groschen (Lk 15,3-10), der verlorene Oberzöllner Zachäus (Lk 19,1-10), das verlorene Volk (Hes 18,1-4.21-24-30-32) – wobei die alttestamentliche Lesung zugleich eindringlich uns Gottlose einzeln zur Umkehr auffordert; denn auf die sauren Trauben, die unsere Väter gegessen haben, können wir uns nicht länger berufen. Und die Epistel 1 Tim 1,12-17 bringt das alles sozusagen auf den christologischen Begriff: Jesus Christus ist gekommen, „um die Sünder selig zu machen“. Recht überzeugend fasst das diesmal das dritte Tagesgebet in Worte: „Jesus Christus, du freust dich über das Verlorene, das du wiederfindest. Wir lassen uns anstecken von dieser
Freude, wir lassen uns einladen zu deinem Fest“. In großen Bildern redet der Eingangspsalm von der gleichen Sache: „So fern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsre Übertretungen von uns sein“ (Ps 103).

4. SONNTAG NACH TRINITATIS
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist: Inhaltlich steht das Evangelium, das heute gelesen wird (Lk 6,36-42), in einem deutlichen Bezug zum Evangelium des vorhergehenden Sonntags. Wie solche Barmherzigkeit aussehen kann, zeigt die alttestamentliche Lesung 1 Mose 50,15-21: Diesmal ist es nicht der Vater, sondern der Bruder, der den verlorenen Haufen seiner Brüder annimmt, ihm Nahrung und Wohnung gibt. Dass er dabei auch über sich selbst hinauswachsen muss, macht die Geschichte deutlich. „Stehe ich denn an Gottes Statt?“ Das ist eine Einsicht, zu der er sich selber erst einmal durchringen muss; eine Einsicht, die zugleich gegen alles ›Richten‹ steht, in dem sich ein Sünder über den anderen erhebt. Das gilt auch für die Situation, die Paulus – in der Epistel Röm 14,10-13 – im Auge hat: ›Starke‹ und ›Schwache im Glauben‹ (V. 1) weisen sich gegenseitig auf dicke Balken in ihren Augen hin, wobei deutlich wird, dass auch jedes ›Verachten‹ ein ›Richten‹ ist. Der Wochenspruch Gal 6,2 gibt all dem eine positive Wendung: „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Das zweite Tagesgebet formuliert: „…hilf, dass auch wir barmherzig sind und die ertragen, die du erträgst“, und das dritte fährt fort: „Gib uns Anteil an der Weite deines Herzens.“ Was das für Folgen haben kann – bis in den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen Bereich hinein – wird denen deutlich werden, die das neue Wochenlied EG 428 aufmerksam singen.

5. SONNTAG NACH TRINITATIS
Fahre hinaus, wo es tief ist: Wer etwas riskiert, kann scheitern. Wer nichts riskiert, scheitert gewiss. Das gilt jedenfalls für die ›Menschenfischerei‹, mit der Simon Petrus am Ende dieser Geschichte (Evangelium des Sonntags ist Lk 5,1-11) beauftragt wird. „…und verließen alles und folgten ihm nach“ (V.11): Begegnungen mit diesem Jesus sind allemal eine riskante Sache. Davon kann auch der Apostel Paulus mehr als ein Lied singen. In der Epistel heute (1 Kor 18,18-25) setzt er für das törichte, ärgerliche „Wort vom Kreuz“ alle „Weisheit der Welt“ aufs Spiel. So wie Petrus und seine Kollegen gegen alle Erfahrung handelten, als sie sich von Jesus überreden ließen, noch einmal die Netze auszuwerfen, so ist auch der Glaube an „den gekreuzigten Christus“ ein Hoffen und Handeln gegen alle Erfahrung – ein Hoffen und Handeln, das freilich dennoch, wie das Beispiel der Fischer am See zeigt, durch Erfahrung bestätigt werden soll. Denn „Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ erweisen sich am Ende stärker als alle Erfahrungen der Fachleute, die mit ›wissenschaftlicher‹ Zuverlässigkeit erklären können: ›Fische gibt es da schon lange nicht mehr‹. Abraham, der in der alttestamentlichen Lesung 1 Mose 12,1-4a aus seiner Heimat aufbricht, fünfundsiebzig Jahre alt, allein auf das Wort seines Herrn hin in die Fremde und ins Ungewisse zieht, liefert ein weiteres Beispiel für solche Erfahrung mit der Erfahrung. Die Tagesgebete vermögen heute die Breite und Tiefe dieser Glaubens-Erfahrungen nur unzureichend zum Ausdruck zu bringen: „Öffne uns Ohren und Herzen, dass wir auf deinen Ruf hören und dem nachfolgen, den du gesandt hast“, betet das zweite; doch damit fangen die wunderbaren Erfahrungen, von denen heute zu reden ist, ja erst an.

6. SONNTAG NACH TRINITATIS
Begraben in den Tod: An diesem Sonntag geht es – ähnlich wie am 1. Sonntag nach Epiphanias – um die Taufe. Nicht zuerst das Evangelium Mt 28,16-20, der österliche Missions- und Taufbefehl Jesu, sondern die Epistel Röm 6,3-8(9-10) bestimmt den Charakter dieses Sonntags. Und Paulus macht es uns nicht leicht mit seiner Taufrede: Die Taufe ist, so lässt er uns wissen, ein feierliches Begräbnis. Begraben wird der ›alte‹, unter die Sünde versklavte Mensch. Denn: Nur wer mit Christus stirbt, wird frei für das neue Leben. Schwer zu predigen, wenn Eltern mit ihren unmündigen Kindern am Taufstein stehen! Da bereitet die alttestamentliche Lesung aus Jes 43,1-7 auf den ersten Blick weniger Probleme: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Der zweite Blick zeigt freilich, dass auch hier – es geht um die Erlösung Israels! – Tod und Leben eng beieinander stehen: Von Wasserströmen und Feuerflammen ist die Rede, auch vom Preis, den andere Völker für die Errettung des Gottesvolkes zahlen müssen. Nicht nur schwer zu predigen, sondern auch schwer zu beten: Einzig das erste Tagesgebet nimmt den Gedanken der ›neuen Geburt‹ ausdrücklich auf. Das zweite weicht allen Problemen schöpfungstheologisch aus: „…du hast uns in der Taufe zu deinem Eigentum erklärt.“ Nachdenkliche, befreiende Bilder findet das dritte: „Jesus Christus, du Tor zum Leben … du Tür zu neuen Räumen, wo sich Leben entfalten kann.“ Ja, das ist Taufe auch.

