VON MONIKA ERMERT. So individuell wie die eigene Haustür darf bald auch die virtuelle Anschrift sein: Ab 2009 gibt es neue Adressbereiche im Netz. Neben den herkömmlichen Domains wie .com und .de könnten Webseiten dann auf .berlin, .gott oder .wasweißich enden. Es herrscht Goldgräberstimmung im Land der Internet Domains. Denn im Frühjahr 2009 können bei der privaten Netzverwaltung, der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (Icann), neue Internetadressbereiche beantragt werden. Zusätzlich zu den bekannten .com- oder .de-Adressen sind dann auch individuelle Anschriften möglich. Vielleicht möchten Sie gerne… …unter mueller.berlin oder meyer.bayern vertreten sein? Oder hat Ihr Unternehmen nur darauf gewartet, über eine eigene Adresse wie .bitkom oder .bmw zu verfügen?
Beim Treffen der Icann kürzlich in Paris verglich deren Geschäftsführer, der Australier Paul Twomey, die Öffnung des Internet-Namensraumes mit der Liberalisierung des britischen Telekommunikationsmarktes durch Margaret Thatcher in den 1980er-Jahren. Kein Wunder, dass das Pariser Treffen mit 1600 Teilnehmern das größte in der Geschichte der zehn Jahre jungen privaten Netzverwaltung war. Schließlich ist die Domainverwaltung kein schlechtes Geschäft: Für 75 Millionen com-Adressen kassiert das US-Unternehmen VeriSign jedes Jahr rund sieben US-Dollar pro Adresse, zusätzlich wird für das Umziehen oder weitere Dienste abkassiert.
Und was springt für den privaten Nutzer dabei heraus?
Die Chance auf eine sprechende Adresse in der virtuellen Welt oder ein Babel neuer Namensräume, in der sie sich nicht mehr zurechtfinden? Andreas Schreiner, Geschäftsführer des Münchner Dienstleisters Internet Wire, verdient zwar sein Geld mit dem Verkauf von Domains, sieht die Ausweitung der Adresszonen aber trotzdem nicht unkritisch: „Ich glaube, es schafft Verwirrung für die Endverbraucher, wenn sie nicht mehr wissen, wozu gehört eigentlich eine bestimmte Endung, was bedeutet und symbolisiert sie.“ Das Unternehmen hat die seit der Gründung von Icann neu eingeführten Adressbereiche – im Fachjargon TLDs, Top Level Domains, genannt – jeweils in sein Angebot genommen und den eigenen Geschäftskunden, vor allem aber den Registraren angeboten, die das Domaingeschäft mit den Endverbrauchern machen.
Adressen mit der Endung .info, die in einer ersten vorsichtigen Liberalisierung im Jahr 2000 zusammen mit sechs weiteren Bereichen (.biz, .name, .museum, .aero, .coop, .pro) zugelassen wurden, hätten noch ganz gut funktioniert, so Andreas Schreiner. Schon weniger attraktiv für Kunden in nicht-englischsprachigen Ländern war der Adressbereich .biz (der für „business“ steht). Und „TLDs wie .travel oder .jobs kennt bei uns kaum jemand“, sagt Schreiner. Diese beiden stammen aus einer weiteren Liberalisierungsrunde aus dem Jahr 2003. Bis zur vorsichtigen Öffnung des Geschäfts mit den Adressbereichen hatte Network Solutions, später aufgekauft von VeriSign, das Monopol für das Geschäft mit den Domains. Namenseinträge unter .com, .net und .org kosteten 70 Dollar und für alle, die auf eine Internetadresse angewiesen waren, führte daran kein Weg vorbei.
Mit der Einführung von Adressen wie .info, .biz oder .travel sanken die Preise für Endkunden zeitweilig bis auf zwölf Dollar. Die Trennung von Registry – die dafür sorgt, dass jede Domain nur einmal eingetragen wird und im globalen Netz so einwandfrei aufgefunden werden kann – und Registraren, also konkurrierenden Domainverkäufern, brachte den Wettbewerb in Gang. Die marktbeherrschende Stellung von .com ist allerdings ungebrochen, für .com-Adressen werden teilweise Millionenbeträge hingeblättert.
