Halten Christen, was sie von anderen erwarten? Bei wenigen Themen hat sich die evangelische Kirche so umorientiert wie bei der Ökonomie. Vor 25 Jahren diskutierten Synoden und Konvente darüber, ob angesichts der Weltwirtschaft der Status confessionis erklärt werden müsste, zu Deutsch: ob die Zustände dort noch mit dem christlichen Glauben vereinbar seien. Evangelische Unternehmer hatten einen schweren Stand. Vor knapp einem Jahr, als die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine Denkschrift über das Unternehmertum veröffentlichte, waren sich die Medien einig, die EKD habe ihren Frieden mit dem Kapital gemacht…
Das Wort des Rates der EKD zur Finanzkrise, das Bischof Wolfgang Huber jetzt in Berlin vorstellte, liegt in der neuen Linie. Es fordert internationale Kontrollen der Finanzmärkte, Nachhaltigkeit und mehr Teilhabe der Länder auf der südlichen Erdhalbkugel. Dann aber plädiert es für eine neue Marktwirtschaft. Und vor allem sagt es, dass die Ökonomie eine moralisch anstrengende Sache ist und eine neue Besinnung auf persönliche Verantwortung fordert. In ihrer Denkschrift hatte die EKD vom Leitbild des ehrbaren Kaufmanns gesprochen, für den Qualität Ehrensache ist und der seine Geschäftspartner weder hintergeht noch überfordert. Die Argumente treffen mitten in eine neu aufgekommene Ethikdebatte in der Wirtschaft. Sie werden seit zwölf Jahren vorbereitet. Erstmals nach langen Jahren tauchten sie im gemeinsamen Sozialwort der Kirchen von 1997 auf.
Doch noch steht den Kirchen eine Konsequenz im eigenen Haus bevor. Sie müssen die Maßstäbe, die sie im Blick auf nachhaltiges Investment und verantwortliches Wirtschaften entwickeln, auf sich selber anwenden. Noch ist der Beweis nicht erbracht, dass die Kirchen als Teilnehmer am Kapitalmarkt und an der Wirtschaft, etwa als Arbeitgeber, durchweg ein Vorbild abgeben. Gut, dass sie im Schnitt glimpflich durch die Finanzmarktkrise gekommen sind, auch wenn einzelne Landeskirchen und Bistümer Ausfälle verzeichnen. Gut auch, dass sich die meisten nicht verschuldet haben, sodass sie den wenigen helfen konnten, die ins Schleudern gerieten.
Jetzt kommt der Lackmustest: Wie viel von ihren Ratschlägen verwirklichen die Kirchen in der eigenen Organisation, in ihren Werken und in Diakonie und Caritas? Mit rund 1,4 Millionen Beschäftigten zählen die Kirchen zu den größten nichtstaatlichen Arbeitgebern in Deutschland. Wie gehen sie mit ihrem Kapital um, wie schaffen und erhalten sie selber Arbeitsplätze? Die evangelische Kirche hat gerade zum zehnten Mal ihr jährliches Gütesiegel „Arbeit plus“ an Betriebe verliehen, die Arbeitsplätze schaffen. Die Frage bleibt, wie viele ihrer Landeskirchen, Einrichtungen und Diakonischen Werke die Kriterien ebenfalls erfüllen würden.
© Rheinischer Merkur Nr. 28, 09.07.2009