7. SONNTAG NACH TRINITATIS
Wo kaufen wir Brot? Dem Taufsonntag folgt der Abendmahlssonntag. Das Evangelium Joh 6,1-15 erzählt die Geschichte von der Speisung der Fünftausend in der Fassung des Johannes. Eine Geschichte voll tiefgründiger Bilder und Bezüge: der Berg, das Kind mit den fünf Broten und zwei Fischen, die zwölf Körbe, die übrigbleiben. Jesus, der die Brote nimmt, dankt (Eucharistie!) und teilt. An das ›Vorbild‹ dieser Geschichte erinnert die alttestamentliche Lesung von der Speisung des Volkes Israel in der Wüste (2 Mose 16,2-3.11-18): „Siehe, ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen…“ Die Epistel Apg 2,41a.42-47 erzählt, wie die Geschichte weitergeht, nach Ostern und Pfingsten: „…und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen“. Wieder einmal wird deutlich: Das Christentum tritt als Ess- und Trinkgemeinschaft – als eine Mahlgemeinschaft – in die Geschichte ein, nicht zuerst als eine Lehrveranstaltung oder Diskussionsrunde. Dazu stimmt der Eingangspsalm 107 mit seiner Antiphon: „Die Elenden sollen essen, dass sie satt werden…“ (Ps 22,27). Der Wochenspruch Eph 2,19 schlägt den Bogen zur Epistel des 2. Sonntags nach Trinitatis, an dem ebenfalls eine Mahlgeschichte im Mittelpunkt steht: Nicht mehr Gäste und Fremdlinge seid ihr, sondern Mitbürger und Hausgenossen. Zweites und drittes Tagesgebet thematisieren Christus als „Brot des Lebens“ und geben damit die Richtung für eine mögliche Auslegung der Lesungen an: „Jesus Christus, du stillst unsere Sehnsucht nach Leben, von dir kommt das Brot, das den Hunger vertreibt.“

8. SONNTAG NACH TRINITATIS
Salz der Erde, Licht der Welt: Das Evangelium für diesen Sonntag (Mt 5,13-16) steht im unmittelbaren Kontext der Seligpreisungen. Und es erhebt einen Anspruch, dem die Jünger Jesu von sich aus kaum gerecht werden können und dem sie sich darum auch immer wieder zu entziehen suchen. Aber die Gemeinde Jesu Christi ist kein ›religiöser Verein‹ neben anderen. Hier gilt: ohne Salz, ohne Licht kein Leben auf der Erde. Die Epistel Eph 5,8b-14 macht klar, welche Konsequenzen sich für die „Kinder des Lichts“ daraus ergeben: Eine Gemeinschaft mit den „unfruchtbaren Werken der Finsternis“ – ja, wo begegnen die denn heute? – kommt nicht mehr in Frage. Die alttestamentliche Lesung aus Jes 2,1-5 wird da sehr konkret: „Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen … und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ Das zweite Tagesgebet bringt, wenn auch nicht ganz so deutlich, die Dinge ebenfalls auf den springenden Punkt: „Wecke uns aus unserer Trägheit und mache uns bereit, dir zu dienen und dein helles Licht in das Dunkel der Welt zu tragen.“

9. SONNTAG NACH TRINITATIS
Denn wer da hat, dem wird viel gegeben: Dass das nun nicht nur im alltäglichen Leben, sondern auch noch im Reich Gottes so sein soll, macht zunächst verdrießlich. Das Evangelium ›von den anvertrauten Zentnern‹ (Mt 25,14-30) hat freilich eine andere Pointe. Negativfigur ist der Knecht, der seinen Zentner im Acker sicher verbirgt:
Verlustängste, überzogenes Sicherheitsdenken, Risikoscheu, Besitzstandswahrung sind der Gnadengabe Gottes gegenüber nicht angemessen. All das versperrt den Zugang zum Reich. So bekennt sich denn auch Paulus in der Epistel Phil 3,7-11(12-14) zur Umwertung all seiner Lebenswerte: Dreck ist ihm alles, was er bisher als ›Gewinn‹ auf der Habenseite seines Lebens verbuchte, und für „die Gerechtigkeit … die durch den Glauben an Christus kommt“, leert er gerne alle seine Konten. Angst hat auch der Prophet Jeremia (alttestamentliche Lesung Jer 1,4-10), als ihn der Ruf seines Gottes ereilt; ahnt er doch, was ihn erwartet. Auch hier werden Lebenspläne und -werte umgestoßen. Doch die Gabe ist groß: „Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche…“ Gut bringt die Dinge das dritte Tagesgebet auf den Punkt: „Schenkender Gott, in einer Welt, die gebaut ist auf Gewinn und Verlust, haben wir Angst, wir könnten verlieren. Mache uns Mut, dass wir mit dir rechnen.“ Ja, so lässt sich auch über die ›anvertrauten Zentner‹ predigen.

10. SONNTAG NACH TRINITATIS
Höre Israel: So beginn das Schema, das Grundbekenntnis des Volkes Israel (vgl. auch die alttestamentliche Lesung zum 1. Sonntag nach Trinitatis). Der 10. Sonntag nach Trinitatis ist Israelsonntag. Es geht um das Verhältnis von Israel und Kirche. Welche Probleme sich hier auftun, wird auch daran deutlich, dass man dem alten Evangelium Lk 19,41-48 im Ev. Gottesdienstbuch jetzt einen zweiten, alternativen Text beigesellt hat (Mk 12,28-34): Der Schriftgelehrte, der das Schema mit dem Gebot der Nächstenliebe (3 Mose 19,18) verbindet, ist nach Jesu Worten „nicht fern vom Reich Gottes“. Hier soll – so nehme ich an – der gemeinsame Glaubensursprung und Glaubensgrund, auch das gemeinsame Glaubensziel herausgestellt werden. Im alten Evangelium weint Jesu über die von ihm vorausgeschaute Zerstörung Jerusalems und deutet sie als Folge mangelnder ›Erkenntnis‹ der ›Zeit‹ (V. 42 und 44). Das muss keineswegs gegen Israel ausgelegt werden – die Tränen Jesu sind ein Zeichen seiner Liebe zu seinem Volk, und die Kirche war oft genug in ihrer Geschichte blind auf beiden Augen, wenn es darum ging, die Zeichen zur Kenntnis zu nehmen, die Gott in die ›Zeit‹ hineinschrieb. Auch Paulus (in der Epistel Röm 9,1-5.6-8.14-16) trägt „große Traurigkeit und Schmerzen“ in seinen Herzen, wenn er an seine „Brüder“ denkt; denn Israel gehört – und das bleibend (V. 6) – „die Kindschaft … und die Herrlichkeit und der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen“. Die alttestamentliche Lesung 2 Mose 19,1-6 bekräftigt diese Aussage und gibt ihr einen Ort in der Geschichte des Volkes: „…so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern“. Die Tagesgebete bemühen sich um eine Beschreibung des Verhältnisses von Juden und Christen, die dieser Aussage gerecht wird. Das dritte Gebet richtet dabei den Blick nach vorne, in die Zukunft Gottes: „Stärke unser Verlangen nach deinem Reich, in dem beide, Juden und Christen, vereint sein werden, dich zu loben in Ewigkeit.“
Statt der hier genannten Texte können auch die Texte des Gottesdienstes zum Thema ›Christen und Juden‹ (im EGb S. 450f.) genommen werden.

