Sonst nur für Mode-, Koch und Partnerschaftstipps bekannt, stellt die Frauenzeitschrift „Brigitte“ in der Ausgabe 25/2012 eine untypische Frage: „Brauchen wir eigentlich Gott?“ In einem Dossier spürt der Autor Till Raether seiner persönlichen Sehnsucht nach Gott nach und fragt, was Spiritualität eigentlich ist…
„Brigitte“-Autor Till Raether horcht im Dossier in Ausgabe 25/2012 in sich selbst hinein, fragt nach seinem eigenen Glauben und befragte Frauen, die schon von Berufs wegen gläubig sein sollten. Er selbst sei weder katholisch noch evangelisch. Doch nach dem Besuch einer Kommunion habe er etwas erlebt, was Fragen in ihm aufgebracht habe. Die meisten Gäste dieser kirchlichen Veranstaltung seien – wie er selbst – wahrscheinlich „Quasi-Christen, Halbchristen und Ex-Christen“ gewesen. Doch neben ihm saß eine Frau, die offenbar nicht zur Festgesellschaft gehörte, aber alle Lieder voller Inbrunst mitsang. „Wie schön musste es sein, so glauben zu können, so sehr Teil von etwas zu sein, das größer ist als man selbst“, dachte Raether.
In ihm erwachte „Gottes-Neid und Glaubensrespekt“ und schließlich auch: Sehnsucht. Nach der Kommunion denkt der Autor: „So nah bin ich Gott vielleicht noch nie gewesen.“ Aber jeden Sonntag möchte er das nicht erleben. „Das wäre, wie man so sagt, schon rein zeitlich ein Problem.“ Er fasst sein Gefühl zusammen mit den Worten Julian Barnes: „Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn.“
„Ein bisschen Yoga und Meditation, etwas Nächstenliebe, ein Schutzengel und das Notfall-Stoßgebet: ‚Lieber Gott, mach…‘ Ist das schon Glaube?“, fragt das „Brigitte“-Dossier und stellt fest: 58 Prozent der Deutschen glauben an einen Gott, und in der Esoterik-Industrie würden pro Jahr 10 Milliarden Euro umgesetzt. „Spiritualität“ sei dabei für viele ein „angenehmeres Wort für Gott“. Der Religionswissenschaftler Anton A. Bucher von der Uni Salzburg erklärt: Immer weniger Menschen gehen in die Kirche, aber immer mehr erfinden sich einen Glauben, der zu ihnen passt.
Raether meint: „Manchmal hilft es sogar schon zu wissen oder sich daran zu erinnern, dass die anderen an Gott glauben.“ Auch wenn er etwa nicht daran glaube, was in der Bibel steht, so tröste es ihn auf Reisen doch, wenn im Nachttischchen eine Gideon-Bibel liegt.
Melanie Wolfers, eine Ordensfrau aus Wien, habe in ihrem Buch „Glaube, der nach Freiheit schmeckt“ geschrieben, dass jeder Mensch eine natürliche „Gott-Begabung“ habe. Und Raether stellt sich die Frage: „Kann Glaube nicht einfach Tost und Anregung sein, muss auch Glauben wieder mit Bildung, Anstrengung und Auseinandersetzung zu tun haben?“ Die Salvatorianerin Wolfers erklärt, Glaube bestehe darin, „sich immer mal wieder rauszuziehen aus allem“. Still werden.
Eine Antwort findet der Autor am Ende zwar nicht. Für ihn sei aber die Ansicht, dass der Glaube zunächst einmal in einem Innehalten im „wahnsinnigen Karussell der relativ sinnleeren Geschäftigkeit“ bestehe, ein erster Schritt. „Vielleicht bringt genau dieser kleine Schritt alle Sehnsüchtigen, Gleichgültigen und Zweiflerinnen ausgerechnet an Weihnachten doch wieder in bisschen in Richtung Glaube: weil Weihnachten, wenn es gelingt, genau die Unterbrechung sein kann, die wir uns immer wünschen.“ (cma)