„Wer bietet weniger?“ – Vom lieben Kirchenbesuch und so weiter…

Ein Freund, seit über 20 Jahren evangelischer Pfarrer, hatte für die mitfeiernden Menschen des Sonntags-Gottesdienstes, dessen Gestaltung ihm anvertraut war, kleine Geschenke vorbereitet. Die sollten aussagen: Wie schön, dass Ihr gekommen seid. Wie schön, dass es Euch (sieben Leuten!) inmitten Eures möglicherweise vollen Terminkalenders oder auch attraktiver Konkurrenz-Angebote gelungen ist…, ein Stündchen Zeit freizuschaufeln!

So ist es zum Beispiel für eine fünfköpfige Familie schon ein mittlerer Sonntagsmorgens-Marathon, wenn man an dem wohl einzig freien Ganztag dennoch rechtzeitig aufsteht, zusammen frühstückt und ebenso gemeinsam in die Kirche fährt (oder läuft).

Lebensnah.

Leichter wird’s natürlich, wenn man dafür etwas Nützliches und im wahrsten Sinne des Wortes etwas Wert-volles „geboten“ kriegt: zum Beispiel einen inhaltsreichen, biblisch fundierten Team-Gottesdienst mit einer Mischung aus traditionellen und zeitgemäßen Gestaltungs-Elementen. Nicht zu dick aufgetragen, sondern authentisch und inklusive etwas zum mit-nach-Hause-Nehmen und Anwenden. Alltagstaugliche Beispiele. Akkurat durchdachte, hermeneutisch reflektierte und auch psychologisch vernünftige Orientierungsangebote zu Fragen, die im Jahr 2012 auch wirklich gestellt werden. Am besten noch mit paralleler Kinderkirche: kreativ, cool, kirchentreu und christuszentriert. Zusätzlich garniert mit anschließendem (Qualitäts-) Kaffeetrinken. Und am allerbesten noch mit unkompliziertem Mittagessens-Angebot – vielleicht in Kooperation mit einer sozialen Einrichtung, die sowieso jeden Sonntag Essen zubereitet und der es nichts ausmacht, auch mal eine Thermophore voll zusätzlich für die Kirche zu kochen. Es muss ja nicht immer die Pfarrperson, die Küsterin oder der Kirchmeister sein, von denen solche Leckereien mal eben abholt werden können.

Zu oft sind solche „Specials“ aber wohl auch nicht durchführbar. Denn sonst werden sie ja nicht mehr als „Highlights“ wahrgenommen.

Attraktiv.

Während landauf und landab engagiert diskutiert wird, durch welche werbewirksamen und überraschungsreichen Überbietungen man die Kirchen wieder „voll kriegt“, denke ich an den Spruch aus dem Munde eines hoch geschätzten Pensionärs, welcher seinerseits einen Stammtisch-Senioren zitiert hat: „Herr Pfarrer, ganz egal, was Sie vom lieben Gott erzählen, Hauptsache, Sie erzählen es so, dass einem danach das Bier noch schmeckt.“

Dahinter steckt wohl weniger die Forderung nach einer angepasst-anschmiegsamen Wellness-Kirche, als vielmehr der richtig reale Wunsch, dass einem in der Kirche nicht der Appetit vergehen und dass die Kirche Lebensqualitäts-steigernde Impulse sowie hilfreiche Heimat für mehrere Milieus bieten möge.

Generationsübergreifend.

Was nun? Sollen für jede Altersgruppe (und wenn’s geht, auch für möglichst viele Interessengruppen) jeweils extra zugeschnittene und separat gefeierte Zielgruppen-Gottesdienste ihren festen Platz bekommen? Aber riskiert man dadurch nicht auch, dass das wichtige „Wir-Gefühl“ einer neutestamentlichen Gemeinde verloren geht (vgl. Apg 2,46)?

Und zum Thema „Dialog der Generationen“: Funktioniert der nicht auch in dem und um den einen Gottesdienst?

Verpflichtend?

