Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. (Hebräer 13,14) – Viele sind auf der Suche nach Heimat. Nicht nur Menschen, die auf der Flucht sind oder im Exil leben. Heimat ist mehr als ein Ort, in dem wir die Kindheit verbracht haben. Heimat ist ein Ort der Sehnsucht nach Unversehrtheit und Geborgenheit. An diesem Ort weiß ich: Hier gehöre ich hin. Hier will ich bleiben…
Gibt es diesen Ort? Oder ist er eine Utopie, die wir nur träumen können, bestenfalls in wenigen Momenten unseres Lebens erahnen?
„Wir haben hier keine bleibende Stadt“ – dieser Aussage kann ich zustimmen. Doch wie gehe ich damit um? Welche Konsequenzen hat es für mein Leben, dass nichts, was mich umgibt, Bestand hat? Dabei geht es um weit mehr als das Dach über meinem Kopf. Es geht um alles, was mein Leben hier ausmacht: meine Familie, meine Freundschaften, mein Engagement in Beruf und Ehrenamt – meine Erkenntnisse, mein Lebenskonzept, vielleicht sogar um meinen Glauben. Ist mein Leben nur Durchgangsstation, die es zu überwinden gilt? Gemäß dem Motto: nur das Ankommen am Ziel zählt.
Nein! – Mein Leben hier auf dieser Erde hat Qualität und Lebenswert an sich. Schaffe ich es, den Augenblick zu leben und zu genießen trotz der Erkenntnis: Hier kann ich nicht bleiben – ich bin nur Gast? Meine Heimat, meine „Bleibe“ ist mehr als das, was mich umgibt und mir so wichtig scheint.
Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Wieder eine der vielen Vertröstungen, die die Bibel für mich parat hat, wenn mir mein Leben Mühe macht? Meine Heimat ist im Himmel, liegt also fern von hier. Außerhalb von Raum und Zeit im himmlischen Jerusalem. Das nicht als Vertröstung sondern als Trost zu verstehen, ist eine Herausforderung, der ich mich immer wieder neu stellen muss. Wenn ich Gefahr laufe, das Leben nur einseitig unter dem Aspekt der Vergänglichkeit und Vorläufigkeit zu sehen. Dann versäume ich die vielfältigen Gestaltungsräume, die Gott mir eröffnen will. Oder wenn für mich nur das zählt, was ich auf dieser Erde erreiche, und allein bei mir die Verantwortung für das Gelingen meines Lebens liegt. So werde ich frei von dem Druck, mein Leben perfekt meistern zu müssen, alles im Hier und Jetzt geregelt zu bekommen.
Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Ein Sehnsuchtswort! Suchen meint hier ein ganzheitliches Hinwenden, Ausrichten nach ewig Beständigem. Dabei helfen mir Fragen wie: Woran orientiere ich mich? Wie tragfähig ist mein „Lebenshaus“ und wie kann es lebendig bleiben? Letztlich geht es um Hingabe an Gott. Von ihm allein bezeugt die Bibel, dass er „bleibend“ ist. Glauben heißt, mit Gott unterwegs zu sein, immer wieder neu aufzubrechen mit und zu ihm.
Wie schon Israel, das wandernde Gottesvolk. Es hatte kein festes Dach über dem Kopf, lebte in Zelten. Auf der Suche nach dem gelobten Land kam es auf vielen Um– und Abwegen schließlich in Kanaan an. Selbst nachdem Salomo dort ein Haus für Gott errichtet hatte, war es wieder nur an einem vorläufigen Ziel. Es folgten Verschleppung und Exil und wieder die Sehnsucht nach Jerusalem! Nach der Rückführung musste das Volk auch noch erleben, wie der Tempel zerstört wurde.
„Diese alle sind gestorben und haben das Verheißene nicht erlangt, sondern nur von ferne gesehen und gegrüßt und haben bekannt, dass sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind. Nun aber sehnen sie sich nach einem besseren Vaterland, nämlich dem himmlischen. Darum schämt sich Gott nicht, ihr Gott zu heißen; denn er hat ihnen eine Stadt gebaut.“
So fasst der Schreiber des Hebräerbriefes die Erfahrungen des Volkes Gottes im Alten Bund zusammen.
