von Pfr. Carsten Heß
Liebe Gemeinde,
sind Sie auch schon gespannt auf den Tag, an dem Barack Obama ins Weiße Haus einzieht? Am 20. Januar 2009 wird Obama als erster schwarzer US-Präsident vereidigt – um Punkt zwölf Uhr mittags. Seit Wochen laufen die Vorbereitungen auf dem Capitol Hill in Washington auf Hochtouren:
Das Gelände rund ums Weiße Haus ist perfekt eingezäunt. „Gesperrt wegen Bauarbeiten für die Inaugurations-Feier“ – so steht es auf den vielen Hinweisschildern.
Tausende Umzugswagen rollen den Berg rauf und runter – für den bis dahin wohl größten Personalwechsel der Weltgeschichte – denn mehr als 20.000 Menschen arbeiten in den Gebäuden um’s Kapitol – scharf bewacht von Polizei-Truppen.
Für den großen Tag des Einzugs ins Präsidentenamt und ins Weiße Haus wurden 240.000 Tickets gedruckt.
Bestellt sind
3.000 Quadratmeter roter Teppich,
28.000 Stühle und
120.000 Regenumhänge. Schirme sind aus Sicherheitsgründen verboten.
Für die Einzugs-Parade im Anschluss an die Vereidigung hat das zuständige Pentagon-Komitee 12.000 Soldaten verpflichtet.
Ab sofort sind für Obamas Bewachung täglich 44.000 Dollar vorgesehen.
Sein Dienstwagen ist ein schwarzer Cadillac mit 600 PS im 8-Zylinder-Motor, der sogar gegen Maschinen-Gewehr-Feuer gepanzert ist (Beschussklasse B7 aus 20 cm dicken Spezial-Stahl; Kosten: umgerechnet 2,3 Mio Euro). Den gibt es gleich dreimal – zur Täuschung von Attentätern völlig baugleich. Auf Auslandsreisen werden mindestens zwei der drei Präsidenten-Limousinen mit-transportiert.
Dem mächtigsten Mann der Welt steht alles Erdenkliche zur Verfügung – und er hat wohl kaum eine andere Wahl, als diese clever geplanten Zeremonien zuzulassen.
Höchster Aufwand für den mächtigsten Mann der Welt.
Und gleichzeitig: Höchste Erwartungen an den mächtigsten Mann der Welt.
Szenenwechsel:
Von den Vereinigten Staaten – nach Palästina.
Von Washington – nach Jerusalem.
Jahrhundertelang schon warten die Menschen im jüdischen Land auf den Messias. Auf den Retter, auf den Befreier. Auf den, der die Gerechtigkeit endlich wieder herstellt. Auf den, der den Römern mal so richtig zeigen soll, wo’s lang geht. Auf den, der die Gewaltigen vom Thron stößt. Auf den König, von dem es im 24. Psalm heißt:
„Macht die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR, stark und mächtig, der HERR, mächtig im Streit.
Und genau ER – also der König der Ehre – zieht nun in Jerusalem ein. Mächtig im Streit:
Mit einer ungepanzerten Königs-Karosse – in Esels-grau.
Mit vielen Quadratmetern rotem Teppich – spontan aus der Altkleidersammlung – und frisch von den Bäumen gerupft.
„Wie bitte?“ – so höre ich die Beobachter beim Einzug von Jesus in Jerusalem sagen – „Soll das ’n Witz sein: Der König der Ehre reitet auf einem Esel?
Ja, glaubt ihr denn, der Römische Kaiser Tiberius und der jüdische König Herodes Antipas ließen sich von weniger als einem PS einschüchtern?
Die Purpur-gestylt-föderalen Management-Profis haben doch nur ein müdes Lächeln übrig für diesen Zimmermann-Junior-Chef aus Papas Holzfirma!
Ja, glaubt ihr denn, die gekrönten Prunk-Liebhaber ließen sich von einem Maultier-Revoluzzi im Handwerker-Ambiente beeindrucken?
Wacht doch bitte auf, liebe Zeitgenossen:
Nix da mit honorem Hosianna und enthusiastischer Ehrerbringung.
…Sollte man stattdessen nicht lieber das Kyrie eleeison anstimmen (?): O Gott, erbarme dich bitte – angesichts dieser Möchte-gern-messianischen Lach-Nummer!
Dass hier der König der Ehren einzieht, das glauben doch nur die, denen eh‘ nicht mehr zu helfen ist!“
„Genau!“ – so stelle ich mir vor, dass ein frisch eingesegneter Bar-Mizwa-Schüler (also sozusagen ein jüdischer Konfirmand) in diese Jerusalemer Stadttor-Diskussion beim Einzug von Jesus in Jerusalem reinplatzt. Viele markante Passagen der jüdischen Schriften kennt er aus dem Thora-Unterricht in- und auswendig.
