Das Schwinden des Christentums wirkt sich auf die Gesellschaft aus

Der Rückgang des etablierten Christentums in Deutschland hat auch Auswirkungen auf die Gesellschaft. Dieser Ansicht ist der Theologe Paul Silas Peterson (Tübingen). Im „Deutschen Pfarrerblatt“ (Schifferstadt) äußert er sich in einem Beitrag mit dem Titel „Gesellschaftliche Folgen der Entkirchlichung Deutschlands? Überlegungen zu einer umstrittenen Frage“. Zwar sei der zunehmende Bedeutungsverlust der Kirche in Teilen der Gesellschaft kein Zeichen des Untergangs; dennoch werde durch die Säkularisierung eine wichtige Stimme innerhalb der vielstimmigen Öffentlichkeit geschwächt…, schreibt Peterson. Wenn weniger Bürger Kirchenmitglieder seien, bedeute das nicht automatisch einen Werteverfall. Das beste Beispiel dafür sei die Zeit des Nationalsozialismus. Wenn man nur von der Mitgliedschaftsstatistik ausgehe, dann sei die Gesellschaft im Dritten Reich viel kirchlicher gewesen als heute: „Das zeigt, dass der bloße Grad der Kirchlichkeit einer Gesellschaft es nicht allein garantieren kann, dass eine Gesellschaft und ihre Regierung insgesamt moralisch agieren.“

Einfluss des christlichen Glauben auf moralische Grundlagen nicht unterschätzen

Dennoch sei der weite Einfluss des christlichen Glaubens auf die moralischen Grundlagen der deutschen Gesellschaft nicht zu unterschätzen. So hätten die Kirchen historisch betrachtet viele Erziehungsaufgaben gemeinsam mit den Eltern getragen, etwa durch Kindergottesdienste und Jugendangebote. Ferner böten sie Orte der generationsübergreifenden Begegnung, „wodurch mittelbare Erziehung und Sozialisierung, nicht zuletzt durch ältere Vorbilder, stattfinden“. Bedeutsam seien auch die christlichen Tugenden der Barmherzigkeit und der individuellen Verantwortung vor Gott sowie die Vorstellung der Gottebenbildlichkeit des Menschen, die die Kirche vermittle. Diese Ideale würden Woche für Woche von den Kanzeln gepredigt und Heranwachsenden in Kindergottesdiensten als die „wahre moralische Orientierung“ nahegebracht. Peterson: „Die großen Institutionen des Christentums einschließlich der Kirchen und der kirchlichen Einrichtungen haben zweifellos eine tiefgreifende und einzigartige Prägung in der deutschen Gesellschaft gehabt.“

„Der Herr wird seine Kirche bauen“

Trotz des Rückgangs des etablierten Christentums in den vergangenen 50 Jahren seien die Kirchen in der Gesellschaft nach wie vor sehr einflussreich. Der Theologe wendet sich mit Blick auf die Zukunft der Kirche gegen Schwarz-Weiß-Malerei und plädiert für eine ausgewogene Perspektive: „Mit einer nüchternen Weitsicht und vor allem im Vertrauen auf den Herrn, der seine Kirche bauen wird (Mt. 16,18), sind Kirchen und kirchliche Einrichtungen gut vorbereitet, ihren Teil der gesellschaftlichen Aufgaben zu übernehmen und mit Engagement und Ressourcen zu helfen, wo sie helfen können.“ (idea – 18.06.2015)