Der Reformstau in der Ökumene ist nicht nur zwischen den Kirchen schwierig. Auch wir Protestanten mussten erst lernen, uns zu einigen, schreibt Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt…
Es war wieder still geworden um die Ökumene in unserem Land. Gut, dass in der Öffentlichkeit stehende Menschen jetzt daran erinnern, dass sie gemeinsam mit vielen Christinnen und Christen eine große Sehnsucht nach Mehr haben, einem Mehr an Gemeinsamkeit, einem Mehr an Tiefe und Versicherung, einem Mehr aus dem Evangelium heraus. Und es ist gut, dass sich Römisch-Katholische wie Evangelische mit drängender Ungeduld und wider alle ökumenische Erschöpfung gemeinsam auf den Weg machen wollen, um die beiden Festzeiten 50 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil und 500 Jahre Reformation vorzubereiten. Ein Reformationsjubiläum jedenfalls ist ohne Ökumene nicht wünschbar, so wie das Zweite Vatikanum ohne die Reformation nicht denkbar ist.
Es ist die Ökumene, die aus der Taufe kommt, die sich im Evangelium gründet und die keine Vollbremsung macht, wenn es an die Fragen geht, die uns noch nicht einen. Dass sie drängen, wird besonders in den konfessionell verschiedenen Familien offenbar, die gemeinsam Abendmahl feiern wollen. In evangelischen Gemeinden sind sie als Getaufte selbstverständlich eingeladen, von römisch-katholischer Seite bleibt diese Einladung aus und hängt mit einem unterschiedlichen theologischen Grundverständnis zusammen. Im Gefühl, die Zeit wäre längst reif, könnte man das einfach ignorieren. Momentan wäre das ein Beitrag zur Selbstrelativierung.
Aber kirchentrennend muss das Verständnis vom Mahl nicht bleiben. Erst im Jahr 1973 haben sich lutherische, reformierte und unierte Kirchen in Leuenberg auf ein gemeinsames Verständnis des Abendmahls geeinigt. Sie hielten fest, dass sie gemeinsam der Auffassung sind, dass Jesus Christus im Abendmahl gegenwärtig ist, aber über die Art dieser Gegenwart unterschiedliche Auffassungen bestehen und auch bestehen bleiben können. Das war ausdrücklich nicht ein Übersehen der Unterschiede, sondern ein gegenseitiges Akzeptieren derselben als Vielfalt in der Einheit.
Dieses vor Augen, lohnt es, zu fragen, wie auch Römisch-?Katholische und Evangelische gemeinsam an den einen Tisch des Herrn treten können. Zuerst heißt das wohl, sich zu vergewissern, dass nicht wir, nicht Pfarrer und Pastorin einladen, sondern dass Jesus Christus selbst das tut. In der evangelisch-katholischen Studie „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ wird bereits 1986 festgehalten: „Durch den Rückgriff auf die Aussagen des Neuen Testaments ist in der Lehre von der Eucharistie in beiden Kirchen ein gemeinsames Verständnis von der Feier des Herrenmahls gewonnen worden“, durch das Gegensätze überwunden werden können. Denn „beide Kirchen bekennen, dass Jesus Christus selbst in der Feier des Herrenmahls real gegenwärtig ist“. Er lädt dazu ein. Könnte auf dieser Grundlage nicht auch ein „Leuenberg“ für evangelisch-katholische Mahlgemeinschaft möglich sein?
Ausbleibende Signale wie diese waren es wohl, die den Besuch von Papst Benedikt XVI. vor einem Jahr für viele zur Enttäuschung werden ließen. Er habe kein ökumenisches Gastgeschenk mitgebracht, sagte der Papst damals. Wir Evangelischen hatten gar kein Geschenk erwartet, wir wollten gute Gastgeber sein. Vor allem aber wollten wir gemeinsam Gottesdienst feiern, als Frauen und Männer, römisch-katholische und evangelische, jung oder alt, egal, woher wir kommen und mit wem wir das Leben teilen. Dies ist gelungen, und dass der Papst dazu in das mit Martin Luther so eng verbundene Augustinerkloster gekommen ist, war mehr als eine freundliche Geste. Es ist gut, nicht zu vergessen, dass die Erfurter Begegnung zwar kein Meilenstein, aber ein Baustein war. Und es ist wichtig, immer wieder zu erinnern, was in den vergangenen 60 Jahren ökumenisch bereits erreicht wurde: ein veränderter Umgang zwischen Römisch-?Katholischen und Evangelischen an der Basis bis hin zu ökumenischer Selbstverständlichkeit vor Ort, ein vertieftes Verständnis dessen, was uns mit der Taufe als Sakrament der Einheit gegeben ist, theologische Annäherung, dokumentiert in Konsenspapieren und feierlich unterzeichnet in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre.
Das ist alles nicht nichts, aber es ist doch zu wenig. Denn es strengt an, dass nur getrippelt wird, wo es längst weit ausladende ökumenische Schritte geben könnte und müsste. Die Römisch-Katholischen verzagen am Dilemma, dass sie ohne Rom nicht gehen und dass mit Rom gerade nicht viel geht. Bei den Evangelischen bleibt die Erwartung, dass sie im Dialog Partner auf Augenhöhe sind, auch wenn sie der päpstlichen Anerkennung, Kirche im eigentlichen Sinne zu sein, nicht bedürfen. Sie spüren, sie sind weit gegangen und nun sei es vor allem an der katholischen Seite, sich zu bewegen. Angesichts dessen sind alle Reaktionen menschlich nachvollziehbar. Enttäuschung und Resignation. Misstrauen und Verletzung. Nachvollziehbar, nur führt all dies nicht einen einzigen Schritt hinaus ins Weite. Es verfestigt die Stagnation, die allenthalben in der Ökumene beklagt wird. Wenn sie noch beklagt und nicht längst gleichgültig hingenommen wird.
Doch können wir uns angesichts des Gebetes Jesu: „Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, dass sie eins seien wie wir“ (Joh 17,11) damit zufriedengeben, dass wir auf manchem Weg zwar gemeinsam gehen, aber der Fluss, der zwischen uns fließt, noch immer viel zu wenige Brücken hat? Und finden wir nicht gerade in der Zusage Jesu auch die Kraft, selbst dann weiterzugehen, wenn das erträgliche Maß an Zurückweisung, vergeblichem Mühen und mangelnder Zuversicht erreicht ist? Unser gemeinsamer Glaube kennt dieses „Dennoch“.
Zu guter Letzt: Dass wir über Trennungen klagen und sie überwinden wollen, ist das eine und spricht auch aus meinem Herzen. Gleichzeitig ist die in der Reformation gewonnene Freiheit auch die Geburt unserer Vielfalt. Die Vielgestaltigkeit, das Evangelium zu leben, gut von Gott zu reden und einander als Gottes Kinder zu betrachten, ist nichts, was wir für uns behalten könnten. Wir haben es bekommen, um es weiterzugeben, als Getaufte, die in je ihrer Weise weiterschenken können. Jedenfalls kann es auch nicht ausgeschlossen sein, dass Gott uns Vielheit und Vielfalt geradezu als Geschenk verleiht, um das Evangelium zum Leuchten zu bringen. Je verschieden, aber miteinander versöhnt.
Katrin Göring-Eckardt ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Präses der EKD-Synode.
Aus: Christ & Welt | Ausgabe 37/2012