11. SONNTAG NACH TRINITATIS
Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute: Ein Satz, vorstellbar nicht nur im Mund des Pharisäers, der mit Recht auf seine guten Werke stolz sein darf, sondern auch im Mund eines bekehrten Zöllners, der seiner besonderen Rolle in diesem Gleichnis (Evangelium Lk 19,9-14) innewird. Das zeigt, dass auch Demut zu Hochmut werden kann, wenn einer sie sich als Leistung zurechnet, die ihn von anderen unterscheidet. Die Epistel Eph 2,4-10 bringt das auf den dogmatischen Punkt: „Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben … nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.“ Die alttestamentliche Lesung 2 Sam 12,1-10.13-15a erzählt, wie der Prophet Nathan den großen König David überführt: „Du bist der Mann!“ David bekennt seine Sünde und wird gerettet; das Kind aber stirbt – eine Geschichte, die deutlich andere Akzente setzt als das Evangelium und deshalb nur auf den ersten Blick dazu ›stimmt‹. Unterschiedliche Lesarten finden sich auch in den Tagesgebeten: Das erste betont Gottes „Erbarmen und Verschonen“. Das zweite warnt vor Selbstüberschätzung. Das dritte sieht auch dort Sünde am Werke, wo sich einer zu gering schätzt, und bittet deshalb: „Zeige uns, wer wir wirklich sind.“ Wird das Wochenlied EG 299 gesungen (und dazu vielleicht noch die alttestamentliche Lesung vorgetragen), erhält der Gottesdienst insgesamt einen starken Bußakzent.

12. SONNTAG NACH TRINITATIS
Die Sprachlosen macht er redend: Die Geschichte von der Heilung des Taubstummen (Evangelium Mk 7,31-37) ist eine gute Geschichte für eine Kirche, der es vor den Herausforderungen der Zeit die Sprache verschlägt. Sie zeigt auch, wie eng Nichtsprechenkönnen und Nichthörenkönnen (Nichthörenwollen?) zusammenhängen. Über solcher Deutung sollte man freilich die bemerkenswerten, zum Teil befremdlichen Details dieser Geschichte nicht übersehen, die später – im sogenannten Effata-Ritus (›Öffnung der Sinne‹) – Eingang in die christliche Taufliturgie gefunden haben: Stirn, Ohren und Nase des Taufbewerbers werden mit dem Kreuz bezeichnet, nach manchen Ordnungen gar mit Speichel berührt. Dass die Taufe etwas mit der ›Öffnung der Sinne‹ zu tun hat, zeigt auch die Geschichte von der Heilung des bei seiner Begegnung mit dem Herrn erblindeten Paulus, die als Epistel gelesen wird (Apg 9,1-9[10-20]). In der alttestamentlichen Lesung Jes 29,17-24 nimmt solche ›Öffnung der Sinne‹ geschichtliche Dimensionen an, befreit nicht nur den einzelnen, sondern das ganze Volk aus Taubheit, Sprachlosigkeit, Blindheit: „Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn…“ Dazu stimmt das Wochenlied EG 289 und der Eingangspsalm 147 mit seiner Antiphon, die Worte aus der alttestamentlichen Lesung aufnimmt und in Lobpreis wandelt. Ganz in diesem Duktus bleibt das zweite Tagesgebet: „Öffne unsere Ohren, dass wir dein heiliges Wort vernehmen, und rühre unsere Zungen an, dass wir einstimmen in den Lobgesang der Erlösten.“

13. SONNTAG NACH TRINITATIS
Wer ist denn mein Nächster? fragt der Schriftgelehrte. Jesus kehrt, wie wir wissen, die Frage um: Für wen bist du Nächster? Die Geschichte vom ›barmherzigen Samariter‹, die heute als Evangelium gelesen wird (Lk 10,25-337), steht mit Recht für Menschlichkeit schlechthin. Und sie steht gegen alle Versuche, anderen Menschen – oder Gruppen anderer Menschen – das Menschsein abzusprechen, sie zu ›entmenschlichen‹, wie dies die Räuber, aber auch Priester und Levit auf ihre Weise tun. Als Gegentext dazu lässt sich womöglich die Geschichte der beiden Brüder Kain und Abel (alttestamentliche Lesung 1 Mose 4,1-16a) lesen: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Bemerkenswert ist freilich, dass auch Kain, der Mörder, als Mensch gezeichnet und geschützt wird. Mit Recht stellt der Wochenspruch Mt 25,40 den Bezug zum großen Gleichnis vom Weltgericht her: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern…“ Er schlägt damit den Bogen zur Epistel 1 Joh 4,7-12, die alle Bruder- und Menschenliebe – und damit auch alle Menschlichkeit und Menschenwürde – in der Liebe Gottes zu uns Menschen gründen lässt: „Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns…“ Das zweite Tagesgebet verweist auf Jesus und bittet: „Lass uns nach seinem Vorbild gütig und barmherzig werden“. Das dritte beginnt sehr poetisch: „Ich suche dich, Gott, am Morgen eines jeden Tages. Ich suche dich mit dem Licht der heller werdenden Sonne“, um dann – offensichtlich mit Bezug auf das Evangelium – fortzufahren: „So will ich lernen, dich zu finden in denen, die neben mir sind…“

