Der Wissenschaftsjournalist und TV-Moderator Ranga Yogeshwar spricht im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ über Versäumnisse der Medien, Langeweile als Motor für Neugierde und 20 Jahre „Quarks & Co“. – Frage: Herr Yogeshwar, Sie werden oft beschrieben als der Mann, der alles weiß. Gibt es auch Themen, von denen Sie keine Ahnung haben?
Ranga Yogeshwar: Sicher. Ich würde zum Beispiel in allen Quizsendungen bei den ersten Fragen rausfliegen. Fragen etwa über Schauspieler oder Fußballer – da bin ich eine absolute Null. Und natürlich weiß ich nicht alles. Ich lese mich ein, studiere vieles, aber das ist weit weg von wirklichem Wissen. In den Medien gibt es Schubladen für alles und jeden: Da gibt es die Schöne, den Bösen, und ich bin eben der Erklärbär.
Können Sie es aushalten, etwas nicht zu wissen?
Yogeshwar: Nein, das kann ich nicht. Da hab ich einen Drang, auch heute noch. Und zwar unabhängig von Kameras und Sendungen. Ich bin besessen davon, Dinge zu wissen, sie selbst zu verstehen. Ein konkretes Beispiel: Ich programmiere zurzeit. Vor 30 Jahren habe ich meinen ersten Rechner selbst gebaut, aber in der Zwischenzeit ist viel passiert. Und ich möchte nicht den Anschluss an die Entwicklung verlieren. Also habe ich wieder Unterricht genommen und einen Programmierkurs gemacht. Es ist sehr schön, sich auf etwas zu konzentrieren. Denn in der Medienbranche ist ja sonst meistens alles schnell und oberflächlich. Das entspricht überhaupt nicht meiner Natur. Ich will immer tiefer graben.
Ist es nicht anstrengend, allem auf den Grund gehen zu wollen?
Yogeshwar: Vielleicht, ich kann das nicht beurteilen, für mich ist es eher anstrengend, da zu sitzen und zu denken, die Zeit ist verloren. Was nicht heißt, dass ich nicht im Garten sitzen und nichts tun kann. Als Kind habe ich oft einfach nur geträumt. Aber unsere Welt ist voll von überflüssigen Dingen, bei denen ich oft den Eindruck habe, dass der Unterschied zwischen Unterhaltung und Zeitvertreib nicht mehr gegeben ist. Ich reagiere zum Beispiel bei Computerspielen allergisch. Man kann doch nicht stundenlang da sitzen und reflexartig irgendwo drauf drücken.
Sich die Zeit mit eher Belanglosem zu vertreiben, liegt Ihnen nicht?
Yogeshwar: Nein, das ist nicht nur nicht meine Art, ich wehre mich auch dagegen. In ganz vielen Bereichen habe ich den Eindruck, die Gesellschaft wird dumm gehalten. Es gibt einen Riesenkommerz von Dingen, die vollkommen überflüssig sind, die auf uns draufgesetzt werden, damit wir in einem Meer der Nebensächlichkeiten ertrinken.
Ist das Ihre Erklärung dafür, dass etwa die NSA-Affäre in Deutschland viele nicht besonders zu interessieren scheint?
Yogeshwar: Das ist für mich ein typisches Beispiel. Mein Urlaub hatte gerade begonnen, als die Geschichte bekannt wurde. Aber in so einem Moment kann ich mich nicht einfach zurücklehnen und sagen: Sorry, ich bin im Urlaub, das geht mich alles nichts an. Stattdessen habe ich mich an die Talkshow-Redaktionen gewandt mit der dringenden Bitte, den Abhörskandal aufzugreifen. Kurz darauf saß ich zum Thema bei „Beckmann“ und bei „Günter Jauch“.
Warum war und ist Ihnen das so wichtig?
Yogeshwar: Unsere Medienlandschaft entgleist in einer Form, die undemokratisch ist. Wir werden immer häufiger zugemüllt mit Zeug, das häufig schlichtweg falsch ist und den Blick verstellt für die Dinge, die wichtig sind. Bei der NSA-Affäre geht es um ein Grundrecht. Ich arbeite in den Medien, um auf solche Zustände hinzuweisen, zu diskutieren und aufzuklären. Und nicht, um irgendeine Belanglosigkeit hochzujubeln.
