Spitzenkandidaten: Radeln, Singen und den Wahlkampf verdrängen

steinmeiermerkelDie beiden überzeugten Protestanten Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier bewegten sich am Donnerstag beim Kirchentag in Bremen auf vertrautem Gelände. Steinmeier nutzte sogar das Fahrrad als Fortbewegungsmittel, um schneller von einem Termin zum anderen zu kommen. Die Regierungschefin sang, wenn auch etwas verhalten, bei einem Gospel mit und zeigte sich dem Kirchentagspublikum nachdenklich, aber nach eigenen Worten »fröhlich«. Bisweilen klang sie gar schnoddrig, zum Beispiel, wenn sie das Wahlergebnis des Demokratischen Aufbruchs, in dem sie sich zur Wendezeit… engagierte, mit 0,9 Prozent als »relativ überschaubar« bezeichnete. In einer vollen, aber nicht überfüllten Halle diskutierte die CDU-Politikerin vor 9.000 Kirchentagsbesuchern mit dem britischen Historiker Timothy Garton Ash über das Thema »Demokratie und Menschenwürde«.

Wenige Stunden später führte ihr SPD-Herausforderer bei der Wahl im September die Vortragsreihe zu Menschenwürde im Gespräch mit dem Schweizer Präsidenten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, Jakob Kellenberger, fort.

Für beide mag bei diesem Auftritt als Christen und Politiker gelten, was Steinmeier im Interview mit Wolfgang Weißgerber von der »Evangelischen Sonntags-Zeitung« sagte: »Man lebt mit den unterschiedlichen Rollen. Man kann sich nicht aussuchen, welche man spielt, sondern spielt oft drei Rollen gleichzeitig.«

Weder Steinmeier noch Merkel nannten ihr politisches Engagement ausschließlich im christlichen Glauben begründet. Aber beide zeichneten von sich das Profil des engagierten Menschen, der nicht aus Machtwillen, sondern aus Verantwortung in die Politik geht. Keiner von beiden hatte eigenen Angaben zufolge mit 35 Jahren die eigene Zukunft in der Spitzenpolitik gesehen.

Von der eigenen Fehlbarkeit sprachen beide, von nötigen Verbesserungen bei der Bildungspolitik oder der Koordinierung einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik, Entwicklungspolitik oder bei Versuchen, Frieden zu schaffen.

Konkrete Kritik – vonseiten Garton Ashs an der Russlandpolitik der Bundesregierung, aus dem Publikum an der mangelnden Aufarbeitung der Rolle der Ost-CDU – wies Merkel in wenigen Sätzen zurück.

Steinmeier verteidigte deutsche Rüstungsexporte und verwehrte sich dagegen, den ehemaligen Bundesaußenminister Joschka Fischer als Gegenkandidat zu Gesine Schwan für das Bundespräsidentenamt ins Gespräch gebracht zu haben.

Zwar sagte die Kanzlerin selbst, beim Kirchentag dürfe es nie zu harmonisch zugehen. Doch beiden Spitzenpolitikern saß ein sehr wohlwollendes Publikum gegenüber, das immer wieder Applaus spendete und nie buhte. Mit zwei Störern ging die Kanzlerin souverän um und nutzte den Anlass sogar, um zur Bildung von Interessensgemeinschaften aufzurufen.

Steinmeier vermied es im Interview deutlich, interne Koalitionskonflikte weiterzuführen und sagte auf die Frage, wie denn der Konflikt mit Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) über die Aufnahme von Häftlingen aus dem Gefangenenlager Guantánamo ausgehen könnte: »Wenn man das immer vorher wüsste Dann wäre ich jetzt auch schlauer.«

In der gefüllten Halle ging dann doch der Wahlkämpfer mit ihm durch, als er das Publikum vom Rednerpult immer wieder mit »liebe Freunde« ansprach und von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen suchte.

Beiden, Steinmeier wie Merkel, war Stolz auf die weltpolitische Rolle Deutschlands anzumerken. Die Betonung der eigenen guten Beziehungen in die Welt lag da nicht fern. Die Kanzlerin sagte auf Garton Ashs Nachfrage, wenn von Deutschland mehr Engagement erwartet werde, dann müssten die europäischen Partner auch deutsche Einwände annehmen und Kompromissfähigkeit zeigen.

Überhaupt kehrte das »gemeinsame Ringen um den richtigen Weg« bei ihr immer wieder. Kaum anders sprach Steinmeier über die Verwirklichung der Menschenrechte und die Beilegung internationaler Konflikte.

Wie es der Rahmen gebot, nannten beide den Kirchentag als Forum, bei dem Menschen über ihre Hoffnungen sprechen und wichtige Weichenstellungen vorgenommen werden. Wenn sich die Farben Rot und Schwarz vor der Wahl auch nicht mehr so recht mischen wollen – an dem Graublau des Kirchentagsschals schienen Steinmeier wie Merkel in Bremen Gefallen zu finden.

Q: epd v. 22.5.2009