14. SONNTAG NACH TRINITATIS
Wo sind aber die neun? Schon wieder steht ein Samariter im Mittelpunkt des Evangeliums (Lk 17,11-19). Diesmal ist es seine ›Dankbarkeit‹, die ihn zum Glaubens- und Lebensvorbild werden lässt. Während die neun anderen Aussätzigen nach ihrer Heilung rasch zur ›Normalität‹ des Lebens zurückkehren – ein ganz typisches Verhalten -, benimmt er sich in jeder Weise ›atypisch‹. Dass ihm allein wirklich ›geholfen‹ ist, zeigt, dass die Geschichte noch eine andere Ebene jenseits von Gesundheit, Wohlergehen und normalem Leben kennt. In welcher Beziehung hierzu die alttestamentliche Lesung von Jakobs Traum (1 Mose 28,10-19a) steht, bleibt dem Einfallsreichtum des Lesers überlassen. Es mag sein, dass der Stein, den der heimatlose Flüchtling zur Erinnerung an die nächtliche Gotteserscheinung errichtet, zugleich als Brücke zum Evangelium vom dankbaren Samariter fungiert. Auch die Konsonanz von Evangelium und Epistel (Röm 8,[12-13]14-17) ist nicht auf den ersten Blick einsichtig. Dass der Samariter sich vom Geist Gottes, nicht vom Geist der ›Normalität‹ treiben lässt und in seiner Dankbarkeit zugleich seiner Gotteskindschaft Ausdruck gibt, mag auch hier als Brücke dienen. Ist dem so, dann trifft das dritte Tagesgebet ziemlich genau den springenden Punkt, der die drei Texte miteinander verbindet: „Es gibt zu viel, das uns in Atem hält. Hilf uns, dass wir Sehende und Hörende werden für deine heilende Botschaft der Liebe…“

15. SONNTAG NACH TRINITATIS
Verlockend anzusehen und gut zu essen: Der Mensch hat es gut im Garten Eden. Er darf bauen und bewahren, er darf ernten und essen. Die alttestamentliche Lesung 1 Mose 2,4b-9(10-14)15 schildert eine ungetrübte Idylle, wäre da nicht jenes fatale Gewächs der „Erkenntnis des Guten und Bösen“, das freilich erst später seine verhängnisvolle Wirkung entfaltet. Sorgt nicht: Was im Paradies Sinn macht, wirkt angesichts der gegenwärtig gegebenen Lebensbedingungen als Zumutung (Evangelium Mt 6,25-34). Oder geht es darum, das verlorene Paradies herbeizureden, herbeizuglauben, herbeizuleben? Entscheidend ist der Hinweis auf den Vater, den großen Gärtner, der auch heute noch Vögel und Lilien und Menschen schmückt und ernährt. Entscheidend ist aber auch der Hinweis auf das Reich und seine Gerechtigkeit (V. 13): Der Garten ist nicht auf ewig verloren. Wer danach ›trachtet‹, bekommt schon jetzt von seinen Früchten zu kosten. Und die heißen: Vertrauen, Geborgenheit, Freiheit, Liebe… „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch“, heißt es in der Epistel (1 Petr 5,5c-11), und das angesichts des Widersachers, der als brüllender, hungriger Löwe durch diese Welt geht. Wirklich gerecht wird dem allein das erste Tagesgebet, wenn es formuliert: „Reiße uns los von dem, was uns schadet“. Dann mag man auch mit dem dritten beten: „Wir bitten dich um die Sorglosigkeit, die dir vertraut.“ Denn seinen Freunden gibt er’s im Schlafe (Eingangspsalm 127). Siehe den Menschen – im Paradies.

16. SONNTAG NACH TRINITATIS
Wir sind Protestleute gegen den Tod! So hat es Christoph Blumhardt einst formuliert, und Kurt Marti hat es unter anderem in einem Lazarus-Gedicht aufgenommen: unhöflich ruft friede der friede ist in den friedlosen todhof: „lazarus komm heraus!“ In keiner anderen Geschichte geht der, der „die Auferstehung und das Leben“ ist, so grimmig (V. 33 und 38) gegen den Tod an wie im Evangelium dieses Sonntags (Joh 11,1[2]3.17-27[41-45]). Die Epistel 2 Tim 1,7-10 passt gut zu diesen österlichen Tönen; nicht nur, weil sie Christus als den verkündet, „der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat“, sondern auch, weil sie dem „Geist der Furcht“ Widerstand leistet, der Tod und Verwesung verbreitet, wo man ihn gewähren lässt. „O Tod, wo ist dein Stachel nun“, singt das Wochenlied EG 133. Eher moderat – und daher für Beerdigungsansprachen gut geeignet – preist die alttestamentliche Lesung aus Klgl 3,22-26.31-32 die täglich sich erneuernde Güte, Barmherzigkeit und Treue Gottes, die keinen auf ewig in den Tod verstößt (dazu singe man dann das zweite Wochenlied EG 364). „Gott des Lebens, du hast Christus von den Toten auferweckt und uns das ewige Leben erschlossen“: Was das zweite Tagesgebet in überlieferter Glaubenssprache ausdrückt, fasst das dritte in Bilder, die an das Evangelium anknüpfen, ohne die Radikalität seiner Auseinandersetzung mit dem Tod zu erreichen. „Begleite uns heraus aus verschlossenen Räumen, dass wir die Weite deiner Welt wahrnehmen und den Atem des Lebens entdecken…“

17. SONNTAG NACH TRINITATIS
Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat (Wochenspruch 1 Joh 5,4c): Das Evangelium heute (Mt 15,21-28) erzählt von einer Frau, deren Glaube sogar Jesus zu überwinden mochte. Jegliche Psychologisierung und Pädagogisierung – Jesus habe die Frau ja nur au die Probe stellen wollen undsoweiter – nimmt diesem Text seine Größe und seinen Sinn. Er hält nämlich fest, wie unsagbar schwer dieser Schritt über die Grenze auch für Jesus war. Und er zeigt uns kanaanäischen Frauen und Männern, wie ›teuer‹ wir erkauft sind. Die Epistel Röm 10,9-17(18) bleibt beim Thema, wenn sie vom Ursprung und Weg solchen weltüberwindenden Glaubens handelt: „So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.“ Im Glauben dieser Frau, so ließe sich demnach sagen, überwindet Jesus sich selbst. Die alttestamentliche Lesung Jes 49,1-6 sieht das im Willen und Entschluss Gottes begründet: „Ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.“ Die Tagesgebete spiegeln von all dem nur wenig wider. Das zweite betont den Aspekt des „Vertrauens“ und der Treue auch „in den Zeiten der Not“ und stellt damit die Frau als Glaubensvorbild hin. Dem folgt, stärker psychologisierend, das dritte: „Lass uns selbst wichtig nehmen, worum wir bitten.“ Eindeutig und exklusiv in seinem Christusbekenntnis ist das Wochenlied: „Such, wer da will, Nothelfer viel, die uns doch nichts erworben…“

