Irgendwie finde ich das ganz toll: Meine Heimatstadt Essen als europäische Kulturhauptstadt 2010. „Essen für das Ruhrgebiet“. Ich erinnere mich vor allem gern an meine Essener Kinder- und Jugendtage: Bei jeder Witterung sind wir mit dem Fahrrad (und später mit dem Motorrad) zur Schule gefahren. Für uns gab es kein schlechtes Wetter, und nur ausnahmsweise mal schlechte Kleidung. Die meisten Verwandten haben „auf Zeche“ gearbeitet, das heißt: im Steinkohlebergbau. Und ich ebenfalls – immer mal zwischendurch als Nebenverdienst. Und zwar auf Prosper in Bottrop. Vom Steinkohlebergbau war und ist die ganze Region nicht nur allgemein wirtschaftlich, kulturell und historisch, sondern auch sprachlich geprägt: Da wird ungeschminkt geredet. Schnörkelige Höflichkeits-Floskeln gab es kaum. Wenn die „Kumpels unter Tage“… mal wieder einen neuen „Frosch“, also eine Grubenlampe brauchten, dann wurde der „Stift“, also der Lehrling, kurz und kernig zur Erledigung dieser Aufgabe „rekrutiert“: „Ey Alter, gibb ma den Frosch!“
In Essen gab es lange Zeit einen hochrangigen, zugegebenermaßen etwas extremen Werksdirektor (inzwischen verstorben), der hat seinen Mitarbeitern stets ein besonderes Kompliment dadurch „verpasst“, dass er sie notorisch mit „Na, Du Ar…….!“ begrüßte. Klingt für Auswärtige „ungehobelt“ – aber „im Pott“ war keiner beleidigt.
So verlangt es den Ruhrgebiets-Leuten bis heute noch extreme Disziplin ab, wenn sie sich „anderswo“ aufhalten (und dabei mit besten Kräften gutwillig „umzuschalten“ versuchen):
Nix mehr mit Ruhrgebiets-rauem Umgangston, denn solcher könnte anderorts möglicherweise als etwas zu frech empfunden werden – während man sich in der ruhrgebietlichen Heimat ohne Probleme schonungslos und gern auch mal heftig „um die Sache“ streitet, aber so, dass die Beziehungsebene kaum bis gar nicht drunter leidet. Also: Man „fetzt“ sich zur Not auch mal extrem, hat sich dann gegenseitig alles gesagt – zudem eine fröhlich-unkomplizierte Lösung gefunden – und anschließend trinkt man in coolem Einvernehmen n Bierchen. Keiner hat damit ein Problem.
Inzwischen hat sich natürlich vieles vermischt und entwickelt. Die Zechen sind zu, und man kann auch wieder Wäsche zum Trocknen nach draußen hängen. Aber die Menschen und die typische Ruhrgebiets-Mentalität, die Landschaft, die Freuden, die Leiden (und natürlich auch die Direktheit) sind gleich geblieben. Ruhrgebietler sind freche, fleißige, hilfsbereite und offene Menschen. Gelebt wird versöhnte Verschiedenheit. Ausländer-Integration funktioniert meistens gut – vorbildlich für ganz Europa. Grenze und Chance zugleich: Der Tatendrang der Ruhrgebietler kann praktisch durch nichts gebremst werden. Aber selbiger war und ist auch für den erfolgreichen Strukturwandel von ungeheurer Wichtigkeit.
Das Ruhrgebiet ist heutzutage ein fast zusammenhängendes Stadtgebiet, die Städte-Grenzen sind verschwommen und kaum noch wahrnehmbar. Ist es die Ruhr in Essen oder Bochum, sind es die Einkaufsmeilen in Oberhausen oder Essen, sind es die Städte Castrop Rauxel, Bottrop oder Gelsenkirchen, in denen die Klischees über das Ruhrgebiet noch fast volle Wirklichkeit spiegeln. Jede Stadt hat etwas Besonderes und ihren eigenen Reiz. Jede hat etwas sehr schön Hässliches, aber auch etwas sehr schön Schönes, was niemand, der in dieser Stadt wohnt, missen möchte. Besonders schön ist so ein Tag am Rhein-Herne-Kanal oder an der Ruhr. Wasser, Idylle, Sonnenschein und jede Menge Ruhrgebietler, mit denen man ein schminkfreies Schwätzchen halten kann.
Die größten Ruhrgebietler sind freilich nicht mehr die Fußballspieler von Rot-Weiß-Essen (welche im Juni 1955 Deutscher Meister waren!), sondern es sind (teilweise noch immer geprägt vom Essener Pfarrer Wilhelm Busch – „Jesus unser Schicksal“ – der zwar eine umstrittene „schwarz-weiß“-Theologie vertrat, aber längst nicht so „horrend“ wie manch dümmlicher „Hauptsache-du-bist-‚bekehrt‘-dann-kannst-du-dich-benehmen-wie-du-willst“-Evangelikalismus neuzeitlicher Nuancierung) – ja es sind die vielen Heldinnen und Helden, die ihre Kinder und Enkel das von Gott geschenkte Leben facettenreich und ganzheitlich entdecken ließen – in einer gesunden Ausgewogenheit zwischen Enge und Weite. Doch worin „wir Ruhrgebietler“ nie müde werden dürfen (so sagte es schon der Essener Jurist, Kirchenmann und späterer Bundespräsident Gustav Heinemann) ist das Lernen, dass eben nicht alle Menschen auf der Welt so direkt und gerade-heraus sind und sein wollen.
Nicht alle Menschen mögen diesen „Pulsschlag aus Stahl“, wie ihn einer der „größten“ Ruhrgebietler, nämlich Herbert Grönemeyer, besingt. Ein anderer „Großer“ ist sein Bruder Dietrich Grönemeyer, Spitzenmediziner und Erfinder der Mikrotherapie: Unblutig und schmerzfrei werden Leiden wie Bandscheibenvorfall, Osteoporose und Tumore geheilt. Weit über seine Heimat hinaus leistet er Hervorragendes – und gemeinsam mit seinem Bruder avancierte er (trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Ruhrgebiets-Herkunft) im Laufe der Jahre zur fleischgewordenen Kulturen-Verständigung.
Im Jahr 2010 war Essen „Europäische Kulturhauptstadt“:
- https://de.wikipedia.org/wiki/RUHR.2010_%E2%80%93_Kulturhauptstadt_Europas
- www.planet-wissen.de/kultur/nordrhein_westfalen/essen_ruhr_zweitausendzehn/index.html
- www.ruhr-guide.de/kultur/kulturhauptstadt-2010/ruhr2010-wie-das-ruhrgebiet-kulturhauptstadt-wurde/17389,0,0.html
- http://download.media.tagesschau.de/video/2010/0103/TV-20100103-0016-0701.webm.h264.mp4
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