Wir merken: Das sind schwierige und weit reichende Fragen, auf die es keine schnellen Antworten gibt. Und wer schnelle Patente zu präsentieren beliebt, etwa im Sinne von „dann muss man eben einen Hunger nach dem Wort Gottes erzwingen“, der erinnert mich irgendwie an den legendären „Onkel Rudi“ aus der spitzen Feder eines westfälischen Songwriters, der „seine“ Jungscharkinder am allerliebsten singen ließ: „Pass auf, kleines Auge, was du siehst! Pass auf, kleines Ohr, was du hörst. Pass auf, kleine Hand, was du tust. Denn der Vater im Himmel hat Acht auf dich. Pass auf, kleines Hirn, was du denkst!“ – so etwa im Sinne von: „Big brother is watching you – deshalb wag‘ es bloß nicht, den Gottesdienst zu schwänzen…“

Aber „Bruder Jesus“ wird in der Bibel Gott sei Dank nicht als Big Brother geschildert, sondern als barmherziger Menschen-Kenner. Als guter Hirte. Und als kreativ-genial-einfühlsamer „Königherrschaft-Gottes“-Erklärer. Zudem als einer, der bereit ist, den untersten Weg zu gehen. Aus Liebe. Weil er seine Vision – seinen Sendungsauftrag – zu Gunsten der Geliebten konsequent, geduldig und mit offenen Armen lebt.

Miteinander.

Fazit: Eine angemessen aktive Annäherung an blühende Begegnungs-Betriebe im kirchlichen Raum wird wohl nur im dialogischen Miteinander und im Lauschen auf Gottes lebendige Lebenszeichen möglich sein. Auf dem Weg. Unterwegs. Und natürlich in Ausübung gegenseitig gezollten Respektes und glaubwürdig gelebter Barmherzigkeit. Bibelorientiert und weltoffen gleichzeitig – das sind ja Gott sei Dank vielerorts keine Gegensätze mehr.

Träumend.

Aber vielleicht hilft auch das Träumen. Viele haben es schon mit Gewinn versucht. Ungefähr so:

Ich träume von einer Kirche, in der das alte Feuer der Begeisterung über die Vaterliebe Gottes nicht erlischt. Ich träume von Christen, die Gottes Erbarmen leben und artikulieren mit allen ihren Sinnen: Singen, Trommeln, Tanzen, mit Farben ausdrücken, mit Lasern in den Himmel werfen, Scannen, ins Internet laden, als SMS verschicken, multisensorisch in Bytes verwandeln – und dies alles weitergeben an eine Welt, die den lebendigen Gott so sehr braucht. Ich träume von einer Kirche, die sich nicht zurückzieht in ein frommes „Ghetto“, sondern raus geht und die Strukturen dieser Welt zu durchdringen versucht. Ich träume von einer göttlichen Welle an Kreativität und Fantasie, die sich austobt in neuen und alten Ausdrucksformen, um Gottes genial-karitativen Güte-Charakter initiativ zu illustrieren und wohltemperierte Werbung dafür zu machen. Ich träume davon, dass attraktive Angebote für JUNG und ALT dem Namen des guten Hirten alle Ehre machen. Ich träume von einem gewinnbringenden Gottesdienst: Unterschiedliche Menschen aus mehreren Generationen feiern den auferstanden Christus zu angenehmen und ideenreichen Soundcollagen mit neuen und alten Liedern. Ich sehe mit meinem träumenden Auge die vielen Menschen, die keinen kirchlichen Background mehr haben. Sie hatten die organisierte Religion aufgegeben, vielleicht sogar sich selbst, aber sie waren ganz tief innen dennoch auf der Suche nach Wahrheit und nach spiritueller Erfahrung. Ich sehe mit meinem träumenden Auge kleine Inseln der Hoffnung über unsere Landkreise verteilt, in denen Menschen echte Gemeinschaft erleben, Hoffnung und Orientierung finden, Lebensmut suchen und Gott und das Leben feiern. Ich träume von einer Kirche mit einem einladenden Gemeindezentrum, mit authentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (die dienen und nicht herrschen) und nützlichen Angeboten für alle Generationen: Mittagessen für Senioren. Krabbelgruppe für Kleinkinder. Geistbewegte Bewegungs-Beiträge für ganzheitlich geliebte Grundschulkinder. Coole und verantwortungsbewusste Angebote für Jugendliche. Hausaufgabenhilfe. Vielleicht ein sozialpädagogisches Beratungs-Cafe, einen Kreis für Alleinerziehende und eine Trauergruppe. Ich träume von einem Ort voller Leben, Fröhlichkeit, lauter und leiser Anbetung. Du, unser lieber Gott und guter Hirte: Ob dieses Feuer wohl noch mal wieder so richtig brennen, leuchten, wärmen und sich – fernab von jedem Fanatismus – hilfreich ausbreiten kann?

Was für eine Kirche! Was für ein Gott! Und was für ein spannender Weg – unterwegs zu einem guten Ziel, gemeinsam mit Gott-suchenden „Geschwistern“…!

Carsten Heß, Pfr./Öffentlichkeitsreferent
(unter Einbeziehung alltagstauglich-informativer Archiv-Impulse von Alexander Garth)