Auch wir sind Gäste.
Eigentlich bin ich gerne Gast. Das kann heißen: Ein anderer sorgt für mich. Ja, ich darf mich verwöhnen lassen, muss mich um nichts kümmern. In der Wüste flossen zwar noch nicht Milch und Honig, doch war alles zur Genüge da, was das Volk brauchte. Weil Gott mit ihm war.
Der Bleibende, der Ewige macht sich auf den Weg mit und zu uns vergänglichen Menschen. In Jesus kommt er hinein in eine Welt, die ihn nicht wirklich sucht und vermisst. Von ihm bezeugt der Verfasser des Hebräerbriefes: „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“. Er nimmt Wohnung bei mir und gibt meinem Leben schon jetzt eine neue Qualität. Mit ihm darf ich an Gottes Reich bauen. So berührt die Ewigkeit meine Zeit.
Da tut sich ein weiter Raum auf. Die Grafik von Stefanie Bahlinger lässt ihn hinter und über den beiden Türmen erahnen. Wie hinter einer Burg liegen die kleinen Häuser in ihrem Schutz. Die Türme sind keine bedrohliche Festung, sondern offen: zwei Tore gewähren einen Blick hindurch, erinnern an das Goldene Tor in Jerusalem, durch das der Messias kommen soll. Ein durchaus fröhliches Bild, wären da nicht die herumliegenden Steine am unteren Bildrand. Sie erinnern mich daran, dass mein Lebenshaus nicht sicher ist. Es ist einsturzgefährdet. Ob die kleine und die große Burg auch ein Bild für meinen Glauben sind? Er bewahrt mein Lebenshaus vor mancher Gefahr, doch auch er kann bröckeln. Wenn er mir den Blick für das Wesentliche verstellt, muss das nicht schlimm sein. Mein Glaube muss offen bleiben für die Wirklichkeit „dahinter“: für Gottes ewiges Reich. Dann kann der Blick auf die herabstürzenden Steine auch befreiend sein, weil all meinem Tun und Glauben das Prädikat „zerbrechlich und vorläufig“ anhaftet.
Das Kreuz lädt mich immer wieder ein, den Blick „dahinter“ zu wagen. Mit zarten Strichen in der Bildmitte gezeichnet, wirkt es fast schwebend. Es steht sozusagen quer, ist die Verbindung von meiner Welt zum himmlischen Jerusalem: schemenhaft sehe ich eine Stadt in helles Licht getaucht, das nach oben hin golden abstrahlt. Über dem großen Turm erhebt sich in gleißendem Licht eine Art Krone mit großer Perle: Das himmlische Jerusalem, die Stadt Gottes, in der es kein Dunkel, keine Schuld, kein Leid, keinen Tod mehr gibt! – Noch lebe ich in einer unheilen Welt, die die weiteren Kreuze andeuten. Die Wörter am unteren Bildrand mögen Versuche sein, die vielen Fragen nach dem „Warum“ zu beantworten. Der violette Farbton erinnert daran, dass Schuld und Zerstörung nicht das letzte Wort haben, sondern jederzeit Umkehr möglich ist. So scheinen sich die großen und kleinen, dicht aneinander gedrängten Häuser nach dem Licht auszurichten. Erdiges Grün schimmert durch ihre Mauern, findet sich verstärkt am linken Bildrand und zieht sich nach oben hin zum Licht. „Aus Erde sind wir gemacht“ – allerdings mit dem Prädikat „von Gott geliebt und zu ewigem Leben bestimmt“. – Vielleicht deshalb die strahlend roten Dächer?
Wenn ich bei ihm sein werde, werde ich nichts mehr fragen müssen, dann ist alles klar. Dann bin ich angekommen. Daheim.
Doch schon hier bin ich eingeladen, in der Gegenwart Gottes zu leben, immer mit der Sehnsucht im Herzen:
„Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell hinein, dass uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine…“ (eg 680)
Motiv: Stefanie Bahlinger
Text: Renate Karnstein
Quelle: http://www.jahreslosung.eu/details-vab-jahreslosung-2013.php