Heutzutage schreibt man keine SMS mehr – wenn man sich „jung“ fühlt. Der legendäre ShortMessageService hat ausgesimst. Die Einzelgebühren sind zu hoch, die Flats unattraktiv. Ganz aktuell: Die taufrisch vom japanischen Anbieter nach Europa transplantierte „LINE“-App scheint mit Riesenschritten den bisher allein selig machenden Marktführer WhatsApp erfolgreich und qualitativ hochwertig zu vertreiben… Mehr dazu findet sich weiter unten in diesem Artikel.
Kommunikation im Werte-Wandel
WhatsApp ist eine (12 Monate lang) kostenlose plattformübergreifende mobile Nachrichten-App für iPhone, BlackBerry, Windows Phone, Android und Nokia. Die Zielgruppe scheint weitgehend rechtschreibregelbefreit zu sein: Allein die ersten acht Werbetext-Zeilen der offiziellen deutschen WhatsApp-Startseite bergen nicht weniger als zwei Komma- und drei Rechtschreibefehler. Jene Fehlerquote aus der Feder der freiheitsliebenden Versucher kommt schon verdächtig nah an diejenige ran, die sich in der durch eine mitteljunge Grundschul-Lehrkraft „verfassten“ Zeugnisniederschrift für meinen 9jährigen Sohn lehramtlich verewigt hat (und solch lockeres „Lesematerial“ lehrt dann unsere Kinder die deutsche Sprache). Will sagen: Vielfältige Fantasie-Vorkommnisse verstehen versierte Verwender vielleicht viel fehlerloser als vormals fast fehlerfrei verfassende Veteraninnen und Veteranen. Will wiederum sagen: Es scheint gegenwärtig wirklich wichtige Werte-Verwandlungen zu geben – derer WIR uns als Zeitzeugen erfreuen dürfen! Also: Vergiss einfach die alten Regeln und Ordnungen. Heute kommt’s nur noch drauf an, was gerade „geht“ und wie du dich fühlst (die Betonung liegt auf du – selbstverständlich neuerdings nur noch klein geschrieben).
„meine hundi hat gesstern junge gekriggt…“
Zeitgemäße Kommunikation schreibt demnach ihre eigenen Regeln. Und die gehen in etwa so (Originalzitat facebook): “hi medels meine hundi hat gesstern junge gekriggt wer will eins dafon hahben meine mamma kauft sie für 2,00 euro, dass stück…“ O.k. – wenigstens weiß nun jede(r), was gemeint ist – so ähnlich wie bei dem Satz, mit dem unserer ehrenwerter Deutschlehrer uns im damals noch geteilten Deutschland einst zur formalen Verständlichkeit herauszufordern versuchte: „Dieser Weg ist kein Weg. Wer es trotzdem tut, bezahlt zehn Mark und fließt in die Gemeindekasse.“ Will sagen: Zeitgemäße Kommunikation zeichnet sich dadurch aus, dass sie so leicht verständlich ist wie die redcoon.de-Werbung, aber vielfach vergleichbar fehlervoll wie die meisten Wochenend-Ausgaben von focus-online.
Datenschutz – nein danke
Bemerkenswert: Datenschutz ist out. Schnee von gestern. So uncool wie Connies rosa Schleife im Haar und Bob der Baumeister zusammen. Kürzlich berichtete eine Reli-Lehrerin, dass ihre Schülerinnen und Schüler ungefragt Video-Aufnahmen von ihrem Unterricht auf Youtube hochgeladen hätten. – Ja geht’s noch??? Ja, und es geht sogar noch weiter: Spätestens seit sich Ex-Hannah-Montana-Sternchen Miley Cyrus mit ihren frivolen Fleisch-Verfilmungen in die Stylebook-Schlagzeilen und darüber hinaus zu „biedern“ versucht hat (sogar unter Androhung von Folge-Freilegungen) – und spätestens seitdem verblüffte Facebook-Eltern sechsstellige Polizei- und Ordnungsamts-Einsätze zu berappen hatten, weil Teenie-Termine traumhaft öffentlich gemacht worden waren, da gibt’s scheinbar endgültig keine Privatsphäre mehr.
Will wissen, wann wer wie lange online ist…
So zeigt WhatsApp unter’m Android-Betriebssystem minutengenau und unabstellbar, wann wir online sind – selbst wenn wir’s gar nicht sind – und die meisten finden das nicht mal schlimm. Und da wir grad beim Datenschutz sind: Am zweiten Donnerstag im Oktober 2013 hat Facebook-Manager Michael Richter kundgetan, dass Facebook-Nutzer ihr Profil künftig nicht mehr vor der Suchfunktion des Netzwerkes verbergen könnten. Zuvor konnten Facebook-Mitglieder noch festlegen, dass sie bei einer namentlichen Suche über die Webseite nicht auftauchen wollen. Die Funktion („Wer kann deine Chronik über deinen Namen finden?“) gab es (einst) unter den Einstellungen zur Privatsphäre. Tippte dann ein anderer Facebook-Nutzer den Namen dieser Mitglieder in die Facebook-Suchbox ein, so blieb das Profil verborgen – aber: Verbergen darf man schließlich heutzutage nichts mehr.
LINE-Vorteile
Die vielversprechende LINE-App scheint den Datenschutz auf den ersten Blick etwas ernster zu nehmen als Platzhirsch WhatsApp: LINE verbirgt bislang konsequent die Transparenz darüber, wann wir zuletzt online waren. LINE zeigt nur an, wann die Nachricht gelesen wurde – sozusagen als Eingangsbestätigung. LINE wirbt damit, dass deren User auch kompromisslos kostenlos telefonieren und chatten können. Die Nachrichten lassen sich sogar mit außergewöhnlichen Emoticons, Bildern, Videos oder Sprachnachrichten kombinieren. LINE lässt sich auch zum sozialen Netzwerk ausbauen: Zu den zweifellosen Stärken von LINE zählen unter anderem die kostenlosen Internet-Telefonate. Dies kann allerdings schnell zu Lasten des Datenvolumens gehen – und selbiges lassen sich die deutschen Telefongesellschaften bekanntlich fürstlich bezahlen. CHIPs Fazit: LINE ist eine gelungene Alternative zu WhatsApp. Allerdings steht die App vor demselben Problem wie sämtliche WhatsApp-Konkurrenten: Um wirklich davon zu profitieren, müssen alle Ihre Freunde LINE benutzen.
Dient es dem Guten?
Die Betonung liegt wohl auf MÜSSEN. Aber: Müssen wir eigentlich alles tun, was wir können – und müssen wir unseren Kindern und Jugendlichen das alles wirklich kritiklos „zu Füßen legen“?
Carsten Heß, Pfr./Öffentlichkeitsbeauftragter Kirchenkreis Obere Nahe
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