18. SONNTAG NACH TRINITATIS
Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe (Wochenspruch 1 Joh 4,21): Wie ein roter Faden zieht sich das Doppelgebot der Gottes- und Bruderliebe durch die Texte der Trinitatissonntage. Das beginnt mit der Epistel zum 1. Sonntag, aus der unser Wochenspruch stammt. Das setzt sich am 4. Sonntag, am 10. Sonntag (hier begegnet schon einmal unser heutiges Evangelium, Mk 12,28-34!) und am 13. Sonntag (mit der Epistel 1 Joh 4,7-12 und der Geschichte vom barmherzigen Samariter) fort. Heute nun wird es gleichsam thematisch gebündelt. Aus dem Alten Testament liest man den Dekalog, die Zehn Gebote, mit der auch für Christen unverzichtbaren Einleitung: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe“ (2 Mose 20,1-17). Durch Jesus bestätigt (Evangelium Mk 12,28-34), wird es von Paulus (Epistel Röm 14,17-19) auf die konkrete Situation in der Gemeinde angewandt: „Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.“ Das zweite Tagesgebet bringt es auf den Punkt: „Gott, du hast uns geboten, dich von ganzem Herzen zu lieben und unsern Nächsten wie uns selbst.“ Das dritte schließt hier unmittelbar an, nicht ohne auf die für diese Reihe typische ›Wendung nach innen‹ zu verzichten: „Einfach und klar sind deine Gebote, Gott. Einfach und klar möchten auch wir werden bis auf den Grund unseres Lebens.“

ERNTEDANKTAG
Brich dem Hungrigen dein Brot: Die alttestamentliche Lesung aus Jes 58,7-12 stellt den Erentedanktag unter den Gedanken des Teilens. Dabei geht es nicht nur um Brot, sondern auch – wie der Text zeigt – um Obdach, Kleidung, Gerechtigkeit, Verantwortung für andere Menschen schlechthin. Groß ist die Verheißung, die mit solchem Teilen verbunden ist: „Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“ Es macht deshalb Sinn, das neue Evangelium auf den Erntedanktag, das uns schon am 15. Sonntag nach Trinitatis begegnet ist (Mt 6,25-34), im Kontext dieser Lesung auszulegen: Solches Teilen der notwendigen Lebens-Mittel im Horizont des Gottesreiches und seiner Gerechtigkeit befreit von aller bangen, selbstbezogenen, engen und ängstigenden Sorge um den „morgigen Tag“. Um das Teilen des Lebensnotwendigen geht es schließlich auch in der Epistel 2 Kor 9,6-15; Thema ist die Kollekte, die Paulus für Jerusalem sammelt, und die Auslegung sollte sich nicht allein auf das Sämann-Gleichnis kaprizieren. Wer sich für das alte Evangelium vom ›reichen Kornbauern‹ (Lk 12,[13-14]15-21) entscheidet, betont damit stärker die Momente der Buße und der endzeitlichen Erwartung, die auf den ersten Blick weniger zu der fröhlichen Stimmung des Erntedanktages zu stimmen scheinen. Doch darf nicht übersehen werden, dass auch die alttestamentliche Lesung im Grunde eine Art Buß- bzw. Umkehrpredigt darstellt. Alle drei Tagesgebete stellen natürlich den Dank für Gaben Gottes in den Mittelpunkt. In traditioneller Manier redet das erste von den „Früchten des Feldes“. Das zweite bittet um „Einsicht und Klugheit“ im Umgang mit den Gaben und spielt damit auf die Geschichte vom ›reichen Kornbauern‹ an. Das dritte weitet den Blick auf die „Fülle“ des Lebens schlechthin.
Der Erntedanktag im Herbst – traditionell am Sonntag nach Michaelis (29. September) oder am ersten Sonntag im Oktober begangen – ist einer der wenigen Anlässe, bei denen das Naturjahr unmittelbar in das Kirchenjahr hineinreicht. Die reformatorischen Kirchenordnungen hatten zunächst unterschiedliche Bestimmungen hinsichtlich des Termins getroffen: Manche verbanden den Dank für die Ernte mit Michaelis, andere legten ihn auf den Bartholomäustag (24. August), auf den Sonntag nach Ägidii (1. September) oder nach Martini (11. November). In manchen regionalen Bräuchen wirken diese älteren Termine noch nach.

19. SONNTAG NACH TRINITATIS
Heile du mich Herr, so werde ich heil (Wochenspruch Jer 17,14): Sündenvergebung und Gesundung, Heil und Heilung sind im heutigen Evangelium, der Geschichte von der Heilung des Gelähmten (Mk 2,1-12), auf eigentümliche Weise miteinander verbunden. Es ist eine sehr drastische Geschichte – das Gedränge der Menge, das Loch im Dach, der Streit mit dem Schriftgelehrten, der plötzliche ›Aufstand‹ des Geheilten, der mit dem Bett unter dem Arm abzieht. Drastisch sind auch die Ereignisse, die der Erneuerung des Bundesschlusses vorausgehen, von der die alttestamentliche Lesung (2 Mose 34,4-10) erzählt. Das eigentliche „Wunder“ (V. 10) besteht auch hier darin, dass Gott seinem Volk Missetat und Sünde vergibt (V. 9). Dass der „alte Mensch“ „sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet“, weiß schließlich auch der Schreiber der Epistel (Eph 4,22-32). Seine Weisungen an den „neuen Menschen“ sind darum zugleich Ratschläge für ein wirklich ›heiles‹, geheiltes Leben. „Lehre uns so zu leben, wie du es geboten hast“, formuliert das zweite Tagesgebet mit Bezug auf AT-Lesung und Epistel, und das dritte betont erst recht den Zusammenhang von ›Heil‹ und ›Wohl‹, wie er von den Texten dieses Sonntags thematisiert wird: „Komm mit deiner Wärme, die wohl tut und heilt…“. Es befindet sich dabei durchaus in Übereinstimmung mit dem Eingangspsalm: „Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist!“

20. SONNTAG NACH TRINITATIS
Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden: Der 20. Sonntag nach Trinitatis ist gleichsam der Ehe- und Familiensonntag des Kirchenjahres. Das Evangelium Mk 10,2-9(10-16) erzählt nicht nur davon, wie Jesus die Fangfrage der Pharisäer zur Ehescheidung beantwortet, sondern auch – in der längeren Fassung – davon, wie er die Kinder segnet. Die Epistel 1 Thess 4,1-8 macht darüber hinaus deutlich, dass „gierige Lust“ (V. 5) nicht nur das Verhältnis der Geschlechter, sondern auch das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben schlechthin zu belasten und zu zerstören imstande ist: „Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel“. Die alttestamentliche Lesung (1 Mose 8,18-22) dehnt das auf die gesamte Schöpfung aus: Zusammen mit allem Getier verlässt Noah mit seiner Frau, seinen Söhnen und deren Frauen die Arche und baut Gott einen Altar auf der neu gewonnenen Erde. Zugleich wird deutlich, dass alle irdische – natürliche wie gesellschaftlich-kulturelle – Ordnung auf der verlässlichen, ordnenden, schützenden Zusage Gottes beruht: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Dazu stimmt der Eingangspsalm 19, wenn er die Ordnungen Gottes nacheinander als „vollkommen“, „gewiss“, „richtig“ und „lauter“ preist. Das zweite Tagesgebet fasst wohl besonders Ehe und Familie in den Blick, wenn es um Erneuerung für „die Kraft unserer Liebe“ bittet. Dass wir in Entscheidungs- und Krisensituationen „mutige Schritte wagen“, ist Anliegen des dritten.
Die Texte dieses Sonntags können auch mit den des 23. Sonntags nach Trinitatis getauscht werden.