Die Erwachsenen schauen ihn fragend an. Darauf hin wiederholt er es noch selbstbewusster – so stelle ich es mir vor:
„Genau: Dass hier der König der Ehren einzieht, das glauben doch nur die, denen eh‘ nicht mehr zu helfen ist!“
Soll heißen:
Alle, die die Hoffung auf Gerechtigkeit längst begraben haben – die kapieren es als Allererste: Hier begegnet uns ganz schlicht DER berührbare Bruder aller Menschen. Planmäßig zieht er in die Stadt ein, die Gott zu seiner Hauptstadt gemacht hat.
Gott wird Mensch.
Die Liebe wird Person.
Der Höchste erniedrigt sich / begegnet uns auf gleicher Augenhöhe / möchte sich nicht in einem erhabenen Elfenbeinturm verschanzen / sondern will spüren, was hier unten abgeht / belohnt den Glauben derer, die die Hoffnung trotz allem nicht aufgegeben haben.
Viele stehen da und staunen: Kann Gott so menschlich sein?
–> Herzliche Einladung zum Mitsingen des vorhin schon angesungenen Hosianna-Liedes von Clemens Bittlinger:
SAN-NA SAN-NANINA…
* Liedtext findet sich gegen Endes des Dokuments.
So ähnlich wie bei uns hier stelle ich mir den Hosianna-Gesang beim Einzug von Jesus in Jerusalem vor.
(…)
„Ja habt ihr denn keine Augen im Kopf?“ – so könnte der junge Bar-Mizwa-Schüler von vorhin es vielleicht gesagt haben – „Schaut hin: Das, was hier passiert / das, was Euch zum Rätseln und zum Ärgern – oder auch zum Hosianna-Rufen veranlasst, das hat doch alles der Prophet Sacharja schon lange im Voraus kommentiert.“
(aus Sacharja 9,9f)
Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin … und er wird Frieden gebieten den Völkern
– so liest man es damals und heute im Buch des Propheten Sacharja.
Also: Hier geht es nicht um eine peinliche Planungs-Panne, sondern um ein präzise prophezeites Besuchs-Programm:
Vor deinen Toren, liebe Tochter Zion und liebe Tochter Jerusalem, vor deinen Toren steht:
Der König!
Ein Gerechter,
ein Helfer,
einer, der unaufdringlich präsent sein will,
einer, dem es um Frieden geht – um einen Frieden, nach dem du dich im tiefsten Innern so sehr sehnst, du geliebte Tochter Zion, du geliebte Tochter Jerusalem und alle, die sich noch angesprochen fühlen.
Aber weil es hier um Frieden geht, deshalb soll dieses Ziel nicht mit todbringender Gewalt durchgesetzt werden, sondern auf viel wirksamere Weise.
Weil der Friedensbote anders ist / weil er der ganz Andere ist, deshalb lohnt sich eure Aufmerksamkeit. Eure adventliche Aufmerksamkeit. Eine Ankommens-Aufmerksamkeit / eine innehaltende Besinnungs-Aufmerksamkeit. Für den, der da ankommt / ankommt – für die damaligen und für die heutigen Menschen.
(spontan Gemeindebezogenes…)
Gleich zweimal kommt der für heute vorgeschlagene Predigttext vom Einzug Jesu in Jerusalem vor: zum einen alle sechs Jahre am 1. Advent, zum andern am Palmsonntag in der Passionszeit.
Damit wird signalisiert, dass das Kind in der Krippe untrennbar auch der Mann am Kreuz ist.
Das „Christkind“, auf dessen Ankunft wir uns im Advent vorzubereiten versuchen, ist gleichzeitig auch der, über dessen Kopf man später das INRI-Schild angenagelt hat – und damit sämtliche seiner Friedens-Initiativen lächerlich machen wollte.
Im Advent und zu Weihnachten besinnen wir uns darauf, dass Gottes Sohn hilflos, obdachlos und prunklos als Baby in einem Stall auf die Welt gekommen ist.
Und zur Passionszeit besinnen wir uns auf seinen Einzug in Jerusalem auf einem Esel, dem Reit-Tier der kleinen Leute.
Beides will unser heutiger adventlich platzierter Predigttext verbinden: Krippe und Kreuz – zu unserem Wohl und Heil.
Der von Gott autorisierte Friedens-Initator begegnet uns hier und dort
auf gleicher Augenhöhe,
brüderlich berührbar,
konsequent gewaltlos
und zwielichtig umjubelt (denn manche von denen, die gerade noch „Hosianna“ geschrieen haben, stimmen schon wenig später ein in die Kreuzigungs-Rufe.)