Versagen die Medien darin, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen?
Yogeshwar: Vor 20 Jahren war es so, dass ein Mehr an Informationen immer auch ein Mehr an Demokratie war. Heute ertrinken wir in einem Informationsmeer. Es ist atemberaubend zu sehen, wie viel Falsches zu finden ist, und man muss immer darauf achten, dass man dadurch nicht im eigenen Handeln beeinflusst wird. Wir machen Duelle der Kanzlerkandidaten – und in den Medien wird anschließend über Halsketten diskutiert. Das darf doch nicht sein!
Warum ärgert Sie das so sehr?
Yogeshwar: Ich finde es sehr bedenklich, weil es zu einer Entmündigung der Medien kommt. Die Glaubwürdigkeit des Fernsehens und der Print- und Onlinemedien nimmt ab. Was ist das Ergebnis? In 20 Jahren wissen die Menschen nicht mehr, wer ihnen die Wahrheit sagt. Ich finde, die Medien haben eine unglaublich wichtige Rolle. Wir müssen die Dinge sortieren, erklären, Dinge kritisch angehen. Und das tun wir nicht. Vor lauter Bäumen sieht man den Wald nicht mehr. Alles ist unglaublich intransparent. Das ist nicht gut für diese Gesellschaft.
Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf Ihre Herangehensweise an „Quarks & Co“?
Yogeshwar: Ich zweifele manchmal. Ich vergleiche „Quarks“ mit einer Schule. Wir sind in einem Klassenzimmer, und links und rechts neben uns haben sie plötzlich Riesenräder und Autoscooter. Wir sind umgeben von einer Welt, in der man sich fragt, ob man da noch richtig ist. Hat man noch den richtigen Zugriff? Wenn alle Talkshows Gäste nur noch nach medialen Kriterien auswählen, sieht man, was passiert. Es geht nicht um Inhalt. Da frag ich mich: Ist Inhalt noch relevant? Ich glaube, der Erfolg von „Quarks“ besteht gerade darin, dass es bei uns um etwas geht. Da kann ich nicht aus meiner Haut. Anders kann und will ich nicht arbeiten.
Macht es diese Reizüberflutung heute schwerer, neugierig zu sein. Beobachten Sie das etwa bei Ihren Kindern?
Yogeshwar: Ja, das sehe ich. Und ich versuche, etwas dagegen zu tun. Nicht nur bei meinen Kindern. In den letzten Jahren haben wir erlebt, dass Kinder immer mehr zu Konsumenten gemacht wurden. Als ich Kind war, da gab es das Marketing und die Klamotten und all das, was eigentlich unwichtig ist, überhaupt nicht. Heute gehen wir mit dem Thema „Konsum“ sehr unverantwortlich um. Wir müssten einen Konsens haben, der heißt: Hände weg von Kindern! Kinder haben ein Recht, neugierig und offen zu sein. Ansonsten passiert, dass ständig Antworten gegeben werden, statt dass Fragen gestellt werden. Dann ist das Produkt die Antwort – auch wenn du gar keine Frage gestellt hast.
Wie meinen Sie das?
Yogeshwar: In vielen Bereichen wird die Produktivität und Kreativität durch Produkte gehemmt. An einem modernen Smartphone ist keine Schraube dran, man kann nicht mal etwas ausprobieren. Ich engagiere mich in einer bundesweiten Initiative zum Thema Informatik. Und zwar nicht, weil wir alle Nerds werden sollen. Sondern weil wir erkennen müssen, dass es ein Stück Freiheit gibt, wenn man weiß, dass man etwas selbst aktiv gestalten kann. Das ist wichtig – gerade für Kinder. Etwas selber machen, weil man es kann, weil es geht.
Wie wichtig ist Langeweile als Motor für Neugierde?
Yogeshwar: Als Kind war ich mitunter so gelangweilt, dass ich quasi meine Knochen wachsen hören konnte. So etwas ist wichtig, weil man aus dieser Ruhe heraus die eigene Stimme hört. Das ist der Fehler, der heute gemacht wird. Wissen wird immer nur in diese utilitaristische Kiste gesetzt: Lerne, damit du später einen tollen Job bekommst! Das Kind muss mindestens drei Fremdsprachen beherrschen. Es ist aber auch spannend zu wissen, wie eine Fliege Zucker schleckt. Das ist sogar ziemlich cool. Dieser Forschergeist geht auch an den Hochschulen verloren. Die Studenten bekommen irgendwelche Credit-Points, haben aber nichts von dem Urgeist des Studiums verstanden.