Die jetzt von der Icann geplante Zulassung aller beantragten TLDs, die den notwendigen technischen, finanziellen und organisatorischen Kriterien entsprechen, wird nach Ansicht von Kritikern zu neuer Unübersichtlichkeit im Netz führen. „Die Leute werden doch nur den Suchmaschinen-Herstellern wie Google in die Arme getrieben“, warnte ein Markenrechtsexperte in Paris. Anstatt wie bisher einfach mal den Firmennamen mit der Endung .com einzugeben, gebe es dann womöglich Hunderte von Adressbereichen, unter denen sich das Unternehmen virtuell angesiedelt haben könnte.
Nach Ansicht von Andreas Schreiner wird ohnehin schon heute per Suchmaschine nach der jeweiligen Internetpräsenz gesucht. Was die Erfolgsaussichten der neuen Adressbereiche angeht, hat er trotzdem einen Favoriten. „Regionale TLDs sind selbst erklärend und bieten Unternehmen und Handwerkern eine Alternative, die unter .com oder .de nicht zum Zug gekommen sind“, sagt Schreiner. „Für diesen Namensraum gibt es daher auch eine Nachfrage.“
Die positive Entwicklung nationaler Adressbereiche und das große Interesse für Städtedomains scheinen ihm recht zu geben. So war etwa bis vor kurzem die .de-Zone der zweitgrößte Adressbereich nach .com. Nun musste sie der chinesischen Endung .cn weichen, verzeichnet aber weiter ordentliche Wachstumsraten. Der Vorreiter für die Städtedomains kommt aus Deutschland: Seit 2005 arbeitet das Berliner Unternehmen dotBerlin GmbH an seiner Bewerbung für .berlin. DotBerlin-Geschäftsführer Dirk Krischenowski wird nicht müde, darauf zu verweisen, wie viele Berliner Firmen zu umständlich langen Adressen gezwungen werden. Dabei wäre es doch einfacher und schicker, statt www.messe-berlin.de nur www.messe.berlin, und statt berlin.hyatt.com schlicht hyatt.berlin zu registrieren.
Eine Menge Geld könnte in der Stadt bleiben, wirbt Krischenowski. „Wir rechnen mit Wertschöpfungsmöglichkeiten von rund einer Million Euro für die Berliner Wirtschaft“, sagt er. Nicht nur, dass das Geld für die Registry in der Stadt verdient würde, auch Portale für den Tourismus oder den Dienstleistungssektor könnten lokal verdienen, statt über zentrale Portale wie hotel.com abzufließen. Das Argument, Nutzer würden durch eine Vielzahl neuer Adressbereiche verwirrt, sei nicht überzeugend. „Mit dem Argument könnte man auch verbieten, dass es zu viele Sorten im Supermarktregal gibt“, sagt er.
Mit seiner Idee begeistert Krischenowski im Ausland fast mehr als hierzulande. So gab etwa die Stadt Paris ihre Unterstützung für eine Bewerbung von .paris bekannt. Der New Yorker Stadtrat entschied im Juli, dass man gerne die Adresse .nyc für die Bürger des Big Apple hätte. Der Mittelmeerraum kann sich .med als regionalen Adressbereich vorstellen. Auchfür Guangzhou oderfür Bangkok sind im Gespräch. Die geplante Einführung nicht-lateinischer Adresszonen könnte das Netz noch babylonischer, aber auch pluralistischer machen, meinen Beobachter.
In Berlin gab es zunächst Bedenken aus der Verwaltung, die Verwechslungsgefahr befürchtete. Allerdings erlaubt das Portal berlin.de keine Registrierung von Unternehmen oder Bürgern, sondern dient als offizielles Stadtportal. Die „Hoheitsfrage“ könnte sich auch noch für eine Reihe von Initiativen stellen, die bestimmte Sprachgemeinschaften mit eigener Adresszone im Netz sehen wollen: Waliser (.cym), Bretonen (.bzh) und Galicier (.gal) möchten es der katalanischen Spezialdomain gleichtun. Widerstand seitens der jeweiligen Regierung versuchen die Initiativen mit Vorabgesprächen zu begegnen. Ein paar weitere deutsche Städte sollten sich wohl auch schon einmal überlegen, wie sie mit möglichen Anträgen umzugehen gedenken: dotHamburg wirbt jedenfalls bereits im Netz.
Einspruchsrechte gegen die mögliche Flut neuer Adressbereiche sehen die noch abzuschließenden Icann-Regularien vor. Bei geografischen Adressen soll geprüft werden, ob die zuständigen lokalen Behörden die Bewerbung unterstützen. Der Vorsitzende des ehrenamtlichen Vorstands von Icann, der Neuseeländer Peter Dengate Thrush, verweist darauf, dass Einwände von öffentlichen Stellen oder Markenrechtsinhabern durch externe Schiedsverfahren gelöst werden sollten.