21. SONNTAG NACH TRINITATIS
Liebt eure Feinde: Keine andere Aussage Jesu hat wohl solche widersprüchlichen Reaktionen und Dispute ausgelöst wie diese Weisung, die in der Tat das Gebot der Nächsten- und Bruderliebe substantiell überschreitet. In der Bergpredigt, die den Kontext für das Evangelium dieses Sonntags bildet (Mt 5,38-48), erscheint solche Weisung im Zusammenhang einer Lebensstrategie, die es unternimmt, „Böses mit Gutem“ zu überwinden (Wochenspruch Röm 12,21). Auch wenn es im Text selber nicht ausdrücklich genannt wird, ist doch auch hier das Reich Gottes der Horizont, in dem solche Lebensweise Sinn macht und Verheißung besitzt. Die „Kinder des Vaters“ halten sich an die Spielregeln, denen er selber folgt – Spielregeln, die im Handeln Jesu und in seinem Geschick eine konkrete (lebens-)geschichtliche Gestalt gewinnen. Die Epistel Eph 6,10-17, die geradezu in ›militärischen‹ Bildern schwelgt, steht dazu nicht im Gegensatz. Was die Bergpredigt vorschlägt, erscheint hier unter dem Gleichnis der „Waffenrüstung Gottes“: Feindesliebe ist kein Zeichen der Schwäche, sondern der Stärke – genauer: seiner Macht und seiner Stärke (V. 10). Das zweite Wochenlied EG 377 nimmt die Kampf-Metaphorik auf und passt darum gut zur Epistel. „Suchet der Stadt Bestes“, schreibt Jeremia den in das Exil nach Babylon verschleppten Israeliten (alttestamentliche Lesung Jer 29,1.4-710-14) und gibt so dem Thema ›Feindesliebe‹ eine eigene Wendung, in der sehr viel Weisheit steckt: „…denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch euch wohl.“ Unumwunden nimmt das zweite Tagesgebet die Weisung des Evangeliums auf: „…du lässt deine Sonne aufgehen über Gute und Böse und willst, dass wir auch unsere Feinde lieben.“ Stärker an zeitgenössischen Sprachgebrauch lehnt sich das dritte an: „…dass du Menschen die Kraft gegeben hast, Wege der Versöhnung zu gehen … dass wir Frieden stiften und Brücken bauen…“

22. SONNTAG NACH TRINITATIS
Bezahle, was du mir schuldig bist! Der Knecht, eben erst aus dem Schuldgefängnis befreit, bittet seinen Mitknecht unbarmherzig zur Kasse (Evangelium vom ›Schalksknecht‹ Mt 18,21-35): Verhaltensweisen, die sich leicht auch im zeitgenössischen Kontext aufspüren lassen, die aber vom Reich Gottes ausschließen – und die, das muss man hinzufügen, jede Verkündigung unglaubwürdig machen, wenn sie von Kirchen und Christen praktiziert werden. Wichtig ist das geradezu absurde Zahlenverhältnis: Zehntausend Silberzentner gegen hundert Silbergroschen! Das Thema des Sonntags heißt ›Vergebung‹ – wobei zwischen der Vergebung, die wir von Gott erbitten, und der Vergebung, die wir einander gewähren, ein unlöslicher Zusammenhang besteht. Schuldenerlass ist Gottesdienst: Diese Folgerung lässt sich ziehen, liest man das Evangelium im Kontext der alttestamentlichen Lesung (Mi 6,6-8). Gott lässt sich nicht durch Tier- und Menschenopfer ruhig stellen. Er drängt auf eine Änderung des Verhaltens: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ Und Paulus schreibt aus dem Gefängnis an die Gemeinde in Philippi (Epistel Phil 1,3-11): „Ich bete darum, dass eure Liebe immer noch reicher werde…“ Das zweite Tagesgebet steht in einer deutlichen Bezug zum Evangelium: „…dass wir einander lieben, wie du uns liebst, einander vergeben, wie du uns vergibst…“ Das dritte preist die „erfinderische Liebe“ Gottes, der es nicht erträgt, dass einer seiner Menschen verloren geht – Gedanken, die sehr gut zum 3. Sonntag nach Trinitatis passen würden. Der Leitvers zum Eingangspsalm 143 sollte heute das erste und letzte Wort im Gottesdienst behalten: „Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht; denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht.“

23. SONNTAG NACH TRINITATIS
Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist! Das hört sich an wie „Jedermann sei untertan der Obrigkeit“ (Röm 13,1-7; Predigtperikopenreihe IV), lässt jedoch auch eine deutliche Relativierung ›kaiserlicher‹ Herrschaft erkennen: Dem Herrscher das Geld – Gott aber Gehorsam! Jedenfalls gibt dieser Sonntag mit seinem Evangelium (Evangelium Mt 22,15-22) Gelegenheit, Gott für die gesellschaftliche und staatliche Ordnung als „Ordnung, die das Leben schützt“ (drittes Tagesgebet) zu danken. Dass auch diese Ordnung nicht zu den letzten, sondern den ›vorletzten Dingen‹ gehört, lässt die Epistel (Phil 3,17[18-19]20-21) erkennen: „Unser Bürgerrecht aber [politeuma steht im Griechischen] ist im Himmel“. Wie spannungsreich sich das Verhältnis gestalten kann, zeigt die alttestamentliche Lesung (1 Mose 18,20-21.22b-33), die von der Fürbitte Abrahams für Sodom erzählt. Unüberhörbar macht sie aber auch deutlich, worin die Aufgabe des Glaubenden insbesondere in solchen ›kritischen‹ (krisis = Gericht) Situationen besteht: Stellvertretend für die ›Stadt‹ – wie immer sie heißen mag – einzutreten und mit Gott um ihre Rettung zu ringen. Der Wochenspruch aus 1 Tim 6, der zugleich Antiphon zum Eingangspsalm ist, drückt aus, was als letztes Wort über all dem steht: „Dem König aller Könige und Herrn aller Herren, der allein Unsterblichkeit hat, dem sei Ehre und ewige Macht.“
Da der 23. Sonntag nach Trinitatis nur relativ selten vorkommt – nämlich in den Jahren, in denen Ostern vor dem 3. April liegt -, können seine Texte mit denen des 20. Sonntags nach Trinitatis ausgetauscht werden.