Sie haben sich gegen eine Karriere in der Forschung entschieden. Kürzlich haben Sie den diesjährigen Gewinner des Physik-Nobelpreises, Peter Higgs, interviewt. Eine solche Form der wissenschaftlichen Anerkennung Ihrer Arbeit bleibt Ihnen aufgrund Ihrer Entscheidung für den Journalismus verwehrt.
Yogeshwar: Anerkennung in dieser Form ist mir total egal, auch wenn man mir das vielleicht nicht glaubt. Ich lehne mittlerweile auch Preise ab. Ich will sie nicht. Das ist nicht das Motiv, weswegen ich meine Arbeit mache.
Aber jeder sehnt sich doch nach Anerkennung.
Yogeshwar: Ich muss mich nicht beklagen, ich leide nicht an einem Mangel an Anerkennung. Aber ich merke, darauf kommt es nicht an. Das Wichtige ist die Liebe zur Sache – auch wenn die Kamera abgestellt ist. Kürzlich hab ich einen 3D-Drucker aus 800 Teilen zusammengebaut. Dafür gibt es null Anerkennung, aber es hat mich glücklich gemacht. Viele Menschen glauben, sie müssten reich und berühmt werden. Das ist Quatsch. Wenn man etwas nur macht, um Anerkennung dafür zu bekommen, kann man auch nicht loslassen. Dann steckt man in einer Falle. Was ist, wenn man die Anerkennung nicht mehr erhält? Bekommt man dann Depressionen? Ich nicht. Für mich gibt es Sachen, die mich viel stärker berühren.
Gibt es für Sie eigentlich Dinge, die man nicht verstehen muss?
Yogeshwar: Natürlich, ich sehe ja nicht aus dem Fenster und überlege ständig, wie etwas funktioniert. Es gibt Dinge im Leben, die man einfach auf sich wirken lassen muss, die gesamte Kunst etwa. Wichtig ist: Wenn du etwas machst, mach es mit Leidenschaft. Denn wenn du es mit Leidenschaft machst, beginnt es zu leben.
Es gibt noch andere Bereiche im Leben, bei denen es nicht in erster Linie um Wissen geht. Ist Glauben und Religion für Sie ein Thema?
Yogeshwar: Ja, ist es. Ich bin eher Atheist, denke aber viel über den Wert der Religion nach. Meine Erklärung ist, dass sie uns die Vergänglichkeit erklärt, diese Absurdität, dass man irgendwann einfach nicht mehr da ist. Diese Vorstellung muss man aushalten können. Und wenn man sie nicht aushalten kann oder will, dann hilft die Religion und gibt Hoffnung, dass es ein Leben nach dem Leben gibt.
Sie können die Vergänglichkeit des Lebens ohne Religion aushalten?
Yogeshwar: Man muss akzeptieren, dass es so ist. Ich brauche auch keine Religion, um ein passabler Mensch zu sein. Es gibt ja viele, die sagen, wenn es keine Religion mehr gibt, dann verfallen die Werte. Zu denen gehöre ich nicht. Eine Gesellschaft kann sich auch aus dem Denken heraus Werte geben, die Kant’sche Philosophie ist mir da näher.
Aber eine endgültige Antwort etwa auf die Frage nach einem Leben nach dem Tod gibt es nicht.
Yogeshwar: Es gibt sehr Vieles, was wir nicht beantworten können. Und es gibt Fragen, die wir heute nicht beantworten können, aber vielleicht morgen. Es gibt aber auch ganze Ozeane von Dingen, die wir nicht durch unseren Verstand begreifen können. Ich kann das stehen lassen, ohne einen Gott zu bemühen, der dann sagt: Ich kenne den Masterplan. Ich beschäftige mich viel mit Astronomie, da bekommt man schnell eine demütige Haltung, was unsere Rolle angeht, weil man erkennt, wie groß ein Universum ist. Wir sind ein bisschen Staub, der sich selbst zu verstehen versucht.
Das Gespräch führte Anne Burgmer