„Sieben Wochen ohne…“

Offen sein für Menschen fremder Kulturen, anderen ihren Erfolg gönnen oder jemanden einladen, den man nicht kennt – in der Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern sollten die Menschen «einfach mal mit einem weiten Herzen experimentieren und sehen was geschieht, wenn sie sich öffnen…», erklärt Susanne Breit-Keßler. Die Münchner Regionalbischöfin ist Kuratoriumsvorsitzende der Fastenaktion der Evangelischen Kirche in Deutschland. In diesem Jahr steht sie unter dem Motto «Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge».

Auch einem Mitmenschen einen Fehler zu verzeihen und sich zu versöhnen, zeugt von einem großen Herzen. «Verzeihen ist etwas Herrliches.», sagt Breit-Keßler. Dass das vielen Menschen schwer fällt, weiß die Theologin. Denn: «Viele haben Angst, eine Machtposition zu verlieren, wenn sie verzeihen.» Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: «Man wird innerlich stärker, wenn man verzeiht.»

Das weiß auch Barbara Ade. Sie vermittelt seit 15 Jahren beim Diakonischen Werk Darmstadt-Dieburg zwischen Tätern und Opfern von Straftaten. Als Mediatorin versucht sie, mit ihnen eine gemeinsame, außergerichtliche Einigung zu erzielen. Ihre Erfahrung: Gerade das Verzeihen kann dazu beitragen, dass das Opfer einer Straftat wieder an Selbstvertrauen gewinnt und aus seiner Opferrolle herausfindet.

Viele Beschuldigte wüssten, dass ihre Tat nur schwer zu entschuldigen sei. Trotzdem biete ein Täter-Opfer-Ausgleich beiden Konfliktparteien Vorteile: «Der Geschädigte kann eine Wiedergutmachung einfordern und der Täter Verantwortung für sein Handeln übernehmen», erklärt die Mediatorin. Und manchmal komme es dann sogar zur Versöhnung.

Wie auch bei den zwei jungen Männern, zwischen denen Ade Ende des vergangenen Jahres vermittelte. Der Täter war wegen Körperverletzung angeklagt. Er hatte auf einen Autofahrer auf dem Parkplatz eines Restaurants eingeprügelt, noch während dieser angeschnallt hinter dem Steuer saß. Der Grund: Der Prügelnde hatte angenommen, der Autofahrer hätte beim Einparken das Kind, auf das er hatte aufpassen sollen, gestreift. In Wirklichkeit war das Kind aber gar nicht angefahren worden. Dennoch habe der Täter «rot gesehen» und sei auf den Autofahrer losgegangen, erzählt Ade.

Anfangs habe der Geschädigte ein Treffen mit dem Angeklagten abgelehnt. Später ist er dann Ades Rat gefolgt und hat einem Täter-Opfer-Ausgleich zugestimmt. Dabei habe sich der Täter sofort beim Opfer entschuldigt: «Er hat sich für sein Verhalten zutiefst geschämt», sagt Ade. Letztlich haben sich die Männer auf ein Schmerzensgeld von 500 Euro geeinigt. «Durch das Treffen mit dem Täter konnte der Geschädigte den Vorfall endlich für sich abschließen. Er konnte verzeihen.»

Wie befreiend das sein kann, weiß auch der Münchner Psychologe Simon Hahnzog: «Verzeihen bietet uns die Möglichkeit, sich mit Schuld und Last auseinanderzusetzen und diese loszuwerden.» Dazu bedürfe es noch nicht einmal einer Entschuldigung. «Verzeihen ist etwas ganz Individuelles. Das geht auch, selbst wenn es dem anderen egal ist», sagt Hahnzog.

Die evangelische Theologin Breit-Keßler sieht das Verzeihen als Teil eines Versöhnungsprozesses: «Zum Verzeihen gehören immer zwei: Der, der wahrhaftig um Verzeihung bittet, muss sein Herz weit machen, und der andere muss sich ebenfalls öffnen und die Bitte um Verzeihung annehmen.» Aber: Verzeihen bedeute niemals, dass man das Verhalten des anderen automatisch gutheißen müsse. Und vielleicht gebe es manchmal sogar Dinge, die unverzeihlich seien, sagt Breit-Keßler.

Das Nicht-Verzeihen-Können könne ganz unterschiedliche Auswirkungen haben, je nach Persönlichkeit, sagt Hahnzog: «Das kann von Angstzuständen bis hin zu einer Depression führen.» Breit-Keßler rät Menschen, die nicht verzeihen können, über den Konflikt mit einer außenstehenden Person zu sprechen.

Ähnlich wie bei einem Täter-Opfer-Ausgleich. An den Fall mit dem Autofahrer und dem Kind kann sich Barbara Ade gut erinnern: «Vor dem Gespräch mit dem Täter wollte der Geschädigte unbedingt allein am Empfang auf mich warten. Danach gingen beide gemeinsam.» (epd)

 

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