Dieser Punkt ist ziemlich heikel für die Organisation: Einzelne Direktoren aus dem Vorstand warnen bereits davor, dass inhaltliche Zensur nicht Aufgabe der Netzverwaltung sein darf. Und auch Fragen der öffentlichen Moral könnten Anlass zu Einspruch geben. Sollte Icann .gott oder .god vergeben dürfen? .gott hat noch niemand beantragt, eine Rotlichtadresszone .xxx wurde auf Druck evangelikaler US-Verbände verhindert.
Auf Icann könnte also mit der Bewerbungswelle auch eine Klagewelle zukommen. Dengate Thrush und sein CEO Twomey gaben sich in Paris aber sehr optimistisch. „Wir werden nicht sofort Hunderte von Bewerbern haben“, sagte Dengate Thrush. Dafür sei auch der Preis für eine solche Bewerbung schlicht zu hoch. Einen Betrag im „unteren sechsstelligen Dollar-Bereich“ schließlich müssen Antragsteller hinblättern, damit ihre Anfrage geprüft wird. Icann will damit die Kosten wieder eintreiben, die für die Schaffung des Lizenzierungsverfahrens anfallen – rund 20 Millionen Dollar werden das am Ende sein, schätzt Twomey.
Auch die Experten in Deutschland rechnen nicht damit, dass gleich so viele Neubewerber zum Ausschreibungsbeginn im kommenden Frühjahr an den Start gehen. Zwischen 30 und 50 werden es sein, schätzt Krischenowski. Die dotBerlin GmbH hat insgesamt rund zwei Millionen Euro veranschlagt für den Start einer Städteadresszone für die Hauptstadt, Bewerbungsgebühr eingeschlossen. Bei dotBerlin hofft man nach den bereits getätigten Investitionen nun auf einen raschen Start und grünes Licht aus dem offiziellen Berlin.
Der Bundestag hat in einer Entschließung schon mal unterstrichen, dass man die Öffnung des Namensraumes sehr begrüßt und unterstützt. „Im vierten Quartal 2009 werden die Berliner ihre Adressen kaufen können“, sagt Krischenowski. Mal sehen, welche neuen Adressen dann noch mit von der Partie sind: .sport, .sex, .ich oder .wasweißich.
IP-Adressen und Domain-Namen
Zugleich mit der Erweiterung des Namensraumes im Internet haben die technischen Experten auch noch das Problem mit den numerischen Adressen im Netz zu lösen. Diese Internet-Protokoll-Adressen, kurz IP-Adressen, sind praktisch die „Telefonnummern“, unter denen Rechner im Netz zu erreichen sind. Domains, also die Namen, wurden später eingeführt, um die Adressierung zu erleichtern. Das Domain Name System gibt auf eine Domainabfrage, etwa die Anfrage nach www.merkur.de, die IP-Adresse 217.115.132.130 zurück – so findet der anfragende Rechner den Weg zu den Merkur-Seiten. Das Problem mit den IP-Adressen, ohne die es im Netz nicht geht: Sie werden knapp. Rund vier Milliarden IP-Adressen bietet die aktuell gebräuchliche IP-Version Nr. 4, IPv4 – zu wenig, um die Milliarden von zusätzlichen Geräten, vom neuen Rechner in China über das Mobiltelefon in Südafrika bis zum modernen Auto in Europa oder gar winzige RFID-Chips mit eigenen Adressen zu versorgen. 2011 können die zuständigen privaten IP-Adress-Vergabestellen (Regional Internet Registries) keine neuen Adressen mehr vergeben. Daher wird aktuell viel geworben für die Umstellung auf das Nachfolgeprotokoll IPv6, auch von der EU und der Bundesregierung. IPv6 erlaubt längere IP-Nummern und daher einen zumindest nach heutigen Maßstäben unerschöpflichen Adressvorrat: Es geht um über 340,28 Sextillionen – also eine Zahl mit insgesamt 39 Stellen. Domainkäufern und -verkäufern sind die Nummern egal, sie wollen mit klangvollen Namen verdienen. Allerdings nützen die schönsten neuen Namen im Netz nichts, wenn es für deren Nutzer keine IP-Adressen mehr gibt. Das wäre wie ein klangvoller Eintrag im Telefonbuch, für den es aber leider keine Rufnummer gibt.
Q: Rheinischer Merkur Nr. 33, 14.08.2008