24. SONNTAG NACH TRINITATIS
Da stand das Mädchen auf: Wie schon am 16. Sonntag nach Trinitatis erzählt heute das Evangelium (Mt 9,18-26) von einer Totenerweckung. Verwoben mit dieser Erzählung ist die Geschichte von der Heilung der ›blutflüssigen Frau‹: „Könnte ich nur sein Gewand berühren, so würde ich gesund.“ Beidemale stehen Frauen im Mittelpunkt. Und beidemale eignet dem Wunder eine ›körperliche‹ Komponente: Jesus berührt – er ergreift das Mädchen bei der Hand – und lässt sich berühren. Das sollte nicht zu allegorisierenden Deutungen verführen. Aber es zeigt doch, wie realistisch diese Erweckungs- und Heilungsgeschichten gemeint sind. Einen Deutungsvorschlag eigener Art unterbreitet das zweite Tagesgebet: „Hilf uns in der Angst vor dem Leben, hilf uns aus der Angst vor dem Tode…“ In einen noch größeren, wahrhaft universellen Rahmen stellt das dritte Tagesgebet die beiden Heilungsgeschichten: „Du trägst das Universum in deinem Schoß, du trägst auch uns.“ Es darf sich dabei auf die Epistel Kol 1,(9-12)13-20 beziehen: In Christus „ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist“. Das Thema Tod und Leben – und damit der Tenor des Evangeliums – wird vom Eingangspsalm 39 aufgenommen: „Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss…“ Der Leitvers aus Röm 14,9 würde sich gut als Wochenspruch eignen: „Dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.“ Wochenlied ist die von Martin Luther fortgeschriebene alte Antiphon Media vita in morte sumus: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“ (EG 518). Die alttestamentliche Lesung (Pred 3,1-14) thematisiert die Vergänglichkeit aller Bemühungen, Empfindungen, Beziehungen: „Ein jegliches hat seine Zeit…“, leitet daraus aber eine überraschend diesseitige Moral ab: „…dass es nichts Besseres gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben.“
In gewisser Weise erscheint dieser Sonntag – der freilich nur in den Jahren vorkommt, in denen Ostern vor dem 27. März liegt – als eine Art vorweg genommener ›Totensonntag‹. Inhaltlich ist er darum schon der ›Endzeit‹ des Kirchenjahres zuzurechnen, die mit dem Drittletzten Sonntag beginnt und in besonderer Weise die ›letzten Dinge‹ thematisiert.
DRITTLETZTER SONNTAG DES KIRCHENJAHRES
Wann kommt das Reich Gottes? Geheimnisvoll ist die Antwort, die Jesus auf diese Frage gibt (Evangelium Lk 17,20-24[25-30]): Sein Kommen lässt sich nicht „beobachten“ — denn es ist (schon?) „mitten unter euch“ (Luther übersetzte: „inwendig in euch“). Viele Exegeten interpretieren das so, dass sich im Wirken Jesu bereits hier und jetzt die Nähe des Gottesreiches zeigt, dass es also ›in ihm‹ bereits im Kommen ist: „Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist der Tag des Heils“ (Wochenspruch 2 Kor 6,2b). Dass dies verborgen ist, dass das Gottesreich in seiner offenbaren, vollendeten Gestalt erst noch erscheinen wird, daran lässt das Evangelium freilich gleichfalls keinen Zweifel. Die anderen Lesetexte des Sonntags stellen stärker individuelle Aspekte in den Mittelpunkt: Die alttestamentliche Lesung aus Hiob 14,16 vergleicht das menschliche Leben mit einer ›Blume‹ und einem ›Schatten‹ und weist so auf seine Endlichkeit und Vergänglichkeit hin. Aus dem Duktus der Auseinandersetzung um die ›Starken‹ und ›Schwachen‹ in Rom herausgerissen, artikuliert die Epistel Röm 14,7-9 die christliche Hoffnung im Angesicht von Tod und Sterben: „…wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“ Alle drei Tagesgebete nehmen demgegenüber nachdrücklich auf die das Todesschicksal des Einzelnen übergreifende Reich-Gottes-Hoffnung Bezug: „Diese zerstrittene Welt sehnt sich nach Frieden“, stellt das erste fest. Das zweite betet: „…du weckst in uns die Sehnsucht nach Erneuerung unserer Welt.“ Und das dritte weiß: „…du widerstehst dem Unrecht und vertrittst die Sache der Armen und Schutzlosen.“ Als Wochenlied singt man entweder EG 152 („Wir warten dein, o Gottessohn“), was besser zum Evangelium passt, oder – wie am 24. Sonntag – EG 518.
Für die drei letzten Sonntage des Kirchenjahres hat das Ev. Gottesdienstbuch eine eigene Präfation, die stärker die individuelle Hoffnung im Angesicht des Endes akzentuiert: „Denn in dir leben und sind wir…“ (vgl. aber auch die Texte auf S. 620 und S. 626).

VORLETZTER SONNTAG DES KIRCHENJAHRES
Wann haben wir dich hungrig gesehen? Evangelium des Sonntags ist das gewaltige Gleichnis ›vom Weltgericht‹ (Mt 25,31-46), das in dem Wort gipfelt: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Die Epistel Röm 8,18-23(24-25) artikuliert die Sehnsucht der ganzen Schöpfung nach Erlösung und stellt damit die Hoffnung auf das – endliche! – Kommen des Gottesreiches in einen universellen, geradezu kosmischen Horizont: „…denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.“ Harte Gerichtstöne schlägt demgegenüber die alttestamentliche Lesung (Jer 8,4-7) an: „…mein Volk will das Recht des Herrn nicht wissen.“ Als Wochenlied singt man die Umdichtung der alten Sequenz aus den Messen für die Verstorbenen Dies irae, dies illa: „Es ist gewisslich an der Zeit, dass Gottes Sohn wird kommen“ (EG 149). Andere Töne schlägt der Eingangspsalm an; hier kommt stärker der befreiende, rettende Aspekt des Endgerichts zum Tragen: „Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes…“ (Ps 50). So schwankt die Stimmung dieses Sonntags zwischen Hoffnung und Verzweiflung, und der Wochenspruch kann dies nur unzulänglich zusammenbinden: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi“ (2 Kor 5,10). Auch das zweite Tagesgebet weiß: „…vor dir müssen wir verantworten, was wir tun und lassen“, und das erste ergänzt: „…unsere Worte und Taten können in deinem Gericht nicht bestehen.“ Nur das dritte bringt auch die hoffnungsvollen, befreienden Aspekte deutlich zur Sprache, wie sie von Paulus in der Epistel angesprochen werden: „…in Jesus Christus hast du Frieden gestiftet. Wir sehnen uns nach diesem Frieden, nach Gerechtigkeit und erfüllter Gemeinschaft.“ Mag sein, dass es dabei auch den Volkstrauertag im Blick hat, der in Deutschland an diesem Sonntag begangen wird.
Der Vorletzte Sonntag kann im Rahmen der Friedensdekade auch als ›Friedenssonntag‹ mit den Lesungen Mi 4,1-4, 1 Tim 2,1-4 (oder Phil 4,6-9), Mt 5,2-10(11-12) oder Mt 16,1-4 (bzw. Joh 14,27-31a) begangen werden (vgl. EGb S. 474f).