Aber der Mann aus Nazareth bleibt souverän:
Macht sich nicht abhängig von menschlichen Stimmungen,
lässt sich nicht abbringen von seinem Weg,
reitet auf dem Esel,
vertreibt die Händler aus dem Tempel,
provoziert das religiöse Establishment,
solidarisiert sich mit den Entrechteten,
weint die Tränen der Verzweiflung und Einsamkeit,
liebt bis zum letzten Atemzug,
verkörpert wie kein anderer den unbedingten Friedenswillen für eine gefährdete Welt,
holt sich Last-Tiere – und keine Panzer
und wehrt sich gegen Allmachts-Phantasien jeder Art.
Denn seine Hoheit liegt in der Niedrigkeit,
seine Echtheit liegt in der Bescheidenheit,
sein Mut liegt in der Demut,
seine Stärke liegt in der vermeintlichen Schwäche.
Ob der Advent 2008 uns wohl zur Rückbesinnung auf die wahren Weihnachts-Werte einlädt?
In der Krippe liegt einer – und auf dem Esel sitzt einer – der die Nähe sucht und schenkt,
der zum Frieden aufruft und ihn konsequent verkörpert,
der König und Diener in einer Person ist,
der die Macht der Mächtigen nicht mit Gewalt, sondern mit entwaffnender Liebe brechen will.
In der Krippe liegt einer – und auf dem Esel sitzt einer – der ganz genau weiß, dass Menschen häufig von Gewalt als „ultima ratio“ – als äußerste Vernunftsmaßnahme reden.
Die göttliche „ultima ratio“ dagegen heißt: Niedrigkeit. Man könnte auch sagen: Niederschwelligkeit / also für alle kapierbar / für alle berührbar / für viele imitierbar — aber auch durch viele verletzbar und vordergründig vernichtbar. Scheinbar hat er vor der Gewalt kapituliert, aber Gott hat ihn auferweckt und sein Lebenswerk beeindruckend bestätigt.
Damit hat die bescheidene aber konsequente Liebe gesiegt. Damit ist das Kind in der Krippe,
ist der Esels-Reiter und
damit ist der Mann am Kreuz ein siegreicher Vorreiter. Es lohnt sich, ihm nachzufolgen!
(…)
Zurück zum Anfang:
Was fasziniert die Menschen mehr:
Kaum vermeidbare Luxus- und Sicherheits-Zeremonien – wie wir sie bei Barack Obamas Einzug ins Präsidentenamt zu erwarten haben –
oder
der schlichte Esels-Einzug von Jesus in Jerusalem?
Ich gebe zu:
Mich fasziniert beides.
Und weder Jesus von Nazareth noch Barack Obama hatten eine andere Wahl, als konsequent ihren Weg zu gehen.
Aber bezogen auf die PS-Zahlen vom Anfang finde ich es schon bemerkenswert, dass der vermeintlich Starke nicht immer automatisch der letztlich Erfolgreiche ist – wie das abschließende Beispiel illustriert:
Ein Mann mit einem schnellen Wagen überholt auf einer einsamen Landstraße einen alten Mann, der langsam auf seinem Esel den Weg entlang reitet. Er hält und ruft dem Älteren zu: „Soll ich Sie mitnehmen, mein Auto hat 300 Pferdestärken und ist viel schneller als Ihr Esel. Kommen Sie, steigen Sie bei mir ein, ich nehme Sie gerne mit.“ – „Nein, vielen Dank, antwortet der alte Mann, „mir ist mein Esel lieber, und ich mag es so langsam!“
Der Autofahrer gibt schneidig Gas, rast los, und kommt in der nächsten Kurve von der schmalen Straße ab und saust mit seinem Wagen in einen flachen Tümpel neben der Straße. Bald darauf kommt der alte Mann auf seinem Esel vorbei und ruft dem Wagenbesitzer zu: „Was machen Sie denn da im Wasser, tränken Sie Ihre dreihundert Pferde?“
Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
Und: Friede sei mit euch. Amen.
Pfr. Carsten Heß
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Liedtext: San-na (Hosianna)
zu Matthäus 21,1-9
Refrain:
San-na, San-na-ni-na, San-na, San-na, San-na. (2mal)
San-na, San-na,
San-na, San-na-ni-na,
San-na, San-na, San-na.
1.
Wir stehen da und staunen:
Der Mensch zieht bei und ein.
Durch die Menge geht ein Raunen:
Kann Gott denn menschlich sein?
2.
Gott kommt anders als wir denken,
doch wir sind scheinbar blind.
Er will uns’re Blicke lenken
zum Bettler und zum Kind.
3.
Kommt nicht hoch zu Ross,
kommt ‚runter, kommt allein.
Kommt zu uns zu Fuß,
geht mit, will bei uns sein.
Text & Musik: C. Bittlinger
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