BUß- UND BETTAG
Vielleicht bringt er doch noch Frucht: Das Gleichnis vom Feigenbaum (im Evangelium Lk 13,81-5]6-9) enthält einen Rest von Hoffnung für das undankbare Gewächs. Wie das gemeint ist, macht der erste Teil der Evangelienlesung deutlich, und deshalb sollte man ihn keinesfalls auslassen: „Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen.“ Ähnlich formuliert es Paulus in der Epistel (Röm 2,1-11), in der er im übrigen sehr hart mit den „verstockten und unbußfertigen Herzen“ ins Gericht geht: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ Was hier ›Buße‹ heißt, füllt die alttestamentliche Lesung mit konkretem Inhalt (Jes 1,10-17). Die harsche Kultkritik, die dabei laut wird, weist zugleich darauf hin, dass sich solche ›Buße‹ nicht in liturgischen oder spirituellen Bemühungen erschöpfen kann: „Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schaffet den Waisen Recht, führet der Witwen Sache!“ An den ›Rest von Hoffnung‹, von dem oben die Rede war, knüpfen auch die beiden ersten Tagesgebete an. „…du willst nicht den Tod des Sünders, sondern dass er umkehrt und lebt“, heißt es im ersten. Noch zuversichtlicher formuliert das zweite: „…du hast zugesagt, uns nicht zu verstoßen, sondern unsere Sünde zu vergeben.“ Das dritte bittet um Erkenntnis der Sünde: „Hilf uns die Wahrheit erkennen und annehmen, die Wahrheit unserer Schuld und die Wahrheit deiner Gerechtigkeit.“
Die liturgische Farbe am Buß- und Bettag ist violett, Gloria und Halleluja werden nicht gesungen. Der Gottesdienst kann auch nach einer besonderen Ordnung (EGb S. 191ff.) oder mit den Texten vom Aschermittwoch begangen werden. In der Friedensdekade können auch die beim Vorletzten Sonntag aufgeführten Texte aus dem Formular ›Bitte um Frieden und Schutz des Lebens‹ (EGb S. 474f.) Verwendung finden.
Buß- und Bettage wurden früher häufig aus aktuellem Anlass ausgeschrieben. Sie trugen ursprünglich öffentlichen Charakter: Die gesamte Bevölkerung wurde angesichts von Notständen und Gefahren zu Buße und Gebet aufgerufen. Dieser Charakter ging allmählich weithin verloren und machte einem stärker auf den Einzelnen bezogenen Verständnis von Buße und Bitte Platz. In verschiedenen Anläufen (1853, 1878, 1893) einigten sich die evangelischen Landeskirchen Deutschlands schließlich auf die Einführung eines allgemeinen Buß- und Bettages am Mittwoch vor dem letzten Trinitatissonntag. Einzelne Landeskirchen behielten noch weitere Buß- und Bettage bei.

LETZTER SONNTAG DES KIRCHENJAHRES
EWIGKEITSSONNTAG
Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen: Die Epistel Offb 21,1-7 ist ein sehr starker, bildmächtiger Text. Endlich ist alles Leid, aller Schmerz, alle Trennung vorbei: Das neue Jerusalem senkt sich auf die Erde, Gott schlägt seine Hütte bei den Menschen auf. Glühender, gewaltiger, jubelnder lässt sich das Ende kaum schildern – es sei denn, man nimmt an der alttestamentlichen Lesung Jes 65,17-19(20-22)23-25 Maß, deren Bilder womöglich noch lebensnäher und darum noch bewegender sind: „Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen…“ Auch hier wird die gesamte Schöpfung in die große Wandlung, die allumfassende Versöhnung einbezogen: „Wolf und Schaf sollen beieinander weiden, der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind…“ Das Wochenlied EG 147 nimmt das Bild vom ›neuen Jerusalem‹ auf: „Von zwölf Perlen sind die Tore an deiner Stadt…“ und verbindet es mit dem Jungfrauen-Gleichnis, das als Evangelium gelesen wird (Mt 25,1-13). Unter all den Endzeit-Jubel mischen sich hier wieder ernste, mahnende Töne: Ein großes Fest ist angesagt – es wäre töricht, es aus Bequemlichkeit, Trägheit, Ignoranz, Eigensinn, Kurzsicht zu verpassen. Der Wochenspruch aus Lk 12,35 fasst dies bildhaft in die Mahnung: „Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen.“ Auf das „himmlische Fest des Lebens“ hofft das erste Tagesgebet, das zweite träumt von der neuen Schöpfung, „in der Liebe und Gerechtigkeit wohnen auf ewig“, und das dritte kreist um das Thema Zeit und Ewigkeit. Voll großer Hoffnungsbilder ist auch der Eingangspsalm 126 („Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird“) mit seiner Antiphon aus Jes 35,10a: „Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen…“
Nach dem Willen des Ev. Gottesdienstbuches soll dort, wo es üblich ist, das Gedächtnis der Entschlafenen in einem eigenen Früh-, Predigt- oder Vespergottesdienst begangen werden (vgl. dazu das Proprium ›Gedenktag der Entschlafenen‹ S. 484f.), es soll aber die Texte des Ewigkeitssonntags keineswegs verdrängen. Dass diese sehr wohl geeignet sind, auch die Erwartungen, Klagen, Ängste, Hoffnungen, Fragen aufzunehmen, die sich mit dem ›Totensonntag‹ verbinden, dürfte deutlich geworden sein. Den hatte König Friedrich Wilhelm III. von Preußen durch Kabinettsordre vom 17. 11. 1816 zum Gedenken an die in den Befreiungskriegen Gefallenen eingeführt. Von anderen Landeskirchen übernommen, gewann das ›Totenfest‹ zum Abschluss des Kirchenjahres – in gewisser Weise evangelisches Gegenstück zur Feier von ›Allerseelen‹ (2. 11.) in der katholischen Kirche – rasch große Popularität. In ihm kommt ein tiefes menschliches Bedürfnis zum Ausdruck, das bei der Begehung des ›Ewigkeitssonntages‹ keineswegs vernachlässigt werden darf.